Juli 262013
 

 

2013-07-23 12.51.44

In sengender Mittagshitze kletterten wir vor drei Tagen die staubige Bahn zu den oberen Rängen des riesigen Amphitheaters in Hierapolis Phrygia nahe Pamukkale hoch. Schon beim Hochgehen beschloss ich, ein paar alte griechische Verse ins Leben zu rufen, die mir eben so in den Sinn kamen. Passend erschien mir das Chorlied Vers 331 ff. aus der Antigone des Sophokles:
πολλὰ τὰ δεινὰ κοὐδὲν ἀνθρώπου δεινότερον πέλει.

Ein paar Mal setzte ich an, um den Aufnahmeleiter am Samsung-Smartphone, einen elfjährigen Jungen aus Berlin-Kreuzberg, zufriedenzustellen. Meine ersten Versuche fand er zu getragen, zu laut, zu pathetisch: „Warum sprichst du so laut? Warum übertreibst du so?“

Wir einigten uns auf ein herabgestimmtes Pathos. Aber, liebe Kreuzberger Kids, ganz ohne Pathos, also ohne Erschütterung geht es eben nicht ab in der attischen Tragödie. Die attische Tragödie ist Gottesdienst, ist kultischer, alle Sinne ansprechender Vollzug eines Wandlungsprozesses, der den ganzen Menschen mitreißt und beansprucht. Heiß war es damals sicherlich auch, denn die Aufführungen der 3 Tragödien und der einen Komödie an einem Tag hielten die Zuschauer einen ganzen Tag gefangen, Durst hatten die Zuschauer, besser: die Mitfeiernden damals wohl auch.

http://www.youtube.com/watch?v=W8hmaKT95bA&feature=youtu.be

Sophokles Antigone Vers 331 Hierapolis phrygia 2013-07-23

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Duran adam – auf den sollt ihr hören

 Antike, Jesus von Nazareth, Notre-Dame de Paris, Ökologie, Philosophie  Kommentare deaktiviert für Duran adam – auf den sollt ihr hören
Juni 242013
 

2013-06-22 09.32.30

„Auf den sollt ihr hören!“ Mit dieser zeigenden Haltung prägte sich mir von frühester Kindheit an das Bild Johannes des Täufers ein, dessen Tag wir heute begehen und auf dessen Namen ich selbst auch getauft wurde. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer dachten in einem Fragment der Dialektik der Aufklärung darüber nach, weshalb nicht Johannes der Täufer, der ältere der beiden Cousins, der ältere der beiden Milchbrüder, sondern der jüngere Jesus von Nazareth zum Urquell einer neuen Religion werden konnte. Horkheimer und Adorno bieten keine wirklich befriedigende Antwort an und gestehen dies auch offen ein. Eine Antwort könnte darin liegen: Johannes und Jesus haben es ausgehandelt, sie haben es in einem gemeinsamen Gespräch herausgefunden, indem sie beide in sich hineinhörten. Und beide wollten einander den Vortritt lassen, bis schließlich Johannes einlenkte. Matthäus schreibt: „Da gab Johannes nach“ und taufte Jesus.

Hier irren also meines Erachtens jene, die in Johannes nur den starrsinnigen Aussteiger, den kompromisslosen Rechthaber, den verrückten Öko-Aktivisten erkennen wollen; diese häufig gezeigte, oft verspottete  Kompromisslosigkeit scheint zwar ein Wesenszug Johannes des Täufers gewesen zu sein. Doch hat er sich immerhin gegenüber Jesus auf diesen einen großen, gewaltfrei ausgehandelten  Kompromiss eingelassen.  Jesus selbst wiederum scheint sich endgültig seiner Berufung erst sehr spät bewusst geworden zu sein, denn wie sonst wäre zu erklären, dass er immer wieder fragte: „Für wen halten mich die Menschen?“ Jesu Taufe am Jordan muss im Rückblick als ein Schlüsselerlebnis gedeutet worden sein.

„Auf den sollt ihr hören!“ Das ist die Zeigehaltung des Johannes, der hinter dem Jüngeren, dem später Geborenen zurücktritt und sagt: „Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.“

Beide Milchgeschwister traten mutig, unerschrocken und vollkommen gewaltlos für das ein, woran sie glaubten. Johannes predigte den bescheidenen, von Verzicht und tätiger Hingabe geprägten Lebensstil, während Jesus vielfach den Sinnengenuss – etwa im Wein, im Brot und im Salböl – pries. Johannes, der sich von wildem Honig und Heuschrecken ernährte, kann in vielerlei Hinsicht als fortzeugender Urvater der Ökobewegung  unserer Tage gelten. Er lebte in fair erzeugter Kleidung, lebte in biodynamischer Ernährung und im gesamten Lebensstil den Gedanken der Nachhaltigkeit vor. Er war aber auch ein großer Unzeitgemäßer, denn er verlangte auch von Königen und Königinnen eheliche Treue und widersetzte sich der postmodernen Beliebigkeit seiner Tage. Während der Zeitgeist damals so wehte, dass alle Lebensformen gleichermaßen unterstützenswert und achtenswert seien, vertrat Johannes die Besinnung auf Geist und Wortlaut der zehn Gebote, die damals – vor 2000 Jahren also – offenbar bereits bei der Menge als ebenso hoffnungslos veraltet, als ebenso miefig und verzopft galten wie bei uns auch.

Beide – Johannes wie Jesus – starben eines gewaltsamen Todes, obwohl oder weil sie doch so unerschrocken die Gewaltlosigkeit, den Verzicht auf das Schwert gepredigt und vorgelebt hatten.

Für mich ist der Aufruf zur Gewaltlosigkeit, der Verzicht auf die Waffe zur Durchsetzung eigener Macht- und Besitzansprüche, das Eintreten für gewaltfreie Kommunikation fundamental. Das geht für mich bis ins Politische hinein. Nur diejenigen politischen Bewegungen halte ich für unterstützenswert, die den politischen Wandel im Inneren der Länder durch Gewaltlosigkeit, durch den Verzicht auf körperlichen Zwang und den Verzicht auf entwürdigende sprachliche Hetze bewirken.

Einen späten Reflex dieses mutigen Eintretens für Gewaltfreiheit erblicke ich im Duran Adam, wie der Türke sagt, im unerschrockenen Adam, unerschütterlichen, im gewaltfreien Adam, stummen und doch beredten Eintreten für das, woran man glaubt.

Quellenangaben:

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: „Verwandlung der Idee in Herrschaft“. In: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1969, S.  189-192 et passim, hier bsd. S. 190

Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2007, hier bsd. S. 1381 (Mt 3,13-17) et passim

Guillaume Perrier:  Les opposants turcs choisissent l’arme de la non-violence.  Les manifestations d'“hommes immobiles“ se multiplient depuis l’évacuation de la place Taksim. Le Monde, 23-24 juin 2013, S. 3

http://www.lemonde.fr/europe/article/2013/06/22/les-opposants-turcs-choisissent-l-arme-de-la-non-violence_3434812_3214.html?xtmc=taksim&xtcr=2

Bildlegende:
Duran Adam. Stumm dastehende Zeugen der gewaltfreien Kommunikation. Ein Gruppenfoto vom linken Nebenportal der Liebfrauenkathedrale in Paris. Von links nach rechts: Maria, Jesus, Johannes der Täufer, Stefan, Genoveva, Silvester. Schnappschuss vom 23.06.2013

 

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Juni 072013
 

Die steuerliche Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaften mit der Mann-Frau-Ehe ist nur konsequent. Sie war überfällig. Sie entspricht dem gesellschaftlichen Megatrend. Das Recht zur assistierten Kindererzeugung, das Recht zur Kindererziehung und das Recht zur Kinderadoption unabhängig von biologischer Elternschaft, also auch ohne Einschränkung für homosexuelle Eltern werden in nicht ferner Zukunft folgen müssen.

Dies ist eine in Teilen wenigstens durchaus neuartige Entwicklung. Denn Homosexualität gab es zwar immer und wird es immer geben. Im alten Griechenland wurde sie sogar kulturell höher geschätzt als die fortpflanzungsgerichtete, kulturell „niedrigere“ Krethi-und-Plethi-Heterosexualität. Auch die Ablösung der Kindererzeugung und Kinderzucht von der späteren, der  gesellschaftlich anerkannten  Elternschaft wurde gelegentlich praktiziert – so etwa im alten Kriegerstaat Sparta, in der Knabenlese der Orientalen, beim Homunculus in Goethes Faust II,  im Lebensborn der Nazis, in Zwangsadoptionen der Kinder australischer Aborigines, bei denen noch im 20. Jahrhundert den biologischen Eltern ihre Kinder im Namen eines übergeordneten Interesses geraubt wurden.

 Jahrtausendelang galt aber  über die gesamte bekannte Menschheitsgeschichte die Ehe zwischen Mann und Frau – funktional gesehen – im wesentlichen als die überragende, die tragende und die grundlegende Einrichtung zum Zeugen, Hegen und Pflegen der später einmal arbeitsfähigen Kinder, zum Pflegen und Versorgen der greisen, nicht mehr arbeitsfähigen Eltern und der Älteren.

Diese als absolut unersetzlich erkannte Grundfunktion der Ehe zwischen Mann und Frau sowie des in die Ehe hineingebetteten, biologisch begründeten Eltern-Kind-Bandes wurde jahrtausendelang in Religionen und Mythen, in Dichtung und Poesie, in Recht und Gesetz besungen, verklärt, ausgeschmückt, gepriesen und geheiligt.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stellte eingedenk der schlimmen Erfahrungen der berüchtigen 12 nationalsozialistischen Jahre, in denen die Rasse und die Macht der Nation alles, die Familie nichts galt, noch einmal ausdrücklich Ehe und Familie unter seinen besonderen Schutz.

Die Familie, gesehen als biologisch begründete Abstammungsgemeinschaft, war nach allgemeiner Überzeugung die Keimzelle und das Fundament der Gesellschaften. Wenn die Frauen das Austragen, Gebären und Stillen der Neugeborenen in ausreichender Anzahl verweigerten oder wenn aus anderen Gründen nicht mehr genug Kinder geboren und ernährt werden konnten, schrumpften die Gesellschaften oder „Völker“, wie man früher sagte, und starben schließlich weg.

Heute gilt die Ehe dagegen – funktional gesehen – als Band der Gefühle, ferner als Institut gegenseitiger Absicherung zwischen erwachsenen, gleichberechtigten, arbeitsfähigen Menschen. Ihr Zweck und ihr Sinn wird im wesentlichen auf Liebe zwischen Erwachsenen begründet, weshalb sie seit etwa 200 Jahren ja gern auch als „Liebesbund“ bezeichnet wird. Kinder gelten als nicht mehr notwendiges Beiwerk der Partnerschaft der Erwachsenen und des Sozialstaates, ein Beiwerk, das nach eigenem Willen der Erwachsenen, nach eigenen Bedürfnissen der Erwachsenen kommen darf oder auch ohne Umschweife verhindert wird.

Der Zusammenhang zwischen verantwortlicher Sexualität, Ehe, Kindererziehung,  Altenpflege und Fortbestand der Gesellschaft ist somit endgültig entkoppelt.

Jetzt übernimmt der Staat durch seine vermeintlich selbsttragenden Sozial-, Wirtschafts-  und Versorgungssysteme die gesamte Letztverantwortung dafür.  Der Staat sorgt für alle. Die Politik versorgt alle. Staat und Politik, Bundesverfassungsgericht und fast alle Parteien  erteilen nunmehr folgerichtig allen Formen der Sexualität, allen Formen der Partnerschaft zwischen Menschen gleichermaßen und gezwungenermaßen ihren Segen, fördern alle Formen der auf Dauer angelegten Partnerschaft erwachsener Menschen gleichermaßen.  Ein grundlegender Unterschied in der Natur des Mannes und der Frau wird auch rechtlich nicht mehr anerkannt. Geschlechterrollen gelten als ausschließlich kulturell bedingt. Ein echtes Interesse am Fortbestehen der Gesellschaft darf sich nicht mehr artikulieren.

Die deutsche Gesellschaft schrumpft infolge dieses grundlegenden Wertewandels.  Kinder kommen irgendwie nicht mehr so recht zur Welt.  Während in früheren Jahrtausenden die Kinder als Segen der Älteren galten, müssen heute die Kinder regelrecht ihren Eltern dankbar sein, dass sie zur Welt kommen durften, denn etwa 100.000 Abtreibungen finden  in Deutschland bei etwa 600.000-700.000 Lebendgeburten pro Jahr statt.

Es gilt heute als weithin anerkanntes, unumstößliches Gesetz: Kinder kommen  nach den Wünschen und den Bedürfnissen der Erwachsenen zur Welt. Die Erwachsenen entscheiden nach ihrer jeweiligen Interessenlage oder auch nach der volkswirtschaftlichen Gesamtlage, ob ein Kind erwünscht oder unerwünscht ist, ob frau oder man es sich leisten kann oder nicht. Die materielle Interessenlage der erwachsenen, gesunden und arbeitsfähigen Menschen und die Volkswirtschaft stehen eindeutig im Vordergrund. Durch finanzielle Anreize meint der Staat die Kinderzahl erhöhen zu können.

Die Themen Altern, Pflegebedürftigkeit, Demenz, Alterseinsamkeit werden hartnäckig  abgeschoben. Am schlimmsten ist darunter übrigens bereits heute die Vereinsamung der pflegebedürftigen Alten. Gegenüber der Alterseinsamkeit ist die vielbeschworene Altersarmut ein Klacks, ein Kinderspiel sozusagen!

Weg mit diesen trüben Gedanken!  Das gegenwärtige materielle, finanzielle und vor allem das politische Wohlergehen der gesunden, erwachsenen, arbeitsfähigen und wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des 4-jährigen Planungshorizontes steht ganz vorne! Dem dienen die Politiker. Das verlangen die Wählerinnen und Wähler. An das, was in 20 oder 30 Jahren mit der Gesellschaft geschehen mag, denkt kaum jemand.

Das Motto scheint zu lauten: „Gib, o güt’ger Staat, uns Erwachsenen Deinen Segen zu allem, was wir tun und lassen wollen – und schenke uns dein Geld!“

 

 

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Mann, kapier es doch endlich: „Die Hälfte des Kuchens den Frauen!“ UND: „Die Wirtschaft braucht mehr Frauen im Arbeitsmarkt!“

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Apr. 162013
 

2013-04-12 18.49.27

Die Häfte des Kuchens den Frauen! Symbolisch verteilten VertreterInnen des Kreisverbandes und der Fraktion im Bezirk Bio-Kuchen und Infomaterial zum Thema. „Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Frauen in Deutschland immer noch strukturell benachteiligt“, sagt Annika Gerold, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses. „Sie sind deutlich häufiger Opfer häuslicher und sexueller Gewalt, sie haben ein erhöhtes Armutsrisiko, sie machen seltener Karriere und verdienen – trotz besserer Ausbildung –weniger als Männer.“  Ganze 22 Prozent liegt ihr Gehalt im Durchschnitt  unter dem ihrer männlichen Kollegen. Deutschland ist damit im EU-Vergleich trauriges Schlusslicht. In diesem Jahr war der 21. März Equal Pay Day: Der Tag, an dem Frauen das durchschnittliche Jahreseinkommen der Männer im Jahr 2012 erreicht haben.“ Fraktion und Kreisverband informierten an einem mobilen Info-Stand zum Thema Geschlechtergerechtigkeit.“

Wir zitierten aus dem Grünen Newsletter Xhain vom März 2013.  Spannend!

Eine Rückkehr zu den uralten Einsichten eines Platon (4. Jahrhundert vor Christus) verzeichnen wir in diesen Jahren bei vielen unserer politisch aktiven Frauen und Männer. Bereits Platon kam bekanntlich nach beharrlichem Nachdenken im 5. Buch seiner Politeia zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen Männern und Frauen schlicht auf Setzung und Satzung (wie das die Sophisten nannten), also auf der Konstruktion der Genderpolitik (wie wir heute sagen würden) beruhe. Rein philosophisch betrachtet, rein rational betrachtet konnte Platon aus der Sicht der vollkommenen Gerechtigkeit keinen Wesensunterschied zwischen Männern und Frauen anerkennen. Allerdings leugnete Platon nicht, dass Frauen im sportlichen Wettkampf grundsätzlich von Natur aus benachteiligt seien. Er hätte also sicherlich nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn Männer und Frauen in getrennten Fußball-Ligen auflaufen, wie es ja auch heute noch der Fall ist.

Folglich fordert Platon bereits im 4. Jahrhundert vor Christus  die absolute Quotierung aller Ämter für Männer und Frauen. Der Staat, die Wirtschaft und das Heer brauchen bei Platon Männer UND Frauen gleichermaßen. Frauen und Männer haben Anspruch auf den gleichen Rang, die gleichen Ämter, die gleichen Stellungen in Politik, Heer, Wirtschaft und Staat.

Das Problem der Geburt und der Kindererziehung löst Platon durch völlige Auflösung der Ehe und der Familie. An ihre Stelle treten staatlich beauftragte Leihmütter und staatlich beaufsichtigte Ammen. Der platonische Staat übernimmt im Vorgriff auf die großen staatlichen Menschenzucht-Experimente des 20. Jahrhunderts (Leninismus, Stalinismus, Hitlerismus, Maoismus) Zuchtwahl, Zeugung und Babypflege.

Warum konnte Platon sich nicht durchsetzen? Hier dürfte ein geschichtlicher Umstand bedeutsam sein: Sowohl das Imperium Romanum als auch die drei ehedem Europa prägenden Religionen – also Judentum, Christentum und Islam – sind und waren unerschütterlich in ihrem Glauben, dass Männer und Frauen nicht nur biologisch, sondern auch der „Bestimmung“ nach unterschiedlich seien. Die Römer erkannten recht bald, dass der Haushalt (also die familia, wie das lateinisch genannt wurde), dass die Familia als kleinste wirtschaftliche Einheit den ganzen komplizierten Mechanismus des öffentlichen Lebens und des Imperiums am besten stützt: insbesondere durch die Zeugung und Erziehung der Kinder, die nach fester Überzeugung der Römer in den ersten 3 oder4 Lebensjahren unbedingt im häuslichen Wirkungskreis (in der familia) betreut werden sollten, ehe sie dann zum Schulmeister geschickt werden sollten.

Jeder Staat, jede Volkswirtschaft braucht eine ausreichende Anzahl an nachwachsenden Arbeitskräften, an Kindern also, sofern man den Bedarf nicht mindestens teilweise durch importierte Sklaven befriedigt, wie das in der Antike gang und gäbe war.  Für Schwangerschaft, Geburt, Stillen und Erziehung der allerkleinsten Kinder muss also stets ein erheblicher Anteil der Lebenszeit der Frauen aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt herausgehalten werden, sofern man nicht alle Kinder von Anfang in zentralen Kinderbetreuungseinrichtungen aufziehen lässt.  Jedes einzelne Kind beansprucht dann die Mutter für mindestens 1 Jahr, und da statistisch zum Erhalt der Bevölkerung jede Frau 2,1 überlebende Kinder zur Welt bringen muss, steht aus natürlichen Gründen die Mutter dem Arbeitsmarkt nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Sie steht übrigens auch ihrer eigenen Karriere nicht uneingeschränkt zur Verfügung.

Ganz im Gegenteil ist es immer wieder zu beklagen, dass gut ausgebildete, beruflich erfolgreiche Frauen, sobald sie Mütter geworden sind, bekennen: „Mir ist das gemeinsame Glück mit meinen Kindern und meinem Mann viel wichtiger als die eigene Karriere. Ich verzichte gern auf eine Fortsetzung meiner Karriere. Kleine Kinder habe ich nur wenige Jahre, diese 5 oder 10 Jahre will ich aber auch genießen! Mir ist es wichtiger, dass es den Kindern gut geht, als dass wir uns ein Auto oder einen Urlaub leisten können. Es ist mir auch komplett egal, ob 10% oder 50% aller Straßennamen in Friedrichshain-Kreuzberg nach Frauen oder nach männlichen Generälen benannt sind. Keine Stunde des Glücks meiner Kinder würde ich für die Straßenumbenennungs-Ausschuss-Aktivitäten opfern.“

Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung führen also genderpolitisch häufig bei Frauen zu ungeahnten Störfällen! Diese armen Frauen halten das Glück der Kinder für wichtiger als das Glück, in einer gendergerechten Gesellschaft mit angemessenen Partizipationsmöglichkeiten für alle zu leben.  Diese Mütter und diese Väter  opfern also das Ideal der perfekt durchquotierten Gesellschaft auf dem Altar der Kinder in Fleisch und Blut. Das Glück ihrer eigenen, bereits geborenen Kinder steht diesen Müttern und Vätern über dem Glück der vollkommenen Gerechtigkeit, der vollkommenen Gender-Gleichheit, welches später einmal ihren noch zu gebärenden Kindeskindern zugute kommen würde! Sie räumen dem Glück der Familie Vorrang vor der absoluten Gerechtigkeit ein! Mit solchen Männern und Frauen  ist aber der Idealstaat, wie er Platon und auch Marx, Lenin,  Stalin und Mao vorschwebte, nicht zu erringen!

Verheerend war und ist auch der Einfluss der großen Religionen! Judentum, Christentum und Islam  denken in ihren Forderungen an ein sittlich gutes, gelingendes  Leben ja bekanntlich nicht von den Bedürfnissen des Staates her, sondern von den Bedürfnissen des einzelnen Kindes, letztlich des einzelnen Menschen. Die Glückseligkeit des einzelnen Menschen setzen sie höher als das Glück des perfekten Staates, das Glück der perfekten Volkswirtschaft! Jedes kleine Kind sollte – so sagen es diese Religionen – eine tiefe, unzerstörbare  Mutter- und Vatererfahrung haben. So ist es die tiefe Überzeugung der genannten drei gesellschaftsprägenden Religionen. Diese Sichtweise vom Vorrang der Familie vor dem Staat, vom Vorrang des Menschen vor der Wirtschaft setzte sich über die Jahrtausende hinweg stets durch.

Erst in unseren Tagen – beginnend von den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts – kippt das – wie schon damals zu Platos Zeiten! Selbst in der CDU und neuerdings auch in der EU-Fraktion der Liberalen beginnt sich endlich – 2500 Jahre nach Platon! – die Einsicht durchzusetzen, dass die Politik den Unternehmen und den Familien vorzuschreiben habe, wie sie das Ideal der Gender-Gerechtigkeit umzusetzen haben – und zwar spätestens ab 2020. Wir hatten jetzt nur 2% Zuwachs der Frauenquote pro Jahr in den Aufsichtsräten DAX-notierter Unternehmen! Skandal.  Wenn die Familien und die Unternehmen so dumm sind, den Idealvorschriften  der Politik nicht bzw. viel zu langsam zu folgen, dann muss man den Familien und den Unternehmen eben auf die Finger hauen!

http://www.tagesspiegel.de/politik/kompromiss-bei-der-union-cdu-verstaendigt-sich-auf-frauenquote-nach-2020/8067888.html

Die Häfte des Kuchens den Frauen!“ Gleicher wirtschaftlicher Erfolg jeder einzelnen erwachsenen, voll arbeitsfähigen Person, perfekt quotierte Anteile für Männer und Frauen gelten nun wie schon bei Platon im 4. Jahrhundert vor Christus als der absolute Maßstab. Eine Gesellschaft, in der die Frauen nicht die Hälfte des Anteils an gesellschaftlicher Macht, an finanzieller Kraft und wirtschaftlichem Einfluss haben, gilt per se als ungerecht.

Hieraus ergibt sich: Solange die schreiende Ungerechtigkeit der ungleichen Machtverteilung zwischen Männern und Frauen nicht beseitigt ist, werden die Frauen keine Kinder in die Welt setzen können, sondern lieber demonstrieren, politisieren und für einen 50%-Anteil an den Straßennamen in Friedrichshain-Kreuzberg kämpfen.

Sehr schön auch die Herausarbeitung des demographischen Arguments bei Silvana Koch-Mehrin (FDP): Da Deutschland seit Jahren viel zu wenig Kinder hat, um den eigenen Lehrstellenmarkt zu befriedigen oder die eigenen Alten und Dementen zu pflegen, werden nicht etwa die Familien ermuntert, mehr Kinder in die Welt zu setzen, nein, es wird gerade das Gegenteil gefordert und gefördert: Noch mehr Frauen sollen möglichst unterbrechungslos in Vollzeit arbeiten, noch mehr Frauen müssen vorrangig der Wirtschaft zur Verfügung stehen! Frauen, die keine qualifizierte Arbeit haben, finden ausreichend politische Mandate, um in Aktionen, Demonstrationen und Ausschüssen für die Hälfte des Kuchens zu kämpfen.

Am Wochenende protestiert man und frau zusätzlich gegen den längst eingetretenen Tod einer möglicherweise von allen Verwandten und Freunden nicht hinreichend betreuten alten Frau, deren Tod dann in unverantwortlicher Weise den herzlosen Behörden oder gar der Gentrifizierung angelastet wird. Hier ist zu sagen: Alte, verwirrte, behinderte, schwerkranke Menschen werden nie durch Behörden oder staatliche Stellen alleine zu retten sein, sondern nur durch geduldige, liebevolle Zuwendung einzelner Menschen.

„Die Wirtschaft braucht in einer älter werdenden Gesellschaft mehr qualifizierte Frauen im Arbeitsmarkt.“

via FDP-Europapolitikerin Koch-Mehrin fordert Zustimmung zur Frauenquote – SPIEGEL ONLINE.

Für Kinder, unbesetzte Lehrstellen in Deutschland und pflegebedürftige Alte in Deutschland werden bereits jetzt ausländische Arbeitskräfte händeringend angeworben, sofern nicht die Verschickung unserer Alten in ein Rentnerparadies (Thailand, Indonesien) erwogen wird.

Alles Illusionen, wie ich meine! Die völlige Angleichung der Männer- und Frauenrollen hat schon im antiken Sparta und bei Pippi Langstrumpf – und auch in Wagners Ring des Nibelungen – nicht funktioniert, sie wird auch bei uns ins Elend und zur weiteren Aushöhlung der Familien führen, vor allem dann, wenn sie durch die Politik von oben herab durchgedrückt wird.

Was würde der oben auf dem Bild zu sehende, kürzlich vom Volk der Franzosen zum beliebtesten Franzosen gewählte Omar Sy wohl zu der ganzen heillosen genderpolitischen Verwirrung von uns Deutschen sagen?

Zitieren wir doch seine merkwürdige, seine unerhört kühne Aussage zum Sinn des Lebens: „Ich möchte vor allem ein guter Ehemann und Vater sein.“

Omar Sy erwartet also nicht, dass die Politik ihn glücklich macht, wie es neuerdings ganz offen unsere Marina Weisband fordert, sondern er verlangt von sich, dass er zunächst seine Familie glücklich macht, so wie sie ihn glücklich gemacht hat.

Omar Sy, der gläubige Mensch – ein hoffnungsloser Fall?

Nein! Ich stimme ihm zu. Er ist vorbildlich für die sittliche Grundausrichtung der Menschen. Die deutschen Politiker, wir alle können sehr viel von Menschen wie Omar Sy lernen.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/marina-weisband-im-interview-bild-leser-koennen-auch-lesen/7948230.html

 

 

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Apr. 082013
 

„Rassismus tötet!“ „Rassismus schadet bereits in geringsten Mengen!“ „Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ „Der Autor N.N. ist doch bloß ein Rassist, und ich hasse alle Rassisten!“ „Kein Fußbreit für Rassisten!“

Derartige Äußerungen stimmen nachdenklich. Keinem Zweifel darf unterliegen, dass Rassismus, also die Einteilung der Menschen in biologisch begründete höher- oder tieferstehende Rassen, auf den entschiedensten Widerstand aller aufrechten Demokraten und Menschheitsfreunde stoßen muss. Viele Rechtsordnungen sehen rassistische Motivation als straferschwerend bei der Verurteilung von Straftaten an.

Aber bereits rassistische Äußerungen als solche sind in einigen Ländern strafbewehrt. Der italienische Fußballspieler Paolo di Canio etwa sagte mit Unschuldsmiene zu seiner Verteidigung, nachdem er wieder einmal durch Zeigen des Grußes mit ausgestreckter Hand höchst unangenehm aufgefallen war: „Ich bin Faschist, aber kein Rassist.“ Damit stellte er klar eine Rangordnung her: Der Vorwurf des Rassismus wiegt für ihn weit schwerer als die Selbstbezeichung des Faschisten. Die italienische Repubblica spießt den Fall di Canio auf und führt noch an: „In England kann der Vorwurf des Rassismus nicht nur zur Disqualifikation auf dem Fußballplatz, sondern geradewegs ins Gefängnis führen.

Repubblica vom 15.05.2012 im Original:
„Il Mail ricorda che Di Canio fu punito e multato dalla federcalcio italiana per avere fatto ripetutamente il saluto a mano tesa ai tifosi della Lazio quando giocava a Roma. Il giornale sottolinea che, in passato, Di Canio disse: „Io sono fascista, non razzista“. In Inghilterra l’accusa di razzismo può portare non solo alle squalifiche in campo calcistico, ma dritto in prigione.“

via Di Canio, accuse di razzismo La FA apre un’inchiesta – Repubblica.it.

Um so wichtiger ist es, Rassismus zu erkennen, zu benennen und ihn zurückzudrängen! Rassisten dürfen keinen Platz im Fußball und in der Öffentlichkeit erhalten, in England werden sie mit Fug und Recht gleich ins Gefängnis geworfen.

Wie erkennt man nun aber Rassismus? Teste dich selbst! Wie ist folgende Aussage zu bewerten:

„Schon heute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte.“

Hier wird mir wohl jeder zustimmen: Das ist eine eindeutig rassistische Aussage. Schlimmer geht’s fast nimmer. Es ist geradezu Rassismus pur, der hier vertreten wird. Denn der Verfasser unterteilt die Menschen in „Rassen“, die er anschließend in „unkultivierte“ und „hochkultivierte“ einteilt. Ferner werden unbewusste Ängste vor Überwältigung und „Überfremdung“ der „hochkultivierten Rassen“ durch die „zurückgebliebenen“ „Rassen“ und Schichten der Bevölkerung geschürt. Jeder wird hier zustimmen: Von dieser Aussage hin zur rassistischen Hetze ist es nur ein kleiner Schritt.

Ist also der Urheber solcher Äußerungen ein Rassist? Ja – oder doch nicht?

Ehe wir zu einem Urteil gelangen, empfiehlt es sich, den zitierten Rassisten den Gesamtzusammenhang herstellen zu lassen, indem wir das ganze Textstück des rassistischen Autors widergeben, aus dem die rassistischen Äußerungen stammen:

„Seit unvordenklichen Zeiten zieht sich über die Menschheit der Prozeß der Kulturentwicklung hin. (Ich weiß, andere heißen ihn lieber: Civilisation). Diesem Prozeß verdanken wir das beste, was wir geworden sind, und ein gut Teil von dem, woran wir leiden. Seine Anlässe und Anfänge sind dunkel, sein Ausgang ungewiß, einige seiner Charaktere leicht ersichtlich. Vielleicht führt er zum Erlöschen der Menschenart, denn er beeinträchtigt die Sexualfunktion in mehr als einer Weise, und schon heute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte. Vielleicht ist dieser Prozeß mit der Domestikation gewisser Tierarten vergleichbar; ohne Zweifel bringt er körperliche Veränderungen mit sich; man hat sich noch nicht mit der Vorstellung vertraut gemacht, daß die Kulturentwicklung ein solcher organischer Prozeß sei.“

Würde der Verfasser dieser rassistischen Äußerung auch nur einen Tag frei in England herumlaufen dürfen, wenn er seinen Fuß auf die Insel setzte? Zweifel sind angebracht. Nur die Tatsache, dass er seine rassistischen Äußerungen bereits vor einigen Jahren in seiner Mutter- und Arbeitssprache Deutsch zum Druck gegeben hat, würde ihn zunächst vor Verhaftung, Anklage und Gefängnisstrafe schützen. Denn zunächst müsste das Gericht die skandalösen Äußerungen des deutschsprachigen Autors ins Englische übersetzen lassen.

Quizfrage für alle: Wie lautet der Name des zitierten rassistischen Autors, der heute in England sofort bei der Einreise verhaftet und dann verurteilt würde, während in Deutschland immer noch bis zum heutigen Tage ein Literaturpreis nach ihm benannt ist:

a) Sigmund Freud
b) Georg Büchner
c) Heinrich von Kleist
d) Ernst Moritz Arndt
e) August Graf von Platen

Bitte fleißig diskutieren! Die Auflösung des kleinen Rätsels folgt am Donnerstag!

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Gekappte oder verfaulte Wurzelwerke?

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Apr. 042013
 

2013-03-06 07.34.02

Gebt acht, dass euch nicht eine stürzende Bildsäule erschlage„, so hörten wir es bis vor wenigen Jahrzehnten, als das alte Europa sich noch einmal an den griechischen und römischen Wurzelwerken neu aufzurichten suchte.  Die griechisch-römische Antike meint es weder gut noch schlecht mit uns. Wir selbst müssen uns den Weg zu den Wurzelwerken bahnen.

„Gebt acht, dass euch nicht ein stürzender Baum erschlage!„, muss wohl der Warnspruch heutigentags in Kreuzberg lauten. Ein Baum, dessen Wurzelwerk zur Hälfte beschädigt ist, kann nicht stehen bleiben! Die Natur als solche meint es weder gut noch schlecht mit uns Menschen, sie sucht sich ihren Weg. Dies erfuhren wir voller Schrecken an unserer Straßenkreuzung. Eine Linde zertrümmerte das Dach eines wartenden Autos, zwei Frauen wurden schwer verletzt.

Mit einem türkischen Nachbarn besprach ich die Ursache. „Das Wurzelwerk wurde durch Bauarbeiten gekappt. Es war zur Hälfte abgestorben!“, zitierte ich aus der Presse. „Nein, du irrst! Ein Gasleck ist die Ursache. Am Wurzelwerk des Baumes führte eine undichte Gasleitung. So verfaulte das Wurzelwerk, der Baum stürzte und erschlug zwei Autos“, widersprach er mir. Er oder ich – wer hat recht? S’ist eine Glaubensfrage. Ich weiß es nicht. Ich bin auch nicht zuständig dafür.

Wer ist schuld an dem Unglück? Offenbar der Mensch. Er hat das Wurzelwerk durch Achtlosigkeit, durch einen künstlichen Eingriff in die Natur beschädigt. Der Mensch hat die Natur, hier verkörpert in einer Linde, nicht gehegt und gepflegt. Und so lebt die Natur nicht, wie der Dichter es will,

geduldig und häuslich,
pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen 

sondern setzt sich schonungslos durch. Die Natur kümmert sich nicht um den Menschen und schon gar nicht um die Autos der Menschen, wenn er sich nicht um sie kümmert. Die Natur meint es mit dem Menschen weder gut noch schlecht. Die Natur ist weder gut noch böse, sie kennt auch weder gut noch böse.

Freilich, Bäume stürzen in freier Natur alle Tage um. Schädlinge setzen den Bäumen zu, Dürre kann sie verdursten lassen, Sturm und Gewitter können Bäume entwurzeln und umstürzen lassen, auch Menschen erschlagen lassen.

Diesen Naturkräften sah sich der frühe Mensch nahezu schonungslos ausgeliefert. Und so begann er irgendwann, diesen Naturkräften – den Bäumen, den Winden, den Wassern – eine übermächtige Kraft zuzusprechen. Er sah die Natur bewohnt von großen, mächtigen Wesen. Er nannte die Wesen Götter, er sah im Übermächtigen seine Götter am Werk. Ein Stein, ein Baum, eine Eiche, eine Linde, ein Tier, ein Insekt, ein Skarabäus, eine Katze  – alles konnte in der Phantasie der frühen Menschen zu etwas Göttlichem gemacht werden. Diesen Göttern sprach der Mensch seine Eigenschaften zu.

Stürzte eine Eiche um und erschlug einen Menschen, so sagte er: „Der Gott in der Eiche hat sich gerächt. Wotan hat sich gerächt. Dieser Mensch hat etwas gegen Wotan getan, dafür ist der Mensch erschlagen worden.“

„Die Natur rächt sich.“ Diesen Satz, der das mythische Bewusstsein der frühen Menschen widerspiegelt,  kann man noch heutigentags immer wieder hören, bis hinein in politische Debatten und Zeitgespräche zum Umwelt- und Klimaschutz.

Bild: Das von der stürzenden Linde zertrümmerte Auto in der Großbeerenstraße

 

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Geflochten auf das Rad der Wiederholungen: Beschneidungsdebatten, Ehrenmorde, kulturelle Assimilation, Aufruf zum Gewaltverzicht … und wieder … und wieder

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März 252013
 

2013-03-24 10.54.58

„Seht, ich lehre euch die ewige Wiederkehr.“ So Nietzsches Zarathustra. Was dem Zarathustra Nietzsches zweifellos immer wieder aufleuchtete, war das plötzliche Gewahrwerden des „Das hatten wir ja schon einmal!“ –

„Das hatten wir ja schon einmal!“

„Schon einmal?“ –

„Nein, viele Male!“

Dies ist der Quellpunkt im Brunnen des mythischen Bewusstseins, das uns alte, uns uralten Europäer eint: Überall entdecken wir Gewesenes, im Vorschein des Künftigen sehen wir den Widerschein des Vergangenen.

Bis in die Wortwahl hinein spiegeln beispielsweise die erregten innenpolitischen Debatten der Bundesrepublik um die Integration oder Assimilation der Zuwanderer, um Einzigartigkeit und Singularität deutscher Schuld und deutscher Scham, deutscher Schande und deutscher Strafe jene jahrtausendealten Begebenheiten und Einzigartigkeitsdebatten wider, von denen uns die alten Schriften des Buches der Bücher erzählen.

Ein paar dieser jahrtausendealten Fragen lauten: Ab wann gehören die Menschen des anderen Volkes zu uns? Wie vermischen, wie vereinigen sie sich mit uns?

Antwort im Buch Genesis: Sie gehören zu uns, sobald sie unsere Religion, also unsere Kultur durch das sichtbare Zeichen der Beschneidung annehmen. Ohne die vollständige rituelle Assimilation, ohne das sichtbare Zeichen der Beschneidung gehören sie nicht zu uns und wir nicht zu ihnen. Und genau so wird dies von namhaften Religionsgemeinschaften bis zum heutigen Tage vertreten.

Sind wir Deutschen auf alle Zeiten das Trägervolk des Bösen, da wir den Holocaust verursacht haben, der doch etwas Einzigartiges war, wie uns Deutschen wieder und wieder auf Treu und Glauben von den Deutschen und anderen Völkern versichert wird? Oder waren die mehreren Shoas des 20. Jahrhunderts, die Katastrophen, in die Völker hineingeschickt wurden,  eine vielfache Wiederkehr, eine Gischt-Brechung der Gemetzel früherer Zeiten, früherer Völker, früherer Gewalt? Fragen, Fragen!

Fromme gelehrte Juden lehnen bekanntlich den Ausdruck Holocaust wegen seiner rituellen Überhöhung ab und sprechen lieber von der jüdischen Shoah des 20. Jahrhunderts, vergleichbar etwa der jüdischen Shoah des Jahres 70 n. Chr.  Mit Blick auf die von Belgiern gemetzelten Kongo-Völker, die von Turkvölkern gemetzelten Armenier, die von Russen gemetzelten Kulaken, die von Russen und Deutschen gemetzelten Polen und Ukrainer, die von Deutschen gemetzelten Russen, die von europäischen Völkern unter Führung der Deutschen gemetzelten Juden und die vielen anderen, von anderen Völkern  gemetzelten Völker wird man von mehreren Shoas mehrerer Völker im 20. Jahrhundert sprechen können und sprechen müssen. Statt Shoah empfiehlt es sich auch, den Ausdruck Katastrophe zu verwenden. Genau diesen Ausdruck „Kata-strophe“ für Kultur-bruch, deutlichst hervorgehoben durch Zeilen-bruch und Seiten-bruch, verwendet Thomas Mann in seiner Nacherzählung des Holocausts des uralten kanaanitischen Volkes der Hiwiter. Die gezielte vollständige Vernichtung und Ausplünderung, die Shoah der Hiwiter wird von Stammvater Jakob als absoluter, als nicht zu unterbietender Tiefpunkt des Volkes Israel gedeutet, als absoluter Zivilationsbruch. Das blutrünstige Gemetzel, die Shoah der Hiwiter, die Katastrophe der Hiwiter ist also zugleich die völlige sittliche Katastrophe der Söhne Jakobs.  Sie führt zur rituellen Lossagung des Vaters von den Söhnen:

„Simon und Levi, die Brüder, Werkzeuge der Gewalt sind ihre Messer. Zu ihrem Kreis mag ich nicht gehören, mit ihrer Rotte vereinige sich nicht mein Herz. Denn in ihrem Zorn brachten sie Männer um, mutwillig lähmten sie Stiere.“

Zerstörte Vielfalt! Lesen wir etwa im Buch Bereschit/Genesis, dem 1. Buch Mose das Kapitel 34, so werden wir sogleich erkennen: Nein, die völlige Auslöschung und Ausplünderung eines benachbarten Volkes, die Forderung nach bedingungsloser Assimilation ist keineswegs neu. Keineswegs neu und keineswegs einmalig ist die Lust am Gemetzel, das Waten im Blut, das Ausplündern der zuvor Assimilierten, der Unterjochten, die Auslöschung ganzer Völker.  Frauenraub, Zwangsheiraten, Frevel, Rechtsbruch, Verrat und Hinterlist scheinen zum menschlichen Gewese aller Zeiten zu gehören. Die Möglichkeit zur Lust am Gemetzel, zur Ausplünderung und Vernichtung ganzer Städte, ganzer Völker, wie sie gerade das europäische 20. Jahrhundert in den Jahren 1914-1989 an mehreren Völkern, an mehreren Kulturen so überreich ausgeführt erlebte, gehören seit unvordenklichen Zeiten, seit den Zeiten eines Kain und Abel, eines Simeon und Levi, eines Ödipus, Eteokles, Polyneikes, einer Antigone und eines Kreon zum Kernbestand menschlicher Kultur. Zum Kern der Kultur gehört der Kulturbruch in Gewalt. Zum Kernbestand menschlicher Zivilisation, zur Menschen-Natur gehört der absolute Zivilisationsbruch.

Aber auch das erschütterte Klagen, das Zürnen und das Fluchen und Segnen der wenigen Aufrechten, die sich dem Frevel der Söhne entgegenstellen, gehören dazu! Der berühmte Jakobs-Segen des ersten Buchs Moses bietet ebenso strahlend und fast unüberbietbar die Möglichkeit, dem Bösen, das auf alle Zeiten in uns wohnt, zu widersagen. Er bietet die Handhabe zum Neubeginn nach dem absoluten Zivilisationsbruch. Es geht ja doch wieder weiter – auch nach dem völligen, dem singulären  Zivilisationsbruch! Der Segen und der Fluch des Vaters übertrifft an Wirkkraft das rein Natürliche der Menschen-Natur. Im Widersagen an das Böse befestigt sich das Wissen und die Einsicht in das, was gut für den Menschen ist. Die griechische Septuaginta, eine Frucht des Bemühens zahlreicher jüdischer Gelehrter um Übersetzung des hebräischen Urtextes der Weisung in die neue Weltsprache Griechisch, gibt die zehn Gebote völlig zutreffend im Futur wider. Auf Griechisch heißt es also nicht: „Du darfst/sollst nicht töten!“, Sondern: „Du wirst nicht töten!“

Knapp einfach und in die Zukunft hineingreifend wird dies manchmal so genannt:

Du wirst nicht töten!
Du wirst Vater und Mutter ehren!
Du wirst nicht lügen!
Du wirst nicht ehebrechen!

Wurzelquellen:
Hebräische/griechische Bibel (Torah/Septuaginta): Buch Genesis/Bereschit insgesamt, darin besonders: Kapitel 34 passim; Kapitel 49, 1-28
Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. Erster Band: Die Geschichten Jaakobs. Drittes Hauptstück: Die Geschichte Dinas. Aufbau Verlag, Berlin und Weimar, 1972. Darin  besonders:  S. 148, letzte Zeile bis S. 149 erste Zeile; „Das Gemetzel“, S. 176-180
Aischylos: Sieben gegen Theben
Sophokles: Oidipus Tyrannos, Antigone

Bild: Ein rätselhafter Brunnen der Vergangenheit im Johannesstift Spandau, aufgenommen im harten Winter gestern. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?

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„So ist der Mensch!“ – Das Ecce homo des Daniel Cohn-Bendit

 Antike, Das Böse, Jesus von Nazareth, Kain, Philosophie  Kommentare deaktiviert für „So ist der Mensch!“ – Das Ecce homo des Daniel Cohn-Bendit
März 182013
 

2013-03-17 16.16.16

„Manche sagen ja, es gebe nur anständige und unanständige Menschen …“ So reichte die sanfte Moderatorin dem Daniel einen Messstab des Menschlichen hin: „Es gibt eben überall gute und schlechte Menschen!“  Und – Cohn schlug diesen Richterstab  aus! Nein, so einfach lässt sich das nicht sagen. „So ist der Mensch: er kann einmal zutiefst anständig handeln, und Tags darauf dreht er sich um und kann zutiefst unanständig sein.“

Der Mensch kann von einem auf den anderen Tag von Gut zu Böse wechseln. Er ist nie nur gut, nie nur unrettbar böse. „Einer allein ist gut!“ So auch Jesus, Markusevangelium 10,18! Das heißt doch: alle anderen, wir alle sind gut UND böse. Wir sind alle hineingestellt, Tag um Tag in diesen Entscheidungsraum. Selbst Kain, dessen Abkömmlinge wir alle sind, der erste Brudermörder der Menschheitsgeschichte, erhielt das Segenszeichen des neuen Anfangs.

Also kann es auch nicht ein Kainsvolk geben. Die Deutschen sind nicht das Kainsvolk des 20. Jahrhunderts. Das Kainsvolk – das sind wir alle.

Cohns „So ist der Mensch!“ war für mich das große erlösende Wort gestern bei Maybrit Illner.

Schlagt das erste Buch der jüdischen Bibel auf – Buch Bereschit/Buch Genesis, Kapitel 4, Vers 7.: Le péché est à la porte, une bête tapie qui te convoite – der Fehlschritt lauert an deiner Tür, ein tief in dir drin kauerndes Ungetüm, das dich begehrt … und dessen du Herr werden sollst!

Da steckt dieses Cohnsche „So ist der Mensch“ wie in einem Schatzkästlein drin. Der hebräische Text ist zwar unrettbar „verderbt“, also unentschieden: Ist es eine Frage, eine Antwort, eine Aufforderung? Selbst die gerühmte „Jerusalemer Bibel“ in den verschiedenen Sprachen bietet widersprechende Übersetzungen, die griechische Septuaginta schlägt wieder etwas anderes vor. Sagen wir er es so: 1. Buch Mose 4,7 enthält die befreiende Friedensformel für alle Völker, alle Zeiten, alle Menschen!

Leszek Kolakowski, der polnische Ex-Kommunist und Philosoph übersetzt diesen selben Vers ohne zu wissen, dass er diesen Vers übersetzt: Das Böse ist in uns – zlo jest w nas.

Diese schlichten 4 oder 5 Worte durchdringen den Eispanzer der eingewinterten Seelen.

Von Kain zu Kohn! Kohn, Cohen, Cohn – das sind alles Varianten des hebräischen Familiennamens der Priester. Ich wünsche Daniel Cohn, dass er diesen Ursprüngen seines Namens, den Ursprüngen dieser Benennung des Menschlichen auf die Spur kommen möge! Das ist zugleich die Spur des Judentums, die 1918-1953 in Europa fast verschüttet zu werden drohte – und folglich auch die Spur des Christentums, das ebenfalls verloren zu gehen drohte.

Die Spuren besagen: Es sind nicht die Verhältnisse, nicht die Staaten, nicht Hitler, Stalin, Mussolini oder Metaxas, nicht der Sozialismus, Faschismus, Bolschewismus, Nationalsozialismus, die über das Handeln des Menschen bestimmen, die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der Herrschenden bestimmen, sondern – es ist der Mensch, dessen Antlitz in der Signatur des Schreckens aufscheint. Es sind wir alle.

Bild: 4 oder 5  aufkeimende Boten durchdringen Schnee und Eis, Caritas, Wilhelmstraße, Berlin-Kreuzberg, aufgekommen und aufgenommen gestern

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Furor impius, oder: Sollte man die Wörter „Tugendfuror“ und „Tugendfurie“ ausmerzen?

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März 102013
 

2013-03-06 07.34.02

„Furor impius intus
saeva sedens super arma et centum vinctus aenis
post tergum nodis fremet horridus ore cruento.“

„Der ruchlose Zorn welcher drinnen
sitzt über die klirrenden Waffen, wird, gebunden mit hundert
ehernen Knoten hinter dem Rücken, knirschen mit blutigem Maul.“

Vergil verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass im Friedensreich des neuen Kaisers (=divus Julius) endlich der Zorn, der Furor des Krieges, ein für allemal gebunden und gefesselt sein wird.

Diese  von mir frei übersetzten Worte aus Vergils Aeneis kommen einem unwillkürlich in den Sinn, wenn man liest, wie tugendfuriengleich Frauen hier bei uns in Germanien über einen Mitmann wüten: „Mit seinem Wort Tugendfuror hat er uns verletzt!“

http://www.stern.de/politik/deutschland/tugendfuror-praesident-gauck-im-sexismus-fettnaepfchen-1980370.html

Der Fall verdient Erörterung! Denn der Furor, lateinisch furor, ein männliches Substantiv  für „der Zorn“, erinnert in der Tat von ferne an furia, das lateinische Substantiv für die Rachegöttinnen, griechisch die Erinnyen.

„So was typisch Deutsches, eure langweiligen Debatten, ihr habt nicht mehr alle Tassen im Schrank, euch Deutschen haben sie was ins Frühstück gemischt, und für so was habt ihr Zeit?“, bestätigen mir una voce – einstimmig – meine ausländischen Freundinnen aus Ost und Süd und West und Mediterran.

Doch auch wir wollen den Frieden an der urgermanischen Sprachfront. Möge der ruchlose Zorn des Sexismus, der furor impius der Sexismusvorwürfe eingehaust und eingesperrt werden mit hundert Knoten und hundert Verboten!

Hier ein Kompromissvorschlag zur Besänftigung der urdeutschen Tugendfurien bzw. Tugenderinnyen: Mindestens das Wort Tugendfurie bzw. Tugendfurien  sollte man vorübergehend zu den verbotenen Wörtern rechnen. Tugendfuror – da männlichen Geschlechtes – würde ich derzeit noch nicht verbieten.

Im Kreuzberger Café Südblock gibt es bereits heute eine geschlechtsneutrale Toilette für Frau und Mann und die zahllosen Transgender-Menschen gleichermaßen. Dort, im Südblock, sollten wir einmal in aller Ruhe überlegen, welche weiteren ruchlosen Wörter man/frau auf die Liste der auszumerzenden Wörter zu setzen hätte.

Hier kommen weitere Vorschläge:

a) „Schwaben“. Ein ruchloses Wort! Denn „Schwaben“ lautet auf Russisch ein umgangssprachliches Wort für Deutsche, aber ebenso auch für Schaben oder Kakerlaken, wie mir Sprecherinnen des Russischen versichern. „У нас есть швабов на кухне. Wir haben Schwaben (=Schaben)  in der Küche“, sagt der Russe. Wenn also ein Schwabe das Wort Schwabe hört, könnte er sich verletzt fühlen, da die Russen, wenn sie Deutsch sprechen, unbewusst an Kakerlaken denken und somit ein negatives Vorurteil gegenüber den Schwaben bestärkt wird.

Möglicher Ersatz für Schwäbinnen und Schwaben: Alemanninnen und Alemannen.

b) „Russen“. Denn „Russen“ lautet auf Bairisch ein umgangssprachliches Wort für Schaben bzw. Kakerlaken, wie mir Sprecher des Bairischen glaubwürdig versichern. „Mir hom lauta Russn in da Kichn.“ Wenn also ein Russe das Wort Russe hört, könnte er sich verletzt fühlen, da die Baiern, wenn sie Deutsch sprechen, unbewusst an Kakerlaken denken und somit ein negatives Vorurteil gegnüber den Russen bestärkt wird. Möglicher Ersatz für Russinnen und Russen: Rossjaninen und Rossjanen.

Befund: Auszusondern sind nach jetzigem Stand folgende Wörter: „Furor“; „Furie“ samt allen Zusammensetzungen wie etwa „Tugendfurie“; „Schwabe“; „Russe“; noch nicht „Tugendfuror“

Zitat:
P. Vergilii Maronis opera, ed. Mynors, Oxonii, 1969, Aeneidos I, vv. 293-296
Bild: Ein Bild der Zerstörung! Die Furien einer deutschen Linde scheinen über dieses Automobil hergefallen zu sein! Aufnahme vom vergangenen Donnerstag. Berlin-Kreuzberg, Ecke Obentrautstraße/Großbeerenstraße
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Das perfekte quotierte Gesellschaftsmodell: Platons Politeia

 Antike, Familie, Frau und Mann, Platon  Kommentare deaktiviert für Das perfekte quotierte Gesellschaftsmodell: Platons Politeia
März 062013
 

„Es ist doch egal, bei wem und wie die Kinder aufwachsen!“

So oder so ähnlich vernimmt man es aus den Meinungsäußerungen der zahlreichen Kritiker des hoffnungslos veralteten Familienmodells.

Die Frage muss gestattet sein: Ist das hoffnungslos veraltete, angeblich natürliche Familienmodell, nach welchem grundsätzlich die biologische Mutter und ihr leibliches Kind sowie der Vater des Kindes, also der Ehemann oder Partner der Mutter zusammengehören sollten, wirklich ein unumstößliches uraltes Idealbild?

Die Antwort lautet: alt schon, aber nicht umumstößlich! Es gibt vielmehr in der Geschichte seit der Antike zahlreiche gewollte Versuche, bei denen durch die Politik, die Dichtkunst, die Wissenschaft oder die Philosophie das Mutter-Kind-Band durchtrennt wurde und die von den Erzkonservativen immer so blindlings gerühmte „Kernfamilie als Keimzelle der Gesellschaft“ in Frage gestellt wurde:

a) der real existierende antike Stadtstaat Sparta ab dem 6. Jahrhundert v. Chr.: Die männlichen Kinder wurden ab dem 8. Lebensjahr ganz aus den Familien herausgenommen. Ehe und Familie galten nicht als etwas Heiliges. Sexuelle Promiskuität wird gesetzlich geduldet und gefördert. Die Kinder lernen oftmals ihre biologischen Eltern nicht kennen. Aussetzung und Tötung von untauglichen bzw. unerwünschten Neugeborenen wird hingenommen.

b) Platons ideale Gemeinschaft „Politeia“, insbesondere 5. Buch der Politeia, 4. Jahrhundert v. Chr.: Die absolute Gleichheit und Gleichstellung der beiden Geschlechter wird gefordert und gefördert, wobei anerkannt wird, dass Frauen in körperlicher Leistung hinter den Männern aus biologischen Gründen leicht zurückfallen. Frauen sollen sich gemäß der Planung der Gemeinschaft zum Akt der Zeugung und Kindergebären stets bereithalten, dürfen aber keine indivduelle Beziehung zum leiblichen Kind aufbauen. Der Staat übernimmt die Auswahl und Paarung der zur Nachzucht tauglichen Männer und Frauen. Staatlich bestellte Ammen besorgen in Kindernestern die Pflege und Aufzucht der Kleinstkinder. Die Kinder lernen ihre biologischen Väter und Mütter nicht kennen. Durch gezielte Zuchtwahl und Auslese wird ein neues Menschentum gefördert, das den Idealvorstellungen der Gerechtigkeit entspricht. Aussetzung und Tötung von untauglichen bzw. unerwünschten Neugeborenen wird geduldet.

Loben wir doch Platons ideale Gesellschaft, die Politeia!

Alle Funktionen in Gesellschaft und Staat werden hier bei Plato hälftig von Frauen und Männern übernommen. Zeugung und Geburt von Kindern werden als biologische Notwendigkeit anerkannt und von der staatlichen Gemeinschaft beschützt und überwacht. Mädchen und Jungen erhalten eine exakt gleiche Erziehung zu Mathematik, Sport und Wehrfähigkeit. Die Ehe und die Familie werden abgeschafft. Es herrscht eine perfekte Quotierung.

Die Reihe wird fortgesetzt!

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Vedi come storpiato è Maometo!

 Antike, Dante, Europäisches Lesebuch, Islam, Koran  Kommentare deaktiviert für Vedi come storpiato è Maometo!
Feb. 162013
 
Noch Philipp Melanchthon, der Mitstreiter Martin Luthers, erblickte im Islam eine schismatische Bewegung innerhalb des Christentums oder vom Stamme des Christentums, worüber dieses Blog am 09.09.2010 berichtete:
http://johanneshampel.online.de/2010/09/09/arbeite-dich-aus-der-hilflosigkeit-hervor-o-mensch/

Und das war wohl im Mittelalter ebenso gewesen!

Vedi come storpiato è Maometo!“

„Schau mal, wie verzerrt [das Bild des] Mohammed [bei uns im Westen] ist!“,

könnte man im Blick auf die heutigen Kenntnisse oder besser Nicht-Kenntnisse des Islams bei uns  diesen Vers Dantes übersetzen.

Fredi Chiapelli, der Kommentator meiner reichlich zerlesenen Handausgabe der Divina Commedia, kommentiert zu diesem Vers 31 des Gesangs XXVIII des Inferno: 

„Maometto: Il fondatore dell’Islam (560-633). Nel Medioevo era considerato uno scismatico.“ – „Der Gründer des Islam galt im Mittelalter als Schismatiker.“ Der Islam galt jahrhundertelang – bis in die frühe Neuzeit hinein – als eine Abspaltung des Christentums, so wie das Christentum als Abspaltung des Judentums entstanden war.

Das lateinische Mittelalter stellte also Mohammed auf eine Stufe mit den griechischsprachigen Christen des Ostens, mit denen es 1054 zum Bruch gekommen war! Eine Aussöhnung mit der orthodoxen christlichen Ostkirche schien aus westlich-abendländischer Sicht lange Zeit ebenso unmöglich wie eine Aussöhnung mit dem Islam.

Goethe schrieb 1774 seine Ode „Mahomets-Gesang“ wie an an einen Geistesverwandten:

Seht den Felsenquell,
Freudehell,
wie ein Sternenblick!
Über Wolken
Nährten seine Jugend
Gute Geister
Zwischen Klippen im Gebüsch.

Und was tun sich neuerdings für aufregende Perspektiven einer Wiederentdeckung des gemeinsamen Quellgrundes auf! Hierfür nur ein Beispiel: die Berliner Arabistin Angelika Neuwirth. Sie greift den Felsenquell dieser uralten Traditionen, die für uns beispielhaft bei Dante Alighieri, Philipp Melanchthon und Johann Wolfgang Goethe fassbar werden, wieder auf!

Der Strom der asiatisch-europäischen Überlieferungen sprudelt noch. Er ist lebendig noch.

Ausgewählte Quellen:
Dante Alighieri: La Divina Commedia. A cura di Fredi Chiappelli. Grande universale Mursia, 4a edizione, Milano 1976, p. 150

Johann Wolfgang Goethe: Mahomets-Gesang. In: Das große deutsche Gedichtbuch. Von 1500 bis zur Gegenwart. Neu herausgegeben und aktualisiert von Karl Otto Conrady. Artemis & Winkler, München und Zürich, 4. Aufl. 1995, S. 143-144

Angelika Neuwirth: „Der Koran als Text der Spätantike“. Ein europäischer Zugang. Verlag der Weltreligionen im Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 859 S., geb., 39,90 €.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/angelika-neuwirth-der-koran-als-text-der-spaetantike-lesarten-eines-korans-in-dem-europa-sich-erkennen-kann-1612985.html

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„Da speieten sie aus in sein Angesicht…“

 Antike, Europäische Galerie, Islam, Jesus Christus  Kommentare deaktiviert für „Da speieten sie aus in sein Angesicht…“
Okt. 172012
 

Das bekannteste Bild von Andres Serrano ziert heute groß und farbenprächtig die Seite 13 der Süddeutschen Zeitung. Andreas Zielcke denkt über den Straftatbestand der Gotteslästerung nach.

„Da speieten sie aus in sein Angesicht und schlugen ihn mit Fäusten.“  So erzählt es der Erzähler in einem Werk, das noch vor wenigen Jahrzehnten in Europa gut bekannt war.

„Jetzt aber hoch schimpfieret“, heißt es in einem begleitenden Choral. Der bespieene, gedemütigte, der verspottete Mensch steht in der Mitte der Erzählung von Leiden und Sterben. Im Augenblick seiner tiefsten Erniedrigung – man könnte auch sagen: Entwürdigung – gewinnt er seine Würde zurück. Die Menschenlästerung leitet hinüber zur Tötung des Menschen. Und von dort zur Auferstehung.

Die Demütigung und Entwürdigung des Menschen schlechthin, die Schmähung des Propheten schlechthin steht im Zentrum der Bildlichkeit dieser einst Europa prägenden Religion, des Christentums. Diese Schmähung, diese Schande wurde in der Kunst tausendfach abgebildet: als Geißelung, als Schmähung, als Verhöhnung, als Kreuzigung.

Die Lästerung des Propheten ist in den Kern der christlichen Botschaft eingeschrieben und wird im Kirchenjahr an jedem Karfreitag rituell wiederholt und ins Gedächtnis gerufen. Das ist der große, der meines Erachtens unüberbückbare Gegensatz zu den in der Gläubigengemeinde, in der Umma anerkannten Regeln der Darstellung Mohammeds.

In wesentlichen, wenn auch nicht in allen Teilen der islamischen Traditionen wird jede bildliche Darstellung Mohammeds verboten. Der im Verlag C.H. Beck erschienene „Koran für Kinder und Erwachsene“ bringt  Bilder aus dem 15. und 16. Jahrhundert, in denen das Angesicht des auf seinem Burak reitenden Mohammed von strenggläubigen Muslimen nachträglich ausgetilgt wurde.

Die Darstellung des Propheten der Muslime in entwürdigender Schmähung erregt in den Gläubigen Empörung und Widerwillen, die sich in Ausnahmefällen bis zu Gewalttaten steigern kann, wie man eben heute auf Seite 3 desselben Blattes (Süddeutsche Zeitung) lesen kann.

Die Darstellung Jesu Christi in den Augenblicken höchster Entwürdigung und Schmähung ist hingegen Kernbestand der christlichen Bilderwelt, erregt im Gläubigen Verehrung und Annäherung.

Das heute in der Süddeutschen Zeitung abgebildete Werk von Serrano reiht sich in die Kette der Schmähungen und der Lästerungen ein, die das Christentum und seine Bilderwelt von Anbeginn begleiten. Der Christ erblickt im gedemütigten, im entwürdigten und verspotteteten Menschen das Angesicht Gottes.

Schön gezieret reimt sich im oben zitierten Choral O Haupt voll Blut und Wunden auf hoch schimpfieret.

 Posted by at 11:54
Juli 172012
 

Zum Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles bei uns! Rund 115 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr würde die Einhaltung der neuen Hygienestandards an Berliner Schulen kosten, also die tägliche Reinigung der Böden und Toiletten durch den eifrig den Bürgern hinterherwischenden Berliner Senat! Ein Ding der Unmöglichkeit! Alle drängen und bedrängen die Geldkoffer des Staates, die Politik gebärdet sich im Kleinen wie im Großen fast nur noch als Streit ums Geld. Das Geld ist offenkundig die Grundlage und das entscheidende Maß der Politik, dieser Grundlage dient alles andere.

Dabei ist eigentlich genug Geld im System, es fehlt nur an den Regeln, wie heute recht zutreffend Bundestagspräsident Lammert seufzte.

Da flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten! Zur Erholung von diesen allzu europäischen Geld-Tönen schlage ich gerne die alten Bücher des Ostens, Homer, Herodot, Aischylos etwa  auf. – Heute wiederum las und rezitierte ich das berühmte Gedicht Einladung (Davet) von Nazim Hikmet. Was für andere Töne! Kraftvoll, leidenschaftlich, – dieser Mann wird noch getragen von einem echten republikanischen Ethos! Die Freiheit steht im Mittelpunkt seines Einsatzes, auf dieser ursprünglichen Einsicht in Freiheit und Gleichheit aller Menschen gründet sein Vertrauen in das gute, das gelingende Wort!

Bu memleket bizim – das ist unser Land.
Bu davet bizim – das ist unsere Einladung.
Bu hasret bizim – das ist unsere Sehnsucht.

In den Zeilen Hikmets wird für mich erfahrbar, wie kostbar die Freiheit – selbstverständlich auch die politische Freiheit – ist. Gelingende Politik stiftet Gemeinschaft im Wort: unser Land.

Gelingende Politik schließt andere Menschen, andere Völker ein statt aus: unsere Einladung.

Wie schwer ist es, sich im Gezänk über Geld dieses Wertes bewusst zu bleiben!

Gelingende Politik strebt erlebten Wünschen nach: unsere Sehnsucht.

Gelingende Politik, gelingendes Zusammenleben beruht darauf, dass alle sich dieser Zugehörigkeit, diesem Streben nach Freiheit und Brüderlichkeit verpflichtet wissen.

Hört selbst:

 Nâzım Hikmet:

DAVET
Dörtnala gelip Uzak Asya’dan
Akdeniz’e bir kısrak başı gibi uzanan
bu memleket bizim.

Bilekler kan içinde, dişler kenetli, ayaklar çıplak
ve ipek bir halıya benzeyen toprak,
bu cehennem, bu cennet bizim.

Kapansın el kapıları, bir daha açılmasın,
yok edin insanın insana kulluğunu,
bu davet bizim.

Yaşamak bir ağaç gibi tek ve hür
ve bir orman gibi kardeşçesine,
bu hasret bizim.

Quelle:

Türkçe Okuma Kitabı. Erste türkische Lesestücke. Herausgegeben von Celal Özcan und Rita Seuß. Illustrationen von Rita Seeberg. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2. Auflage, München 2011 [=dtv 9482], S. 76

Ich freue mich auch auf folgende öffentliche Veranstaltung:

„Wir wollen uns an die Abmachungen halten. Das ist das Fundament, auf dem Europa nur gedeihen kann.“  So wird Bundeskanzlerin Merkel 16.06.2012 in der ARD-Tagesschau zitiert.

Abmachungen einhalten, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit des Wortes – ist dies das Fundament, auf dem Europa neu gedeihen kann? An diesem Abend wollen wir ein politisches Gedicht über die Freiheit von Nazim Hikmet und eines von Friedrich Hölderlin kennen und lieben lernen.

Zum Mitmachen, Mitsprechen  und Mitwachsen für alle. Anschließend politische Diskussion.

Treffpunkt:  Donnerstag, 19. Juli 2012, 20.00 Uhr, Park am Gleisdreieck, Kreuzberg-West.

Neuer Kiosk am Park-Eingang (von der Hornstraße her)

In Deutsch und Türkisch

Bild: Wurzelscheibe eines Baumes vom Märchenpfad in Bischofswiesen, Berchtesgadener Land

 Posted by at 00:03