Freiheit, Recht und Einigkeit sind das Unterpfand der Europäischen Einigkeit

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Okt. 032012
 

Der Anfang ist gesetzt, aber Europa ist größer.“ Unter diesem Titel veröffentlichte mein Vater im Jahr 1984 einen Aufsatz über die Notwendigkeit, ein gemeinsames Europa zu bauen. Er schrieb damals:

„Es ist höchste Zeit, daß die Europäer ihren Kontinent – in dem Wort steckt continere, zusammenhalten – als einen Raum des Friedens, der Menschenrechte und der Freiheit träumen, der vom Atlantik bis zum Ural, vom Nordkap bis zum Mittelmeer reicht. Die Visionen der jüdischen Propheten, die Bergpredigt Jesu, die Inspirationen klassischer Philosophie, Entdecker- und Erfindergeist der Wissenschaft, politische Kultur, dem Gedanken der Zähmung der Macht verpflichtet, nahmen hier Gestalt an und wurden immer wieder zerstört durch menschliche Dummheit und Hybris.“

Europa – ein Raum der Freiheit, des Rechts und des Friedens! Das ist ein Gedanke, der bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Politikern wie Gustav Stresemann und Aristide Briand vorgedacht wurde. Das Mittel zum Erreichen des Zweckes waren die verschiedenen weltumspannenden oder auch europäischen Vertragswerke und Gemeinschaften (Verträge von Locarno, Völkerbund, zahlreiche bilaterale Nichtangriffsverträge, später UNO, Montanunion, EURATOM, EWG, EG, heute die EU).

Freiheit, Recht und Einigkeit – diese Werte stehen auch an der Wurzel der deutschen Wiedervereinigung, die am 3. Oktober 1990 gefeiert werden konnte. Die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion stand von Anfang an ausschließlich im Dienste dieser übergeordneten Ziele.

Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wird auch als das wesentliche Ziel der Europäischen Einigkeit angegeben (Art. 3,2 des Vertrags über die Europäische Union vom 7. Februar 1992). Ihm dienen die Freizügigkeit in Wirtschaft und Handel, ihm dienen die gemeinsame Aufsicht über die Einhaltung der Menschen- und der Minderheitrechte, ihm dienen gemeinsame Anstrengungen wie etwa die europäische Gerichtsbarkeit, die Währungsunion (der Euro), das europäische Zivilverfahrensrecht, der Europarat, das Europäische Parlament.

Am heutigen Tag erinnere ich mich dankbar der Leistungen unserer Großeltern und Eltern: sie haben mir und meiner Generation alle Bausteine in die Hand gegeben, um diesen Raum der Freiheit, des Rechts und der Sicherheit kräftig auszubauen und zu sichern.

Wir haben es in der Hand, dieses Geschenk weiter zu hegen und zu pflegen.

Es lebe der Raum des Rechts und der Freiheit, der Gedanke des Friedens vom Atlantik bis zum Ural, von Sizilien bis Lappland!

Ein Anfang ist gesetzt, die Europäische Union ist viel mehr als der Euro, Europa ist mehr als die Europäische Union!

Blüh im Glanze des Glückes, es blühe Europa, es blühe die Einigkeit in der Vielfalt der europäischen Nationalstaaten! Ich zitiere noch einmal meinen Vater:

„Ein freies, sich nach dem Willen seiner Völker bildendes Europa würde rasch das Erbe des Chauvinismus hinter sich lassen. Dazu bedarf es aber stärkerer Motive als nur ökonomischer.“

Quelle: „Der Anfang ist gesetzt, aber Europa ist größer„, in: Christ und Bildung, 30. Jg., Heft 5, Mai 1984, S. 102-103. Zitiert nach: Johannes Hampel: Von Troppau bis Czernowitz. Vermächtnisse eines Mitteleuropäers im 20. Jahrhundert. Festschrift zum 70. Geburtstag. Bukowina-Institut Augsburg 1995, S. 121-123

Bild: Straßenschilder in meiner jetzigen Heimat Friedrichshain-Kreuzberg: In Köthen wirkte Johann Sebastian Bach von 1720-1723.  Gustav Stresemann (1878-1929) bewirkte 1926 als Außenminister maßgeblich die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund.

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Entschuldung durch Inflation oder Schuldenschnitt für einzelne Länder?

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Sep. 142012
 

1535 verbrannte Anton Fugger, der reichste Kaufmann der Vaterstadt Leopold Mozarts, also Augsburgs, demonstrativ den Schuldbrief Kaiser Karls des Fünften. Der Habsburger war zahlungsunfähig geworden, weil er sich wieder einmal zu viel Geld, diesmal  für einen Feldzug in Tunesien geliehen hatte. Was hätte Fugger tun sollen? Hätte er dem Kaiser die Schuld durch Ausgabe neuer Schuldtitel strecken können, obwohl er wusste, dass Karl V. sie ihm zu Lebzeiten nie würde zurückzahlen können? Dies wäre unklug gewesen. Fugger tat das für ihn selbst, für seine Familie und seine bis heute zahlreichen Nachkommen Beste: er strich die Schuld durch Verbrennen des Schuldbriefs und erhielt im Gegenzug stärkeren politischen Einfluss, weitere „Regale“, also kaiserliche Bergbau- und Handelsprivilegien.

Schuldenerlass im Gegenzug für Freihandel, Bergbaurechte, politischen Einfluss! Das ist Weisheit. Das Fuggersche Vermögen besteht heute noch, wovon ich mich bei gelegentlichen Besuchen in meiner Vaterstadt überzeugen kann. Ein überschuldeter Vorfahr Wolfgang Amadeus Mozarts, sein Urgroßvater Franz Mozart profitierte übrigens ebenfalls von dem legendären Reichtum der Fugger: Er lebte einige Jahre in der Fuggerei, der von den Fuggern gegründeten Stiftung für soziale Grundsicherung, ehe er sich durch eigener Hände Arbeit wieder daraus befreien konnte.

Guter, profunder, nachdenklich stimmender Artikel von Ulrich Hege und Harald Hau, beide Professoren für Finanzwirtschaft, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heute auf Seite 14!

Sie sagen: Es ist besser, einen radikalen, gleichwohl geordneten  Schuldenschnitt mit starken Verlusten insbesondere für die Finanzinvestoren durchzuführen statt durch Vergemeinschaftung der Schulden, wie sie die unbegrenzten Anleihenkäufe der EZB darstellen, einen unbeherrschbaren Zyklus aus Geldentwertung, Staatsfinanzierung durch die Notenpresse und politischer Erpressbarkeit einzuleiten.

Bild: Fuggerei in Augsburg

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„Ich war glücklich in Rumänien“

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Sep. 032012
 

Allmählich gewinnen die Nachrichten über eins der ältesten Völker der Europäischen Union, die Roma, mehr und mehr Gewicht. Mancher Autofahrer hat wohl schon die Dienste der Scheibenputzer in Anspruch genommen, die  an Straßenkreuzungen ihren Fleiß unter Beweis stellen. Roma-Mütter suchen auf den Berliner Straßen mit den kleinen Kindern im Arm ein dürftiges Zubrot zu verdienen.

In der Slowakei gehören 8-10% der Bevölkerung diesem uralten Volk an – früher fälschlich Zigeuner genannt. Die Kinder der Roma werden in der Slowakei an eigenen Roma-Schulen unterrichtet, eine Diskriminierung, die regelmäßig Proteste in den anderen Ländern und bei der EU hervorruft – weniger in der Slowakei selbst. Die Roma halten ihre Identität unabhängig von Staatsgrenzen durch, indem sie fast ausschließlich Angehörige der eigenen Volksgruppe heiraten, ihre Sprache und Kultur hochhalten  und sich nicht mit der  Umgebung vermischen, wie das etwa die Elbslawen in Mitteldeutschland taten, die etwa ab dem 17. Jahrhundert vollkommen in der deutschen Mehrheitsbevölkerung aufgegangen waren.  In Rumänien leben heute etwa 1,5 Millionen Roma.

Der Tagesspiegel beleuchtet heute die Lage der auswandernden Roma, nachdem die Neuköllner Stadträtin Giffey in der taz am Freitag die bevorstehende „Einwanderungswelle“ und die finanztechnischen Modalitäten der Übersiedlung erklärt hatte. Benjamin Marx, der sich um anständige Unterbringung der Neuankömmlinge kümmert, wird als Schutzengel und Gesandter Gottes gepriesen.

Die Siedlungen der Roma mit all den kleinen, selbstgebauten Häuschen im Eigenbesitz zeugen von einem gewissen Wohlstand in der Bescheidenheit. Warum nehmen trotzdem viele Familien die Fährnisse der Übersiedlung nach Deutschland auf sich? Warum leben sie dann lieber in Neuköllner Mietwohnungen statt im eigenen Häuschen bei Bukarest?

Ich war glücklich in Rumänien, aber meinen Kindern möchte ich eine bessere Zukunft bieten.“ So wird die Neu-Neuköllnerin Diana S. zitiert.

Was macht EU gegen die Diskriminierung der Roma in der Slowakei und Rumänien? Sie macht das, was sie gern macht: Sie vergibt Mittel. Allerdings landet nicht alles von den Politikern vergebene EU-Geld bei den vorgesehenen Empfängern, sondern einiges landet bei den Politikern. Die Lehre daraus? „Wir müssen die Politiker dazu bringen, Geld direkt an die Vereine zu vergeben,“ wird Benjamin Marx wiedergegeben.

Ich finde es gut, dass Politiker wie Franziska Giffey oder Helfer wie Benjamin Marx die Neuankömmliche mit offenen Armen empfangen, um Verständnis werben und sich für die Lage in den Herkunftsländern interessieren. Zu recht wird erkannt, dass die Kinder, die jetzt ohne alle Deutschkenntnisse in die Regel-Klassen strömen, vor allem Unterricht in der deutschen Sprache brauchen. Einer Diskrimierung der Roma, wie sie derzeit in der Slowakei stattfindet, sollte vorgebeugt werden. Hier sollte man bei den Slowaken anfragen, warum sie entgegen dem Diskriminierungsverbot der EU separate Schulen für die Roma-Kinder eingerichtet haben.

Weniger leuchtet mir ein, weshalb die Politiker direkt EU-Geld an die Roma-Vereine geben sollten. Mit dieser Mittelvergabe setzt man falsche Anreize.Denn es entsteht sehr bald der Eindruck, dass der Staat bezahlt, wenn man nur die richtigen Hebel in Bewegung setzt.

Eigene Anstrengungen, Bildung, fleißiges Lernen, fleißiges Arbeiten, feste Arbeitsverhältnisse, Pünktlichkeit beim Schulbesuch, hervorragende Deutschkenntnisse – das scheinen mir weit bessere Trittstufen zur Etablierung der neuerdings stark wachsenden Roma-Volksgruppe in Berlin.

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Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret ihrer nicht!

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Aug. 172012
 

„Lasset die Kleinen zu mir kommen!“ Finnland, Lettland, Litauen, Estland, Polen, Tschechien, Slowakei – das sind die „Neuen“ im Klub, der noch keine echte Gemeinschaft des Wortes ist, das sind die „jungen“ EU-Völker, das sind die kleineren Volkswirtschaften, denen ich die Lösung dieser heillos verworrenen Euro-Krise am ehesten zutraue, die wohlgemerkt keine Europa-Krise, sondern eine Krise des Wortes  ist.

Die Großen (insbesondere die sechs EG-Gründerstaaten von 1957) kriegen es ja offenkundig nicht gebacken. Sie schaffen es nicht, den Sinn und das Fundament der EU nachvollziehbar in der so dringend benötigten Gemeinschaft des Wortes auszusprechen. Wir hören Drohungen und Klagen und Widerklagen.

Ein beispielloser, ein jämmerlicher Niedergang, Euro-Krise genannt, ein Niedergang und Verfall des europäischen Geistes, der sich vor aller Augen abrollt.

Ihnen, uns, den alten Mitgliedsstaaten der damaligen Europäischen Gemeinschaften, den starken und großen Volkswirtschaften, ihnen, uns fehlt der Mut der Freiheit, ihnen fehlt das klare, lösende, befreiende Wort, das Erkki Tuomijoa, der finnische Außenminister  nun endlich gesprochen hat.


http://www.telegraph.co.uk/finance/financialcrisis/9480990/Finland-prepares-for-break-up-of-eurozone.html

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Gelobt sei die Meinungsfreiheit im Bundestag – ein hohes Gut in Zeiten der medialen Proskriptionslisten!

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Aug. 092012
 

Zu den Zeiten des Lucius Cornelius  Sulla wurden gerne politische Gegner als Scharfmacher und Abweichler gekennzeichnet, die die Axt an die Einigkeit des Volkskörpers legen. Ihre Namen wurden dann der allgemeinen Verachtung preisgegeben und auf sogenannten Proskriptionslisten veröffentlicht, das Vermögen verfiel dem Staate, viele Volksfeinde wurden hingerichtet.

Kein Zweifel: Jeder, der ein paar unbequeme Fragen stellt, wird seit Sullas Zeiten in Diktaturen an den Pranger gestellt. Dies galt auch in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Bei meinen vielen Reisen durch Russland wandelte ich auch buchstäblich auf den Spuren des Ökonomen Кондратьев Николай Дмитриевич, jenes Nikolai Kondratjew, der durch genaues Studium volkswirtschaftlicher Daten den Beweis zu erbringen glaubte, dass die kapitalistische Marktwirtschaft in etwa 30-jährigen Zyklen krisenhafte Schwankungen durchlaufe. Nach solchen Krisen erholten sich die Marktwirtschaften aber wieder. Die zentral gelenkte Planwirtschaft sei dem Kapitalismus nicht immer und überall überlegen.

Der überzeugte Kommunist Kondratiew äußerte Zweifel daran, dass der Kommunismus eines Marx, eines Lenin, eines Stalin aufgrund unwandelbarer Naturgesetze über den Kapitalismus obsiegen werde. Damit stellte er sich quer zur wissenschaftlich gesicherten Mehrheitsmeinung. Die Kommunisten ließen ihn, den Kommunisten, gerichtlich zum gefährlichen Volksfeind erklären und einkerkern, und sie erschossen ihn durch Hinrichtung am 17.09.1938 – wie sie, die Kommunisten, dies auch mit einigen anderen Hunderttausend Abweichlern und Volksfeinden taten, darunter auch mit dem Kommunisten Trotzkij. Am endgültigen Sieg der sozialistischen Lenkungs- und Planwirtschaft durften fortan keine Zweifel geäußert werden. Die staatlich gelenkte Presse der Sowjetunion führte einen gewissenhaften Kampf gegen Tausende und Abertausende von Zweiflern und Häretikern und meinte so – gestützt auf die Maschinengewehre und Pistolen der Geheimpolizeien (Tscheka, NKWD, KGB usw.) – den unausweichlichen Endsieg des Kommunismus zu befördern. Na, und nun, liebe Freunde, wer hat recht behalten, der Abweichler Kondratiew oder die überwältigende Mehrheit?

Um wieviel besser geht es uns heute in der Freiheit! Niemand wird auf Proskriptionslisten gesetzt, niemand wird zum gefährlichen Volksfeind erklärt. Politische Abweichler dürfen Sitz und Stimme behalten.  Auch wenn es weiterhin den medialen Pranger mit seinen Listen der „gefährlichsten Politiker“ gibt, erfreuen sich doch all die gefährlichen und allergefährlichsten Politiker Europas weiterhin bester Gesundheit.

Neuestes Beispiel? Die unbeugsamen Euro-Skeptiker Markus Söder, Αλέξης Τσίπρας, Marine Le Pen und Konsorten. Ihnen wird trotz heftiger Schimpfe kein Haar gekrümmt. Gelobt seien Demokratie, Marktwirtschaft und Meinungsfreiheit. Lest das hier:

http://www.spiegel.de/politik/ausland/die-zehn-gefaehrlichsten-politiker-europas-in-der-eurokrise-a-848424.html

Na lieber Spiegel, das war aber unvollständig! Mir fehlen in dieser halbherzigen oder besser halbseidenen, osteuropäisch arg unterbelichteten SPIEGEL-Proskriptionsliste der Tscheche Václav Klaus, der Slowake Richard Sulík, der Brite David Cameron. Sie und viele andere demokratisch gewählte Politiker der EU bemängeln – aus unterschiedlichen Gründen – am Euro den fehlenden Freiheitsraum. Sie meinen, dass die Landeswährungen unter Umständen besser geeignet seien oder sein könnten, das unterschiedliche Leistungsvermögen der EU-Staaten abzubilden und abzufedern. Deshalb müsse man dem Euro auch fernbleiben dürfen bzw. aus dem Euro auch austreten können.

Ich denke, die überwältigend zahlreichen, ja geradezu zahllosen Euro-Befürworter und Euro-Retter im deutschen Bundestag und in den europäischen Parlamenten tun gut daran, die Argumente der verschwindend geringen Minderheit anzuhören und ihnen, diesen wenigen Abweichlern, mindestens ehrliche Anstrengung zu bescheinigen, die heillos verworrene Lage der Euro-Krise zu verstehen und zu bessern. Es könnte ja sein, dass sie – Sulík oder Klaus oder Cameron – ähnlich wie Kondratiew nicht völlig unrecht haben.

Erinnern wir uns: Noch im fernen Jahr 1997 meinte Arnulf Baring – ein weiterer Abweichler für die Liste!  – erklären zu müssen: „Selbst wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktionen sind häufig, wie Kenner behaupten, weder sachkundig noch erfahren. Das Parlament läßt es an wirtschaftlicher Kompetenz beklagenswert fehlen.“

Für derartige beleidigende Einlassungen wurde Prof. Dr. Baring von Bundeskanzler Dr. Kohl in Briefen an die verantwortlichen Zeitungs-Redaktionen bekanntlich mit dem epithetum ornans Schmierfink belegt.

Ich zweifle heute hingegen nicht im geringsten daran, dass die überwältigend zahlreichen, ja geradezu unzählbaren Euro-Befürworter und Euro-Retter im Deutschen Bundestag und in den europäischen Parlamenten sich vor der Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm ESFS und ESM redlich hineingekniet haben in die komplizierte Materie. Sie haben sicherlich bis in den Grund hinein erforscht, was „Bazooka“, „Feuerkraft“ der „Dicken Berta“, „Ewigkeitsgarantie“, „Immunität des Direktoriums“ usw. bedeuten. Sie brauchen sicherlich auch die Seite 6 der heutigen FAZ nicht mehr zu lesen, in denen ausgewiesene  Verfassungsjuristen wie Mattias Kumm und Hans-Peter Schneider auf zahlreiche, völlig ungelöste Problemlagen bei EFSF und ESM hinweisen.

Aber eben dieselbe Fachkunde und dieselbe wirtschaftspolitische Vernunft wie den zahllosen deutschen Bundestagabgeordneten muss man auch den wenigen europäischen Abweichlern wie dem Tschechen Václav Klaus, dem Slowaken Richard Sulík, dem Briten David Cameron zubilligen. Es gilt hier der eherne Grundsatz des Ius Romanum, an den Sulla sich nicht hielt: Audiatur et altera pars!

Also, carissimi amici europei, bzw. Дорогие друзья im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament! Hören wir einander besser zu! Machen wir das Beste aus der Krise!

Europa gelingt gemeinsam.

Zitatnachweis:
Arnulf Baring: Eine Eurodebatte mit verengter Perspektive, in: derselbe: Scheitert Deutschland? Abschied von unseren Wunschwelten. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, S. 251-254, hier: S. 253

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Worauf wurzelt die Europäische Union?

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Mai 212012
 

Betrachte dieses Bild! Du siehst einen jungen Baum, der zum Schutz vor Ungeziefer mit einer Kalklösung bestrichen ist und durch drei Pflöcke in seinem Wachstum gestützt wird. Ich sah ihn heute vor dem Frühstück, als ich mit meiner Familie durch den Kreuzberger Park am Gleisdreieck joggte. Der Baum wurzelt in der Erde, sie ist sein Wurzelgrund und Fundament. Zum besseren Wachstum ist er gehegt, geschützt und gestützt durch die drei Pflöcke. Die Pflöcke sind sozusagen stützende Säulen, aber nicht tragende Säulen. Der Baum könnte wahrscheinlich auch ohne die stützenden Säulen überleben. Ohne ausreichenden Wurzelgrund aber könnte er nicht überleben.

Worauf wurzelt Europa? Was sind die tragenden Fundamente der Europäischen Union? Herr Steinbrück gab gestern bei Günter Jauch in einer Euro- oder Euro(pa)-Talkshow eine gute Antwort: „Unabhängige Gerichte, Sozialstaat, Trennung von Staat und Kirche, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Aufklärung – das ist Europa, …“, und ich ergänze, Herr Steinbrück: soziale Marktwirtschaft statt staatlicher Zwangsbewirtschaftung  …  Richtig so, Herr Steinbrück, so steht es ja auch in den Lissabonverträgen – und genau DAS könnte man auch ohne den Euro haben. Und das hattten wir auch schon ohne den Euro. Völlig verkehrt ist es also, den Euro zum „Fundament der weiteren  europäischen Integration“ zu erklären, wie das die Staats- und Regierungschefs der EU am 09.12.2011 hochoffiziell taten.

Ich meine: Der Euro ist „eine Säule“, eine wichtige, zu bewahrende Säule, ein stützender Pflock, aber eben keine „tragende“ Säule der europäischen Integration. Denn das würde ja bedeuten, dass die EU-Länder, die den Euro noch nicht haben oder haben wollen, schlechtere Europäer wären. Es ist falsch, den Euro (das GELD) zur entscheidenden Klammer Europas zu erklären. So war es 1955 auch irrig zu glauben, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft EVG (das SCHWERT) müsse das entscheidende Fundament der Europäischen Integration werden. Ein Irrtum, den selbst Konrad Adenauer, der ihm auch erlag, im Nachhinein zugeben musste.

Ansonsten war’s gestern beim Jauch eine gute Debatte zwischen den beiden innigen Parteifreunden, in der der leibhaftig anwesende Unnennbare nur selten und nur ganz wenig beleidigt wurde (Steinbrück: „Bullshit, was Sie da sagen“ usw.) Das ist ja schon mal etwas.

Merke: Eine minimale Dosis Sarrazin-Bashing ist fürs politische Überleben heutigentags unabdingbar. Anders gewendet: Sarrazin-Bashing ist eine tragende Säule des Überlebenskampfes in der öffentlichen Arena. Selbst Joachim Gauck hat dieser neuen, allerdings unverzichtbaren Disziplin pflichtgemäß seinen Tribut gezollt. Erst danach konnte er zum Bundespräsidenten gewählt werden. Wir müssen Herrn Sarrazin dankbar sein, denn der Widerspruch gegen ihn stiftet Einigkeit aller mannhaften Demokraten.

Und sonst? Wohin führt das Gleichnis?

Der Euro, der 80.000 (oder mehr?) Seiten starke acquis communautaire, die GAP, der EFRE, die Strukturfonds und wie sie alle heißen, sie sind gärtnerische oder stützend-pflegende Maßnahmen, die nötig oder sinnvoll, wichtig oder tauglich sind. Aber sie sind stets offen zu halten für veränderte Bedingungen. Sie sind nie in Stein gemeißelt.

Unbedingte Achtung der Menschenwürde, Anerkennung der Menschen- und Bürgerrechte, Pressefreiheit, Gewaltentrennung, Sozialstaat, freie Marktwirtschaft, Ablehnung der staatlichen Zwangsbewirtschaftung, parlamentarische Demokratie, das Prinzip der Subsidiarität und der Solidarität – all das gehört zum unverzichtbaren Wurzelgrund der Europäischen Union. Die vorher genannten stützend-gärtnerischen Maßnahmen hingegen müssen dem Baum das Gedeihen und das Wachstum ermöglichen. Sie haben dienende, stützende, nicht fundierende Aufgaben.

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ἄργυρος κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε, oder: vom Europa des Geldes zum Europa des freien Wortes

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März 142012
 

Immer wieder tauche ich hinab in die alte, griechisch sprechende Welt, die Europa zu dem werden ließ, was es heute zu werden verspricht. In den attischen Tragödien des 5. und 4.  Jahrhunderts vor Christus werden zahllose Fragen erörtert, die uns bis zum heutigen Tage beschäftigen. Etwa die folgende:

Was hält Europa und die Europäische Union zusammen?

„Die Wirtschaft!“ werden die meisten sagen. „Der freie Austausch an Waren und Dienstleistungen sichert den Zusammenhalt!“.

„Der acquis communautaire!“ schallt es aus Brüssel zurück. „Die etwa 100.000 Seiten gemeinsamer Rechtstexte über Ansprüche und Rechte der Mitgliedsstaaten sind eine unlösbare institutionelle Klammer!“

„Der Euro!“, werden wieder andere einwerfen. „Nur durch die Gemeinschaftswährung werden die Schicksale der Staaten so unlösbar verknüpft, dass Wohlstand, Wachstum und soziale Gerechtigkeit gesichert sind.“

Kaum ein Zweifel darf bestehen, dass die Europäische Union und überhaupt europäische Politik auf der Wirtschaft und auf dem Geld begründet ist. Das Geld und die Wirtschaft sind – nach der aktuellen Politik zu urteilen – die eigentlichen Fundamente und der Maßstab der Europäischen Union.

„Lernt doch erst mal griechische Texte lesen“, begehre ich auf, wenn wieder einmal derartige Reden geführt werden. „Habt ihr nicht die Antigone des Sophokles gelesen?“

Erstaunlich etwa, was König Kreon in der Antigone des Sophokles über das Geld sagt:

οὐδὲν γὰρ ἀνθρώποισιν οἷον ἄργυρος

κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε. τοῦτο καὶ πόλεις

πορθεῖ, τόδ᾽ ἄνδρας ἐξανίστησιν δόμων·

τόδ᾽ ἐκδιδάσκει καὶ παραλλάσσει φρένας

χρηστὰς πρὸς αἰσχρὰ πράγματ᾽ ἵστασθαι βροτῶν·

Meine deutende Übersetzung in modernes Deutsch lautet:

„Denn keine so schlimme Gesetzesgrundlage erwuchs für Menschen wie das Geld. Es zerstört sogar Städte, es vertreibt Männer aus den Häusern, Geld prägt Mentalitäten um, so dass die an sich richtige Gesinnung zum Niederträchtigen gewendet wird.“

In diesen Versen (295-299), die wohl um das Jahr 442 vor Christus entstanden,  schreibt Kreon dem Geld eine unterminierende, gemeinschaftsszerstörende Kraft zu. Keine schlechtere Grundlage für Gesetze als das Geld gibt es. Fremdes Geld zerstört den Zusammenhalt der Polis, Geldgier führt zu Hader, Zank und Zwietracht in der Stadt, die Gier nach Silber brachte die griechischen Städte gegeneinander auf.
Ich meine: Der Ansatz, die Europäische Union vornehmlich auf dem Geld begründen zu wollen, hat uns alle in die Irre geführt.

Die Europäische Union muss stattdessen auf anderen, auf kulturellen Werten, vor allem auf dem freien Wort stets von neuem begründet werden!

Weit geschmeidiger, weit moderner als der Kreon des 5. Jahrhunderts v. Chr. drückte dies kürzlich ein Schriftsteller, der unter uns lebende Petros Markaris in folgenden Worten aus:

Wir haben mit der Einführung des Euro diese Werte vernachlässigt und Europa mit dem Euro identifiziert. Und jetzt, mit der Rettungsaktion für den Euro, werfen wir die gemeinsamen Werte, die Diversität der europäischen Geschichte, die verschiedenen Kulturen und Traditionen als Ballast über Bord. Europa hat viel in die Wirtschaft investiert, aber zu wenig in die Kultur und die gemeinsamen Werte.

Quellen:

Sophoclis fabulae. Ed. A.C. Pearson, Oxonii 1975, Ant. vv.  295-300

Süddeutsche Zeitung, 26.01.2012:

http://www.sueddeutsche.de/politik/reise-des-schriftstellers-petros-markaris-die-krise-hat-das-letzte-wort-1.1267452 

The Little Sailing: Ancient Greek Texts

 Posted by at 15:34
Feb. 072012
 

Um Griechenland zu verstehen, muss man mit den Griechen selbst, mit kenntnisreichen Auslandsgriechen, aber auch mit Reisenden und Kaufleuten anderer Nationen sprechen, die das Land gut kennen, dort gelebt und gearbeitet haben, die Sprache sprechen. Man muss Griechenland bereisen, sich buchstäblich ins kαφενεíο setzen und den Menschen zuhören – wie es wohl Herodot einmal bei den fernen Skythen und den Ägyptern machte. Tut man dies, so wird man – als Herodot unserer Tage – etwa folgende Geschichte erzählen können, wie sie die Menschen, die sich auskennen dürften, auf den Tisch der Tavernen legen:

1) In Griechenland, so wurde mir erzählt, herrsche seit vielen Jahrzehnten eine kleine, begüterte Oberschicht, bestehend aus nicht mehr als 20 Familien, die den Großteil des privaten Vermögens besäßen und über die Verteilung staatlicher Mittel entschieden. Die beiden großen Parteien ND und PASOK seien ebenfalls im Besitz dieser Familien. Es herrsche ein unbeschreibliches Maß an Korruption und Vetternwirtschaft. Eine gute chirurgische Operation bekomme man nicht ohne vorher 20.000 Euro schwarz und in bar auf den Tisch des Chirurgen zu legen. Alle Chirurgen besäßen – trotz offiziell bescheidenster Gehälter – Luxus-Jachten. Die Korruption sei endemisch und durchziehe das ganze System.

2) Die demokratischen Gremien – Parlament, Regierung, Gewerkschaften, Parteien – seien mehr oder minder Staffage für interne Ressourcenverteilungskämpfe. Es herrsche in ganz Griechenland ein nahezu unbeschreiblicher Klientelismus.

3)  Die griechische Gesellschaft sei weiterhin zutiefst gespalten, der verheerende Bürgerkrieg von 1946-1949 sei übertüncht, aber nicht aufgearbeitet. Vom italienischen Überfall auf Griechenland an, der Griechenland in den Weltkrieg gerissen habe,  über die Besetzung durch Deutschland werde die gesamte Zeitgeschichte in lügenhafter Verzerrung dargestellt, die darauf abziele, Griechenland als Opfer fremder Mächte statt als bürgerkriegsgeschüttelte Gesellschaft zu zeigen. Selbst Besatzung und Widerstand seien in Wahrheit teilweise als innergriechischer Bürgerkrieg zu sehen.

4) Seit Jahrzehnten, so wird erzählt, würden immer wieder die Deutschen als Sündenböcke für eigene Unzulänglichkeiten und Staffage für eigene Großmannsträume hergenommen.

5) Die Deutschen wiederum hätten sich durch kaltherzige Besserwisserei und Schulmeisterei im Griechenland unbeliebt gemacht. Sie hätten kein Zeichen der Empathie gesetzt. In London kauften die Superreichen Griechenlands mit EU-Mitteln ganze Straßenzüge auf, zuhause in Griechenland wüchsen Arbeitslosigkeit, Verschuldung und gerechter Zorn, und die Deutschen setzten den Griechen jetzt die Daumenschrauben an.

5) Hauptursache der Staatsverschuldung in Griechenland scheine nicht so sehr der Staatshaushalt zu sein als vielmehr die durchweg akzeptierte Mitnahme- und Selbstbereicherungsmentalität der griechischen Oberklasse, die von ganz oben bis nach ganz unten durchsickere. Die politische Klasse des Landes sei nicht vertrauenswürdig.

6) Die griechische Oberklasse, so wird berichtet, schaffe in diesen Wochen verstärkt in riesigen Mengen staatliches Geld, vor allem auch EU-Geld beiseite, investiere dies in Immobilien im Ausland, namentlich in Deutschland, Großbritannien und USA.

7) Die bisherigen EU-Hilfen schienen dieses durch und durch korrupte System zu stützen und zu verstetigen.

8) Derartige Wahrheiten würden aber öffentlich kaum ausgesprochen, da jeder Grieche, der dies täte, sofort als Nestbeschmutzer verschrieen würde.

 

Kafenio – Wikipedia
Καφενεíο

 Posted by at 16:45
Dez. 242011
 

καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· Μὴ φοβεῖσθε· – Und der Bote sagte ihnen: Habt keine Angst (Lukas 2,10).

Dieses gestern aufgenommene Bild zeigt ein paar elektrische Lichter in der Dunkelheit, einen Hinweis auf einen Storchenparkplatz und einen Pfeil, der den Weg zur Brandmeldezentrale weist. Wir sehen: Für Geburten gibt es heute Krankenhäuser mit gut ausgeschilderten Storchenparkplätzen, das Risiko der Feuersbrünste ist gemindert durch Warnmelder, echte Dunkelheit gibt es nicht, da Strom und Licht überall vorhanden sind. Wir dürfen sogar das allgegenwärtige Handy einmal abschalten. Wir könnten uns zu Weihnachten alle entspannen und locker chillen.

Wie haben wir es doch so herrlich weit gebracht in den letzten Jahrzehnten!

Mein aus Ägypten stammender Freund, der die Ereignisse des letzten Jahres am Tahrir-Platz miterlebt hat,  sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen. Denn wie sonst könnte Hamed etwas über Jesu dunkles Zimmer sagen?  Und zugleich zeigt diese Aussage die absolute Ferne von Jesus, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Weihnachtsfest und eurem Jesus-Gebimmel anfangen. Bleibt mir damit vom Leibe!“ Ich muss sagen, ich mag all diese Menschen, die den Weihnachtsrummel in voller Überzeugung oder gar angewidert ablehnen.

Doch meine ich, dass man durchaus hinter die Glitzer- und Rummelfassade hineinleuchten kann. Nicht alles ist schon ein abgekartetes Spiel, nicht alles ist schön aufgeräumt und glühweinselig. Es gibt Zweifel und Unsicherheiten auch im bestausgeschilderten Parkplatz.

Liest man etwa die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 09.12.2011 genauer durch, so wird man erkennen, dass sie von mannigfachen Ängsten getrieben sind: Angst vor dem Auseinanderbrechen der Währung, Angst vor dem Staatsbankrott, Angst vor dem Bedeutungsverlust und der Verarmung Europas. Die Staats- und Regierungschefs haben offenkundig den Überblick über das komplizierte Gefüge der Staatsfinanzen verloren. Sie weisen in ihrem Abschlussdokument ausdrücklich die zentral regulierte Währungs- und Wirtschaftspolitik als das entscheidende Fundament der europäischen Integration aus. Gedeih und Verderb der Europäischen Union hingen also am Geld. Politik bestünde also  darin, Geldwerte zu sichern, bestünde darin, den höchsten Wert für sich und seine Schäflein herauszuholen.

Nicht zufällig erschüttern immer wieder und gerade auch  in den letzten Wochen Geschichten über den falschen oder leichtfertigen Umgang mit dem Geld die Glaubwürdigkeit einzelner Politiker und auch der Politik insgesamt. Politik wird am Umgang mit Geld gemessen, das Geld und die Geld-Gerüchte liefern das Maß für den Wert der Politik.  Mit starrem Blick aufs Geld steigen und fallen die Kurse der Politiker.

Ist Geld alles?

„Fürchtet euch nicht!“ Die Geburt Jesu ereignete sich nach der ausmalenden Schilderung des Lukas  in notdürftigsten Umständen als erlebte Freude unter den Armen und Angstgeplagten des Altertums, den Hirten, die des Nachts ihre Herden hüteten. Für Jesus stand kein Storchenparkplatz bereit. Er wurde vorerst in einen Futtertrog abgelegt, und der Raum, in dem er geboren wurde, war wohl eine Ein-Raum-Wohnung, in der mehrere Menschen und allerlei Vieh den Platz teilen mussten.

Eine Brandmelde-Zentrale gab es nicht: die Hirten, die von einer Licht- und Feuererscheinung in Panik versetzt wurden, konnten keine Notruftaste drücken. Ihnen blieb nichts anderes als dem Wort des Boten zu vertrauen: „Jetzt geratet nicht in Panik. Fürchtet euch nicht.“ Und diese Botschaft wirkte. Das gesprochene Wort war für die Hirten stärker als die begreifliche Angst vor dem Unerwarteten.

In einem Kinderlied heißt es: „Die redlichen Hirten knien betend davor?“ Wieso redliche Hirten? Redlichkeit, das kommt von Rede, dem Reden vertrauen, sein Reden vertrauenswürdig machen. Redlichkeit ist das, was wir von den Hirten lernen können.

Sollen wir vertrauen? Heißt es nicht zu recht: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Ich erwidere: Vertrauen in das redliche Wort ist nicht alles. Aber ohne Vertrauen in die redliche Kraft des Wortes ist alles nichts. Wenn wir dem grundsätzlich nicht mehr vertrauen können, was andere uns sagen, können wir uns alle Staaten und alle Staatenbündnisse oder Bundesstaaten und alle Europäischen und sonstigen Unionen gleich abschminken. Dann nützen auch Rettungsschirme und automatische Kontrollen nichts mehr.

Hat uns materiell unvergleichlich reicheren Europäern des 21. Jahrhunderts die Angst- und Armutsgeschichte des Lukas mit den redlichen Hirten heute noch etwas zu sagen?

Ich meine: ja! Der Evangelist Lukas rahmt die Geburtsgeschichte Jesu in einen staatspolitischen Rahmen höchster Stufe. Eine steuerliche Erfassung der Vermögenswerte aller Bürger war der Anlass der Wanderung von Maria und Josef. Der regierende Kaiser hatte offenkundig – wie die Regierenden in unserer Zeit – den nötigen Überblick über Soll und Haben verloren. In diese Ausnahmesituation fällt die Geburt Jesu. Spannend! Wie verhält sich der Erzähler Lukas zu den drängenden finanzpolitischen Fragen seiner Zeit? Welches Ergebnis brachte die Steuerschätzung? Wir erfahren es nicht.

Es ist enttäuschend: Die großen weltpolitischen Fragen werden ausgeblendet. Statt auf den Kaiser und seine großen Nöte richtet der Erzähler seinen Blick auf das Kleinste, Jämmerlichste, Ärmste und Unscheinbare.

Die Weihnachtsgeschichte spielt in einer Zeit größter Unsicherheit, größter finanzieller Risiken. Aber sie schlägt doch einen deutlich anderen Ton an als den Ton des großen und des kleinen Geldes, der heute unsere Medien und oft auch unser Denken beherrscht. Ich finde, die Weihnachtsgeschichte ist eine unterirdisch wühlende, wenn auch sanftmütige Kritik an der Anbetung des Geldes und der Macht.  Sie bereitet die Umwertung aller Werte vor, welche der Einbruch des Christentums für die damalige Welt und später für ganz Europa bedeutete.

Johannes, der vierte Evangelist, angeblich der Mann des Wortes, legt allergrößten Wert darauf, das Wirken Jesu in Jerusalem mit einer beispiellosen, ja gewaltsamen Tat beginnen zu lassen: mit dem Hinauswurf der Händler und Banker aus dem Tempel, der nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch wirtschafts- und finanzpolitische Zentrale war. „Setzt euer Vertrauen nicht ins Geld, sondern in geistig-geistliche Werte!“  So deute ich diese Geschichte.

Die Geschichte von der Geburt Jesu  kann uns klarmachen, worin ein Sinn-Kern der Geschichte Europas besteht. Fürchtet euch nicht, habt keine Angst. Das sind wohltuende Worte in diesen wie wahnsinnig durcheinanderflatternden, viel zu aufgeregten Zeiten!

Wenn man sich heute, im Jahr 2011, in einen Zug setzt und von Moskau nach Lissabon fährt, wird man mehrere Zeitzonen durchmessen und Schlafwagenschaffner in 12 verschiedenen Sprachen Tee anbieten hören. Findet man Zeit auszusteigen und innezuhalten, wird man in allen Städten – ob nun in Moskau, Kiew, Warschau, Wien, Genf, Madrid oder Lissabon – chromstarrende Banken und Paläste finden, prachtvolle Schlösser und tuckernde Omnibusse. Aber man wird auch in allen diesen Städten Kirchen finden. Diese Gebäude sind gebaute Wahrzeichen,  die letztlich auf jene unscheinbare Geschichte in einer gedrängt vollen Einraumwohnung zurückgehen und auf jene Geschichten vom Vertrauen in das Wort verweisen: Fürchtet euch nicht. Diese Geschichte ist eine jener Geschichten, die Europa zusammenhalten könnten, wenn wir bereit wären, auf sie zu hören und einen Augenblick das Handy abzuschalten und innezuhalten.

Ich wünsche uns allen diese Fähigkeit, hinzuhören, Kraft zu schöpfen aus dem einigenden, dem redlichen Wort: Fürchtet euch nicht. Sicher: die weltpolitischen Fragen und Nöte sind nicht gelöst. Hunger, Tod und Krankheit, Krieg und Naturgewalten lauern.

Aber seien wir ehrlich: es geht uns in der Europäischen Union noch oder auf absehbare Zeit unvergleichlich gut. Kein neugeborenes Kind, so ersehnt wie sie alle sind, braucht heute in einem Futtertrog abgelegt zu werden. Der Storchenwagenparkplatz steht doch jederzeit bereit. Nahezu alle Menschen in der Europäischen Union sind dank Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft von Not und Armut befreit. Wir könnten uns eigentlich freuen und versuchen, möglichst viele Menschen außerhalb unserer 27-Länder-Wohlstandsinsel zu ähnlichen demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zu führen, wie wir sie genießen.

Warum haben wir nicht mehr Glauben, mehr Zuversicht? Ich vermute, es hat damit zu tun, dass wir der Angst noch zu viel Platz einräumen. Angst lähmt. Angst um des Geldes willen ist die lähmendste Angst. Für diese Angst besteht kein echter Grund. Denn Angst ängstet sich zuletzt um sich selbst.

Zu Weihnachten bietet sich uns nun die große Chance, diese Grundlosigkeit der Angst zu durchbrechen. Wir werden die Ängste nicht los, ebenso wenig wie wir unsere Not und unsere realen Schulden schnell loswerden. Aber wir dürfen erkennen, dass es etwas Größeres, etwa anderes als die Angst gibt: Vertrauen in das Wort, Vertrauen in den Nächsten, Hoffnung auf unsere Veränderbarkeit, Hoffnung, dass die Wanderung zu einem sinnvollen Ziel findet.

Wir setzen also der kalten Faust der Angst unser unerschütterliches Vertrauen in die Kraft des befreienden Wortes, in die Tüchtigkeit der europäischen Bürger, in den unverwüstlichen Friedenswunsch der Völker entgegen.

Das Glockengeläute, das man in Moskau, Kiew, Wien, Madrid oder Lissabon hören kann, ist nicht das lärmende Jesusgebimmel, vor dem mein ägyptischer Freund vom Tahrir-Platz sich zu recht scheut. Es ist ein Zeichen für das andere der Angst, ein Weck- und Merkzeichen der Freude. Das Glockengeläute sagt:  „Freut euch vorläufig, mindestens solange diese Glocke läutet. Lasst sie hineinläuten ins dunkle Zimmer.

Mit einer Wendung, die ich einem ergreifenden Choral im Weihnachtsoratorium Johann Sebastian Bachs entnehme, rufe ich Euch und Ihnen  zu:

„Seid froh dieweil!“

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Pidiendo una Europa desde dentro – Um ein Europa von innen bittend

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Dez. 162011
 

Kann Europa aus bürokratischen Mammutverträgen neue Vitalität gewinnen? Ein klares Nein spricht dazu Werner Weidenfeld aus, der Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nachdem er umfänglich die mangelnde Identifikation der Bürger mit der EU, die fehlende Begründungslogik der EU-Apparate durchleuchtet hat, schreibt er hellsichtig im Jahr 2011:

„Deswegen ist jetzt die Frage zu stellen, womit Europa neue Vitalität finden kann. Sie wird nicht aus bürokratischen Mammutverträgen erwachsen. Europa kann heute nur als die rettende, elementare Antwort auf die Globalisierung und ihre Krisen ein neues Ethos entfalten. In der Globalisierung liegt die Idee für die neue, kraftvolle Begründung. Ein[en] Aufbruch aus der zweiten Eurosklerose kann nur vermitteln, wer die Kunst der großen Deutung beherrscht.“

Es geht also um ein neues Ethos, oder vielmehr die Wiederbelebung eines europäischen Ethos, das nicht von oben herab aus den europäischen Mammutverträgen träufelt, sondern gewissermaßen von unten und von innen her aufquillt.

Wer hat Europa gemacht?  Was macht Europa aus? Eine verblüffende Antwort auf diese Fragen fand ich gestern in einem Interview der Bundesbildungsministerin Schavan. Sie verlangt eine Rückbesinnung auf die große Idee der Freiheit, sie bezeichnet Bildung und Kultur als den größten Reichtum Europas, und sie zitiert Cervantes: „Europa wurde von den Pilgern gemacht.“ Sehr lesenswert, sehr überlegenswert, finde ich. Es geht hier gleichsam um ein Europa von unten her, von den Fußwanderern her – oder besser gesagt um ein Europa von innen her, das man sich „erwandern“, oder „erpilgern“ kann.

Also – machen wir uns auf einen Weg!

Hier das Interview:

Wer macht Europa? « Politikselbermachen

Das Zitat zur „Kunst der großen Deutung“ findet sich hier:
Werner Weidenfeld: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Werner Weidenfeld/Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden, 12. Auflage 2011 [=Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2011] S. 11-45, hier S. 45. Das Buch ist wohlfeil zum Preis von 7.- Euro in der Bundeszentrale erhältlich!

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Angst um das Geld als unerschütterliches Fundament Europas

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Dez. 132011
 

Nisi dominus aedificaverit … so erscholl es kürzlich in einem kleinen Konzert mit geistlicher Musik. Woher mögen diese Sätze stammen? In dem Text ging es um einen verlässlichen Grundstein für ein Haus. Welches Haus?

Einen klaren Grundstein, ein eindeutig geregeltes „Fundament“ für das Europäische Haus will das Abschlussdokument des Europäischen Rates vom 09.12.2011 legen:  Geld und wirtschaftspolitische Steuerung sind der Grundstein.

Die gesamte Architektur der Europäischen Union nimmt nunmehr Maß am Geld.

Man lese die einleitenden Abschnitte. Es sind mächtige, kyklopisch hingewuchtete Sätze! Von Fundament, von Säulen ist da die Rede. Von sozialem Zusammenhalt, der durch  finanz- und wirtschaftspolitische Steuerung gefördert werden müsse, ist die Rede.

  • Damit das Geld in Zukunft als Fundament der Europäischen Union funktionieren kann, muss die Politik, müssen wir alle der Stabilität des Geldes dienen.
  • Es sind angstgetriebene Sätze, die da zu lesen sind. Mannigfache Ängste und Misstrauen haben hier die Feder geführt:  Angst vor dem Auseinanderbrechen der Währung, Angst vor dem Staatsbankrott, Angst vor dem Bedeutungsverlust und der Verarmung Europas, Misstrauen gegenüber dem Handeln der einzelnen Regierungen der Mitgliedsländer.
  • Ich  vermisse in all den säuberlichst abgezirkelten Kontrollmechanismen ein sichtbares Zeichen des Vertrauens.
  • Man mag es begrüßen, dass endlich nicht mehr in Sonntagsreden von Freiheit, von Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit die Rede ist. Die Staats- und Regierungschefs weisen in ihrem Abschlussdokument ausdrücklich und in wünschenswerter Offenheit die stärker regulierte Währungs- und Wirtschaftspolitik als das entscheidende Fundament der weiterschreitenden europäischen Integration aus.[i]
  • Hängen also Gedeih und Verderb der Europäischen Union letztlich am Geld?
  • Ich empfehle als Begleitlektüre des Schlussdokumentes die Titelgeschichte des aktuellen SPIEGEL, die ich für sehr gut recherchiert halte! Die Journalisten haben sich auf die Spuren des Romans ANGST von Robert Harris begeben und den Herren des Geldes einige Wochen über die Schulter gelugt.
  • Künstlerisch ist der Roman ANGST ihnen überlegen, sachlich stelle ich große Übereinstimmungen fest. Dieser Roman hat es zwei Wochen vor Weihnachten von Platz 11 auf Platz 2 der Bestsellerliste im nämlichen Magazin geschafft!
  • Die Angst steht hoch im Kurs!

 


[i] http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/126678.pdf, hier insbesondere S. 2 und passim

126678.pdf (application/pdf-Objekt)

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Dez. 092011
 
Gestern lebhafte, spannende Debatte des CDU-Ortsverbandes Kreuzberg-West zur Lage der EU – zeitgleich mit dem Brüsseler Gipfel. Der an Empörung grenzende Unmut über die Regierungen der EU-Staaten war am Stammtisch mit Händen greifbar. „Sie kriegen es einfach nicht gebacken, das passt alles nicht zusammen, es fehlt in der Politik an Redlichkeit.“ Den Wählern werden goldene Berge versprochen, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist unerträglich. In London kaufen die Superreichen Griechenlands mit EU-Mitteln ganze Straßenzüge auf, zuhause in Griechenland wächst Arbeitslosigkeit, Verschuldung und gerechter Zorn. Dennoch: die Fiskalunion, die automatischen Verschuldungssanktionen, die Rettung des Euro und der Europäischen Union wurde von den CDU-Stammtischlern als richtig bezeichnet. „Wir wollen die EU und den Euro erhalten – aber nicht so.“ Es kommen härtere Jahre!
 Posted by at 16:38
Dez. 082011
 

EUROPA NEU ERZÄHLEN!

          ENTWURF einer KREUZBERGER ERKLÄRUNG –
08.12.2011

1)       Jauchzet, frohlocket! Wir bekennen uns als europäische Bürger mit großer Freude zur Europäischen Union. Die Europäische Union ist auf Werten begründet, für die wir uns leidenschaftlich einsetzen, insbesondere auf der Würde jedes einzelnen Menschen, der Freiheit, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Das wachsende Haus Europa erfüllt uns deshalb mit großer Freude. Die Europäische Union hat einen in der Geschichte bisher nicht dagewesenen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geschaffen.  Diesen Raum gilt es zu pflegen und zu festigen. Wir wollen, dass die Europäische Union in allen Teilen wächst und gedeiht.

 

2)       Kein Haus wird vom Dach her gebaut. Das offene Haus Europa muss von unten her errichtet werden.  Der intergubernative, von oben her lenkende, verfügende Ansatz stößt immer wieder an Grenzen, da jede Regierung bemüht ist, auf Kosten des europäischen Baus das Beste für das eigene Land herauszuholen. Wir bemängeln an der jetzigen Verfasstheit der Europäischen Union eine unvollständige Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips.

   

3)       Das Problemgefüge, das seit etwa 15 Jahren konsequent auf unsere seit 2008 herrschende Finanz- und Währungskrise hingeführt hat, liegt ursächlich vor allem in der übermäßigen Verschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte. Dafür sind die europäischen Regierungen und die von den Regierungen und Notenbanken übermäßig mit Einkommenszuwächsen beschenkten europäischen Bürger verantwortlich zu machen. Die Gemeinschaftswährung Euro verlangt die nachholende Zustimmung der nachgeordneten Organe, letztlich die nachholende Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger.

 

4)       Hätten europäische Bürger und europäische Regierungen in den vergangenen 15 Jahren stets sorgfältig und nachhaltig gewirtschaftet und ihr Tun und Lassen offen und ehrlich erklärt, wären wir nicht in der Lage, in der wir heute sind. Erschwerend kommt das Handeln bestimmter Marktteilnehmer am Finanzmarkt hinzu. Die europäischen Regierungen haben es bisher versäumt, den Finanzmarkt so zu regeln, dass er nicht zum Nachteil der öffentlichen Haushalte Unterschiede in den Zahlungsbilanzen und der Effizienz der Volkswirtschaften ausnutzen kann.

Nicht alles an der seit 2008 andauernden Finanz- und Europa-Krise haben die Regierungen der EU-Länder oder die ominösen Märkte zu verantworten. Einiges an der Vertragskonstruktion ist nicht kohärent. Gerade die wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerungsmechanismen des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) schränken oft die Handlungsfreiheit von Parlamenten und Regierungen in einer Weise ein, die nur mit aktiver Beteiligung der Parlamente vertretbar wäre.

         Diese damals politisch gewollten Festlegungen der Lissabonverträge erweisen sich in unseren Tagen zunehmend als Danaergeschenk, zumal sie auch in nationales Recht, etwa in das Recht der Bundesrepublik Deutschland eingeführt wurden, ohne dass hierüber auch nur der Ansatz einer ausreichenden Debatte stattgefunden hätte. Besonders verheerend wirkte es sich aus, dass die vorher vereinbarten Stabilitätskriterien sanktionslos von der Mehrzahl der Staaten verletzt worden sind und verletzt werden. Dadurch haben die Staaten zugunsten eines vorübergehenden materiellen Gewinns Vertrauen eingebüßt.

Nicht die Sicherung und Mehrung des materiellen Wohlstands sehen wir als den Sinn der Europäischen Union an, sondern die Bewahrung von Freiheit und Demokratie, von Menschenrechten und frei gewählter Verantwortung füreinander. Die Wirtschaftsordnung, die gemeinsame Währung, aller materielle Wohlstand dienen diesem überragenden Ziel der Sicherung der Freiheit. Der Euro und der materielle Wohlstand sind kein Selbstzweck. Dies bedeutet unseres Erachtens: Wir Europäer sind bereit, um des übergeordneten Ziels der Freiheit und europäischen Solidarität willen materielle Einbußen zu erleiden. Der Segen ruht auf den Ärmeren. Wir sind bereit, einen Teil des Wohlstandes, nämlich den durch Staatsschulden finanzierten Teil unseres privaten Wohlstandes aufzugeben, und wir fordern die Regierungen auf, ihre defizitfinanzierten Wohltaten an bestimmte Gruppen abzubauen.

8)     Wir verlangen eine nach den Prinzipen der repräsentativen Demokratie, der Subsidiarität und der Rechtsstaatlichkeit ausdiskutierte Verfassung der Europäischen Union. Zu diesem Zweck schlagen  wir eine in den europäischen Gesellschaften erst noch zu führende, ausführliche Debatte vor.

9)       Wir brauchen Sterndeuter für die 12 strahlenden europäischen Sterne! Das europäische Vorhaben wird zu wenig erklärt, zu wenig vermittelt, zu wenig mit Überzeugungskraft aufgeladen. Wir wollen, dass Europa im Geist der Freude und des Wohlergehens neu erzählt wird.

10)   Fürchtet euch nicht! Falsch ist es, die Europäische Union auf Angst zu begründen, auf Angst vor dem schwindenden Einfluss in der Welt, Angst vor dem Zusammenbruch der Währung und der Märkte. Wir setzen der kalten Faust der Angst unser unerschütterliches Vertrauen in die Kraft der Freiheit, in die Tüchtigkeit der europäischen Bürger, in den unverwüstlichen Friedenswunsch der demokratischen Völker entgegen. Am unnötigsten ist die Angst vor der Armut. Echte Armut gibt es in der Europäischen Union nicht. Eine freudig bejahte Absenkung des Lebensstandards, ein Verzicht auf überflüssigen Reichtum  zugunsten unserer  Kinder und Kindeskinder ist etwa Gutes. Wir sind bereit dazu. Eine Gleichwertigkeit der materiellen  Lebensverhältnisse in der Europäischen Union ist für uns kein unverrückbar erstrebenswertes Ziel. Die europäische und innerstaatliche Geldverteilungspolitik muss deutlich zurechtgestutzt werden. Wenn kein Bettchen für das Neugeborene in der Wohnung ist, müssen die Menschen in der Ein-Zimmer-Wohnung näher zusammenrücken und Platz für das Kind schaffen.

11)   Jauchzet, frohlocket! Durch die gemeinsame Kultur, durch die wiederholte, bewusst gepflegte Begegnung in Rede und Gegenrede kann die Europäische Union mit europäischem Geist erfüllt werden. Hierbei kommt der griechisch-römischen Antike und der geistlichen Prägekraft der Religionen herausragende Bedeutung zu. Besonders gilt es deshalb, die Vielfalt der Sprachen zu pflegen und die besonderen Erfahrungen und Wünsche der ab  1995 beigetretenen Länder zu würdigen.

12)   Die gemeinsame Währung, die Wirtschaft sind nur eine Klammer, aber kein Grund, auf dem das Haus Europa gedeihen kann. Die Europäische Union vorrangig auf dem Geld begründen zu wollen, ist ebenso verkehrt wie der gescheiterte Versuch, sie auf dem Schwert, also der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu begründen.  Europa kann nur auf dem befreienden, dem redlichen Wort begründet werden. Dazu wollen wir als Bürger unseren Beitrag leisten, daran wollen wir uns messen lassen.

 

 Posted by at 16:54