März 132010
 

„Er war verloren und ist wiedergefunden worden“, so heißt es in der alten, ewig jungen Geschichte vom verlorenen Sohn. „Jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern.“

Wenn ich es recht bedenke, müsste diese Geschichte heute ebenso sehr auch als die „Geschichte vom verlorenen Vater“ erzählt werden. Wieviele Söhne und Töchter berichten mir davon, dass sie ihren Vater nie so recht gekannt, nie so recht gefunden hätten. Es ist, als hätte sich die Gestalt des Vaters verflüchtigt und müsste erst mühsam wiedergefunden werden. Der Vater – muss wiederkommen.

Die schönste Fassung dieser Geschichte von der Wiederkehr des Vaters bietet in meinen Augen Giani Stuparich, ein 1891 in Triest geborener, Italienisch schreibender Autor. Erst vor wenigen Tagen las ich seine Erzählung  „Il ritorno del padre – Die Wiederkehr des Vaters“. Ich kenne keinen anderen Autor, dem es so gut gelänge, dem zuhause verlassenen Sohn wie auch dem in der Welt verlorenen Vater Mitgefühl und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!

Der Vater – das ist ein Hallodri und Kneipengänger, ein Herumtreiber – so stellen ihn die Verwandten dar. Der Sohn stellt ihn sich ganz anders vor. Er meint: „Die allermeisten Verurteilungen verwandelten sich in Lobpreisungen.“  Der Vater ist stark, verständnisvoll, erfolgreich, warmherzig. So soll er zumindest sein in den Phantasien des Sohnes.

Und dann beschreibt Stuparich genau, was bei einer tatsächlichen Begegnung in Vater und Sohn vorgeht. Dieses Hin- und Herschwanken, diese Furchtsamkeit, sich auf einen anderen Menschen einzulassen! In der Begegnung mit dem kleinen Sohn erfährt der Vater seine eigene Schwäche und Verletzlichkeit. Er wehrt sich dagegen. Er möchte einfach so gehen, obwohl der Sohn gerade davor große Angst hat.

Dann bleibt er doch. Mit dem Rauch einer Zigarette bläst der Vater zum Schluss dem Sohn buchstäblich den Ruch des großen Lebens ein – im ausgetauschten Atmen ergibt sich etwas, woran so viele Vater-Sohn-Geschichten ein Leben lang sich vergeblich abmühen: die Versöhnung. Angeleitet von diesem „zarten lebendigen Gewicht, das sich in seine Brust hinabließ wie ein Anker in die beruhigt schimmernden Fluten eines stillen Hafens“, oder im Original:

Negli occhi aperti del padre passavano le luci di nuovi sentimenti, che davano alla sua faccia un’espressione di dolorante bontà. Erano stati sotto, in fondo al suo cuore quei sentimenti, repressi e soffocati da altre passioni: ora tornavano a galla, richiamati da quel dolce e vivo peso, che scendeva dentro il suo petto come un’àncora nelle acque riposate e limpide d’un porto in calma.

Ich empfehle diese meisterhafte Erzählung allen Töchtern und Söhnen, die bisher auf die Heimkehr des Vaters vergeblich gewartet haben.

Leseempfehlung: Giani Stuparich, Il ritorno del padre e altri racconti. Con una nota di Arrigo Stara. Verlag Giulio Einaudi, Turin 1961 und 1989, hier S. 18

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März 092010
 

bb_fh-kb_2009-2010_gross.jpg Gestern wagten wir uns mit „Werten“ nach vorne, die es den jungen Leuten zu vermitteln gelte.  „Bisogna ridare valori ai giovani“, so zitierten wir eine italienische Politikerin heute, die früher als Kommunistin bei der KPI kämpfte.

Lernwille, Verantwortung, Toleranz, Höflichkeit. Diese vier Erwartungen hegt die August-Sander-Schule in bezug auf ihre Schüler/innen. Interessante Anzeige in der neuen amtlichen Bezirksbroschüre Friedrichshain-Kreuzberg! Die Schule erwartet also diese vier Eigenschaften, ohne die offenkundig ein sinnvolles Lernen nicht möglich ist. Wir zitieren in der Langfassung:

Erwartungen an unsere Schüler/innen

  • Willen zum Lernen
  • Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen
  • Toleranz im Umgang miteinander
  • Höflichkeit

Diese vier Tugenden sind in uns Menschen offenbar alles andere als selbstverständlich.  So sind wir eben nun. Deshalb werden sie so ausdrücklich formuliert.

Quelle:
Friedrichshain-Kreuzberg. Ein Bezirk mit vielen Gesichtern. 2009/2010. Herausgegeben vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, hier: S. 97

apercu Verlagsgesellschaft

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Bisogna ridare valori ai giovani

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März 082010
 

„Und vor allem müssen wir den jungen Menschen, die nicht mehr wissen, woran sie glauben sollen, wieder Werte vermitteln.“

Mit diesen Worten endet das im vorigen Eintrag erwähnte hübsche Interview mit Anna Maria Carloni. Sie war Politikerin der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) und gehört nunmehr – nach der Fusion der ehemaligen Linskparteien – der Demokratischen Partei an (PD).

Ich stimme zu. D’accordissimo! Welche sind diese Werte, die wir erneut vermitteln müssen?

Ich nenne fünf in absteigender Reihenfolge:

Verantwortung als unerlässliches Gegenstück zu Freiheit.
Redlichkeit.
Fleiß.
Gerechtigkeit.

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März 052010
 

04032010007.jpg  „Arbeiten, arbeiten, an Gewohnheiten rütteln … “ – im Flieger zurück von Düsseldorf nach Berlin las ich gestern die Paris Match, vor allem natürlich das Exklusiv-Interview mit dem russischen Präsidenten Medwedew, S. 56-63. Als Mittel gegen die von ihm selbst offen angeprangerten Missstände in Russland – wirtschaftlicher Rückstand, jahrhundertelang eingewurzelte Korruption, blinde Autoritätshörigkeit – empfiehlt er Anstrengung und Fleiß, daneben die Abkehr von verfestigten schlechten Gewohnheiten. Beachtlich! Zumal er die Probleme im Kaukasus, die Menschenrechtsfragen nicht als Negativpropaganda des Westens beiseitewischt, sondern offen einräumt: „Mais ces problèmes existent vraiment, il faut s’en occuper.“

Exclusif. Dmitri Medvedev nous reçoit dans sa datcha – Exclusif. Dmitri Medvedev président de la Russie reçoit Paris Match – ParisMatch.com

Hervorzuheben ferner: Der russische Präsident sucht ausdrücklich die kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Frankreich und Russland, betont das Verbindende: „Les Champs-Elysées, les lumières, les petits restos, l’atmosphère … c’est une grande émotion!“

Neben die alten Tugenden Fleiß, Verantwortung, kritisches Hinterfragen von Traditionen rückt er also die Besinnung auf gemeinsame europäische Kultur. Und auch auf das Christentum, diesmal in orthodoxer Variante. Man studiere die Bilder genau! Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieses Interview sehr genau durchgesehen wurde, dass jedes Bild auf Stimmigkeit und Aussagekraft überprüft wurde. Es wäre reizvoll, die russischen Herrscherporträts, die wir am 06.01.2009 in diesem Blog vorstellten (darunter Katharina II.), mit dieser Bilderstrecke in der Paris Match Nr. 3171 zu vergleichen!

„Viele Russen sehnen sich nach der Sowjetzeit zurück, nach der staatsversorgten Daseinsform, ohne Zukunftsangst. Teilen Sie dieses Gefühl?“ So die Frage an Medwedew.

Die Antwort Medwedews  halte ich für ein Musterbeispiel von politischer Klugheit. Man bedenke, dass ihm die Veteranenverbände gerade jetzt heftige Vorwürfe machen, weil er Stalin als einen Verbrecher bezeichnet hat! Was konnte er also auf dieses heikle Frage antworten?

Urteilt selbst! Ich meine, die Antwort Medwedews ließe sich sogar auf deutsch-deutsche Befindlichkeiten übertragen. Deshalb sei die Antwort hier widergegeben:

„Ja, das ist normal. Ich bin in der UDSSR geboren und aufgewachsen. Das sind meine Kindheitserinnerungen. Doch gilt es hier Gefühl und Vernunft einzubeziehen. Die damalige Gesellschaft, ihre Grundsätze, ihr Funktionieren sind weit entfernt von dem, was ich für erstrebenswert halte. Sicherlich, es gab gute Seiten. Aber grundsätzlich möchte ich mich nicht in einem solchen Zusammenhang wiederfinden.“

Unser Bild zeigt die Rheinpromenade in Düsseldorf, mit Blickrichtung auf das von Heinrich Heine so gelobte Frankreich.

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„Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen …“

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März 032010
 

Gute erste Ansätze zu stärkerer Bürgerbeteiligung bei außergewöhnlichen Lagen:

Schmutz – Stadtreinigung startet mit Frühjahrsputz in Berlin – Berlin Aktuell – Berliner Morgenpost
Wer nicht mehr so lange warten will, bis die BSR auch vor der eigenen Haustür kehrt, kann selbst tätig werden: Die BSR stellt Besen zur Verfügung und bittet Anlieger, die selbst fegen wollen, darum, das Streugut aufzuhäufen. Das erleichtere das Aufsammeln in den Außenbezirken ab dem 26. März.

Ich sehe dies ringsum: Die Leute greifen selbst zum Besen, zur Schippe. Ich selbst lege auch mit Hand an. Gemeinsam läuft’s. Der Schmutz verschwindet schneller, wenn viele Hände mithelfen. Die BSR-Jungs tun, was sie können!

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Graues Kloster oder Willy-Brandt-Sekundarschule?

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Feb. 222010
 

Die starke Sonderung der Berliner Schüler nach ethnischer Herkunft, Wohnort und Bildungsgrad der Eltern setzt in Berlin bereits im Vorschulalter ein und zieht sich dann bis zum Abitur, ja bis ins Erwerbsleben bzw. Hartz-IV-Existenz durch. Diese Segregation geschieht – so meine ich – völlig unabhängig von den Schulformen und den Schul-Reformen. Sie würde vermutlich auch in einem Einheitsschulwesen bestehen bleiben. Dennoch leisten unsere Pädagogen Hervorragendes – sie versuchen ihr Bestes, um den ihnen anvertrauten Schülern den bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen.

Wir müssen wegkommen vom Fatalismus der Segregation.

Ein weiteres Beispiel hierfür bringt soeben die Berliner Zeitung:

Vom Sinn des Lernens – Berliner Zeitung
Über 85 Prozent der Schüler der Willy-Brandt-Gesamtschule kommen aus türkisch- oder arabischstämmigen Familien. Schulleiter Wilfried Kauert hat schon vor anderthalb Jahren seine Schule aus eigener Initiative umgestaltet. Bald ist sie die erste Sekundarschule Berlins. Kauert hatte ein Schlüsselerlebnis: Im Matheunterricht wollte er das Prozentrechnen durchnehmen. Ein Schüler fragte, wofür man das denn brauche, und Kauert sagte, damit könne man später seine Steuererklärung selbst machen. Das konnte der Schüler nicht nachvollziehen.

„Ich denke, der Steuerzahler kommt für uns auf“, sagte er. In Form von Hartz-IV-Zuweisungen, mit denen eine vielköpfige Familie hier meist über die Runden kommt. Solchen Fatalismus will Schulleiter Kauert seinen Schülern austreiben.

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Feb. 222010
 

In allen sozialistischen Staaten, die ich vor 1989 besucht habe, galt Arbeitszwang. Bereits Rosa Luxemburg forderte ihn: „Nur der darf Lebensunterhalt bekommen, der etwas als Gegenleistung erbringt.“ Bereits kurz nach der siegreichen Oktoberrevolution richteten die Sozialisten riesige Arbeits- und Umerziehungslager ein, in denen sie arbeitsscheues Gesindel und volksfeindliche Elemente – wie sie die Arbeits- und Obdachlosen nannten –  auf Vordermann brachten. Diese Idee übernahmen 15 Jahre später auch die deutschen Nationalsozialisten.

Von diesen sozialistischen Zwangsmaßnahmen sind wir heute glücklicherweise weit entfernt! Allerdings erlaubt das SGB eine Form der Sanktion,  nämlich die Kürzung der Bezüge, falls ein Leistungsempfänger eine zumutbare Arbeit ablehnt. Darauf weist zu Recht Klaus Ernst von der Linkspartei hin. Guido Westerwelle wiederum forderte, diese heute möglichen Sanktionen auch ungescheut anzuwenden. Ich meine: Klaus Ernst und Guido Westerwelle fordern nichts anderes als die Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze. Von dem typischen sozialistischen Arbeitszwang oder gar Zwangsarbeit, wie sie zur Praxis der sozialistischen Staaten gehört, sind sie beide gleich weit entfernt. Beide wollen einen Beitrag zur Debatte um Hartz IV leisten. Man sollte Westerwelle und Ernst  nicht in parteipolitischer Verengung gegeneinander ausspielen. Schluss mit dieser Hatz!

Aber lest selbst in der Jungen Welt nach:

20.02.2010: FDP bleibt auf Krawallkurs (Tageszeitung junge Welt)
Der designierte Parteivorsitzende der Linken, Klaus Ernst, erklärte, die Linke werde gegen jede Verschlechterung bei Hartz IV mit allen Mitteln protestieren, »auch auf der Straße«. Erwerbslosen, die angebotene Jobs nicht annehmen, drohe schon heute der Verlust existentieller Mittel.

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Feb. 202010
 

„Das glaube ich Dir nicht, Cem!“ – so möchte ich meinem Mitschwaben und Facebook-Freund Cem zurufe, nachdem ich seinen Beitrag in der heutigen FAZ gelesen habe:

Gastbeitrag zur Hartz-IV-Debatte: Die gute Nachricht: Der Mensch ist besser – Inland – Politik – FAZ.NET

Wir wollen einen Staat, der seinen Bürgern die bestmöglichen Rahmenbedingungen bietet, damit jeder unabhängig von seiner Herkunft und der Größe des Geldbeutels seiner Eltern seine Möglichkeiten und Potentiale zum Wohle seiner selbst und der Gesellschaft voll entfalten kann. Genau das tut er aber gegenwärtig nicht. Die Bedingungen für Freiheit sind nicht gegeben. Wir leben vielmehr in einer hochgradig blockierten Gesellschaft.

Bereits hier melde ich Widerspruch an, Cem! Und zwar als Kreuzberger aus den Tiefen des Bezirks heraus, den Du wohlweislich nur zu Deinem Zweitwohnsitz erkoren hast. Ich bin im Gegenteil überzeugt: Die Bedingungen für Freiheit sind gegegeben. Es steht jedem Menschen frei, seine Potenziale in diesem Land zu entfalten. Der Staat tut genug. Er kann kaum mehr tun. Aber wir lesen weiter bei unserem Mitschwaben:

Der wichtigste Schlüssel, um diese Blockaden aufzubrechen, ist die Bildungspolitik. Bildung ist nicht nur ein Menschenrecht sondern laut OECD auch das beste Konjunkturprogramm für die Wirtschaft. Dafür muss Politik die richtigen Prioritäten für ein gerechteres und leistungsfähigeres Bildungssystem setzen: Mit höheren Investitionen ebenso wie mit einer Verbesserung von Qualität und Struktur. Gegenwärtig gehören wir im OECD-Vergleich zu den Schlusslichtern, was die Bildungschancen angeht: Diese werden von der sozialen Herkunft der Eltern diktiert, auch weil wir im dreigliedrigen Schulsystem bei den Zehnjährigen anfangen, auszusortieren. Auch deshalb wird jeder fünfte zum Risikoschüler und später viel zu oft zum Empfänger von Transferleistungen.

Erneut melde ich Widerspruch an! Es wird immer wieder mehr Geld, Strukturverbesserung, kleinere Klassen, frischere Lehrer, bessere Methoden usw. gefordert. Und genau das haben wir! Wir haben heute bessere Strukturen, kleinere Klassen, besser ausgebildete Lehrer als noch vor 20 Jahren. Und dennoch sinken vielfach die Lern-Ergebnisse. Wer ist schuld? Der Staat?

Meine Antwort lautet, und auch dies sage ich getränkt mit den jahrzehntelangen Erfahrungen aus einem Bezirk, den die FAZ-Leser und FAZ-Autoren wie Cem Özdemir sich allenfalls nur zu ihrem Zweitwohnsitz erkiesen:

Woran es fehlt, das sind die individuellen Anstrengungen. Es fehlt – mindestens bei uns in Kreuzberg – an Fleiß, es fehlt an Redlichkeit, es fehlt an Zuversicht, an Vertrauen in die eigenen Kräfte. Es werden dauernd Nebelkerzen über „gesellschaftliche Ursachen“ gezündet, es wird betrogen und getäuscht, es wird endlos gejammert und gefordert. Der Spendier- und Kümmereronkel, der Staat, soll Geld und nochmal Geld bereitstellen. Schluss damit. GET GOING! Lernt, seid fleißig, gebt euch Mühe. Zieht der Arbeit hinterher. Zieht nicht dahin, wo ihr möglichst ohne eigene Bemühung ein anstrengungsloses Leben führen könnt.

Die Gesellschaft blockiert sich selbst, indem sie ständig für alles die Schuld dem Staat oder unserer gesellschaftlichen Ordnung zuschreibt. Der Begriff der persönlichen Verantwortung ist fast völlig verlorengegangen. Man zockt gegen den Staat! Das gilt für die Steuerhinterzieher, die dem Staat jedes Jahr Milliarden stehlen, die verantwortungslosen Banker, die jahrelang nur in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, ebenso wie für die riesige Mehrheit derjenigen Menschen, die sich aus irgendwelchen gruppenegoistischen Gründen dauerhaft zur „benachteiligten Minderheit“ erklären lassen und Anspruch auf dauerhafte besondere Förderung erheben.

Ich vertrete die Ansicht: Die staatliche Ordnung ist grundsätzlich in sehr guter Verfassung. Was nicht in Ordnung ist, das können wir nachbessern. Die Menschen haben es in der Hand, das beste aus ihrem Leben zu machen. Die Denke in den Köpfen ist verworren.

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Feb. 162010
 

Sozialismus oder spätrömische Dekadenz? Der Vergleich unserer Sozialstaatsdebatte mit dem marxistischen Sozialismus, mit seiner unerbittlichen sozialistischen Arbeitspflicht, seinen riesigen Lagern, dem GULAG, der oft tödlichen Zwangsarbeit in gewaltigen Infrastrukturprojekten, dieser Vergleich hinkt meines Erachtens gewaltig. Niemand schickt bei uns die Bürger zu Tausenden und Abertausenden zwangsweise auf die Lager-, Kraftwerks- und Kanal-Baustellen, wie dies Lenin, Stalin, Che Guevara, Castro und viele andere sozialistische Führer taten.

Aber der Vergleich mit dem spätrömischen Kaiserreich ist durchaus aufschlussreich! Im spätrömischen Kaiserreich bedienten sich die Macht-Eliten hemmungslos. Sie wirtschafteten in die eigene Tasche. Der Sinn für virtus romana, für die res publica, für die salus publica ging verloren. Selbstbereicherung herrschte. Auch im spätrömischen Kaiserreich wurden weite Teile der Bevölkerung wie heute durch staatliche Wohltaten alimentiert, durch üppige Spiele und Zerstreuung gefügig gehalten. Begüterte Oberschicht und minderbemittelte Unterschicht nahmen den Staat aus wie die sprichwörtliche  Weihnachtsgans (eine Redewendung, die allerdings erst später mit dem Christentum aufkam). Verantwortlich für das Ganze fühlten sich zwar einige der Kaiser, wie etwa Diokletian oder Konstantin, aber die Mehrzahl der Kaiser hatte alle Hände voll zu tun, den eigenen Machterhalt zu sichern, indem sie der einen oder der anderen Klasse oder Teilkategorie einen möglichst großen Anteil am öffentlichen Reichtum zuschanzten. Das Militär wurde zur wichtigsten Stütze der kaiserlichen Macht.

Richtig arbeiten, sparsam wirtschaften, ackern, säen, ernten – das wollten die verwöhnten Römer nicht mehr. Otium cum dignitate, das war das Ideal. Ich übersetze ins Deutsche: Abhängen in lässiger Coolness, Chillen in Tavernen und Bars, nur nicht die Hände schmutzig machen. Dann kamen die Eroberungsvölker aus dem Osten. Reiterstämme, Steppenvölker, Krieger. Und sie nahmen sich ebenfalls, was sie kriegen konnten. Letztlich krachte die Konstruktion zusammen. Die einigende Klammer war verlorengegangen.

Gespannt bin ich darauf, was die Althistoriker und die Volkswirtschaftler zu Westerwelles vermeintlichem „Amoklauf“ sagen werden!  Alle Meinungsforscher, alle Kommunikationsexperten, fast alle Politiker, die meinungsbildenden Zeitungen wenden sich von Westerwelle ab seit seiner leidenschaftlichen, ihm selbst schadenden Tirade, bei der ich mich allerdings als sein skeptischer Zuhörer, ja Unterstützer zu erkennen gab, der Westerwelles Argumentation nachzuvollziehen versuchte. „O wie unfein, Herr Westerwelle! So etwas tut man nicht als seriöser Politiker!“

Sein Fehler war vielleicht: Er griff nicht gleichzeitig mit der alimentierten Schicht auch die begüterte Oberschicht an, die Besserverdiener. Wenn er dies gemacht hätte, und dafür gibt es Gründe, wenn er die reichen Steuerhinterzieher, die überforderten Manager und die Aufsichtsräte angegriffen hätte, dann hätte man ihm kaum an den Karren fahren können.

Ich meine, man sollte Westerwelle nicht einfach so niederbügeln, wie man dies früher mit Sarrazin, mit Buschkowsky, mit Havemann, Djilas, Havel, Trotzkij und wie sie alle heißen, machte. Alle diese absoluten Minderheiten-Meinungsrebellen hatten etwas für sich. Sie legten den Finger in die Wunde. Sonst hätten sich die Mehrheiten ja auch nicht so über sie aufgeregt.

Mit Arnulf Baring bringt der Tagesspiegel heute ein Interview.

„Umverteilung können wir uns nicht leisten“
Brauchen wir denn, wie Westerwelle sagt, eine Neudefinition des Sozialstaats?

Unbedingt. Niemand kann permanent mehr ausgeben, als er einnimmt. Wir müssen unbefangen über unsere Prioritäten nachdenken. Wenn man der FDP jetzt vorwirft, sie sei konservativ oder populistisch, dann ist das Unsinn. Nicht die FDP, sondern zahlreiche Deutsche sind stockkonservativ in dem Sinne, dass sie unbedingt den bestehenden, unmäßigen Sozialstaat verteidigen wollen. Alle Sozialpolitiker machen sich immer nur Gedanken über zunehmende Umverteilungen. Wenn man sie fragt, woher das Geld dafür kommen soll, halten sie sich nicht für zuständig.

Baring übertreibt und verschweigt. Bedenkenswert ist aber zweifellos Barings Befund, dass die anderen vier Parteien in wesentlichen Teilen mit der Umverteilung öffentlicher Gelder beschäftigt seien oder gewesen seien (mal abgesehen von der SPD-geführten Schröder-Bundesregierung mit ihrer heftig angegriffenen Hartz-IV-Reform, von heftig befehdeten Einzelkämpfern wie dem damaligen Finanzsenator Sarrazin, den aber Berlin nicht mehr haben wollte).

Sicher: Wir Berliner können nicht klagen. Ach, Berliner! Ihr habt doch immer noch beheiztes Wasser in den Freibädern. Uns geht es doch sehr gut! Wir in Berlin haben einen Haushalt von jährlich 19 Milliarden Euro, den uns die anderen Bundesländer etwa zur Hälfte schenken! Niemand braucht selber Eis zu hacken, dafür haben wir ja den STAAT.

Also: Berlin ist REICH. UND SEXY!

Wo bleibt die CDU in diesem Circus Politicus Maximus? Die CDU hätte in ihrem programmatischen Grundbestand eigentlich das Zeug dazu, das vorherrschende Selbstbereicherungs- und Umverteilungsparadigma zu durchbrechen. Sie sollte die zaghaften Ansätze dazu, die in der SPD und der FDP zu besichtigen sind, entschlossen aufgreifen und mit ihrer Subsidiaritätslehre zu vereinen suchen, die aus der katholischen Soziallehre stammt. Eherne Voraussetzung dafür wäre, dass endlich einmal eine Partei den Mut aufbrächte zu sagen: Wenn ihr uns wählt, werdet ihr weniger Geld vom Staat bekommen. Der Staat wird euch weniger schenken. Diese Botschaft müsste man den Bankern, den Aufsichtsräten  und Finanzhaien ebenso zurufen wie der wachsenden Schicht derer, die sich vollständig auf staatliche Alimentierung verlassen.

Der Staat müsste also wie ein guter Vater zu seinen volljährig werdenden Kindern sagen: „Ich schenke dir weniger Taschengeld. Lerne, auf eigenen Füßen zu stehen!“

Subsidiarität, das bedeutet: Zunächst einmal ist die untere Ebene verantwortlich: Der einzelne ist verantwortlich, dass er bei Glätte nicht ausrutscht. Nicht der Staat. Wenn es dem einzelnen nicht zuzumuten ist – dann muss die nächsthöhere Ebene einspringen. So ergibt sich die winterliche Räumpflicht der Hauseigentümer für die Gehwege. Da es den Hauseigentümern nicht zuzumuten ist, auch noch die Straßen vor dem Grundstück freizuhalten, muss der Staat einspringen. So ergibt sich die Räumpflicht der öffentlichen Hand für die Straßen. Alle diese Pflichten hat der demokratische Gesetzgeber nach reiflicher Überlegung eingeführt.

Aber nirgendwo hat der demokratische Staat die völlige Fürsorge für Wohl und Wehe der einzelnen Bürger übernommen. Das Wohlergehen, der Wohlstand der einzelnen Bürger ist im Wesentlichen Sache der Bürger selbst. Der demokratische Staat wächst im Gegensatz zum Fürstenstaat von unten auf. Er stützt sich auf den Fleiß der Menschen, auf Gemeinsinn, Redlichkeit, Gerechtigkeit, auf Fürsorge der Menschen füreinander. Auf die Verantwortung aller für das Ganze. Diese Tugenden gilt es wiedezubeleben.

Ich vermute – genau dies wollte Westerwelle sagen. Und genau darin gebe ich ihm recht.

 Posted by at 17:02

Nehmt Hack und Spaten – Wie machen es die anderen?

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Feb. 142010
 

„Ihr Deutschen seid ein sehr verwöhntes Volk, alles soll der Staat für euch bereitstellen – zum Nulltarif“, so schmunzeln meine russischen Freunde immer wieder.

Na, ich bin mittlerweile doppel-immunisiert: gegen die deutsche Jammerseligkeit, die sich mal an Massenarmut, mal an menschenunwürdigen Hartz-IV-Sätzen, mal an skandalösen Eisschichten entzündet – und aufmerksam-immunisiert gegen jedwede ausländische Fundamentalkritik an uns Deutschen.

Einen echten Winter (was wir jetzt haben, ist immerhin eine Ahnung davon) erlebe ich immer wieder in Moskau. Davon können wir hier nur träumen! Er dauert etwa 6 Monate. Schnee- und Eisbeseitigung ist eine Daueraufgabe für mindestens 3-4 Monate. Jeder echte Wintertag mit Schnee- und Eisräumpflicht kostet die Stadt etwa 1 Million Dollar. Das Eis auf den Gehwegen wird tatsächlich „bis zur Platte“ abgehackt. Und zwar durch die Eigentümer oder im Auftrag der Eigentümer. Die Straßen werden durch die öffentliche Hand systematisch geräumt. Der Schnee wird mit LKW nach außerhalb geschafft. Das alles kostet. Aber der russische Winter lässt nicht mit sich scherzen. Das musste bereits Napoleon erfahren.

Gegen das Eis hat mir meine aus Moskau stammende Frau zu Weihnachten ein billiges, zur Nachahmung empfohlenes Mittel geschenkt: Stiefel mit umklappbaren Spikes. Erst dachte ich – was soll das? Heute weiß ich, dass die gesamte Eisdebatte überflüssig wäre, wenn jeder so etwas hätte. Mehrkosten pro Bürger: geschätzt 20 Euro, denn diese Stiefel waren sicher nicht billig. Der Berliner Bürgermeister – so berichtete der Tagesspiegel vorgestern – trägt anziehbare Spikes. Auch gut! Vorbildlich! Leider sind z. Zt. kaum Spikes zu kaufen. Wo ist der Markt?

Noch etwas habe ich festgestellt: Man muss auf Eis vorsichtig gehen. Erst den Fuß aufsetzen, dann nach und nach belasten. Durch die Belastung entsteht Wärme, das Eis taut minimal auf, und so bildet sich zwischen Sohle und Eis eine Art Griffzone – man geht und steht einigermaßen sicher.

Besser aber in jedem Fall: Spikes, umklappbar oder überziehbar.

Foto: Straßenszene vor einer Kreuzberger Grundschule. Februar 2010. Die Schüler werden von den Eltern mit dem Auto zur Schule gebracht.

 Posted by at 10:49
Jan. 132010
 

Gute Denkansätze, zielführende Andeutungen von seiten des Regierenden Bürgermeisters Wowereit nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub! „Es ist nicht einfach“ – so wird er heute im Tagesspiegel auf S. 7 zitiert, „bestimmte Programme“, „Chancen, die genutzt werden müssen“, geistern durch die Spalten. „Wie schaffen wir es, wieder einen Aufstiegswillen zu erzeugen?“, fragt er.

Guter Ansatz! Wichtige Formulierungen aus Armin Laschets „Aufsteigerrepublik“ hat Wowereit aufgegriffen. Ich finde, Politiker sollten viel öfter ihre Ratlosigkeit eingestehen. Sie sollten laut und deutlich sagen: „Wir wissen im Moment nicht so recht weiter.“

Warum nicht öfters mit offenen Fragen ans Volk herantreten? Klaus Wowereit ist wirklich ein sympathischer Mensch, ein Sympathieträger allererster Ordnung. Ich mag ihn.

Persönlich würde ich derartiger Ratlosigkeit allerdings etwa anderes entgegensetzen: Das Modell der Politik, die sich von unten entwickelt. Also nicht wieder neue Programme von oben herabregnen lassen, für die das Geld ohnehin fehlt, sondern  den Menschen eine freundliche, klare, einfache Ansage machen: „Lerne und arbeite. Wir werden nicht für dich sorgen. Wir werden in dir keinen Willen erzeugen. Du musst es wollen. Dann schaffst du es.“

Die Stadt wird von unten her zusammenwachsen.

 Posted by at 13:07
Jan. 112010
 

Immer wieder wird beklagt, dass es nicht nur kein politisches, kein wirtschaftliches, sondern auch kein städtebauliches Leitbild für Berlin gebe. Stattdessen klammert man sich an Regularien wie etwa der Traufhöhe fest. Die einstmals lebhafte Debatte um die Gestaltung von Berlins Mitte findet keinen Niederschlag in zentralen, von allen diskutierten Anregungen und Dokumenten.  Ich erblicke darin den tieferen Grund für das einigermaßen enttäuschende Hickhack um die Ausschreibung des Schloss-Bauauftrages an Franco Stella,  für die außerordentlich vielsagende Unfähigkeit der Gremien, sich auf einen Wettbewerbsentwurf für das Freiheits- und Einheitsdenkmal zu einigen.

Wo sind die Anregungen eines Hans Kollhoff geblieben? Was ist aus dem people’s place geworden, aus all den guten Gedanken zum kleinräumigen Quartiersmanagement, zur Stadt als gelebtem Innenraum, zur Stadt als Zone der Begegnung zwischen Menschen?

Wir sind eine Stadt ohne Leitbild. Wir sind noch keine zusammenwachsende Stadt! Was für eine spannende Aufgabe wäre es doch, kulturelle, politische und städtebauliche Ideen zusammenzuflechten und in das Leitbild Die zusammenwachsende Stadt einzubinden!


 Posted by at 20:37
Nov. 222009
 

Ein echter Meister der falschen Fährten, ein brillanter Taktiker des Wahlkampfs und der Parteiarbeit war  – Konrad Adenauer. Mit der Bundesrepublik Deutschland brachte er mit anderen zusammen eins der größten Experimente auf den Weg! Die Verabschiedung des Grundgesetzes, die Saarfrage, die Wiederbewaffnung, die Westbindung – das alles waren gewaltige Vorhaben, die zum Teil gegen bestehende Mehrheiten, gegen den Rat der Fachleute, gegen Widerstände in der eigenen Partei durchgesetzt wurden! Dennoch wurde er 1957 bekannt mit dem treuherzigen Slogan: „Keine Experimente!“ Gemeint war natürlich: „Keine zusätzlichen Experimente mehr!“  Schlau, schlau!

Seine neugegründete Partei, die CDU, erreicht in den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag aus dem Stand heraus fast soviel Stimmen wie die Unionsparteien 2009 einsammeln konnten (1949: 31%, 2009: 33,8%). Die CDU ist DIE große Erfolgsgeschichte in der deutschen Parteienlandschaft. Dabei war sie ausdrücklich als Union gegründet worden, also als Bündnis verschiedener Kräfte, die sich zunächst von den „Altparteien“ absetzen wollten.

Ich lese immer wieder mit großem Gewinn in den Protokollen des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953. Mann, was war die CDU doch damals für eine wagemutige, kluge, nach vorne denkende Partei! „Es musste alles neu gemacht werden“, unter dieses Motto stellen die Herausgeber die internen Besprechungsprotokolle. Die meisten wichtigen Themen, die wir heute noch besprechen, wurden dort schon erörtert: z. B. der Parteienüberdruss, die ständige Suche nach Mehrheiten, der Einfluss der neuen Medien auf den Wahlkampf (damals: der Lautsprecherwagen).

Daneben bieten diese zum großen Teil wörtlichen Protokolle eine Methodenlehre der Politik! Greifen wir aus gegebenem Anlass eine Frage heraus: Wie soll sich eine Partei „im Feindesland“ verhalten? Was kann sie tun, wenn sie erkennbar eine Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat? Die junge CDU stand tatsächlich mitunter in dieser Position, und zwar beispielsweise im Saarland! Das Saarland wollte unter seinem beliebten Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann weg von Deutschland, erlangte sogar für 2 Jahre die staatliche Selbständigkeit. Die CDU blieb außen vor, trat vor 1953 gar nicht an. Adenauer sagte am 26. Januar 1953 etwa folgendes: „Die Leute an der Saar wollen uns nicht … Es ist doch tatsächlich so. Die Leute haben ein vergnügtes Leben; sie haben keine Evakuierten, sie haben keinen Lastenausgleich, und es geht ihnen gut.“ Wieso hätten die Saarländer für Deutschland stimmen sollen? „Vaterlandsverräter“ scholl ihnen entgegen!

Was sagt Adenauer dazu? Er hielt solches Geschimpfe für einen schweren Fehler! „Ich komme zu der Auffassung, Herr Kaiser, daß es ein schwerer Fehler von uns gewesen ist – ich weiß, Herr Altmeier wird anderer Aufassung sein -, daß wir von Anfang an die Leute diffamiert haben, die sich losgetrennt und dem Saarregime zugestimmt haben.“ Adenauer fährt fort, damit habe man das Tischtuch zerschnitten. Man habe den Saarländern die Rückkehr nicht erleichtert. „Nun wollen wir nicht das Tischtuch zwischen uns zerschneiden, sondern sehen, wie wir die Sache allmählich wieder in Ordnung bringen. Das wäre höchstwahrscheinlich viel klüger gewesen, als die Leute einfach zu diffamieren, die – und das kann kein Mensch bestreiten – die Mehrheit dort sind.“

Wir halten fest: Adenauer besaß die Größe, eigene Fehler offen einzugestehen und daraus für die Zukunft zu lernen. Er erkannte, dass Mehrheiten nicht mit der Brechstange, nicht mit Schimpfen zu holen sind. Er sah ein, dass das trotzige  Beharren auf dem eigenen Standpunkt – sofern er eine Minderheitenposition darstellt – eher die Wähler noch stärker gegen die Partei aufbringt. Schließlich erkannte er den Zeitfaktor an: „Das Übrige müssen wir der Entwicklung an der Saar überlassen.“

Das genaue Lesen einiger Seiten aus den Protokollen vermag sicherlich dem einen oder anderen Politiker in der Ratlosigkeit des heutigen Politikbetriebes Anregungen zu verschaffen. Die 50er Jahre waren eine Zeit äußerster Wagnisse, nur dank der fundamental richtigen Einsichten und der überlegenen Strategien von Politikern wie etwa Adenauer oder Kurt Schumacher konnte diese großartige Aufbauleistung gelingen.

Quelle: Adenauer: „Es mußte alles neu gemacht werden.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953. Bearbeitet von Günter Buchstab. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 1986, hier: S. 412-413

 Posted by at 00:15