Jun 272015
 

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„Es war zu einer Zeit, da sich eben in vielen Theilen der Gegend Fälle von Hundswuth ergeben hatten, daß Abdias eine Reise nach Hause machte, und zwar auf einem Maulthiere reitend, und wie gewöhnlich von Asu begleitet. In einem Walde, der nur mehr einige Meilen von seinem Hause entfernt war, und der Länge nach gegen jenen Föhrenwald mündete, von dem wir oben gesprochen haben, merkte er an dem Thiere eine besondere Unruhe, die sich ihm aufdrang, weil er sonst nicht viel hin geschaut hatte. Der Hund gab unwillige Töne, er lief dem Maulthiere vor, bäumte sich, und wenn Abdias hielt, so kehrte er plötzlich um, und schoß des Weges fort, woher sie gekommen waren. Ritt Abdias nun wieder weiter, so kam das Thier in einigen Sekunden wieder neuerdings vorwärts, und trieb das alte Spiel. Dabei glänzten seine Augen so…“

Eine starke, eindringliche und doch herzzerreißende Szene, die uns der österreichische Landschaftsmaler Adalbert Stifter da in seiner Erzählung vorzeichnet! Der Hund ist der treue Gefährte dieses einsamen Menschen Abdias, aber der Mensch Abdias hat es nicht erkannt. Mehr noch: Treue, Hingabe, Fürsorge kommen im Bild des Hundes Asu zum Vorschein, und die Welt hat es nicht erkannt.

Über viele Wochen hin erstreckt sich unsere Lesung dieses großartigen, mächtig aus Erzählquadern gefügten Werks schon. Der Weg des Juden Abdias führt voller Hoffnungen aus den Trümmern der alten Römerstadt im heutigen Maghreb – nach Europa! Europa, schimmernder Sehnsuchtsort! Für den Juden Abdias war dies der Sehnsuchtsort schlechthin. Wie bitter und süß und schmerzhaft waren seine Enttäuschungen dort!

Eine über derart lange Zeit sich erstreckende Lektüre der Erzählung Abdias von Adalbert Stifter vermittelt etwas von der ungeheuren Weite der Stifterschen Wort-Welten! Hier erfassen wir auch mehrere Jahrtausende Geschichte der Menschheit in einem einzigen gewaltigen Atemzug.

Das Thema Hund hat auch das Kupferstichkabinett in Berlin zum Thema einer entzückenden kleinen Sommerausstellung gemacht. Ich besuchte die Eröffnung vorgestern und konnte mich bei Wein und Brezen mit anderen Besuchern über einige lustige und traurige, tiefsinnige und oberflächliche, struppige und glattgestriegelte Hundedarstellungen von Goya, Dürer, Rembrandt, Polke e tutti quanti unterhalten. Der Besuch dieser Ausstellung mag den einen oder anderen dazu antreiben, das Thema „Hund“ mit aufmerksam lauschendem Gehör und wach witterndem Gespür wahrzunehmen. Es lohnt sich!

Wir kommen auf den Hund. Werke aus fünf Jahrhunderten von Albrecht Dürer bis Dieter Roth. Eine Sommerausstellung im Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin. 26. Juni 2015 – 20. September 2015.

Bild: Im Hochgebirg. Blick vom Kramermassiv hinüber nach Österreich, der Heimat Adalbert Stifters

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