Gemeinsame Aufmerksamkeit

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Juni 232011
 

Gemeinsame Aufmerksamkeit – unter diesem Ausdruck beschreibt Michael Tomasello etwas fundamental Neues, das die Säuglinge im Alter von etwa 9-12 Monaten zu entwickeln beginnen: die Fähigkeit des Menschen, über längere Zeit hinweg mit anderen Menschen ein gemeinsames Objekt des Merkens, des Hinschauens, des Zeigens und Beobachtens zu verfolgen. Durch Gebärden, durch Bewegungen und Zeigehandlungen stellen Babies lange lange vor der Entwicklung von Sprache mehr oder minder dauerhafte Beziehungen zu anderen Menschen her. So kann ein Kind durch Zeigen oder Berühren einer Rassel den Erwachsenen dazu veranlassen, ihm diesen Gegenstand zu reichen. Das Kind „zeigt“ dem Erwachsenen die Rassel. Nur dem Menschen eignet diese Fähigkeit!

Michael Tomasello: Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition. Aus dem Englischen von Jürgen Schäfer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, hier S. 84-94

Ich füge hinzu:

Diese Fähigkeit muss durch Erziehung nach und nach über lange Monate und Jahre gepflegt und ausgebaut werden. Tausenderlei Objekte können den älteren Menschen als Brücken dieser gemeinsamen Aufmerksamkeit dienen: gemeinsames Singen eines Volksliedes ebenso wie das gemeinsame Betrachten der Bewegungen einer lederummantelten Gummiblase (adulte Exemplare der Art Homo sapiens nennen es: „ein Fußballspiel“), das gemeinsame Rechnen ebenso wie das Bergwandern.

Es handelt sich bei all diesen Ereignissen nicht um sprachähnliche oder sprachvermittelte kulturelle Tätigkeiten, wie man im Zuge der Wendung zur Sprache ab etwa 1970 glaubte, sondern um originär auftretende, Gemeinsamkeit stiftende Haltungen oder besser „Verhaltungen“ des Menschen, die ihn bereits vor dem Erwerb von Sprache zu einem sozialen Wesen werden lassen.

Die Aufmerksamkeit dauerhaft gemeinsam auf etwas richten  – dies scheint etwas zu sein, was den Menschen doch recht deutlich von anderen Tierarten abhebt.

Wenn dem Kind in den ersten Jahren zu wenig Gelegenheiten gemeinsamer Aufmerksamkeit geboten werden, verkümmern seine sozialen Fähigkeiten. So erklärt es sich, wenn Berliner Grundschullehrer immer wieder klagen: „Dieses Kind kann sich nicht konzentrieren. Sein Geist gleitet gewissermaßen stets ab. Es kann die Augen nicht auf eine Zeile im Heft richten. Es kann nicht länger als wenige Sekunden zuhören.“

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Juni 202011
 

… so hoch da droben?“ Sehr schöner Artikel  über die Forstakademie Tharandt heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 9! Unbedingt lesenswert! Herrliches Bild „Einsamer Baum“ von Caspar David Friedrich! Online leider nicht abrufbar, Kauf der Druckausgabe lohnt sich aber.

Burkhard Müller greift unter dem Titel „Die Schönheit des Waldbaus“ in seinem Bericht über 200 Jahre „Forstakademie Tharandt“ die zentralen Themen der deutschen Forstwirtschaft auf: Nachhaltigkeit, Biodiversität, Monokultur, Naturschutz, behutsame Walderneuerung.

Joseph von Eichendorff dichtete in genau jenen Jahren eins der ersten Wald-Lobpreis-Gedichte – Hunderte andere von Dutzenden anderen Dichtern werden dann folgen! Felix Mendelssohn Bartholdy, der im tiefsten Geschoß, 500 Meter von meinem Kreuzberger Ansitz, ruht, hat das großartige Nachhaltigkeitsgedicht 1841 in Melodie gesetzt.

Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport – sueddeutsche.de

Die Jahre um 1810 sind die Gründerjahre des forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeitsgedankens!  Von Tharandt aus trat das Leitbild der nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen seinen Siegeszug an – bis nach Cuba, Vietnam, Litauen, Russland, Polen – ja sogar in den Mittelmeerraum.

Bild: Einsamer Baum im Havelland, aufgenommen im Jahr 2007.

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Juni 142011
 

Spät abends las ich gestern noch den Artikel habicht in Grimms Wörterbuch. Sehr anregend. Der Habicht hat den Menschen immer schon inspiriert. Adler, Habicht und Fischadler durfte das alte Israel nicht essen, sie galten als unrein – in der Übersetzung Luthers sagt Moses:

 und dis solt ir schewen unter den vogeln, das irs nicht esset, den adeler, den habicht, den fischar. 3 Mos. 11, 13

Alte Regeln! Spannend für die Geschlechterdebatte der heutigen Zeit dürfte folgender Umstand sein, den die Gebrüder Grimm berichten:

Der umstand, dasz das habichtsmännchen kleiner ist als das habichtsweibchen, läszt für das erstere eine diminutivform zur anwendung kommen: si haltend in irer grösse gegen andern thieren das widerspil, also, das männle ist das kleiner und wird genennt das häbchle, das weible aber ist vil grösser und sterker dann das männle, das wirt genennt der habich

Der weibliche Habicht wurde also der Habicht genannt, der männliche Habicht wurde das Häbchle (oder Häbchen) bezeichnet! Gender Crossing avant la lettre!

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Mai 312011
 

Kaum jemand weiß es, aber den klimaschützerischen Grünen müsste es wenigstens bekannt sein: Seit 1970 hat sich die durchschnittliche Wohnfläche, die jedem Bundesbürger zur Verfügung steht, verdoppelt. Und Gebäudeheizung verursacht etwa 35-40% der Treibhausgase. Wäre es da nicht eine gute Idee, die Menschen zum freiwilligen Verzicht auf Wohnraum aufzufordern?  Ebenso wie ich sie seit Jahren zum Umsteigen vom Auto auf das Fahrrad und den ÖPNV auffordere?

Nicht der Verkehr, sondern das Wohnen, Heizen und Kochen hinterlässt den größten CO2-Abdruck!

Am klimaschädlichsten sind ja zweifellos die um sich greifenden Einpersonenhaushalte. Die Versingelung der Berliner Gesellschaft schreitet voran, sie liegt jetzt bei 55% aller Haushalte. Selbst der Regierende Bürgermeister fordert, das Land solle neue Ein-Personen-Wohnungen für Studenten bauen und anbieten. Nun, früher wohnte man „zur Untermiete“. Ich selbst fing mein Studentendasein an der FU als Untermieter einer Witwe an, die ihre Zehlendorfer 4-Zimmer-Wohnung auch durch das Vermieten zweier Zimmer an Studenten finanzierte.

Der Klimaeffekt  der Untermieter ist minimal, weil die Grundheizung der Wohnung sowieso erfolgt.

Später merkte ich, dass ich für weniger Geld im Subventionsparadies West-Berlin eine 1-Zimmer-Wohnung mieten und bewohnen konnte. So zog ich in die Hornstraße in Kreuzberg – nur einen Steinwurf von meinem jetzigen Wohnort entfernt. Ich zahlte 56 DM kalt und schippte Kohlen in den Kachelofen. Die Außentoilette im Treppenhaus und das Fehlen einer Dusche störten mich nicht.

Meine Klimabilanz verschlechterte sich allerdings, denn nun trug ich über den Kachelofen zur Feinstaubbelastung der Luft und zur Freisetzung schädlichen Kohlendioxids viel mehr bei als vorher. Das dank der eigenen Mietwohnung eingesparte Geld kratzte ich zusammen und leistete mir einen 10 Jahre alten Ford Escort, den ich für 1000 DM bei einem Autohändler am Südstern kaufte. Eine Stelle als studentische Hilfskraft an der FU ermöglichte mir einen Lebensstil, von dem ich früher nur hätte träumen können – auch dank der Berlin-Zulage.

Ich war reich, denn ich hatte eine eigene Mietwohnung, ein Auto und jede Menge Spaß! Ich hatte damals mehr Geld in der Tasche als heute ein türkischer Arbeiter mit seinem gesetzlichen Mindestlohn!

Und heute? In manchen Bezirken der Stadt Berlin stehen riesige Flächen innerhalb der Wohnungen und Häuser leer, es gibt enorm viel ungenutzten Platz in den Wohnungen, den die Menschen teilen könnten. Das Geschrei über Mietsteigerungen und „Vertreibungen“ ist groß und grotesk, dabei stehen in Berlin sehr viele Zimmer leer. In den Plattenbausiedlungen etwa in Marzahn kümmern oftmals 30% aller Wohnungen leer vor sich hin! Ich finde: Da sollten die Leute rein, ehe weitere kostbare grüne Flächen durch 1-Zimmer-Appartments verbaut und verbraucht werden.

Dem Klimaschutz tut’s gut. Holt euch den Wohnraum zurück, Berlinerinnen und Berliner!

Bild: Sumpfe und Moore sind natürliche CO2-Senken! Hier ein Bild von einer Radttour aus dem Fläming.

Klimaschutz – Wowereit warnt vor zu starker Belastung von Mietern – Berlin Aktuell – Berliner Morgenpost – Berlin

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Auf verwachsenen Pfaden: der Satz des Anaximander

 Anaximander, Griechisches, Klimawandel, Natur, Ökologie, Ostern, Philosophie, Störfaktor Mensch  Kommentare deaktiviert für Auf verwachsenen Pfaden: der Satz des Anaximander
Apr. 282011
 

„Durch den Tod zahlen die Menschen die Schuld, die sie durch Ressourcenverbrauch eingegangen sind, an die Natur zurück. Und der naturnahe Wald ist die CO2-Senke, die Grabsenke, das Zu-Grunde-Gehen des Störfaktors Mensch!“

So deuteten wir vor wenigen Tagen die Philosophie, die hinter dem RuheForst Nauen steht. Schon beim Schreiben fiel mir auf, wie nahe diese Formulierung dem ältesten Fragment der europäischen Philosophie steht – Zufall? Nein, ich glaube dies nicht. Die Fahrten in den Wald führten über Ostern ins Uralt-Halbvergessene, auf Holzwege – und Holz lautet ein alter Name für Wald. Diese Wege enden im Unbegangenen, das eben weil es unbegangen scheint, so plötzlich ins Unverborgene tritt. Der älteste erhaltene Satz der europäischen Philosophie lautet:

ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών· διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν

Wir übersetzen:

Woher den Seienden  ihre Entstehung ist, in dieses hinein entsteht auch das Verderben. Denn sie geben einander Strafe und Ablösung des Unrechts gemäß der Aufreihung der Zeit.

Modernes ökologisches Bewusstsein sieht  die Menschen, die „Seienden“ im herausgehobenen Sinne, als unrechtbegehende Ressourcenverbraucher, die einander die Schuldigkeit ablösen müssen gemäß der Ordnung der Zeitverläufe. Es gibt also keine Erlösung für den Menschen von außen her oder durch eigene Bemühung, sondern nur das Zugrundegehen in den Ursprung. Zyklisches Bewusstsein!

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Feb. 202011
 

20022011365.jpg Heute staunte ich mehrfach in Waldsieversdorf! Dieses 1000-Seelen-Dorf kann viele berühmte Söhne sein eigen nennen: John Heartfield, dieser unerschrockene Vorkämpfer gegen den Faschismus, der vieles von dem kommenden Grauen vorausahnte, der die Collage als erster in die politische Plakatkunst einführte – er stammt aus diesem Flecken in der Märkischen Schweiz! Heute wandelten wir auf seinen Pfaden – auf dem John-Heartfield-Weg am Ufer des zugefrorenen großen Däbersees.

Der Wirt unseres Quartiers legte aber noch nach: „Aus unserem Dorf stammt auch der Mann mit dem schwarzen Koffer, den wir im Osten alle kannten.“ „Alexander Schalck-Golodkowski – stammt wirklich aus dieser Idylle?“, frug ich zurück. Ich war bass erstaunt. „Sie sind offenbar ein Ostdeutscher, aber wenn Westdeutsche kommen, sagt ihnen der Spitzname nichts“, klärte mich der Wirt auf. „Ja ja, der Schalck-Golodkowski …“ sinnierte ich.

„Und auch Lord Dahrendorf stammt aus unserem Dorf … er ging hier zur Schule“, legte der Wirt noch einmal nach. Potz! Der liberale Vordenker, Soziologe in London, hochverdientes  Mitglied der FDP… Ich jubelte fast in Freude über diesen Ort. Dann besann mich auf einen Gegenzug: „Ich stamme aus der Vaterstadt des Dichters, der oft schützend seine Hand über Heartfield hielt und ihn vor dem kleingeistigen Kritteln der SED in Schutz nahm!“ Und dieser Dichter hatte sein Domizil im nahegelegenen Buckow.

20022011372.jpg

Staunen erregten in mir auch die umfassenden Deichbau-Vorbereitungsarbeiten der Biber. Allerdings empfinden die Menschen die Tatkraft der Biber schon als fast überhandnehmend. Hier werden ganze See-Arme abgezweigt, geflutet, Biber-Neubaugebiete werden durch die Biber ohne Rücksprache mit der Behörde ausgewiesen, Bäume werden ohne Genehmigung zum Umfallen vorbereitet. Große Kunst – aber alles ohne Genehmigung! Undeutsch.

Toller, klirrend kalter  Tag in dem Dorf. Die Menschen begegneten uns sehr offen, erzählten gern und freigebig von ihrer Heimat.

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Feb. 142011
 

Kleiner Nachtrag: Der Stimmzettel des gestrigen Volksentscheides enthielt tatsächlich 2 offenkundige Rechtschreibfehler.  Allerdings wäre die Schreibung „offen legen“ von 1991-2006 möglich gewesen. Lächerlich, dass man sich noch in der Wahlkabine Gedanken über die deutsche Rechtschreib-Reformunfähigkeit machen musste! Wie viele der Nein-Stimmen sind wohl durch die Rechtschreibfehler verursacht worden, etwa im Sinne: „Die können ja nicht mal richtig Deutsch schreiben!“? Ich glaube: keine. Denn mittlerweile kennt sich niemand mehr so recht mit der deutschen Rechtschreibung aus.

Was tut’s. Der Volksentscheid ist ein Erfolg. Darin drückt sich vor allem ein gewaltiges Misstrauen des Volkes gegenüber den Berliner Landesregierungen, einschließlich des amtierenden rot-roten Senats aus. Für ihn, aber nicht nur für ihn, ist es eine Klatsche. Ich werte es als eine Klatsche für die Berliner Landesregierungen der vergangenen Jahrzehnte.

Mal sehen, was jetzt alles zutage kommt! Der Blogger ist gespannt. Die taz hat schon mal mitten in der Nacht vorgelegt, als sie enthüllte, dass der Senator Harald Wolf sich für weit höhere Wasserpreise ausgesprochen hatte. Sebastian Heiser berichtete nämlich in der Online-Ausgabe der tageszeitung, der Linken-Politiker habe weit höhere Wasserpreise durchsetzen wollen als schließlich vereinbart worden seien.

Na, wenn die Grünen einen hohen Benzinpreis wollen, dann dürfen die Linken aber auch einen hohen Wasserpreis fordern. Nur sagen sollte man es.

Aus ökologischer Sicht ist Wasser immer noch wahnsinnig billig. 1000 Liter allerbestes Trinkwasser für unter 20 Euro! Davon können die Araber und Sudanesen nur träumen!

Mir fällt dazu einer meiner Lieblingsreporter ein, nämlich Herodot. Er schrieb: „Was ihnen zu tun verboten ist, dürfen sie auch nicht aussprechen. Das Entehrendste ist bei ihnen das Lügen. An zweiter Stelle steht das Schuldenmachen, dies aus vielen Gründen, namentlich aber, weil ihrer Meinung nach ein Schuldner notwendig in die Lage kommt zu lügen.“ Historien I, 138.

korrekturen.de | Wortliste: offenlegen / offen legen

Herodot: Historien. Deutsche Gesamtausgabe. Alfred Kröner Verlag, 4. Auflage, Stuttgart 1971, S. 69

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„Das Eismeer der Stille“

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Dez. 202010
 

Stifters Bergkristall erinnert mich an das eine oder andere Bild von Caspar David Friedrich, so etwa „Das Eismeer“ oder „Winterlandschaft mit Kirche“. Gibt es unter uns Deutschen noch Menschen, die Stifters durch und durch bildnerische Prosa mit den Ohren lesen können? Gibt es noch Menschen, die die Schönheit der deutschen Sprache mit allen Sinnen aufsaugen?  Gibt es noch Lehrer, die es wagen, ihre Schüler mit dem Erlebnis der Stille zu beeindrucken?

Ja. Ich weiß es. Zu den besten Erlebnissen unserer Elternkarriere an einer Kreuzberger Grundschule zähle ich es, als die Schulleiterin bei einem unserer Konzerte die Kinder aufforderte, einen Augenblick innezuhalten und die Stille zu hören – und … es gelang!

Hört hier einen solchen Augenblick bei Adalbert Stifter:

Aber es war rings um sie nichts als das blendende Weiß, überall das Weiß, das aber selber nur einen immer kleineren Kreis um sie zog und dann in einen lichten, streifenweise niederfallenden Nebel überging, der jedes Weitere verzehrte und verhüllte Und zuletzt nichts anderes war als der unersättlich niederfallende Schnee.

„Warte, Sanna“, sagte der Knabe, „wir wollen ein wenig stehen bleiben und horchen, ob wir nicht etwas hören können, was sich im Tale meldet, sei es nun ein Hund oder eine Glocke oder die Mühle, oder sei es ein Ruf, der sich hören läßt, hören müssen wir etwas, und dann werden wir wissen, wohin wir zu gehen haben.“

Sie blieben nun stehen, aber sie hörten nichts. Sie blieben noch ein wenig länger stehen, aber es meldete sich nichts, es war nicht ein einziger Laut, auch nicht der leiseste außer ihrem Atem zu vernehmen, ja in der Stille, die herrschte, war es, als sollten sie den Schnee hören, der auf ihre Wimpern fiel. Die Voraussage der Großmutter hatte sich noch immer nicht erfüllt, der Wind war nicht gekommen, ja was in diesen Gegenden selten ist, nicht das leiseste Lüftchen rührte sich an dem ganzen Himmel.

Es genügt, sich einige weitere dieser Gemälde vor Augen zu führen, und man wird die kantige, die grobkörnige Sprachmusik Adalbert Stifters buchstäblich vor den Augen emporwachsen sehen. Hört etwa folgende Stelle:

Projekt Gutenberg-DE
So weit die Augen der Kinder reichen konnten, war lauter Eis. Es standen Spitzen und Unebenheiten und Schollen empor wie lauter furchtbares, überschneites Eis. Statt ein Wall zu sein, über den man hinübergehen könnte und der dann wieder von Schnee abgelöst wurde, wie sie sich unten dachten, stiegen aus der Wölbung neue Wände von Eis empor, geborsten und geklüftet, mit unzähligen blauen geschlängelten Linien versehen, und hinter ihnen waren wieder solche Wände, und hinter diesen wieder solche, bis der Schneefall das Weitere mit seinem Grau verdeckte. „Sanna, da können wir nicht gehen“, sagte der Knabe.

„Nein“, antwortete die Schwester.

„Da werden wir wieder umkehren und anderswo hinabzukommen suchen.“

„Ja, Konrad.“

Die Kinder versuchten nun von dem Eiswalle wieder da hinabzukommen, wo sie hinaufgeklettert waren, aber sie kamen nicht hinab. Es war lauter Eis, als hätten sie die Richtung, in der sie gekommen waren, verfehlt.

Wer so etwas miterlebt hat, der wird den Glauben an unsere Kinder immer wieder finden.

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Dez. 152010
 

21082010016.jpg Beim fröhlichen Heimradeln von der ADFC-Stadtteilgruppensitzung ziehe ich – hoch auf der Oberbaumbrücke umherschauend – noch einmal Bilanz meiner gestrigen Recherche zum Thema BBI, Flugrouten, Klimapolitik, Umweltpolitik, E-Mobilität. Hier ein paar Befunde:

1) Klimapolitisch am günstigsten ist derzeit auf der Langstrecke der Verkehr mit modernen, gut ausgelasteten Reisebussen. Danach kommt das Fahren mit der Eisenbahn. Dann der PKW. Am schlechtesten ist die Klimabilanz beim Fliegen.

2) Auf der Kurzstrecke ist das Zu-Fuß-Gehen klimapolitisch am günstigsten, unmittelbar gefolgt vom Fahrrad. Danach kommen Busse und Bahnen. Weit danach kommen die PKW.

3) Die heute üblichen Dieselautos haben eine bessere CO2-Bilanz als die heute üblichen Elektro-Autos und als die heute üblichen Hybrid-Fahrzeuge. Dies wird auch auf einige Jahre so bleiben.

4) Der jetzige Erzeugungsmix bei Strom (Kohle, Gas, AKW, erneuerbare)  setzt umweltpolitisch den Diesel-PKW gegenüber dem Elektro-Auto in den Vorteil. Würde man die AKWs sofort abschalten, fiele die Klimabilanz des Diesel-PKWs gegenüber dem Elektro-Auto noch eindeutiger zugunsten des Verbrenner-Autos aus.

5) Klimapolitisch am vorteilhaftesten wird Strom derzeit erzeugt durch alte, abgeschriebene AKWs, die zudem bei den Gestehungskosten buchhalterisch mit großen Abstand die Nase vorn haben. Klimapolitisch sinnvoll ist die längstmögliche Ausnutzung von Restlaufzeiten der AKWs, soweit die Sicherheit der Anlagen nach menschlichem Ermessen zu verantworten ist. Die Endlagerungsfrage bleibt ungelöst, deshalb wird die Atomkraft mutmaßlich nach und nach auslaufen.

6) Klimapolitisch sinnvoll ist eine möglichst reibungslose Entsorgung und Zwischenlagerung verbrauchter Brennelemente.

7)  Klimapolitisch sinnvoll ist der möglichst direkte Anflug auf BBI auf zwei Routen, wobei das Abknicken der beiden Routen wegen der Sicherheitsanforderungen unumgänglich ist.

8) BBI muss unbedingt im geplanten Umfang gebaut werden. Flugroutendebatte hat nichts mit dem eigentlichen Bau zu tun. Riesenfehler von Künast ist es, die beiden Dinge zu vermengen.

9) Die Flugroutendebatte muss als Zielkonflikt zwischen den widerstrebenden Interessen der lokalen Anwohner, des Umweltschutzes, der Wirtschaftlichkeit, des Klimaschutzes, der Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg insgesamt gesehen werden. Politische Kunst wäre es gewesen, dies von Anfang an offen zu benennen und zu „moderieren“. Nur: Gemacht hat es keiner.

10) Falsch ist es, wenn Politikerinnen wie etwa Künast und viele andere Spitzengrüne einfach „aufspringen“ und auf der Woge des Protests „surfen“. Nicht „surfen„, nicht aussitzen, sondern hin- und herjoggen zwischen vermeintlich unvereinbaren Endpunkten lautet das Gebot der Stunde! Das macht Wowereit immerhin schon etwas besser – er knickt nicht gleich ein bei wichtigen Themen der Stadtentwicklung wie Stadtring oder BBI, sondern „sitzt zunächst einmal alles aus“.

11) Wie im Großen – so auch im Kleinen.  Umbau von Straßen (Kastanienallee, Warschauer Straße usw.) ist im Grunde auch nichts anderes als das Austarieren unterschiedlicher, zunächst einmal berechtigter Interessen. Hier kommt es auf politische Klugheit, Einsicht und Führung an.

Bild: Klimapolitisch astreine Aktivitäten: die Startbahn des BBI.  Aufgenommen durch den locker mitjoggenden Blogger  am 21.08.2010

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Dez. 142010
 

Der Tagesspiegel berichtet soeben:

Auch beim neuen Hauptstadtflughafen „Berlin-Brandenburg International“ (BBI) regt sich nun massiver Widerstand. Davon wollen die Hauptstadt-Grünen, die mit Renate Künast bei den Berlin-Wahlen 2011 die Chance sehen, erstmals eine Regierende Bürgermeisterin zu stellen, profitieren.“Lärmschutz geht vor Wirtschaftlichkeit“, sagte die grüne Spitzenkandidatin gestern dem Handelsblatt.

Lärmschutz geht vor Wirtschaftlichkeit!“ Unter diesem Motto kämpft Renate Künast nunmehr für die Umwidmung des neuen Berliner Flughafens BBI in einen Regional- und Europa-Flughafen. Ja, schlaft gut, Bürger.

Bei gleichbleibenden Mobilitätsbedürfnissen würde dies bedeuten, dass mehr Kilometer auf der Straße und der Schiene, weniger in der Luft zurückgelegt werden. Denn wenn man von Berlin aus nur in die nahegelegenen europäischen Städte gelangt, muss man eben für die Fernflüge mit Bahn oder Elektro-Auto nach Frankfurt oder München reisen. Und wie fährt der ICE und das E-Auto (im Gegensatz zu Flugzeugen)? Mit Strom! Und woher kommt der Strom? Zu 23% aus Atomkraft! Die Grundlast wird sogar zu einem viel höheren Anteil aus Atomstrom gedeckt. Mehr ICE-Verkehr oder E-Mobilität bedeutet also kurzfristig (bis 2016) in jedem Fall mehr Atomstrom. Also fördert Renate Künast in ihrem laufenden Wahlkampf die Abhängigkeit vom Atomstrom.

5000 Euro Staatsknete für jedes Elektroauto!„, fordert Renate Künast im Interview mit der BZ (Jahr: 2010). Ist also die E-Mobilität die Lösung für Berlins Verkehrsprobleme? Ich würde sagen: Wenn es wenigstens  E-Fahrräder wären! Leiser sind die Motoren der E-Autos in jedem Fall als die Explosionsmotoren der PKW. Lärmschutz geht vor Wirtschaftlichkeit! Schlaft ruhig, Bürger!

Dennoch sind E-Autos in höchstem Maße umweltbelastend. Nicht nur bei uns, sondern mehr noch in Süd-Amerika, wo unter unzumutbaren sozialen Bedingungen mehr als die Hälfte des teuren Lithiums abgebaut wird, das für die Batterien gebraucht wird.

Nachdem dieses Blog auf diese Zusammenhänge wiederholt hingewiesen hatte, etwa am 20.04.2010, tut dies nunmehr auch der BUND. Er weist klar nach, dass Elektromobilität als solche nur unter eng umschriebenen Bedingungen eine bessere Umweltbilanz aufweist als Erdöl-Mobilität. Diese Bedingungen sind in Deutschland einfach nicht gegeben!

Elektromobilität – BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland

Ich bleibe dabei:  Mindestens bis zum Jahr 2016 bedeutet die von Renate Künast geforderte Verlagerung der Verkehre von der Luft auf den Boden, die geforderte Verlagerung hin zu zu mehr Verkehr am Boden, zu mehr E-Mobilität eine erhöhte Umweltbelastung durch Atomkraft.

Man kann also mit Fug und Recht sagen: Renate Künast fördert die Atomkraft.

Grüne im Lande! UmweltschützerInnen und Ökofuzzis! Wohin fliegt Renate Künast?  Holt sie zurück! Ihr dürft sie nicht so alleine fliegen lassen!

Grüne, bitte umsteuern! Wart ihr nicht eine Umweltpartei?

Bildnachweis: Eigenkraftfahrzeug des Bloggers, aufgenommen heute. Copyright: Johannes Hampels Blog

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„Kirche der Angst“

 Angst, Grünes Gedankengut, Leviathan, Natur  Kommentare deaktiviert für „Kirche der Angst“
Nov. 072010
 

Christoph Schlingensief, mit dem ich noch kurz vor seinem Tod ein letztes Mal zusammentraf,  prägte den genialen Ausdruck „Kirche der Angst“. In der Tat, wenn eine Gemeinde nichts Positives vorzuweisen hat, wenn sie nicht weiß, wofür sie arbeiten und wirken soll, dann wählt sie sich ein Gegenüber, das dann mit allen Kräften verteufelt wird.

Das verteufelte Gegenüber kann eine Menschengruppe sein, eine Religion, eine Technik. Das Angstmachende kann aber auch die befürchtete Verschmutzung und Verletzung der Natur sein.

So erschlugen die Germanen die fremdländischen Missionare, die Hand an die Reinheit der Bäume legten.

Man kann dann, geeint durch die Angst vor einem schier übermächtigen Gegner, für die „Reinheit des Volkes“, die „Reinheit der Natur“, die „Reinheit der Kultur“ kämpfen.

Man kämpft im Namen der Millionen Jahre, zu deren Hüter man sich berufen fühlt. Man greift auf das Schicksal vor: „Was wäre, wenn …“ Man spielt selbst Schicksal! Da man Sachwalter des Schicksals ist, braucht man keinerlei Rücksichten auf die staatliche Ordnung zu nehmen.

Was diese Gemeinden zusammenbindet, ist die Selbstermächtigung: „Was Reinheit und Sicherheit ist, das bestimmen wir! Wir brauchen uns an kein Recht und kein Gesetz zu halten.“

Die Berufung auf eine beschworene Natur, auf eine vor- und überstaatliche Gemeinschaft, verleiht Riesenkräfte. Man fordert den Leviathan heraus.


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Sep. 272010
 

Der Deutsche (inklusive des hier schreibenden Bloggers) liebt alte Bäume. Siehe die Verehrung für Wotans-Eichen in Niedersachsen, Tassilo-Linden in Wessobrunn, 150 uralte Bäume in Stuttgart und 30 uralte Bäume am Landwehrkanal in Kreuzberg.

Junge Kinder liebt der Deutsche schon weniger, siehe die ständigen Klagen wegen Kinder-„Lärms“ vor den deutschen Amtsgerichten.

So gibt es viele Baumschutziniativen, aber merkwürdigerweise keine Initiativen, die mehr Kinder in der Stadt und auf dem Land sehen wollen.

Und es gibt fast keine Klagen vor Amtsgerichten gegen alte Bäume und deren mitunter unerträglichen Schattenwurf und Pollenauswurf, gegen deren Brausen und Wehen, deren Ästeklappern und Laubrascheln.

Marsbewohner würden nach kurzem Aufenthalt auf der Erde denken:

Der Baum, also die Natur steht im Mittelpunkt der Politik.

Ohne die Verehrung für Schönheit und Reinheit der Natur ist weder der altgermanische Baumkult, weder die deutsche Jugendbewegung, weder der Wandervogel, die bündische Jugend noch all das sonstige Jungvolk des 20. Jahrhunderts erklärbar – bis hin zu den heutigen konfessionellen Atomkraftgegnern, denen die Reinheit und Unversehrtheit der Natur ebenfalls über vieles geht.

„Offenheit und Haltung“ – so der Spruch einer Kandidatin in Wien – die selbstverständlich an einen alten Baum gelehnt abgelichtet wird. Sympathisch, nett, offen, gewinnend.

Wer Bäume liebt, kann kein böser Mensch sein! Auch ich – mag alte Bäume.

Ein alter Baum auf einem Plakat – da lacht das Herz des Deutschen und des Österreichers auch. Und das Herz der Österreicherin auch.

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Juli 192010
 

19072010013.jpg Nach dem Rad-Training für den am Wochenende bevorstehenden Dresden Race Day, das ich heute auf dem Flughafen Tempelhof absolvierte, erfrischte ich mich im benachbarten Columbiabad. Die einseitige Bevorzugung des Prinzenbades muss ich hiermit widerrufen: Das Columbiabad ist noch gefälliger angelegt, insbesondere die Liegewiesen sind dank in den Boden versenkter stationärer Sprinkler durch üppiges, kräftig sprießendes Grün beteppicht. Da können wir Kreuzberg schwerlich mithalten, selbst wenn die mediale Aufmerksamkeit im Augenblick gleichermaßen auf Columbiabad und Prinzenbad niederprasselt.

Ich konnte mich nicht sattsehen an dem Streifzug eines Falken, der nur wenige Meter von mir entfernt aufsetzte, seinen Ruf erschallen ließ und dann mehrfach von Baum zu Baum schweifte. Einmal kamen wir uns auf 3 Meter nahe, blickten einander in die Augen! Was für eine Begegnung! – Das angehängte Video kann nur einen schwachen Eindruck vermitteln.

Ein Neuköllner Bürger sprach mich an, wir unterhielten uns ausführlich über das Bad: Es ist meist eher schwach besucht, nur am Wochenende wird es sehr voll. Die Falken lassen sich immer wieder hier blicken, aber so nahe wie heute hatte der Badegast, ein freundlicher älterer Herr, sie bisher nie zu Gesicht bekommen. Die Falken erleben das Bad wohl als geschützten Ort, in dem häufig Futter ohne räuberisches Beuteverhalten zu ergattern ist.

YouTube – Der Falke.mp4

 Posted by at 22:32