Es zählt letztlich … der Mensch und seine Liebe zur Wahrheit
Das Gute, Friedrichshain-Kreuzberg
Kommentare deaktiviert für Es zählt letztlich … der Mensch und seine Liebe zur Wahrheit
Apr 182013
Hassenden läuft der Hass nach, Liebenden kommt die Liebe entgegen. So spricht eine gezettelte Botschaft des Talmud auf der Wilhelmstraße.
Mit einem Lesezirkel hochbetagter, hochweiser Damen und Herren in der nämlichen Wilhelmstraße besprach ich Theodor Fontanes unsterbliches (es wird uns alle überleben!) Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Gemeinsam kramend, suchend stöbernd in den Herzkammern des Gedächtnisses, gelang es uns, einen Großteil des Gedichts wiederherzustellen, das früher jedes Berliner Schulkind kannte.
Merkwürdig, ja fast anstößig ward mir beim Rezitieren folgende Strophe, und in ihr insbesondere die fettgedruckten Zeile:
So klagten die Kinder. Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn‘ ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn – eine starke, harte, grob treffende Zeile!
Die Literatur, aber mehr noch die gesamte politische Debatte ist ja heute reich, überreich an Vorwurfsdiskursen der Jungen gegen die Alten. Hier bei Fontane erhebt einmal der Alte einen stillen Vorwurf gegen den Sohn. Könnte es sein, dass einmal, ein einziges Mal in der Weltgeschichte, die Väter bessere Menschen als die Söhne, die Mütter bessere Menschen als die Töchter sind? Ich hege diese Vermutung, ich bin davon überzeugt! Es können durchaus die Väter und Mütter mehr geleistet haben, mehr Bleibendes zum Wohl und Gedeihen der Nachkömmlinge hinterlassen als umgekehrt die Söhne und Töchter schaffen!
Insbesondere die 68er Generation brüstet sich in Teilen bis heute damit, erstmals das Versagen, Verdrängen und Vergessen der Vätergeneration in den Jahren 1933-1945 aufgedeckt zu haben.
Voll Mißtraun gegen den eigenen Vater – das könnte das Motto eines Christoph Meckel, eines Günter Seuren, eines Günter Grass, eines Bernward Vesper, einer Gudrun Ensslin, einer Ulrike Meinhof und tausender anderer Kämpfer der 68er Generation sein! Diese Geisteshaltung prägt heute große Teile der meinungsprägenden Redaktionen und Feuilletons. All diese Söhne und Töchter bezogen ihre unerschütterliche Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit aus dem wiederholten, ritualisierten, gemeinschaftlich vollzogenen Prozess gegen die eigenen Eltern – einer Art ständig wiederholten symbolischen Hinrichtung der Mörder.
Die ab 1949 vollbrachte Aufbauleistung der Bundesrepublik Deutschland wurde und wird nicht gewürdigt. Sie wird verleugnet. Bis zum heutigen Tag brüsten sich Vertreter der 68er Generation damit, sie hätten den „Muff der Adenauer-Jahre“ beseitigt. Ein großer, ein grotesker Irrtum, wie ich finde! Die deutsche Literatur der Jahre 1946 bis 1965 bestätigt die satte, selbstverliebte, selbstzufriedene moralische Überlegenheitsgeste der Jüngeren, also der ab 1935 bis 1960 Geborenen, schlechterdings nicht. Die frühen, vielgelesenen Erzählungen Heinrich Bölls, die 1952 bei der Eröffnung des Mahnmals Bergen-Belsen gehaltene Rede des Bundespräsidenten Theodor Heuss zeigen ebenso wie zahlreiche Reden von Bundeskanzler Adenauer eindeutig, dass – von den Spitzen der Literatur und der Politik ausgehend – ein klares Bewusstsein von deutscher Schuld und Schande zu erwachsen begann.
Die 68er-Generation fiel jäh hinter den schmerzhaften Prozess der Gewissenserforschung der Väter und Kriegsheimkehrer zurück, sie prahlte, drohte, johlte, sie fiel zwar nicht auf Hitler herein, aber sehr wohl auf Mao, Ho Tschi Minh, Lenin, Fidel Castro, Che Guevara, später Ghaddafi – diese waren aber wie Hitler allesamt Diktatoren, an deren Händen reichlich Blut klebte. Und die 68er – etwa Rudi Dutschke, ebenso Teile der späteren Grünen wie etwa Joschka Fischer oder Hans-Christian Ströbele – bejahten Gewalt als politisches Druckmittel. Hinhören, Einfühlen, Verzeihen, Gewaltverzicht kannten sie nicht. Sie glaubten nicht an die Liebe, nicht an die Erinnerung, nicht an die Versöhnung.
Mahler, Dutschke, Cohn-Bendit, Günter Grass und viele andere haben damals ein Scherbengericht veranstaltet, mit dessen letzten Hinterlassenschaften wir uns heute herumzuschlagen haben. Die völlige Delegitimation der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, die die 68er-Bewegung versuchte, brachte jahrelang, bringt auch heute noch ein erhebliches Potenzial an Gewaltbereitschaft hervor. „Wehrt euch“. Unser Bild zeigt einen gezettelten Anschlag auf der Ohlauer Straße/Reichenberger Straße, Kreuzberg, aufgenommen heute, direkt vor der besetzten Grundschule, einem der neu entstandenen rechtsfreien Räume.
Mehrfach streiften wir in diesem Blog schon die alte Mauer, die Ostseitengalerie, die Reste der alten Brommybrücke.
Doch jetzt richten sich die Scheinwerfer der Welt auf die berühmte Ostseitengalerie -, pardon: die East Side Gallery, klingt doch gleich viel besser.
Wahrhaft Weltstädtisches ereignet sich in Friedrichshain-Kreuzberg!
Seit Jahren haben Investoren hier ein verbrieftes Baurecht, amtlich ausgefertigt durch den damaligen Baustadtrat Franz Schulz (Grüne), bestätigt durch den nachmaligen und jetzigen Bürgermeister Franz Schulz (weiterhin Grüne).
Die im Krieg zerstörte Brommybrücke harrt der Wiederbelebung, sehnlichst erwartet von Fußgängern und Radfahrern. Doch o Graus!
Einige Teilstücke der berühmten Freiluftgalerie sollen schnöde entfernt werden, auf dass ein Durchlass sei, – und hurra – ein neuer Anlaß zum Widerstand regt sich! Befeuert durch alle Parteien, unterstützt und ermutigt durch die Fraktionen und durch den Bürgermeister Franz Schulz (weiterhin Grüne).
Der Investor schwenkt Brief und Siegel, die Politiker des Bezirks und des Senats (allparteilich) mimen die Ahnungslosen, der private Unternehmer steht wieder einmal düpiert da! Geld hat der Bezirk genug! Also – vertreiben wir wieder einmal Investoren!
Commedia, Commedia, che bella commedia politica! Ein Gaukelspiel der Überraschungen! Bretter vor dem Kopf! Hier, an der Berliner Mauer enden unsere Wege! Die Holzwege der Berliner Bezirks- und Landespolitik!
Für uns Anlass genug, die Ostseitengalerie gaukelnd entlangzuschaukeln! Kuckstu ma hier:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/streit-um-east-side-gallery-grundrecht-auf-unsachlichkeit-12102962.html
„Berlin wird grüner und gesünder, etwa durch mehr Fahrradstraßen und Radstreifen auf großen Straßen wie der Skalitzer. Dort ist es auf dem Rad lebensgefährlich. Die Grünen wollen das nun ändern.“
http://www.taz.de/!60594/
Hört hört! Das ist eine klare Aussage eines bekannten VW-Touran-Fahrers (er braucht den Touran einfach für den Wahlkampf) aus dem Jahr 2010 (!), der kürzlich wieder von der andächtig ergebenen Gemeinde zum Bundestagskandidaten gewählt wurde. Es ist doch so viel Platz für Radverkehrsanlagen in der Skalitzer Straße, am Halleschen Ufer, am Tempelhofer Ufer! Die regierenden Grünen hatten in Kreuzberg, wo sie die Hegemonialen sind, doch so viel Zeit! Wieso gefährdet grüne Verkehrspolitik weiterhin mutwillig die Radlerleben an so vielen Stellen? Wenn das Kandidat erführe!
Bild: Hallesches Ufer, Kreuzberg, Aufnahme vom Januar 2013. Massig Platz für den VW Touran!
In eine echte Zwickmühle haben sich einige Menschen gebracht, die ein möglicherweise sinnvolles politisches Anliegen, die Abschaffung der Residenzpflicht für Asylbewerber, durch gezielte Rechtsbrüche zu untermauern suchen.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/gegen-asylpolitik-linke-besetzen-schulgebaeude/7496508.html
Wahres Ziel der Aktionen scheint es zu sein, Druck auf den Staat auszuüben, sodass die staatlichen Organe mehr und mehr in die Ecke gedrängt werden, um den Protestierenden einen weiteren geschützten Raum der Rechtsbeugung zu geben. Das hat schon vielfach funktioniert. Ich konnte selbst mit eigenen Augen etwa im Bethanien besichtigen, wie die Besetzer sich nach und nach ihre Freiräume erkämpft haben, in denen sie dann schalten und walten können, ohne irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Die Bezirksverwaltung Friedrichshain-Kreuzberg hat sich wieder einmal nasführen lassen, das Bethanien ging so der Öffentlichkeit weitgehend verloren. Der Rechtsstaat ging flöten, das Kunsthaus Bethanien musste ebenfalls weichen.
Die Partie Besetzer gegen Bezirksamt ging nach Spiel, Satz und Sieg an die Rechtsbrecher.
Ich meine heute: Mitmenschliche Solidarität tut not! Gebt Wärme, gebt Herzens-Kohlenbecken! Wer friert und hungert, dem sollten all die Unterstützer Obdach bei sich zuhause gewähren, statt sie bibbernd und zitternd im Camp schmachten und darben zu lassen. Sie sollten die Menschen zu sich nachhause aufnehmen, für sie sorgen und kochen, ihnen Kleidung und Schlafmöglichkeiten bieten, mit ihnen bei sich zuhause alles besprechen, von zuhause aus Briefe an die Abgeordneten schreiben, arbeiten, sich Geschichten erzählen lassen. Diese armen Ausländer hier im ungesicherten Nirgendwo stranden zu lassen, war von Anfang an unverantwortlich von den Deutschen, die sie nach Berlin gelockt haben. Diejenigen, die die Flüchtlinge in diese Lage gebracht haben, sollten nun auf eigene Kosten und unter eigener Verantwortung für die Menschen sorgen. Das wäre anständig!
Im übrigen wissen eigentlich alle, dass es stets Mittel und Wege gibt, um hier in der Bundesrepublik unterzukommen – sobald man nur einen privaten Andockpunkt hat. Nur staatliche Sozialleistungen kann man dann eben in der Regel nicht unter eigenem Namen beziehen.
Dass aber jetzt ein Kreuzberger Schulgebäude von Besetzern über längere Zeit in Beschlag genommen werden soll, finde ich nicht gut. Damit ließe das grün geführte Bezirksamt unter Dr. Schulz wieder wie so oft Schlitten mit sich fahren. Ein grandioser Budenzauber wäre das, der da wieder mal inszeniert würde. Die Grünen und die Roten meines Wohnbezirks können jetzt zeigen, ob sie den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit anerkennen oder sich erneut wie ein Tanzbär durch die Manege führen lassen wollen.
„Ich würde meine Kinder auch nicht in Kreuzberg einschulen.“ Ein berühmter Satz des Regierenden Bürgermeisters Wowereit. Derartige Redlichkeit kommt beim Berliner Wahlvolk gut an – die Berliner haben ihn wiedergewählt.
„Ich würde meine Kinder in Kreuzberg einschulen.“ Ein schöner, gutklingender Satz der Schulsenatorin Scheeres, der gestern gedruckt im Tagesspiegel stand. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass die Schulsenatorin ihre Kinder in Kreuzberg einschulen würde, wenn sie hier wohnte. Würde, hätte, sollte! Ja, bitte, gern, tun Sie es. Ziehen Sie nach Kreuzberg, genießen Sie es! Wir brauchen hier in Kreuzberg wahrhaftig Mütter und Väter, denen ihre Kinder nicht zu schade sind, um sie in den Dienst der Integration zu stellen (von „opfern“ sollte man nicht reden).
Ich meine in der Tat: Jede Berliner Politikerin, jeder Bildungsfunktionär, jede Elternsprecherin, jede Bildungsforscherin, jede Bildungspolitikerin, jeder Lehrergewerkschafter (insbesondere GEW) sollte die eigenen Kinder mindestens für ein oder zwei Schuljahre in eine „Grundschule im sozialen Brennpunkt“ schicken.
So wie dieser hier schreibende Blogger es ja auch getan hat. Reisen bildet. Umziehen bildet. Glauben Sie mir: Dies ist ein echter Augenöffner. Man kann danach die Verlautbarungen und Erklärungen all der Bildungsforscher, Lehrergewerkschafter, Bildungspolitiker, selbsternannten BenachteiligtensprecherInnen – sagen wir mal – „besser einordnen“. Und lässt sich nicht mehr so leicht einen Bären aufbinden.
Bitte wählen Sie dazu eine Schule mit möglichst hohem ndH-Anteil, mit möglichst hohem Anteil an von der Zuzahlungspflicht befreiten, also arbeitslos gemeldeten Eltern.
Übrigens: Von zur Zeit 26.429 Berliner Lehrern sind mehr als 1400 dauerkrank geschrieben. Wie man hört, steigt die Zahl der Krankmeldungen periodisch zu bestimmten Jahreszeiten an.
Es wäre interessant, die vom Amtsarzt gestellten Diagnosen nach Krankheitsbildern und nach Schulstandorten aufzuschlüsseln. Doch genau das geschieht in der Öffentlichkeit nicht. Und solange das nicht geschieht, hat auch das Rätseln über die Ursachen des unfassbar hohen Krankenstandes der Berliner Lehrer wenig Sinn. Werden Lehrer in bestimmten Gegenden eher krank?
Was ergibt ein statistischer Vergleich zwischen – sagen wir – Pankower und Kreuzberger Schulen? Was macht die Lehrer an Berliner Schulen krank? Die Schulpolitik? Die nachlässigen Eltern? Die schlechterzogenen Kinder? Der Stundenplan? Die Schulbürokratie? Der Feinstaub in der Berliner Luft? Die Reformwut? Die zu großen Klassen? Die zu kleinen Klassen?
So viele Fragen! Wir haben alle noch sehr viel zu lernen.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/ich-wuerde-meine-kinder-in-kreuzberg-einschulen-senatorin-scheeres-lobt-berlins-brennpunktschulen/6964682.html
Entmischung ist das Gegenteil von Integration. UND WIEDER EINER ENTMISCHT SICH! So lautet das schlimme Wort, das ich vor mich hin murmele, wenn ich höre, dass wieder einer meiner zahlreichen besserverdienenden Kiez-Nachbarn Kreuzberg (oder auch Neukölln) verlassen hat, sobald die Kinder auf eigenen Beinen in die nahegelegene GRUNDSCHULE DER KURZEN WEGE FÜR ALLE KINDER! gehen müssten.
Schade. Ich wünsche mir weiterhin die gegenteilige Bewegung: Zuzug der selberverdienenden Familien mit Schulkindern zu uns nach Kreuzberg und Neukölln. Es ist doch alles ein soo wahnsinnig gut funktionierender Multi-Kulti-Kiez, nicht wahr?
Und dann ist’s auch schon vorbei mit meinem Bekenntnis: Ne mutlu Kreuzbergüm diyene! Ich erinnere daran: Mutlu heißt glücklich! O glücklich, wer sich Kreuzberger nennen darf!
Güner Balci gab als Grund für ihren Wegzug aus dem gut funktionierenden Multi-Kulti-Kiez Neukölln an: „Niemand opfert seine eigenen Kinder für die Integration.“ Sprach’s und zog weg von Neukölln nach Mitte.
Mitte entwickelt sich ebenso wie Prenzlauer Berg für Besser- und Selberverdiener mit Schulkindern immer mehr zur zugkräftigen Alternative zu den komplett entmischten oder sich weiter entmischenden Stadtvierteln Kreuzberg und Neukölln. Die taz bringt mit vollem Namen soeben ein weiteres gutes Beispiel dafür. Lest:
Bei einer sehr traurigen Veranstaltung in der Köthener Straße freute ich mich, auch einen berühmten Kreuzberger Politiker und Landtagsabgeordneten zu sehen, der bis vor kurzem in genau dem Einzugsbereich der staatlichen Grundschule wohnte, zu der auch ich gehöre und in die auch mein Kind und viele andere Kinder unseres gemeinsamen Kreuzberger Kiezes gingen. Wir hätten uns damals sicherlich begegnen können, wenn mein berühmter Kieznachbar zufällig grundschulpflichtige Kinder in dieselbe normale staatliche Pflichtschule unseres gemeinsamen Schul-Einzugsbereiches geschickt hätte. Denn ich unterstütze die Forderungen nach „Eine gemeinsame Grundschule für alle! Eine Grundschule der kurzen Wege!“ Es wäre toll, wenn ein Kreuzberger Abgeordneter des Berliner Landtags seinen Einfluss für unseren gemeinsamen Wohnkiez hätte geltend machen können. Denn die Fanny-Hensel-Grundschule ist eine der besten, wahrscheinlich sogar die beste Kreuzberger Grundschule, die ich kenne. Sorry, Charlotte-Salomon-Schule, sorry Glassbrenner-Schule, sorry Clara-Grunwald-Schule, ihr seid schon auch alle sehr gut!
Gefreut hat mich auch, dass Özcan Mutlu MdA endgültig und unwiderleglich aufräumt mit der Vorstellung, in Kreuzberg zögen nur Besserverdienende zu. Das Gegenteil ist mindestens ebenso richtig. Sehr viele besserverdienende Familien mit Kindern ziehen aus unserem gemeinsamen Einzugsbereich in Kreuzberg weg, sobald die Kinder das schulpflichtige Alter erreicht haben.
Viele Türken, Polen, Italiener sind froh, wenn sie unserer vielgerühmten Kreuzberger Mischung – oder besser Entmischung – entkommen können, sobald ihre Kinder das schulpflichtige Alter erreichen. „Das ist nicht Deutschland hier in Kreuzberg“, diese Klage habe ich sehr oft von Kreuzberger Polen, Arabern, Türken, Libanesen, Kurden gehört. Und dann sah ich sie sehr zu meinem Bedauern wegziehen. Zu Dutzenden!
Dass gerade jetzt vor kurzem auch der berühmte Abgeordnete aus unserem Kreuzberger Multi-Kulti-Kiez, aus unserer an sich wahnsinnig netten Gegend weggezogen ist, bedaure ich. Aber ich verstehe ihn ebenso wie all die anderen Türken, Kurden, Deutschen, Libanesen und Palästinenser, die vor ihm weggezogen sind.
Der Tagesspiegel berichtete die zutreffenden Aussagen meines ehemaligen Kreuzberger Kieznachbarn:
Ein paar Hausnummern weiter runter in der Straße hat bis vor wenigen Monaten der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu gewohnt. An sich eine nette Gegend, allerdings hat sie sich entmischt, sagt Mutlu. Familien mit etwas besseren Jobs seien weggezogen.
Es stimmt schon, was der Politiker der Grünen diagnostiziert: In Kreuzberg hat eine große Entmischung der Bevölkerung stattgefunden und geht auch noch weiter. Viele Besserverdiener ziehen weg.
Und jetzt liegt eine riesige schwarze Wolke über unseren Herzen.
Ich nahm gestern an der Gedenkveranstaltung für die ermordete Semanur S. teil und betrat erstmals seit Monaten wieder diesen Hof. Ich musste beim Betrachten des Fotos schmerzhaft entdecken, dass wir Semanur sowie auch zwei ihrer Kinder kannten. Wir erinnern uns an eine warmherzige, fürsorgliche Mutter, die viel für ihre Kinder unternahm, nach außen keineswegs abgeschlossen und unterwürfig auftrat.
Die Reden und die Stimmung, aber ebenso auch die Inschriften und die Laibchen mit der Aufschrift „
– Männer gegen Gewalt“ deuteten neben aller Betroffenheit und Trauer in eine Richtung: „es hat sich seit langem angekündigt“, „es wäre zu verhindern gewesen“ – „viele andere Frauen hier in Berlin sind ebenfalls mehr oder minder in dieser Lage – wir müssen uns zusammenschließen“.Kazim Erdogan sprach zu Recht die gemeinsame Verantwortung jedes Menschen für sich und für sein Umfeld an. Von einer psychischen Störung des Täters war kein Wort zu hören, weder von seiten des Redners noch von sonst jemandem. Der Tenor war eher: Männergewalt darf nicht mehr so stark im Alltag verwurzelt sein! Die Männer sollen der brutalen Gewalt über die Frauen, die sie mit Schlägen und Messern, mit Flüchen und Drohungen ausüben, abschwören.
Direkt in meiner Nachbarschaft reißt der Wahnsinn viele Kinder und Erwachsene in den Abgrund. Ein Ehemann ermordet seine Frau, zerstückelt die Leiche und wirft sie vom Dach des Hauses in den Hof. Ich kenne einige Familien aus der Siedlung, halte mich immer wieder mal dort auf und plaudere. Die Kinder wirken alle sehr aufgeweckt. Gewalt und Schläge der Männer sind selbstverständlicher Teil des Alltags für viele Kinder und Frauen im Viertel. Sozialarbeiter sind hier seit langem überfordert. Der Staat schaut weg, teilweise haben die meisten Politiker noch nicht einmal im Ansatz begriffen, wie die Zusammenhänge sind. Der Tagesspiegel, der direkt daneben residiert, berichtet nichts über seine Nachbarschaft, ebensowenig wie die andere gutbürgerliche Presse. 18 Monate lange hat einer meiner Söhne die Grundschule in diesem Kiez besucht. Dann meinten wir dies nicht mehr verantworten zu können. Die schöne Architektur aus den IBA-Zeiten erinnert an die würfelförmigen Kasbahs im Maghreb.
Gute Initiative – zu der nicht nur türkische Männer, sondern auch kurdische, deutsche, arabische, palästinensische und überhaupt Männer kommen sollten! Lies:
Kundgebung Türkische Männer protestieren gegen Gewalt und Barbarei
Nach dem barbarischen Mord eines Türkei stämmigen Mannes an seiner Ehefrau in der Nacht zum 04.06.2012 in Berlin-Kreuzberg ruft die Türkische Vätergruppe des Vereins Aufbruch Neukölln zu einer Kundgebung unter dem Motto Türkische Männer protestieren gegen Gewalt und Barbarei auf.
Redner: Kazim Erdogan
Ort: Köthener Str. 37, 10963 Berlin (Tatort)
Datum: 05.06.2012
Uhrzeit: 19.00 Uhr
Auf der Kundgebung werden T-Shirts mit der Aufschrift Männer gegen Gewalt verteilt.
Der arme Kreuzberger Blogger schloss sich heute einer Demo gegen Rassismus durch den Mehringdamm und die die Obentrautstraße an. „Was ist Rassismus?“, fragte ich eine Teilnehmerin vor dem Finanzamt Kreuzberg am Mehringdamm.
„Wenn man gegen Menschen etwas hat, nur weil sie anders sind, zum Beispiel weil sie eine andere Religion, andere Sprache, andere Hautfarbe haben.“
„Gut, dagegen bin ich auch!“, erwiderte ich. Ich bin in der Tat entschieden dagegen, dass man gegen Menschen etwas hat, nur weil sie anders sind, zum Beispiel weil sie eine andere Religion, andere Sprache, andere Hautfarbe haben!
Nun bog der Zug in die Obentrautstraße ein. Ich war neugierig, wollte mehr lernen und stellte eine zweite Frage zu dem bekannten Wandspruch im Aufgang eines Mietshauses in eben dieser Straße:
„Haltet ihr den Spruch „Yuppies raus“ für rassistisch?“
„O nein, hier geht es doch nur um den Kampf für ein lebenswertes Umfeld“, bekam ich zur Antwort. „Außerdem – wer legt fest, wer ein Yuppie ist? Du, ich, wir alle?“
„Und Juden raus? Ist das Rassismus? Und Němci ven – Deutsche raus? Und Ausländer raus? Sind das rassistische Äußerungen? “
Ich erhielt keine Antwort, der Zug zog weiter.
Mit meinen Fragen blieb ich alleine.
Da sprach mich ein älteres Ehepaar an: „Setz dich zu uns. Es hat keinen Sinn zu streiten.“
Das BMW Guggenheim Lab ist in Kreuzberg nicht erwünscht. Gewalt wurde angedroht, die Zukunftswerkstätte wird deshalb nicht nach Kreuzberg kommen.
„Der Name Guggenheim ist hier nicht erwünscht!“
Was mag wohl in jemandem vorgehen, der den traditionsreichen jüdischen Namen Guggenheim trägt, wenn er hier bei uns hier in Kreuzberg wieder das Gefühl bekommt: „Der Name Guggenheim ist hier nicht erwünscht!“
„Yuppies raus“, lese ich seit einigen Monaten breit und unübersehbar im Aufgang eines Kreuzberger Hauses. Rein grammatikalisch und lautlich klingt das fast genau so wie „Juden raus!“.
The writing is on the wall!
„Wer hier raus oder rein kommt, das bestimmen wir“, so sprachen damals die Nazis. Der Protest richtete sich damals wohlgemerkt vor allem gegen die Immobilienbranche und gegen die Banken.
„Wer hier raus oder rein kommt, das bestimmen wir“, so sprechen heute die Blockwarte der neuesten Machart und drohen mit Gewalt.
Auffallend auch die Ähnlichkeit in dem Spruch „Deutschland verrecke“, wie er in Friedrichshain unübersehbar auf einem Dach steht, und dem Spruch „Juda verrecke“, wie er in den dreißiger Jahren häufiger zu finden war.
Wie sagte Bert Brecht doch? „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Kreuzberg wird erneut ungastlicher, wird erneut freiheitsfeindlicher. Der gewaltbereite Mob versucht sich die Hoheit über den Stadtteil zu erkämpfen.
Leserkommentare – Protest in Kreuzberg: „BMW Guggenheim Lab“ unerwünscht – taz.de