Jan. 032010
 

02012010013.jpg Ein Volkssport, bei dem ich abseits stehe, ist das Schimpfen auf die Bundesbahn. Vielleicht habe ich Pech, dass ich nicht zu den Schimpfsportlern dazugehöre: Aber ich bin mit der Deutschen Bahn sehr zufrieden. Heute z.B. fuhr der ICE von Augsburg nach Berlin nur mit einer Hälfte – die andere Häfte blieb wegen technischer Probleme abgehängt. In dieser waren auch unsere reservierten Plätze. Wir mussten stehen – oder auf dem Boden sitzen.

„Das wird Ärger geben!“, schoss es mir durch den Kopf. Und in der Tat: „Stellt euch vor, der ICE fährt nur zur Hälfte – das ist eine Ka-ta-strophe …!“ jammerte ein etwa 40-jähriger Mann ins Handy.  „Den Grube sollte man mal auf die Gleise festbinden!“, echote ein anderer. Kurz: Die Welt war sauer, die Welt war böse auf die Deutsche Bundesbahn.

Ich knüpfte harmlose Gespräche mit Mitreisenden an: „Können Sie mir den Unterschied erklären: Hier auf dem TIME-Titelbild steht Frau Europa, Angela Merkel has more power than any leader on the continent. Und schauen Sie hier: A trailblazer and the unchallenged leader of Europe’s largest economy, steht hier auf S. 20. Und die Süddeutsche titelt an eben diesem Tage: Vor Wildbad Kreuth: Christsoziale attackieren Merkel. Wer hat recht? TIME oder die Süddeutsche?“, frug ich unschuldig.

„Beide haben recht“, erwiderte mir ein bayerischer Mitreisender. Und dann löste er mir in gut bayerischer Art den Widerspruch auf. Er meinte: Wir Bayern haben schlechtere Karten, wenn es ums Reden und „Dischkerieren“ geht. Und dafür rächen wir uns an den Norddeutschen.

Wieder waren 50 km verstrichen. „NICHT auf die Bahn schimpfen!“ schärfte ich mir ein. „Na, Sie kriegen heute sicher vieles zu hören …“ fragte ich den Schaffner. „Ich schalte auf Automatik-Modus“, erklärte er mir. Wir hatten gerade bequeme Plätzchen vor der Behindertentoilette ergattert, ein türkisches Mädchen unterhielt uns mit Fragen und Davonlaufen. Wir vertrieben uns die Zeit mit einem Dinosaurier-Quiz.

Ich dachte an die winterlichen Zugfahrten der Deportierten, die Herta Müller beschreibt: Dutzende Leute tagelang zusammengepfercht in einem Viehwaggon, statt Toilette ein Loch, 1 bullernder überforderter Ofen irgendwo am Raum.

Ich dachte an die winterlichen Zugfahrten der Deportierten, die Primo Levi beschreibt. Dutzende Leute tagelang zusammengepfercht in einem Viehwaggon, statt Toilette ein Loch im Boden, kein Ofen. Kalt. Sehr kalt.

Hier war es warm, hier traf man Leute. Und ich war sehr froh und glücklich.

Und doch – nach weiteren 50 km kam der Schaffner zurück: „Ich habe drei Plätze für Sie. Kommen Sie mit.“ So war es! Durch den vollgestopften Zug hindurch geleitete er uns an drei Plätze, die eben freigemacht wurden. Durfte ich sittlicherweise den Platz annehmen, wo doch soviele andere Reisende stehen bleiben mussten? Waren wir irgendwie bevorrechtigt? Ich weiß es nicht. Wir haben die Plätze angenommen.  Bis Göttingen reisten wir sitzend auf bequemen Plätzen. Ein klein bisschen schlechtes Gewissen hatte ich doch. Aber dann räumte meine Frau auch schon ein bisschen Platz für eine Russin, so dass auf zwei Plätzen nunmehr drei Menschen saßen, die sich russisch miteinander unterhielten.

Dann stiegen wir um, nahmen die reservierten Plätze im Anschluss-ICE ein und erreichten Berlin mit 13 Minuten Verspätung. Unterwegs spielten wir Mikado und plauderten zwei drei Worte mit Mitreisenden.

Und ich bin sehr froh.  Ich brauche den Volkssport „Auf-die-Bahn-Schimpfen“ nicht. Ich bin ein begeisterter Bahnfahrer. Man kommt ins Nachdenken …

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Nov. 072009
 

Gerne lese ich immer wieder ausgewählte Abschnitte aus dem Schatzkästlein der deutschen Literatur. Heute z.B. das erste Kapitel aus Gottfried Kellers „Grünem Heinrich“. In dem Abschiedsgespräch zwischen Heinrich Lee und seiner Mutter springen mich geradezu modellhaft das Anspruchsdenken der nachwachsenden und das Tüchtigkeitsdenken der älteren Generation an. Wir hören die Mutter:

„Und daß du mir nur das Weißzeug und dergleichen mehr estimierst als bisher und nichts verzettelst! Denn bedenke, daß du von nun an für jedes Fetzchen, das dir abgeht, bares Geld in die Hand nehmen mußt und es doch nicht so gut bekömmst als ich es verfertigt habe.“

Dem erwidert der Sohn: „Wenn man in der Fremde ist und sich eine ordentliche Wohnung mieten muß, so bekommt man die Bedienung mit in den Kauf.“

Hier höre ich die Stimme der heutigen Anspruchsdenker heraus: „Bedienung! Bitte zahlen Sie! Alles zusammen!“.

Eine wahre Orgie von Anspruchsdenken brach in den letzten Tagen aus Anlass des abgesagten Magna-Deals über Deutschland herein. Ministerpräsidenten, Gewerkschafter, Politiker aller Parteien überboten sich in Äußerungen ihrer Empörung über die Entscheidung des amerikanischen Mutterunternehmens, den durch die deutsche Politik mühsam eingefädelten Vertrag über eine Beteiligung des Autozulieferers Magna zu zerreißen.  In die Wut darüber, dass die deutsche Politik sich an der Nase hat herumführen lassen, mischt sich eine geradezu kindische Trotzreaktion führender Politiker: „Das dürft ihr uns nicht antun! Wir haben einen Anspruch darauf, dass …! Wir erwarten, dass …“ Rütli-Schwüre der Geschlossenheit werden feierlich abgelegt. „Wir lassen uns von den treulosen amerikanischen Unternehmern nicht auseinanderdividieren!“

Man lese doch die Presse über die überbordenden Reaktionen der Ministerpräsidenten und des neuen Bundeswirtschaftsministers! Zum Beispiel den folgenden, Spiegel online entnommenen Abschnitt:

„Wir haben vereinbart, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen gemeinsam alles tun wollen, um die Arbeitsplätze zu erhalten und die Standorte zu stabilisieren“, so Rüttgers, in dessen Bundesland das Opel-Werk in Bochum liegt. GM müsse schnell ein Konzept vorlegen, sonst sei Hilfe nicht möglich. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte: „Wir sind uns einig, dass GM jetzt liefern muss.“

Man wird erkennen: Die führende politische Klasse Deutschlands – also die neue Bundesregierung und die amtierenden Minsterpräsidenten der vier betroffenen Bundesländer –  bedienen weiterhin die Erwartung der Söhne und Töchter des Volkes, die Konzernmutter und die mütterlich-fürsorgliche Regierung müsse es ihnen schon recht machen. Eine verhängnisvolle Fehlentwicklung, wie ich meine! Ein wechselseitig sich verstärkendes, geradezu wahnhaftes Gespinst aus Ansprüchen, Erwartungen, bitteren Enttäuschungen an der Realität und geradezu verschwörerischer Beibehaltung der fürsorglichen Belagerung des weltumspannenden GM-Konzerns. Götzenhaft wird die Formel „Wir sind alle Opel“ auf die Fahnen geschrieben. Grundsätze wie Eigenverantwortung, Freiheit, Selbstbestimmung bleiben auf der Strecke.

Das Wort „Freiheit“, dieser 500-Euro-Schein der großen Reden, harrt weiterhin der Umsetzung in die kleine klingende Münze der politischen Alltagspraxis. Freiheit bedeutet selbstverständlich auch Freiheit zum Scheitern! Ich bin fest überzeugt: Die Politik darf sich niemals vermessen, den Bürgern und auch den Firmen die Erfahrung des Scheiterns und der Erfolglosigkeit ersparen zu wollen.

Die neue Bundesregierung, die ausweislich des Koalitionsvertrages leider erneut Wohlstandserhaltung als das zentrale Motiv staatlichen Handelns festgeschrieben hat, täuscht sich offenkundig in dem, was eine Regierung von den Unternehmen erwarten und verlangen darf, was sie den Bürgern zumuten und versprechen darf.

Ich meine: Die Regierungen müssen sich grundsätzlich – von ganz wenigen handverlesenen Ausnahmen abgesehen, zu denen Opel sicher nicht gehört – aus dem Wohl und Wehe einzelner Unternehmen heraushalten. Sonst entsteht eine ungesunde Verquickung aus wirtschaftlichen Teilinteressen, Wahlinteressen der Politiker und Anspruchshaltungen der Bürger. Es sei warnend daran erinnert, dass in Italien in den 80er Jahren der Staat, also die Politiker, direkt ein Drittel der Volkswirtschaft kontrollierte! Mit verheerenden Folgen, mit blühender Korruption, Kriminalität und Klientelwirtschaft.

Zitat aus Spiegel online:
Falls öffentliche Mittel fließen, sollte die Politik über einen stärkeren staatlichen Einfluss nachdenken: „Wenn der Staat Hilfen gewährt, wäre er gut beraten, als Gegenleistung Mitsprache in dem neuen Opel-Konzern zu verlangen“, sagte Huber dem Bericht zufolge.

Die Politiker aus Bund und Ländern sollten nunmehr die eigenen kapitalen Fehler, die eigenen folgenschweren Missgriffe offen eingestehen und nicht noch unser schlechtes Geld unserem guten Geld hinterherwerfen.

Es wird irgendwann einmal niemanden geben, der uns bedient, außer vielleicht unseren Enkeln und deren Kindern.

Leseempfehlung:
Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Roman. Erster Band, erstes Kapitel. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1982, hier S. 17

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Опять двойка – Wieder Note 2. Wieder ein Fall von Volksverhetzung

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Okt. 222009
 

 

Eins der bekanntesten Gemälde des Sozialistischen Realismus ist „Wieder eine Zwei?“ von  Reschetnikow, das ich selbst vor wenigen Jahren in der Moskauer Tretjakow-Galerie hängen sah. Die sehr schlechte russische Schulnote Zwei entspricht unserer deutschen Fünf. In der Seemannssprache würde man sagen: Gefahr im Verzug, alle Mann an Deck! Wie staunte ich aber, als ich dieses Bild in einer sehr gut gemachten Kopie kürzlich in der Berliner Galerie Jeschke-Van Vliet erblickte! Ich war erschöpft, schloss die Augen, und versuchte ein wenig auszuruhen … Irgendetwas weckte mich, ich schlug die Augen auf und näherte mich neugierig, um das Bild ins Auge zu fassen, und wie es der Zufall wollte, wurde ich in ein lebhaftes Gespräch mit drei Betrachtern hineingezogen:

„Dieses Bild zeigt eindeutig den Wert der Freundschaft! Nur bei einem Hund findet der enttäuschte Junge Anerkennung und Liebe, die Menschen wissen ja gar nicht, welches Drama sich in der Brust des Jungen abspielt!“, versicherte ein soignierter Herr, der an seinem singenden Tonfall eindeutig als Italiener erkennbar war. „Wir können alle aus diesem Bild lernen: Auf die Freundschaft kommt es an, Freundschaft ist das Höchste“, fuhr der Italiener fort.

„O nein“, widersprach ihm ein Deutscher. „Gefühle können eine objektiv vorhandene Diskriminierung nicht ausgleichen. Das Bild zeigt offensichtlich einen sozial benachteiligten Grundschüler. Es könnte ein Tschuktsche sein, der aufgrund seines Migrationshintergrundes den Anschluss an die hohen Leistungsanforderungen des sowjetischen Schulsystems verpasst hat. Das Bild ruft offenkundig dazu auf, ihm jede erdenkliche Förderung zu verschaffen: Ganztagsschulen, Förderunterricht in russischer und tschuktschischer Sprache, wahrscheinlich mehr Geld für Bücher und Lehrmittel, interkulturelles Training für die Grundschullehrerinnen, kleinere Klassen! Wir können alle aus diesem Bild lernen! Kein Kind darf zurückbleiben, kein Kind darf im Gefühl belassen werden, es sei selbst an den schlechten Noten schuld!“

Der Deutsche – ich glaube, es war ein Berliner – steigerte sich danach in einen Hymnus auf die kompensatorische Pädagogik hinein, den ich hier weglasse, da er die Lesefähigkeit eines Internet-Lesers überstiege.

„Was redet ihr da für Unsinn!“, schaltete sich mit deutlichem russischem Akzent eine weitere Betrachterin ein. „Ich komme aus der Sowjetunion. Ich habe das ganze Schulsystem der Sowjetunion durchlaufen. Über dieses Bild mussten wir alle, alle, einen Aufsatz schreiben. Von Wladiwostok bis nach Kiew.  Die Botschaft war eindeutig: Du musst lernen! Ausreden gab es nicht. Dieses ständige Lernenmüssen, dieser beständig fühlbare Leistungsdruck hat uns allen sehr gut getan. Wer nicht genug lernte und nicht mitkam, erhielt schlechte Noten. Die schlechten Noten waren ein Ansporn, mehr zu lernen. Euer weichliches Verständnis-Gedöns über ach so benachteiligte sozial Schwache gab es nicht. Stundenlanges Fernsehen war von den Eltern verboten. Es gab jeden Tag Hausaufgaben. Die Hefte mussten peinlich genau geführt werden. Und das alles – wisst ihr was? Es hat uns nicht geschadet! Wir haben – auch als Akademikerfamilien – zu viert oder fünft in Ein-Raum-Wohnungen gelebt, in den sogenannten Komunalnajas.  Nach euren Maßstäben waren wir alle sozial schwach. Aber wir haben alle unsere Abschlüsse geschafft. Wir haben das Abitur gemacht und dann an den Universitäten studiert. Wir haben in der zweiten Klasse im sowjetischen Schulsystem einen weit höheren Leistungsstand gehabt als ihr Berliner in der vierten Grundschulklasse. Und das wohlgemerkt mit über 120 ethnisch verschiedenen Völkerschaften! Die haben alle perfekt Russisch gelernt, jeder Georgier, jeder Tschuktsche, jeder Turkmene konnte dank eigener Leistung aufsteigen und Minister oder Wissenschaftler werden. Hört mir doch auf mit eurem Gejammer von sozial Schwachen! Wo ist euer Selbstbewusstsein? Wart ihr Deutschen nicht mal eine Kulturnation? Wo ist diese Kultur eigentlich geblieben? Kennt ihr noch Schumann, Goethe und Heine? Freud, Marx? Alles vergessen? Kant? Habt ihr euch denn alles vom Hitler vermiesen und zerstören lassen?

O ihr Deutschen! Ihr seid nicht ganz bei Trost! Ihr müsst euren türkischen, arabischen und sonstigen Völkerschaften eines ganz deutlich einschärfen: Lernt richtig Deutsch, studiert, arbeitet, setzt euch auf den Hosenboden, dann erledigt sich das Problem des mangelnden Aufstiegs von selbst. Es wächst sich aus!“

Mein gutes deutsches sozialrealistisches Herz krampfte sich zusammen. Das war ja ein Albtraum! So ein Geschimpfe! Das grenzte ja an Volksverhetzung. „Ihr seid nicht ganz bei Trost!“ Dass ich nicht lache!  Volksverhetzung gegen die Deutschen. Mitten in Deutschland! In Berlin Mitte! Aus dem Mund einer Russin! Durfte man so reden? So herzlos, so voller sozialer Kälte wie diese Russin? Ich wurde nachdenklich. Ich beschloss, diesen kleinen Dialog aufzuschreiben. Denn bei uns herrscht Meinungsfreiheit. Ganz zuletzt beschlich mich ein Zweifel: Vielleicht hat diese Russin ja recht. Ich bin diesen Zweifel bis heute nicht losgeworden.

Das Bild hängt derzeit in der Galerie Jeschke – Van Vliet: Hinter dem Eisernen Vorhang. Die Kunst des Sozialrealismus. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer. Bis 30. November 2009, täglich von 11 bis 20 Uhr. Eintritt frei. Krausenstraße 40, Berlin Mitte. Öffnungszeiten täglich von 11 bis 20 Uhr (Dienstag geschlossen).

Der International Herald Tribune bringt heute auf S. 13 eine halbseitige große Besprechung:

Return of a Soviet-Era Genre Lost to Perestroika – NYTimes.com
So in a strange twist of history, just as the avant-garde art banned by the Soviet regime was viewed again, Socialist Realism, discarded so quickly in the late ’80s, may be going though its own renaissance. At least, that is the hope of the Jeschke-Van Vliet Art Gallery, located where the Berlin Wall once stood 20 years ago. For the first time, more than 300 paintings, created between the mid-’20s and the early ’80s have been brought under one roof.

Neben der New York Times und dem International Herald Tribune berichtet sogar die Berliner Morgenpost:

Warum Lenin jetzt mitten in Mitte posiert

Und der Corriere della sera:

 Non solo Lenin, il Realismo socialista visto da Cusani

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Sep. 112009
 

Das Geschäftsmodell der Linken funktioniert. Die Linke ist die Partei der Reichen und der Besserverdienenden. Sie ist ein „Finanzprodukt mit tollem Namen“, wie das Katja Kipping so treffend formuliert. Man lese das Interview mit der Hotelbesitzertochter Katja Kipping, der stellv. Bundesvorsitzenden der Linken, heute in der Süddeutschen Zeitung.

Ihr Monatsverdienst: 7.800.- Euro. Alles aus Steuergeldern.

Solide gewirtschaftet wird auf der Grundlage von Immobilien, die nach der Wende in den Besitz der PDS/Linken übergingen,  und aus Abverkäufen des Parteibesitzes (etwa parteieigener Zeitungen wie der Berliner Zeitung). Das immense Parteivermögen der steinreichen SED wurde weitergereicht und ist jetzt gut und nahezu unauffindbar geparkt.

Herausragend gut: die Unternehmenskommunikation. Vorne hingestellt werden junge, unbelastete, gutaussehende Frauen, die aufgrund der Gnade der Geburt keine Verstrickungen mit dem SED-Regime zu haben scheinen. “ … weil die Partei in der Krise war und man jemanden brauchte, der unbelastet war“, so Katja Kipping selbst. Haare (nach Kippings Aussage in Wirklichkeit dreckigblond) und politische Aussagen werden rot gefärbt. Das passt alles wunderbar zusammen.

Als wohlversorgte, gutverdienende Immobilienerbin mit einem Monatsverdienst von 7.800.- Euro sich Lustkäufen hingeben, sich hinstellen und „Reichtum für alle“ verlangen: das hat Chuzpe.

Kompliment.

Reden wir über Geld: Katja Kipping – “Bei den Linken ist Luxus legitim“ – Reden wir über Geld – sueddeutsche.de

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Was hätte man mit so viel Geld auch machen können?

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Juli 252009
 

Immer wieder versuche ich, mein Gespür für große Zahlen in der Finanzpolitik durch rasche Faustrechnungen zu stählen! Leitfrage: Was hätte man mit dem Geld Sinnvolleres machen können?

Ein Beispiel! Heute meldet die WELT:

Tempelhof-Einsatz kostet eine Million Euro
Der Großeinsatz der Polizei bei der versuchten Besetzung des früheren Berliner Flughafens Tempelhof im Juni hat knapp eine Million Euro gekostet. Die Kosten für die Berliner Polizei lägen bei etwa 883 500 Euro.

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Juli 132009
 

Tolles Hoffest am Samstag bei uns in der Obentrautstraße! Hier seht ihr ein Bild von unserem wunderschönen Hofbrunnen! Ich erzählte das „Märchen vom armen Mann, vom Rabenkönig und vom Frettchen.“ Eine Mischung aus ukrainischen Märchenmotiven und eigenen Zutaten: dem Frettchen vom U-Bahnhof Neukölln. Der arme Mann verliert seinen Ochsen, auf dem der ganze Lebensunterhalt beruht. Die Familie hat nichts mehr zum Beißen und geht dem Hungertod entgegen.  Da hilft das Frettchen aus Neukölln dem dritten Sohn des armen Mannes, den geraubten Ochsen aus der Macht des bösen Rabenkönigs zu befreien. Wanja spielte das Beethoven-Lied „Das Frettchen“ auf seiner halben Geige dazu. Alles in Butter, alles toll! Wirklich? Wer ist denn das – ein armer Mann? Wer ist arm? Anlass genug für unsere morgendliche Betrachtung!

14,3% aller Deutschen und etwa 50% meines unmittelbaren Wohnumfeldes in Friedrichshain-Kreuzberg gelten als arm. Sie leben demzufolge unterhalb der von der internationalen Arbeitsorganisation ILO anerkannten Armutsgrenze, denn sie haben weniger als 60% des deutschen Durchschnittseinkommens zum Leben (764 Euro monatlich für Singles oder 1.376 Euro für Paare).

Hierzu erklärt der Politiker Johannes Hampel:

Das international anerkannte Armutskriterium – „weniger als 60% des Durchschnittseinkommens“ – ist willkürlich. Es ist ein lächerlicher Unfug. Es ist eine Verspottung der echten Armen, die es reichlich gibt, und zwar im Kosovo etwa, in Afrika, in der Ukraine, im Libanon, in Teilen der Türkei. Diese Menschen haben weniger als 2 Dollar pro Tag zur Verfügung. Sie sind arm. Mit 1375 Euro ist kein Paar arm. So etwas zu behaupten ist amtlicher Unsinn. Liest man „Die Lage der arbeitenden Klasse“ von dem begüterten Kapitalisten Friedrich Engels, dann erfährt man, was echte Armut war! In den USA kann heute Arbeitslosigkeit unter Umständen eine gewisse Armut bedeuten. Man überlebt dann oft nur noch durch die staatliche oder kirchliche Fürsorge, also durch Notküchen und mildtätige Zuwendungen, und viele verlieren ihr gewohntes Heim und müssen in ärmliche Quartiere ziehen.  In den EU-Staaten hingegen haben Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger durchschnittlich etwa 50% eines Erwerbseinkommens zur Verfügung. Das reicht in Deutschland vollkommen aus, um ohne Armut zu leben. Zugleich liegen die Menschen zuverlässig UNTERHALB des staatlichen Armutskriteriums.  Damit ist gesichert, dass eine Heerschar von ARMUTSBEKÄMPFERN auf Jahrzehnte hinaus Lohn und Brot findet! Mit dem amtlichen Armutskriterium bekämpft man also zuverlässig und nachhaltigst die drohende Arbeitslosigkeit der Armutsbekämpfer. Es wird schon aus mathematischen Gründen immer genug vermeintlich Arme geben, für die die professionellen Armutsbekämpfer kämpfen können. Etwa die Linkspartei. In unserem Wahlkreis 84 gibt es höchstens 1 Prozent echte Arme. Alle anderen, also die etwa 50% der Menschen, die hier im Wahlkreis 084 von Transferleistungen des Staates leben, sind nicht wirklich arm. Die nichtarbeitenden Klassen werden nur künstlich arm gerechnet. Dann sagt man ihnen: „Ihr seid arm, ihr seid arm dran, ihr Armen!“ Damit sie sich einnisten in ihrem behaglichen Opferstatus und nichts tun, um selbständig ihre Chancen und ihren – allerdings bescheidenen – Wohlstand zu mehren. Armes Kreuzberg, armes Friedrichshain, armes Prenzlauer Berg!

Auf, ihr Arme dieses Bezirks, lernt auf eigenen Füßen zu stehen!

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Zum Kinde wird der Mann: „Ich möchte das … und zwar sofort!“

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Juni 212009
 

Einer der für mich wichtigen Philosophen ist – Ludwig Wittgenstein. Von ihm habe ich gelernt, „Sprachspiele“ zu untersuchen. Wie gehen Menschen mit Worten um? Was tun sie damit? Welchen Spielregeln folgen sie? Nehmen wir den Satz:

„Ich möchte x, und zwar sofort!“

Wer so spricht, beschreibt etwas über sich selbst: Er weist darauf hin, dass ihm im jetzigen Zustand etwas fehlt. Er begehrt einen Zustand, den er noch nicht hat. Damit drückt er aber letztlich aus: Gebt mir x, und zwar sofort! Er versucht, unser Verhalten in der von ihm gewünschten Richtung zu beeinflussen.

Beispiel:

„Ich möchte einen Apfel, und zwar sofort!“

„Ich möchte  die Flasche, und zwar sofort!“

„Ich möchte die Brust, und zwar sofort!“

Diesen Satz wird ein Baby kaum aussprechen können. Durch lautes Geschrei und Toben macht der hungrige Säugling aber darauf aufmerksam, dass ihm etwas fehlt.

Die Mutter wird dem Kind üblicherweise die Brust geben, um das mitunter unerträglich laute Schreien zu stillen. Eine sinnvolle Handlung! Die Evolution hat es weise eingerichtet. Denn in der Tat gibt es für das Neugeborene fast nichts wichtigeres als ausreichend das Bestmögliche zu trinken – und das ist nun einmal die Muttermilch. Erst im Laufe vieler Monate wird das Kind lernen, dass es kein Unglück bedeutet, wenn seine dringenden Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden. Das Kind lernt schmerzhaft, seine Wünsche aufzuschieben. Es lernt: Ich kann nicht immer alles sofort haben.

„Ich möchte auf das Gelände. Und zwar sofort!“ Wieder einmal fand unser Wahlkreiskandidat Hans-Christian Ströbele den richtigen Ton. Mit dieser klassischen Formulierung trifft er erneut das Grundgefühl, das die fröhlich-feiernde Truppe am Tempelhofer Zaun beseelt. „Das Gelände gehört uns“, „wir wollen da rein“, diese und andere Sätze drücken unwiderleglich das kindhafte Grundgefühl aus: „Was ich will, müsst ihr machen. Sonst schrei ich laut!“Das ist natürlich emotionale Erpressung, wie sie die Säuglinge in ihren Betten nicht besser hinkriegen könnten.

Man wird das verspielte Treiben nur begreifen, wenn man die sogenannten Autonomen mit den Mitteln der Kinderpsychologie analysiert. Sie haben es nicht gelernt, ihre Wünsche aufzuschieben. Sie haben nicht die Erfahrung gemacht, dass die Welt nicht untergeht, wenn sie nicht das sofort bekommen, was sie sich wünschen. Was sie bei solchen Aktionen durchleben, ist im Grunde eine über Jahre oder Jahrzehnte hinweg aufgeschobene Auseinandersetzung mit dem, was ihnen fehlt: eine neinsagende, klare Grenzen ziehende und dennoch gütige Instanz, wie es gute Eltern sind. Die Auseinandersetzung mit der Staatsmacht ermöglicht es ihnen, nicht ausgetragene infantile Konflikte unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit zu inszenieren. Das klingt wie ein absurdes Theater, das die Chaoten da veranstalten? Richtig, es ist in gewissem Sinne ein absurdes Theater, auch darin ist Ströbele zuzustimmen. Der Applaus für die Darsteller besteht in der medialen Aufmerksamkeit – es ist wie Klatschen.

Das haben mir erfolgreiche, gut verdienende Künstler immer wieder bestätigt: „Der Applaus, die Bewunderung, die ungeteilte Aufmerksamkeit – das ist das Wichtigste – nicht das Geld.“

Kaum ein anderer Akt ist bezeichnender für diese Grundhaltung des „Ich möchte das … und zwar sofort!“ als das Anstecken der Autos, wie es seit Monaten die Stadt Berlin in Atem hält. Besonders hervorzuheben ist, dass diese Anschläge besonders rasch und ohne Vorbereitung erfolgen. Der Täter muss also keinen Wunschaufschub üben, sobald es dunkel geworden ist.  Es sind Verbrechen, die keiner ökonomischen, sehr wohl aber einer psychologischen Gesetzlichkeit folgen – im Gegensatz zu einem Bankraub etwa, der sorgfältiger Planung bedarf und bei bei dem der Täter einen dauerhaften wirtschaftlichen Nutzen davonträgt. Diese scheinbar spontanen Verbrechen wie etwa Brandstiftungen sind allerdings die gefährlichsten, denn sie verschaffen einen nichtmateriellen Gewinn, ein Lustgefühl, das nach Wiederholung schreit wie etwa der Zustand des High-Seins: „Denen habe ich es aber gezeigt!“ Es sind Racheakte unglücklicher Kinder, die sich so ausdrücken.

Wenn junge Erwachsene sich im Grunde wie Kleinkinder benehmen und das Ganze Politik nennen – sollte man sie nicht einfach lassen? Nein, dies wäre nicht nur hochgefährlich. Es ist hochgefährlich. Denn Babys können nur schreien, um uns zu erpressen. Sie können keine Autos anzünden. Sie würden es aber tun, wenn man sie ließe.

Dem Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele gebührt Dank und Anerkennung, dass er die zutiefst infantile Logik, die hinter den Anschlägen, hinter all den pseudo-revolutionären Umtrieben steckt, in eine geradezu klassisch einfache Formel gegossen hat:

„Ich möchte … und zwar sofort.“

Er greift damit den alten Sponti-Spruch auf, wie er (glaube ich) in der Frankfurter Hausbesetzerbewegung der 1970-er Jahre zuerst aufkam: „Wir möchten alles – und zwar sofort.“

Ihnen allen möchte man entgegenrufen:

„Es wird schon gut. Und jetz schlaf schön. Gleich kommt der Sandmann. Mama ist ja da. Sie wird dich vor den bösen Polizisten beschützen.“

Tempelhof-Besetzung: Katz- und Maus-Spiel um den Flughafen – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Panorama
Viele halten die massive Polizeipräsenz deshalb für übertrieben. So auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der mit dem Fahrrad über den Columbiadamm fährt. „Was die Polizei hier veranstaltet, ist ein absurdes Theater“, sagt Ströbele. Und fügt hinzu: „Ich möchte auf das Gelände, und zwar sofort.“

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Essig der Ausnüchterung: Es geht nicht mehr so weiter – denkt um!

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Juni 202009
 

Erfreuliches höre ich vom neuen Berliner Finanzsenator Nußbaum. Die Berliner Zeitung berichtet heute:

Es geht nicht mehr – Berliner Zeitung
Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) hat angesichts von Wirtschaftskrise und Einnahmeausfällen bei den Steuern einen Mentalitätswandel in der Bevölkerung und in der Politik gefordert. „Ich bin der Überzeugung, dass weder die politische Klasse noch die Bevölkerung richtig realisiert hat, was diese Krise wirklich für uns, für unseren Wohlstand bedeutet“, sagte der Senator der Berliner Zeitung.

Nußbaum hat recht. Er könnte sogar noch schärfer formulieren, doch muss er erst einmal versuchen, sich im Senat einen sicheren Stand zu erarbeiten. Ich selbst verlange seit vielen Monaten ein fundamentales Umdenken – und nur ganz wenige vernehme ich, die klare Schlüsse aus der Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen. Gefordert ist ein völliges Neubedenken der Aufgabenteilung zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen den Hilfesystemen und dem einzelnen. „Papi“, so nennen die jungen Gespielinnen in Italien ihren Ministerpräsidenten. „Papa Staat, hilf uns, sorge für uns“, dieser Klageruf ertönt auch bei uns noch viel zu oft. „Wir werden helfen“, so erbarmte sich – leider! – Kanzlerin Merkel in einer Fernsehsendung mit Anne Will. Und danach sprach sie vom „dritten Weg“ zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft, sie nannte dies irrigerweise „Soziale Marktwirtschaft“.

Nein, der Staat wird nicht mehr helfen können. Der zusätzliche Finanzbedarf von über 300 Milliarden Euro neuen Schulden bis 2012, wie ihn der Bundestag gestern festgeschrieben hat, ist ein Menetekel, ein klarer Beweis der Parlamente, dass sie das Einmaleins des Marktes vergessen haben.

Wir müssen zur Marktwirtschaft zurück. Die massiven Stützungen und die gigantische Neuverschuldung bringen einen derart erhöhten Steuer- und Regelbedarf mit sich, dass der Begriff einer „schleichenden Planwirtschaft“ gerechtfertigt erscheint. Ich sage: Wir brauchen eine solche schleichende Planwirtschaft nicht. Sie ist Gift für die Freiheit. Der Staat hat über die Jahrzehnte hin viel zu viel vermasselt, beginnend von den Landesbanken über das Heranzüchten neuer Großbanken – wir stehen mit 106 Milliarden Euro Bürgschaften und Beihilfen hinter der Neuzüchtung Dresdner/Commerzbank, bis hin zu dem Opel-Rettungspaket, dank dessen nunmehr russische Großbanken mit am Kabinettstisch in Berlin sitzen und den Ausgang der Bundestagswahlen mit beeinflussen dürfen! Was für ein abgrundtiefer Fehler!

Durch die satten Staatshilfen wird nach und nach jede Fähigkeit der einzelnen erstickt, sich selbst zu helfen. Die Menschen verlieren den Mut, sich ihrer eigenen Kräfte zu bedienen. Hier in Berlin erblicke ich eine zunehmende Versteppung der Selbsthilfekräfte. Ganze Stadtviertel leben fast nur noch davon, die staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen – dazu gehört insbesondere das Gebiet, in dem ich wohne, mein heimisches Kreuzberg.

Als entscheidenden Fehler erachte ich, dass kein Politiker offen die Wahrheit ausspricht, dass wir uns auf eine massive Senkung des Wohlstandes werden einrichten müssen. Ich kenne fast nur den Bundespräsidenten Köhler, die Bundestagskandidatin Vera Lengsfeld, den schwäbischen Politiker Oswald Metzger, den früheren Finanzsenator Sarrazin  und nun eben den Finanzsenator Nußbaum, die mutig genug sind, uns Wählern diesen reinen Wein oder vielmehr Essig der Ausnüchterung in homöopathischen Dosen einzuträufeln. Bitte mehr davon! Wir brauchen solche Ehrlichen in einer Truppe von Opportunisten.

Der Markt bringt eine gewisse Härte mit sich. Es wird uns nicht alles so leicht in den Schoß fallen. Aber genau diese Härte wird dazu führen, dass unsere Kräfte wieder erstarken, dass die allzu leichte Bequemlichkeit vertrieben wird.

Gestern las ich mit meinem Wanja Tom Sawyers Geschichte. Die Tante Polly belohnt den listigen Bengel, diesen Tom, dafür, dass er – vermeintlich – den Zaun gestrichen hat …  mit einem hellen, glänzenden roten Apfel.

Wir müssen dahin zurückkommen, dass selbst ein Apfel uns wieder als Belohnung erscheinen mag. Und „es wird uns besser dabei gehen“. Die Einbuße an Wohlstand wird zu einem Mehr an Lebensqualität führen. Die wiedergewonnene Verantwortung wird uns stärker und glücklicher machen.

 Posted by at 22:39
Juni 172009
 

Ich gerate auf dem Weg zur Arbeit in die Demonstration der Berliner Schüler und Studenten für bessere Bildung. Ich zückte mein Handy und nahm ein Video auf, das ihr sehen könnt, indem ihr hier drauf klickt. Zahlreiche Organisationen haben zum Schulstreik aufgerufen. Na, das kenne ich. Ich war als Schülersprecher damals ebenfalls an der einen oder anderen Aktion beteiligt. Wir forderten die Drittelparität in der Schulkonferenz. Wir wollten die volle Demokratie in der Schule. Ich selber war meistens bei solchen Umtrieben mit dabei. Mein Vater stand leider auf der Gegenseite: Er unterrichtete Grundschulpädagogik, galt als Marionette des Kultusministers, der die böse ASchO, die Allgemeine Schulordnung, erlassen hatte – frecherweise, ohne uns Schüler vorher um Erlaubnis zu bitten. Dass ich meinen Vater als Hampelmann des bayerischen Kultusministers Hans Maier in einer Karikatur entdecken musste, gab mir aber doch einen einen Stich mitten ins Herz.

Heute empfand ich das ganze eher als Getöse, als nicht ganz ernstzunehmen. Es war ein Happening.  Zwar halte ich es immer für gut, wenn man gute Bildung fördert und fordert. Aber dann sollte man bei sich selbst anfangen. Niemand hindert die Schüler am Lernen. Ich sehe keine Schüler und Schülerinnen, die wirklich hart, fleißig und zielgerichtet mit dem selbstbestimmten Lernen beschäftigt sind. Ich sehe die Jugendlichen trommeln, in Bars herumhängen, mit Handys telefonieren, kiffen, rauchen und trinken. Ich weiß: Nicht alle sind so. Aber sie haben viel Geld, viel Zeit und Eltern, die kaum etwas von ihnen zu erwarten scheinen. Die Schüler sind in der Schule weitgehend unterfordert.

17062009001.jpg

Ich lasse mir ein Flugblatt geben. Die Sozialistische Jugend Die Falken SJD schreibt:

Der Kapitalismus frisst den ganzen Bildungskuchen und alle Studienplätzchen alleine.

WIR FORDERN: GEBÄCK FÜR ALLE.

Wir brauchen den Kapitalismus nicht.

Nur gemeinsam können wir das System überwinden.

Aha. Also doch. Die Demo wird instrumentalisiert, um gezielt den Überdruss am Kapitalismus zu schüren. Intelligenz ist also eine Art Keks, den der Staat an uns alle verteilen soll. Kostenlos.

An meiner heutigen Arbeitsstätte angekommen, lese ich das Handelsblatt von gestern. Kanzlerin Merkel rechtfertigt erneut die umfassenden staatlichen Hilfen für einzelne Wirtschaftszweige. Ich lese:

Merkel wie Steinmeier bekannten sich zum Modell des Exportlandes Deutschland. Zwar sei die exportabhängige deutsche Wirtschaft momentan von der Krise besonders stark betroffen. „Es gibt aber keine Alternative dazu, dass wir eine exportstarke Nation sind“, hob Merkel hervor, „ansonsten ist unser Wohlstand in Gefahr.“ Damit setzt die Bundesregierung ihren Kurs der staatlichen Rettungspolitik fort und schlägt Warnungen der Wirtschaftsforscher in den Wind, dem Export zu sehr zu vertrauen.

Auch BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sieht keine Alternative zu einem „starken Industrieland Deutschland“. Der frühere Hoch-Tief-Chef warnte die Wirtschaft jedoch davor, sich in der Krise zu stark auf Staatshilfen zu verlassen. Außerdem mahnte er eine wirkliche Reform der Steuer- und Sozialsysteme an. Sonst erreiche man das Ziel nicht, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Ist unser Wohlstand in Gefahr, wenn die Exporte dauerhaft und massiv einbrechen? Ja! Ist die Sicherung des Wohlstands ein vorrangiges Ziel der Politik? Offensichtlich ja.

Kann der Staat für seine Bürger den Wohlstand sichern? Hierauf lautet meine Antwort: Nein. Es kann nicht Ziel des Staates sein, den Wohlstand der Bürger durch exorbitante Verschuldung für eine Legislaturperiode zu sichern. Die Bürger müssen sich den Wohlstand erarbeiten. Durch Fleiß, durch kluges Handeln, durch Beharrlichkeit und Redlichkeit. Der Staat kann allenfalls Rahmenbedingungen setzen. Er ist nicht dafür zuständig, den Wohlstand der jetzt Lebenden durch Verschuldung der künftigen Generationen zu sichern.

Es gibt Werte, die weit wichtiger sind als der Wohlstand: Das ist das Recht, das ist die Freiheit. Durch die jetzige Politik der Hochverschuldung wird die Freiheit der nach uns Kommenden beschnitten. Und auch das Recht wird beeinträchtigt, etwa durch die törichterweise im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“. Es ist nicht schlimm, wenn unser Lebensstandard erheblich zurückgeht. Es ist schlimm, wenn Freiheitsrechte der Menschen durch immer neue Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und durch immer einseitigere Ansprüche der Bürger an den Staat beschnitten werden.

Es wird der trügerische Wahn erzeugt, staatliches Handeln könne maßgeblich Wohlstand sichern. Ich sage: Das Handeln des Staates kann den Wohlstand ebensowenig sichern wie zusätzliche Bildungsmilliarden das gute Lernen der Schüler garantieren. Man fragt immer erneut beim Staat an. „Mach uns glücklich durch Glückskekse, Vater Staat! Mach uns klug durch Klugheitsgebäck, Mutti Bundesrepublik! Mach uns reich, oh Konjunkturprogramm II!“

Dieser selbstherrliche Anspruch des Staates, wie ihn Kanzlerin Merkel wieder und wieder formuliert, nämlich das Glück und den Wohlstand der Bürger zu sichern, führt in die Irre. Das ist die neueste Fassung eines polemischen alten Wortes, das der gute Bismarck prägte, als er seine Sozialversicherungen einführte: Staatssozialismus.

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Mai 192009
 

Ein Blick in die Süddeutsche Zeitung von heute bringt mehr Klarheit: Es gibt Armut vor unserer Haustür. Im Kosovo etwa: jeder siebte Kosovare hat heute weniger als einen Euro am Tag zur Verfügung. Franziska Augstein zieht unter dem Titel „Als die Menschenrechte schießen lernten“ eine insgesamt niederschmetternde Bilanz des Kosovo-Krieges, den die NATO am 24. März 1999 begann und der bis 19. Juni 1999 dauerte. Die Nato unterstützte die schlechter bewaffneten Terroristen der UCK in ihrem Kampf gegen Serbien, agents provocateurs auf beiden Seiten heizten durch tatsächliche und erfundene Massaker sowie massive Falschinformationen die Lage auf, so dass ein bewaffnetes Eingreifen der NATO gerechtfertigt erschien. Der Westen irrte. Er irrte ebenso, als er die Taliban gegen die Sowjets aufrüstete. Das Kosovo ist heute ärmer als vor dem Krieg. Wer spricht noch davon? Das sind echte Arme – und wir haben sie sogar teilweise selbst verschuldet.

Mit Hartz IV kann man leben, man hat immerhin etwa 500 Mal so viel Geld wie das ärmste Siebentel der Kosovaren. Man nagt nicht am Hungertuche, kann sich aber auch keinen neuen VW Polo leisten. Macht Geld frei? Wie wirkt sich der lange Bezug von Hartz IV auf die Psyche aus? Vera Lengsfeld schreibt in ihrem Buch Neustart:

„Es ist richtig, dass Geld frei und unabhängig macht, aber eben nur selbst verdientes Geld. Geld, das man ohne Gegenleistung bekommt, macht unfrei: Die eigenen Fähigkeiten, sich selbst zu versorgen, verkümmern, und das erhöht die Abhängigkeit von fremden Leistungen. Am Ende ist man bereit, seine Freiheitsrechte aufzugeben, um weiter versorgt zu werden“ (Vera Lengsfeld, Neustart. München 2006, S. 199).

3 Jahre später, am heutigen Tage, scheint sich auch die Linkspartei auf derartige Einsichten zu besinnen. Roland Claus, Ostkoordinator (ein herrlicher Titel!) der Linksfraktion im Bundestag, legte gestern eine wissenschaftliche Studie unter dem Titel „Leitbild Ostdeutschland 2020“ vor. Wir zitieren Sätze aus der Süddeutschen Zeitung von heute (S. 5), in denen die Feststellungen Lengsfelds wie ein Echo wiederzuhallen scheinen:

Ostdeutschland sei von Transferleistungen abhängig. „Diese Transfers aber können die Fähigkeit zu einer eigenständigen und selbstbestimmten Gestaltung sozioökonomischer Entwicklung erheblich einschränken.“

Im Klartext kommen Lengsfeld und die Linkspartei überein: Wer lange von Transferzahlungen lebt, verlernt das Handwerk des Lebens. Er wird unfrei, weil er abhängig bleibt.

Eine mögliche Lösung scheint mir zu sein: Gesellschaftlich nützliche Arbeit als Lohnarbeit anbieten! Im Pflegebereich, im Kinderbetreuungsbereich, in der Nachbarschaftshilfe, in den Vereinen, bei der Graffiti-Entfernung usw. wartet jede Menge Arbeit! So habe ich händeringend nach mehr Personal für unseren letzten ADFC-Stand gesucht. Hätte ich gewusst, wie ich an Hartz- IV-Empfänger komme, so hätten wir den Stand rund um die Uhr besetzt halten können.

Diese vielen unerledigten Arbeiten sollten den nicht armen, aber unfreien Transferempfängern angeboten werden, und dafür sollten sie bezahlt werden. Sie hätten dann ein befriedigendes Gefühl: Ich kann was, ich kann mich selbst ernähren!

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Systeme auf der Anklagebank

 1968, Georgien, Vertreibungen, Verwöhnt, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Systeme auf der Anklagebank
Mai 182009
 

Dieses Bild zeigt den den hier schreibenden Blogger beim Lesen der Mainpost vom 24. November 1945. Auf der Domstraße gerate ich ins Plaudern mit den Betreibern des Straßencafés, spreche sie türkisch an. „Woher in der Türkei kommen Sie?“ „Wir sind Kurden!“ „Aha!“ Ich denke: Aber Türkisch sprechen sie doch alle, auch die vielen Nicht-Türken in der Türkei. Das Kurdische wurde ja über Jahrzehnte hinweg verboten und verdammt. Gut aber, dass in der Türkei allmählich kurdische Sender, kurdische Veröffentlichungen zugelassen werden! Deutschland mit seiner seit 40 Jahren erscheinenden Hürriyet gilt mittlerweile sogar als Vorbild für gelingende Minderheitenpresse.

Einen halben Sonntag verbrachte ich nach einem beruflichen Einsatz schlendernd, bummelnd, plaudernd in Würzburg. In der Residenz schließe ich mich einer deutschsprachigen Führung an, die gerade die Fresken des Gian Battista Tiepolo betrachtet. „Sehen Sie dort – das ist der Kontinent Asien. Asien wurde als Mutter der Kultur, als Wiege der Zivilisation und der christlichen Religion verehrt: deshalb sehen Sie die Gesetzestafeln des Mose, Sie sehen die erste Schrift der Menschheit, wofür man damals das Georgische hielt. Und Sie sehen die Schädelstätte Golgatha. All das verband man damals mit Asien.“ Ich vernahm’s – und staunte, dass ein Gedanke, den ich erst vor zwei Tagen erneut in diesem Blog ausgeführt hatte, mir nun großmächtig in den riesig ausgespannten Deckengemälden eines deutschen Fürstbischofs entgegentritt. Ich ziehe daraus den Schluss: Bis ins 18. Jahrhundert hinein herrschte offenbar Konsens, dass die Kulturgeschichte von Ost nach West geht. Ex oriente lux, der Weltgeist schreitet vom Aufgang zum Untergang der Sonne: die wichtigsten Errungenschaften der höheren Bildung – die Weinrebe, die Schrift, die Poesie und ebenso auch die drei morgenländischen Religionen Judentum, Christentum und Islam – sie sind alle Gewächse Asias. Offenbar wurde dieses Wissen erst im Zeitalter des Kolonialismus endgültig verdrängt. Heute wähnen etwa die meisten Europäer, die Werte des Christentums seien ursprünglich europäische Werte – was für ein Irrtum!

Eine fragende, lehrende, ergebnisoffene Demokratie brachten die USA ab 1945 nach Bayern! Can Capitalism Survive? Ein General lud 1948 ein und machte sich Gedanken darüber, ob der Kapitalismus noch eine Chance habe! Sehenswerte Ausstellung  über Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in der Würzburger Residenz. Anhand von Schautafeln, Dingen des Gebrauchs, anhand nachgestellter Szenen gelingt es, sich in die Nachkriegszeit hineinzuversetzen. Wir, die Jahrgänge ab etwa 1955,  haben ein schlüsselfertiges Land zum Geschenk erhalten, unsere Mütter und Väter rappelten sich nach gigantischen Verirrungen und Verbrechen aus Staub, Schutt und Asche auf. Ihnen gelang eine bewundernswerte Leistung. Unser Land steht heute dank ihres Zupackens besser da denn je, ganze Generationen von Kindern (darunter auch die meine) in der Bundesrepublik Deutschland haben seit 1949 bis heute keinerlei schlimme Sorgen und Nöte erlebt: keinen Hunger, keine Obdachlosigkeit, keine Zerstörungen, keine Massenmorde, keine rassische oder politische Verfolgung, keinen Krieg.

Es gab für mich und meinesgleichen keinen ernsthaften Grund, sich gegen diese neu entstandene Bundesrepublik aufzulehnen. Ich habe manchmal daran gelitten, dass der Generation der Mütter und Väter offenbar fast alles gelungen war: den Krieg hatten sie als Kinder oder Jugendliche erlebt, sie waren hineingerissen und verführt worden, und danach schafften sie den Neuanfang. Wir Kinder bekamen alles schlüsselfertig vorgesetzt. Damals trafen 12 Millionen Heimatlose und Vertriebene mittellos ein, und nach und nach fanden alle ein Unterkommen und sogar Wohlstand. „Die Integration von 12 Millionen Vertriebenen war eine große Leistung, die leider viel zu wenig gewürdigt wird“, hörte ich in den 80er Jahren als Kind meinen Vater, der selbst vertrieben worden war, oft sagen. Ich lauschte auch den gegnerischen Stimmen, die immer wieder die dunklen Machenschaften der deutschen Rüstungslobby mit den diktorischen Regimen in Südamerika und Südafrika oder die heuchlerische Sexualmoral der Kirchen geißelten. Wer hatte nun recht? War Deutschland ein durch und durch böses Land, wie es die Studenten der 68er-Bewegung zu behaupten schienen? Als halbwüchsiges Kind war ich hin- und hergerissen. Ein ganzes System – die BRD – saß wieder einmal auf der Anklagebank!

Erstaunlich bleibt, dass gerade unter diesen Umständen – als dies keinen Mut erforderte – eine so rabiat-radikale Opposition entstand, wie es sie eigentlich unterm Nationalsozialismus hätte geben müssen, aber eben damals nicht gab!

Heute muss ich sagen: Mein Vater hatte weitgehend recht in seinen Einschätzungen. Und Rudi Dutschke, an den in herrlich-augenzwinkernder Ironie sogar eine Straße in meinem Heimatbezirk erinnert, wozu nun ebenfalls keinerlei mehr Mut gehört, der hatte eben weitgehend unrecht in seinen Einschätzungen der Lage, ja, wenn man heute, im 40-jährigen Abstand die Schriften des SDS oder der K-Gruppen oder der RAF noch einmal liest, dann wird man sich fragen müssen: Woher diese Verblendung, dieser rabiate Dünkel, diese unglaubliche, hochgefährliche Verbarrikadierung in Welterklärungskäfigen? Glaubten die Menschen wirklich daran? Worum ging es da? Ich meine heute: Es ging eigentlich gar nicht um Politik, sondern um eine hochsymbolische Ablösung der Söhne von den Vätern. Die Politik war nur ein Spielfeld, ein Tummelplatz für nicht bewältigte intergenerationelle Schuldverstrickungen. Die Söhne setzten ein System, und das heißt ihre Väter, auf die Anklagebank.

Und wir? Unsere Gesellschaft, wir heute Erwachsenen haben es bisher nicht einmal geschafft, etwa 3 Millionen Türken so zu integrieren, dass wir wissen, dass sie wissen, woran wir sind. Dabei herrschen heute unvergleichlich bessere, materiell unvergleichlich reichere Ausgangsbedingungen als damals in der Nachkriegszeit. Es gäbe eigentlich genug Geld, um die Bildungsmisere in Berlin etwa rasch zu beenden.  Ich glaube, die Integration der zugewanderten Gruppen, die Schaffung eines neuen, gemeinsamen Selbstbildes, das ist die große Aufgabe, die vor uns liegt. Ich halte sie für nicht einmal halb so groß und halb so schwierig wie die Integration der 12 Millionen Vertriebenen nach dem Krieg, für nicht einmal halb so schwierig und nicht einmal halb  so groß wie den Wiederaufbau eines verwüsteten Landes.

Selbst hier stehen wir „Söhne und Töchter“ gegenüber den „Vätern und Müttern“ nicht so gut da: damals, in den 60-er Jahren, suchten die Studentenführer händeringend und steinewerfend nach irgendwelchen, an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen, und heute können die Väter, die jetzt schon längst Großväter sind oder gestorben sind, auf uns sehen und sagen: „Na, nun macht mal! Zeigt es uns! Messt eure Leistungen an dem, was wir damals geleistet haben!“

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Tretet uns bei, o Brüder und Schwestern!

 Beweg dich, Einladungen, Ethnizität, Heimat, Immanuel Kant, Integration, Sozialstaat, Türkisches, Verwöhnt  Kommentare deaktiviert für Tretet uns bei, o Brüder und Schwestern!
Mai 122009
 

Als geliebte Brüder und Schwestern sprach der türkische Ministerpräsident immer wieder  seine Landsleute in seiner berühmten Kölner Rede im Februar 2008 an. Er vermittelte ihnen ein warmes Gefühl der Zugehörigkeit, ermunterte die 3 Millionen in Deutschland lebenden Landsleute, sich kraftvoll und geschlossen für die Interessen der türkischen Volksgruppe einzusetzen, an ihrer türkischen Identität getreulich festzuhalten und nicht das Verbrechen der Assimilation  zu begehen.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute unter dem Titel „Und ewig lockt die Heimat“ auf Seite 2 über den Rückgang der Einbürgerungszahlen:

Einbürgerung – Und ewig lockt die Heimat – Politik – sueddeutsche.de
Wer in diesen Tagen mit Beratern für Einbürgerungswillige spricht, bekommt immer wieder zwei Hinderungsgründe genannt: die Sprachanforderungen. Und die Pflicht für die meisten Bewerber, ihre alte Staatsangehörigkeit aufzugeben.

„Wenn man diese Punkte ändert, könnte sich die Zahl der Antragsteller verdoppeln oder verdreifachen“, sagt Ali Güngör, Einbürgerungsberater der Arbeiterwohlfahrt in Nürnberg. Gerade dass die Bewerber nun einen schriftlichen Deutschtest zu bestehen hätten, hält viele ab.

Zweimal hat der Gesetzgeber in den vergangenen zehn Jahren die Sprachanforderungen verschärft: zunächst mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahr 2000, das „ausreichende Deutschkenntnisse“ verlangte.

Während wir in diesem Blog immer wieder recht heftige Pfeile gegen die Finanz- und Wirtschaftspolitik der gegenwärtigen Bundesregierung abgeschossen haben, gibt es ein Feld, in dem ich weitgehend zufrieden mit der Bundesregierung bin: die Integrations- und Einbürgerungspolitik. Ich halte das bewusste Werben um Einbürgerung für goldrichtig, ich halte es ebenso für richtig, dass vor der Einbürgerung mindestens geringe deutsche Sprachkenntnisse und auch von den 18- bis 23-Jährigen durch Rückgabe der Nicht-EU-Staatsbürgerschaft eine Loyalitätsbekundung zu Deutschland erwartet wird.

Die Bundesrepublik Deutschland hat mithilfe ihres gut ausgebauten Sozialsystems eine zahlenmäßig starke Bevölkerungsgruppe herangezogen, die sich dieser Gesellschaft noch nicht wirklich zugehörig fühlt. Eine echte Parallelgesellschaft ist entstanden. Es ist angebracht, dass unser Staat als minimale Gegenleistung für den hohen Wohlstand, den jeder in Deutschland Lebende ohne zwingend vorgeschriebene Anstrengung genießt, eine kleine Gegenleistung, ein individuell zu erbringendes Bemühen um das eigene Glück einfordert.

In der Politik muss man auch mit Zahlen umgehen! Allen Unkenrufen der Linkspartei zum Trotz: Das Sozialsystem der Bundesrepublik wird auch weiterhin eine kaum geminderte  Anziehungskraft entfalten. Dies ergibt sich schon aus dem direkten Vergleich der Einkommensverhältnisse. So liegt das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei derzeit bei etwa 7.000 US-Dollar im Jahr. Im Falle der Langzeitarbeitslosigkeit und der Erwerbsunfähigkeit gibt es keine soziale Grundsicherung. Das heißt, wer seinen Lebensunterhalt nicht selbst verdienen kann, ist in der Türkei und in anderen Nicht-EU-Staaten nahezu vollständig auf die Unterstützung der Familie angewiesen.

In Deutschland beträgt das  Pro-Kopf-Einkommen etwa 34.000 Dollar/Jahr. Das durchschnittliche Brutto-Erwerbseinkommen beträgt etwa 24.000 Dollar/Jahr. Nun gilt als Faustregel: Die Langzeitarbeitslosen und Erwerbsunfähigen verfügen in unserem Sozialstaat etwa über die Hälfte eines Durchschnittseinkommens, also etwa 12.000 Dollar/Jahr. Für den Volkswirtschaftler ergibt sich also: Jeder Erwerbslose, der es geschafft hat, in die deutsche soziale Grundsicherung hineinzukommen, bezieht durchschittlich fast das doppelte Einkommen eines Erwerbstätigen in der Türkei. Warum soll man malochen in der Türkei, wenn es einem in Deutschland ohne Arbeit finanziell doppelt so gut geht, und zwar ökonomisch um so besser, je mehr Kinder da sind?

Für einen dauerhaft Erwerbslosen aus Ländern ohne soziale Grundsicherung wie etwa Russland, Libanon oder Türkei gibt es weiterhin keinen besseren Tipp als die Sozialsysteme in Deutschland oder einem anderen EU-Land. „Ich möchte Hartz IV werden“, dieser Satz eines türkischen Kindes ist keineswegs ironisch gemeint, sondern ergibt sich geradezu zwingend aus der ökonomischen Logik der Einkommenskluft zwischen Deutschland und den wichtigsten Herkunftsländern.

Immer wieder äußern Linke-Politiker die brennende Sorge, dass durch die demütigenden Hartz-IV-Gesetze Menschen in Not getrieben werden. Deshalb verlangt ja die Linke in ihrem am Wochenende verabschiedeten Wahlprogramm auch die sofortige Aufstockung der Regelsätze auf 500 Euro. Volkswirtschaftlich lässt sich die Sogwirkung, die sich durch eine Aufstockung der sozialen Grundsicherung ergibt, in einer zu erwartenden Zunahme der Zuwanderung von nicht qualifizierten Migranten ausdrücken.

Oh ihr lieben Linken: Besucht uns, geht zu den türkischen und arabischen Familien in Kreuzberg, Neukölln und Wedding! Schaut rein in die Kinderstuben der Nation, in die Grundschulen Kreuzbergs! Folgt nicht dem Ratschlag des Berliner Bürgermeisters Wowereit, der da sagte: „Ich würde meine Kinder auch nicht in eine Kreuzberger Schule schicken.“ Fragt diese seit langem bei uns wohnenden türkischen und arabischen Familien mithilfe eines Dolmetschers, sofern ihr kein Arabisch und Türkisch könnt, ob sie sich gedemütigt fühlen!

Ohne Sorge seid ohne Sorge! Ihr findet genug Menschen, denen ihr beim Weg in die Integration helfen könnt. Auch wenn Hartz IV nicht aufgestockt wird. Das Geld reicht schon jetzt. Und zwar dicke.

Wichtig ist: Wir müssen alles tun, damit diese Kinder nicht abgleiten in Ghettomentalität und Langzeitarbeitslosigkeit und leider auch Kriminalität, wie das für einen Teil der türkischen und arabischen Jugendlichen in Berlin leider der Fall ist. Und auch diese Kinder, diese Jugendlichen, diese Eltern müssen wesentlich mehr tun, um hier anzukommen. Sie brauchen die klare Ansage: Tut endlich was für eurer Glück! Lernt Deutsch von Anfang an! Lernt einen Beruf! Geht arbeiten!

Dazu halte ich es für unumgänglich, dass die Landessprache Deutsch allen hier aufwachsenden Kindern vom ersten Lebenstag an beigebracht wird. Wie Renate Künast und ihre Grünen es neuerdings formulieren: „Du musst Deutsch können!“ Damit drohen die ach so bürgerlichen Grünen die ach so bürgerliche CDU rechts zu überholen! Dürfen die das überhaupt? Geht das nicht gegen die Rechts-Links-Lagerordnung?

Sinnvoll wäre es auch, wenn die Türkei und Libanon allmählich eigene Systeme der sozialen Grundsicherung aufbauten.

Für echte Integration halte ich eine Teilassimilation der fälschlich Migranten genannten Familien für unumgänglich. Sie ist kein Verbrechen, sie ist eine Notwendigkeit! Sie ist die einzige Chance, um aus dem Teufelskreis von erlernter Hilflosigkeit, Opfermentalität und Mitnahmedenken auszubrechen.

 Posted by at 11:56
Apr. 202009
 

Leider mal wieder völlig abwesend: Hauptschüler, türkische und arabische Schüler – die sollten mal auspacken!

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin; Cordula Heckmann, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Realschule und Leiterin des Jahrgangs 7 an der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“ in Berlin; Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch; Günter Offermann, der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach: das waren die Teilnehmer des Forums auf dem taz-Kongress, zielstrebig und klug geleitet von Tazzlerin Anna Lehmann. Ich setzte mich ins Publikum, lauschte. Christa Goetsch stellte das neue Hamburger Modell vor: Das Gymnasium bleibt erhalten, wird nach 12 Jahren zum Abitur führen. Daneben tritt die Stadtteilschule, auf der es 13 Jahre bis zum Abitur dauert. Neue Schulstruktur – neue Lernkultur: das waren auch die Zauberwörter, um die die insgesamt hochanregenden Beiträge kreisten. Lehrer, Schüler und Fachleute diskutierten, tauschten Erfahrungen aus – sehr gut!

Das Gymnasium – ein Auslaufmodell at 30 Jahre taz – tazkongress vom 17. bis 19. April 2009

Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: „Welche Schulformen werden benötigt?“ und Unterrichtsqualität: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“

In der Debatte meldete ich mich zu Wort. Ich beklagte die ethnisch-religiöse Segregation der Schülerschaft in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Die deutschen Eltern wollen nichts mit den mehrheitlich muslimischen Klassen zu tun haben. Diese Abschottung ist eingetreten, unabhängig von allen Diskussionen um Schulstrukturen und Unterrichtsformen.

Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter vorgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in das System und in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Sie müssen hier Pflichten und Verantwortung übernehmen.

Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett „Kind mit Migrationshintergrund“ verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen-Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

Nachher sprechen mich verschiedene Teilnehmer an: „Sie haben natürlich recht“, wird mir bedeutet. Nur sagen darf man es nicht so laut. Das stört die einträchtige Harmonie.  Es muss ja noch Stoff zum Diskutieren geben.

 Posted by at 22:59