Juni 142011
 

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Kürzlich erfuhren wir den Wuhletal-Wanderweg in Marzahn-Hellersdorf, bestiegen eine Kuppe, erkletterten einen Boulder-Felsen und bewunderten die kühnen Alpinisten am Wuhletal-Wächter, dem schroff aufragenden Kletterturm. Ein schönes Urlaubserlebnis, das uns keinen Pfennig kostete, da die BVG-Umweltkarte uns hinbrachte!

Marzahn-Hellersdorf ist vorbildlich! Es ist dabei, sich neu zu erfinden. Es lockt Wanderer, Kletterer und Radfahrer an, zeigt sich gastlich, aufstiegsorientiert und umweltbewusst.

Gastlich, aufstiegsorientiert, umweltbewusst! In Friedrichshain-Kreuzberg sollte so etwas doch auch möglich sein. Heute ließ ich mir von Marius Jast die SCUBEPARKS im Kreuzberger Prinzenbad erklären und zeigen. Leute: Wir haben die Chance, mit einem neuen Konzept für nachhaltiges Reisen auf unseren Bezirk aufmerksam zu machen.

SCUBES sind würfelförmige Zimmer, gefertigt aus langsam wachsender nordischer Fichte. Ich trete ein – der belebende Duft unbehandelten Holzes umgibt mich. Holz – ein nachhaltiger Rohstoff, aus dem beispielsweise auch Geigen hergestellt werden.

Radfahrer können von hier aus losradeln und entlang der Strecke Berlin-Usedom deutsch-polnische Erkundungen betreiben und werden auf der Reise zur Ostsee jede Nacht in einer dieser Schlafstätten verbringen können.

Die Scubes nehmen den Liegewiesen überhaupt keinen Platz weg, der FKK-Bereich ist völlig unberührt, das Argument des Bezirksamtes und der BVV, der Betrieb der kleinen mobilen Hütten verstoße gegen Genehmigungspflichten, ist an den Haaren herbeigezogen.

Ich bin hellauf begeistert. Die SCUBES verkörpern genau jene sparsam-schonende Haltung gegenüber Mensch und Umwelt, die wir hier brauchen. Elektrofahrräder statt Dieseltaxis, Dachbegrünung statt Massen-Bierschwemme, Solarstrom für Laptops und Handys, eine Freilichtgalerie –  und und und. Das Konzept der SCUBE Parks ist stimmig und passt in unsere Zeit.

Darüber hinaus liefern die SCUBES Impulse für wirtschaftliches Handeln. Sie öffnen den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der sich allzu oft in einer störrischen Dagegen-Haltung einmauert und vernagelt, nach außen. Ein bisschen Wandel, ab und zu ein Lichtstrahl Neues muss doch auch hier möglich sein!

Ich will den Wandel. Ich will die SCUBES.
Warum nicht mal für etwas kämpfen?

Unser Park « SCUBE Parks

Kuckt hier ein Video über das Prinzenbad am heutigen 14. Juni, einem ganz normalen Sommertag.

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Aus eigener Kraft klettern!

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Juni 022011
 

Großartige Erlebnisse bescherte mir der Vatertag. Am Morgen gestalteten wir den Gottesdienst in der Ev. Luthergemeinde in Schöneberg mit Gesang und Musizieren mit. Am Nachmittag führte mein jüngerer Sohn mich auf die von ihm selbst vorgeschlagene und geplante Radtour vom S-Bahnhof Adlershof durch das Wuhletal. Packende Klettereien an steilauf ragenden Felsen erlebten wir – als Zuschauer – am Kletterturm, dem Wuhletalwächter. Die Sportler bewältigen den Aufstieg aus eigener Kraft – schön, diese Haltung brauchen wir. Wir selbst versuchten uns zaghaft am Bouldern, dem Klettern an knapp mannshohen Felswänden, die zum Kraxeln ohne Seil und Sicherung angelegt werden – aber stets aus eigener Kraft.

Die Wuhle schlängelt sich hart am Stadtrand entlang. Verzauberte sonnige Felder, in der Ferne Klärteiche, die scharfkantig wie Solarparks im Sonnenglast lagen. Grillende Russen am Berghang, ein knutschendes Pärchen auf dem Gipfel der Ahrensfelder Berge. Wir diskutierten die Bedeutung einzelner Landschaftszeichen, die Höhe über Normalnull.

Krautiges Wuchern, gegossene Fahrwege aus fugenlosem Beton! Einzelnes Geflügel hingeduckt im Schilf. Darüber schwebend irgendwann drei Habichte kreisend in der Luft. Dann rollten wir dem schlängelnden Lauf des renaturierten Flüsschens entlang, ehe wir den S/U-Bahnhof Wuhletal erreichten. Ein stimmiger Zusammenhang!

Ganz spät las ich noch die Schilflieder Nikolaus Lenaus:

Drüben geht die Sonne scheiden
Und der müde Tag entschlief;
Niederhangen hier die Weiden
In den Teich so still, so tief …

Hirsche wandeln dort am Hügel,
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt sich das Geflügel
Träumerisch im tiefen Rohr.

Mit diesen Versen denke ich an die wunderbare Landschaft des Wuhletals, hart am Stadtrand Berlins.

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März 132011
 

Eine erste Wanderung am heutigen  Sonntag führte meine Schulgemeinschaft vom schroffen Machtkult des Olympiastadions über die hingemähten Leidensmale des britischen Soldatenfriedhofs in den Grunewald. „Es grunelt“, so nannte Goethe des öfteren dieses erste flächenhaft hingesprenkelte Grüne, dieses Voratmen des Frühlings. Herrlich! Unser Lachen schallte durch den noch laublosen Wald.

Und sogleich entspringt ein Leben,
Schwillt ein heilig heimlich Wirken,
Und es grunelt und es grünet
In den irdischen Bezirken.

Dann, beim letzten steilen Anstieg zum Grunewaldturm, staunte ich baff. Was hörte mein Ohr?  „Kannst du mich tragen?“ Ein achtjähriges Kind verlangte dies von mir! SIE VERSUCHEN ES HALT IMMER WIEDER!, dachte ich. Die Kinder sind wie Empfänger staatlicher Hilfe, wenn man nicht aufpasst. Kinder sind schlimmstenfalls wie konkursgefährdete staatsgestützte Betriebe, wie bankrotte halbstaatliche Banken, notleidende EU-Länder, wie lernunwillige Jugendliche mit oder ohne allerlei migrantische Hintergründe. „Kannst du mich tragen!“ Die Spatzen kriegen den Hals nicht voll genug! Sie tschilpen und fiepen!

Ich lehnte schroff ab: „Ich denke nicht im Traum daran, dich zu tragen! Geh selber!“ Und gut war. Der Knabe schaffte die schroffe Anhöhe spielend und ohne weiteres Jammern.

Gut auch: Die Radfahrer sind wieder los. Es werden immer mehr!

Geht selber und fahrt selber, mit eigener Kraft! Strampelt euch frei!

Der Radverkehr legt zu, die Planer müssen sich drauf einstellen!

Vom Erfolg überrollt – Berliner Zeitung
Die Planer müssen aber nicht nur über neue Wege nachdenken – sondern verstärkt auch darüber, wie bestehende Anlagen, die für den gewachsenen Radverkehr zu klein geworden sind, erweitert werden könnten. Zu diesen „Hot Spots“ gehören die Schönhauser, Prenzlauer und Frankfurter Allee , sagte Arvid Krenz, Fahrradbeauftragter des Senats. „Dort reicht vor allem vor den Ampeln der Platz nicht mehr aus, es gibt regelrechte Fahrradstaus.“ Das Problem ist: „Wenn man Radfahrern mehr Platz gibt, muss man anderen Platz wegnehmen“ – meist den Autofahrern, so Guggenthaler. Neue Radfahrstreifen fallen mit 2,30 Meter meist 50 Zentimeter breiter aus als frühere.

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Feb. 202011
 

20022011365.jpg Heute staunte ich mehrfach in Waldsieversdorf! Dieses 1000-Seelen-Dorf kann viele berühmte Söhne sein eigen nennen: John Heartfield, dieser unerschrockene Vorkämpfer gegen den Faschismus, der vieles von dem kommenden Grauen vorausahnte, der die Collage als erster in die politische Plakatkunst einführte – er stammt aus diesem Flecken in der Märkischen Schweiz! Heute wandelten wir auf seinen Pfaden – auf dem John-Heartfield-Weg am Ufer des zugefrorenen großen Däbersees.

Der Wirt unseres Quartiers legte aber noch nach: „Aus unserem Dorf stammt auch der Mann mit dem schwarzen Koffer, den wir im Osten alle kannten.“ „Alexander Schalck-Golodkowski – stammt wirklich aus dieser Idylle?“, frug ich zurück. Ich war bass erstaunt. „Sie sind offenbar ein Ostdeutscher, aber wenn Westdeutsche kommen, sagt ihnen der Spitzname nichts“, klärte mich der Wirt auf. „Ja ja, der Schalck-Golodkowski …“ sinnierte ich.

„Und auch Lord Dahrendorf stammt aus unserem Dorf … er ging hier zur Schule“, legte der Wirt noch einmal nach. Potz! Der liberale Vordenker, Soziologe in London, hochverdientes  Mitglied der FDP… Ich jubelte fast in Freude über diesen Ort. Dann besann mich auf einen Gegenzug: „Ich stamme aus der Vaterstadt des Dichters, der oft schützend seine Hand über Heartfield hielt und ihn vor dem kleingeistigen Kritteln der SED in Schutz nahm!“ Und dieser Dichter hatte sein Domizil im nahegelegenen Buckow.

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Staunen erregten in mir auch die umfassenden Deichbau-Vorbereitungsarbeiten der Biber. Allerdings empfinden die Menschen die Tatkraft der Biber schon als fast überhandnehmend. Hier werden ganze See-Arme abgezweigt, geflutet, Biber-Neubaugebiete werden durch die Biber ohne Rücksprache mit der Behörde ausgewiesen, Bäume werden ohne Genehmigung zum Umfallen vorbereitet. Große Kunst – aber alles ohne Genehmigung! Undeutsch.

Toller, klirrend kalter  Tag in dem Dorf. Die Menschen begegneten uns sehr offen, erzählten gern und freigebig von ihrer Heimat.

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Traditionspflege oder Mobilitätssteigerung? Die radelnde Ministerin Aygül Özkan

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Feb. 092011
 

Wir müssen diesen wichtigen Teil unserer Tradition pflegen„, so oder so ähnlich verteidigen manche grünen Politiker die jahrzehntelang gehegten alternativen Wohnformen gegen jedwede Zumutung der eigensinnigen Eigentümer, die selber aussuchen wollen, wer in ihren Häusern wohnt bzw. die was dagegen haben, wenn ihr Eigentum zu Klump geschlagen wird.

Rückbesinnung auf Mauerzeiten, Bewahrung der gewachsenen Umfelder, Stütze für Menschen, die sich unter Verfolgungsdruck wähnen, Bestandsschutz, Natur-Schutz, Schutz der alteingesessenen Bevölkerung … so oder so ähnlich äußern sich die konservativen Heimatschützer im trauten Friedrichshain-Kreuzberg.

Einen etwas anderen Ansatz vertritt Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan im Interview der neuen Radzeit (S. 10). Äußerst lesenswert! Unter dem Motto „Mobilität erweitern – Selbstbewusstsein stärken“ wirbt sie für „nachholende Mobilisierung“ – und zwar durch Fahrradfahren. Das Radfahren erweitert den Horizont, macht beweglich und frei, bietet Gelegenheit zum Plausch an jeder Kreuzung. Gute Sache!

Ich denke, Aygül Özkan (CDU) hat völlig recht. Was wir brauchen, ist in der Tat die Bereitschaft zum Wandel. Das Leben ändert sich beständig!

Starres Festklammern an den gewachsenen Umfeldern – ob Haus&Hof, Kind&Kegel, Liebig14 oder Küche&Kirche – führt letztlich zur Passivität und Lähmung.

Der Mensch ist kein festsitzendes, sondern ein wanderndes Wesen! Wir sind alle Wanderer – Migranten!

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Feb. 052011
 

Durch ein bedauerliches Versehen veröffentlichte dieses Blog vor zwei Tagen eine irrige Fassung eines Abschnittes des Qualtinger-Liedes „Der Halbwilde“.

Höchst vorsorglich stellen wir fest, dass der Ausdruck „Der Halbwilde“ nicht als rassistisch oder diskriminierend gegenüber den Motarradfahrerinnen und Motorradfahrern  zu verstehen ist. Ebenso wenig vertreten wir – höchst vorsorglich – die Ansicht, dass Fahrradfahrerinnen beiderlei Geschlechts die besseren Menschen gegenüber den Motorradfahrern beiderlei Geschlechts seien.

Eine genaue Nachprüfung auf You toube ergab, dass der richtige Wortlaut des Liedes „Der Halbwilde“ der folgende ist:

I hab zwar kei ahnung wo i hinfahr
aber dafür bin i gschwinder durt

YouTube – Helmut Qualtinger – Der Halbwilde

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„Ich verleugne nicht die Schuld“

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Sep. 052010
 

03092010002.jpg Große geistliche Einkehr hielt ich am heutigen Sonntag bei einer Reise in Sachsen. Zufällig gelangte ich nach Köthen und Wittenberg. Köthen – wo Johann Sebastian Bach von 1717-1723 als Hofmusiker wirkte und unter anderem die sechs Sonaten und Partiten für Violine solo komponierte, die mich schon ein halbes Leben lang begleiten.

Ein herrlicher Halbsatz aus einem Choral der Matthäuspassion fiel mir ein und ich sang ihn: „Ich verleugne nicht die Schuld!“

Im vorigen Eintrag untersuchten wir die mannigfachen Mechanismen, mit denen wir Menschen eigenes Versagen auf andere zu überwälzen versuchen. Es gelingt im Kleinen wie im Großen wunderbar, in der Familie ebenso wie in der Politik, bei Sophokles ebenso wie bei bei unseren deutschen Politikern oder Kreuzberger Jugendlichen, deren Eltern  aus Libanon und Palästina nach Berlin gekommen sind.

Schuldabwälzung auf andere halte ich für einen universalen Mechanismus der Selbstrechtfertigung.

„Ich verleugne nicht die Schuld!“, dieser Satz beeindruckt mich. Allein dadurch, dass man eigene Verfehlungen zugibt, hat man schon den ersten Schritt zur Umkehr, zur Besserung getan. Allerdings meinen die Christen, dass das Schuldeingeständnis beim Ich beginnen muss.

Das Schuldbekenntnis erfolgt freiwillig, wenngleich ritualisiert. So steht es etwa am Beginn des Gottesdienstes.

„Ich verleugne nicht die Schuld.“ Was für ein herrlicher Satz! Was für eine unsterbliche, herzbewegende Musik, die Bach geschaffen hat!

Bild: Unterwegs zum Bach-Denkmal in Köthen und zu seinem mutmaßlichen Wohnhaus.

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Aug. 202010
 

11082010029.jpg Soeben holte ich für meinen zweiten Sohn und mich unsere Startunterlagen für den 4. Airport Run der Berliner Flughäfen ab. Meine Startnummer: 6354. Morgen früh geht es los, allerdings wurde die Startzeit von 09.00 auf 09.10 Uhr verschoben.

In der mitgegebenen Tüte entdecke ich die Lauf-Zeitschrift LEX – Das Magazin der Laufexperten, Nr. 1-2010. Was lese ich da auf S. 52 aus der Feder von Dieter Lang? Was empfiehlt der ausgewiesene Laufexperte als bestmögliches Training für den leistungsorientierten Läufer? Folgendes:

„Die Idealvorstellung: barfuß auf unterschiedlichen Naturböden gehen und laufen.“

Genau das, was ich vom Ökowerk Teufelssee her kenne und was ich erst vor wenigen Tagen am wilden Altarm des Flusses Moskwa genießen durfte. Kuckt hier mein kleines Urlaubsvideo:

YouTube – Von der Herrlichkeit des Barfußgehens 15082010(005).mp4

Allerdings setze ich morgen keinerlei Leistungsdruck aus! Ich war zeit meines Schülerlebens immer ein schwacher Langstreckenläufer, fürchtete jeden 1000m-Lauf und setze mir morgen einfach das Ziel, überhaupt anzukommen – ohne zu humpeln oder zu hampeln.

Bild: am Fluss Moskwa, August 2010

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Apr. 132010
 

Bei meinen Besuchen in Russland fiel mir immer wieder auf, mit  welcher Kennerschaft und oft Liebe die Russen von bei uns in Deutschland längst schon vergessenen Menschen wie Robert Schumann, Heinrich Heine, aber auch Karl Marx (weniger Liebe bei dem, aber Kennerschaft) oder Friedrich Nietzsche sprechen. Die Bildnisse von deutschen Komponisten machen schon etwa die Hälfte der großen Komponisten-Galerie im Konzertsaal des Moskauer Konservatoriums aus. Wer kennt sie bei uns noch?

Ich meine: Das längere gemeinsame Singen sollte zu jedem Schultag in jeder Klasse in der Berliner Grundschule gehören – am besten zu Beginn und dann noch einmal mittendrin. Bitte nicht nur die Nationalhmyne – aber auch. Bitte auch alte Volkslieder, bitte auch Kinderreime, Abzählverse, Knackiges. Dann wird es gar nicht erst passieren, dass ganze Generationen an Schülern unsere Berliner Schulen verlassen, ohne auch nur einen einzigen korrekten deutschen Satz aussprechen zu können. Und ich übertreibe nicht. Geht ins Prinzenbad, fahrt mal U-Bahn bei uns in Berlin.

Lena Meyer-Landrut mit ihrem rasch hingeschmissenen Erfolg wird unseren Kindern als Vorbild hingestellt – in Russland heißt das Vorbild Anna Netrebko. Netrebko hat 15 Jahre hart an sich und an ihrer Karriere gearbeitet, und sie fährt jetzt die Ernte ein. Aber sie hörte auch schon als junges Mädle in der tiefsten Provinz die Fledermaus von Johann Strauss.

In Deutschland wird das Singen (oder Trällern?) dem raschen Lottogewinn untergeordnet. Alles muss ja schnell gehen, die schnelle Mark, der schnelle Euro, der schnelle Erfolg.

Was für ein Jammer!

Wir können doch nicht alle unsere Berliner deutschen, kurdischen, assyrischen, russischen, armenischen, tatarischen, polnischen … Kinder zur Erziehung und zum Deutschlernen nach Sibirien oder in die südrussischen Teilrepubliken schicken?! NACH SI-BI-RIEN! Zum deutschen Sprachurlaub. Ja, warum eigentlich nicht? Sibirien ist ein großes Land. Wir schaffen es bei uns in Berlin nicht, den Kindern Deutsch beizubringen, also müssen wir Eltern und Erzieher selber zur Strafe in die Verbannung nach Sibirien. Das ist nicht schrecklich, oder? Immerhin, dort in Sibirien scheint man den unvergleichlichen Wert des Singens von Liedern erkannt zu haben. Lest:

Wir singen | Статьи | Немецкие организации Сибири
Mitte März fand im Begegnungszentrum des Dorfes Nikolajewka, Deutscher Nationaler Rayon, ein Seminar für Gesang statt. Insgesamt 20 Lehrkräfte der deutschen Kulturzentren aus den Städten Rubzowsk und Barnaul und dem Deutschen Nationalen Rayon nahmen an dieser dreitägigen Veranstaltung teil.

Organisator war die deutsche Begegnungsstätte des Dorfes Nikolajewka. Dieses Seminar wurde von der Stiftung „Altai“ im Rahmen des Programms der Regierung Deutschland zugunsten der deutschen Minderheit in Russland finanziert.
Arbeit mit Liedern hat in der Tätigkeit der deutschen Zentren eine wichtige Bedeutung. Sie veranstalten oft verschiedene Feste, feierliche Unterhaltungs- und Konzertprogramme, in denen sie üblicherweise viele deutsche Lieder vorstellen. Daneben beteiligen sich die Begegnungszentren mit deutschem Gesang an verschiedenen örtlichen sowie an regionalen, föderalen und internationalen Veranstaltungen. Außerdem funktionieren in vielen Zentren verschiedene Gesangkollektive. Sogar im Deutschunterricht, den die Zentren den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen anbieten, spielen die Lieder eine große Rolle. Sie machen den Deutschunterricht noch interessanter und bereiten den Teilnehmern der Deutschkurse verschiedenen Alters Spaß. Aus diesem Anlass ist es für die Zentren immer aktuell, ihr Repertoire mit neuen deutschen Liedern zu erweitern. Deswegen war für die Zentrumsleiter dieses Seminar, das die BIZ-Multiplikatorin für Gesang aus Rubzowsk Irina Bekassowa leitete, sehr wichtig.
Im Seminar besprachen die Teilnehmer die Probleme bei der Arbeit mit Liedern in den Kinder- und Jugendklubs, und Irina Bekassowa berichtete über ihre praktischen Erfahrungen in diesem Bereich. Dann lernten die Lehrkräfte mit den Texten der Lieder richtig arbeiten, und machten sich mit neuen vokal-aussprachlichen Übungen für Sänger bekannt. Die Seminarteilnehmer selbst sangen die neuen deutschen Lieder mit großem Vergnügen.

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März 282010
 

Die allermeisten, die sich mit entschiedenen Ansichten zur Integrationsdebatte äußern, beziehen ihr Wissen aus zweiter Hand. Sie folgen vorgefertigten Bahnen, haben nicht auf eigene Faust Erfahrungen in migrantisch dominierten Vierteln und migrantischen Familien gesammelt. Und die eigenen Kinder schicken sie bewusst auf Schulen, in denen Migranten die Minderheit darstellen. Die meisten Politiker und Journalisten sitzen mangels eigener Anschauung wieder und wieder denselben Irrtümern auf. Welchen?

1. Irrtum: Die Zuwanderer aus Ländern wie der Türkei oder dem Libanon seien individuell, als Einzelpersonen, aufgebrochen, um „anderswo ihr Lebensglück zu machen“. So schreibt es soeben wieder einmal der Berliner Tagesspiegel.  Nichts wäre irreführender als das heute anzunehmen!  Es handelt sich heute fast durchweg um Gruppenmigration. Aus einer Gruppe – in eine Gruppe hinein! Ein Anreiz zur Integration im neuen Land besteht foglich zumeist nicht. Richtig ist: Menschengruppen, die im Herkunftsland keinerlei Perspektive auf Wohlstand und Versorgung haben, brechen auf Beschluss einiger führender Männer auf und wandern als Kollektive auf einmal oder nach und nach in die Bundesrepublik ein. Diese Kollektive verstärken sich durch den Zuzug von Ehepartnern aus den Herkunftsländern laufend neu, bauen gut miteinander vernetzte, autarke Zusammenhänge auf. Diese sich ständig erweiternden Netzwerke in die bestehende deutsche Mehrheitsgesellschaft einbauen zu wollen, halte ich mit den bisherigen Methoden der Integrationspolitik für ausgeschlossen. Die zuwandernden Menschen haben auch nichts weniger im Sinn als dies. Die Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft würde ja ein Aufbrechen der bisherigen Versorgungsgemeinschaft bedeuten, würde zusätzliche Risiken bergen.

Hier bedarf es einer stärkeren Einfühlung in die Mentalität und die Interessen der Zuwanderer. Sie empfinden subjektiv meist keine Notwendigkeit, sich individuelle Perspektiven zu erarbeiten, sondern sind mit dem Staus quo mehr oder minder zufrieden.

Ein Aufbrechen dieses Zusammenhangs ist meines Erachtens nur über  eine strenge zeitliche Befristung der Sozialhilfe für Angehörige anderer Staaten zu erreichen. Nach einem relativ kurzen Zeitraum, etwa nach 6-12 Monaten, muss die Sozialhilfe für Zuwanderer mit fremder Staatsangehörigkeit automatisch auslaufen – mit dieser klaren, vor der Einreise mitgeteilten Ansage würde endlich ein deutlicher Anreiz gesetzt, sich durch Arbeit zu integrieren.

Der vielbeschworene „Aufstiegswille“, wie ihn neuerdings etwa Klaus Wowereit fordert, lässt sich meines Erachtens nur durch den termingenauen Fortfall der Sozialhilfe erzielen. Ich sehe keinen anderen Weg.

Als Vorbild dafür müssten die Clinton’schen Sozialreformen des Jahres 1996 dienen. Die zeitliche Beschränkung der Sozialhilfe durch die beiden Sozialgesetze “Personal Responsibility and Work Opportunity Reconciliation Act“ (PRWORA) und “Temporary Assistance to Needy Families“ (TANF) führten wie angestrebt zu einem deutlichen Rückgang der Kinderarmut und zu einem Rückgang der Zahl der sozial benachteiligten unverheirateten Mütter. Und vor allem verhinderten die Sozialreformen des Jahres 1996, dass weiterhin in großem Umfang eine hohe Kinderzahl als Quelle von Einkommen durch Sozialhilfe ausgenutzt wurde.

2. Irrtum: Der zweite große Mangel der deutschen Migrationsdebatte besteht darin, dass systematisch die Politik der Herkunftsländer vernachlässigt wird. Die Regierungen der Türkei, Lybiens und Syriens hatten und haben ein Interesse daran, bestimmte Bevölkerungsschichten loszuwerden. Das haben insbesondere die Wissenschaftler Stefan Luft und Ralph Ghadban herausgearbeitet. Diese Staaten kommen so um die Notwendigkeit herum, selbst funktionierende Sozialsysteme aufzubauen, und können ihre eigene Problembevölkerung in Deutschland „unterbringen“ oder „abschieben“. Darüber hinaus nutzt ein Staat wie die Türkei diese „untergebrachte“ Bevölkerung sehr geschickt als Hebel, um eigene machtpolitische Ambitionen voranzutreiben und willkommene Devisen zu erringen.

Ich meine: Hier ist unbedingt der offene Dialog mit den Regierungen der Türkei, des Libanon und Syriens zu suchen.  Grundfrage muss sein: „Warum schickt ihr eure Landsleute zu uns? Was sind eure Interessen? Warum baut ihr kein Sozialversicherungssystem auf, das dem deutschen vergleichbar ist?“

3. Irrtum: Der dritte Irrtum lautet: „Diese zugewanderten Menschen sind sozial schwach und benachteiligt.“ Dies mag vielleicht gegenüber dem deutschen Durchschnitt gelten. Gegenüber  den Bedingungen in den Herkunftsländern stellt aber eine Hartz-IV-Existenz einen bedeutenden materiellen Gewinn und auch eine im Ursprungsland unerreichbare finanzielle Sicherheit dar. Die Sogwirkung des deutschen Sozialstaates besteht ungemindert, zumal da die deutsche Sozialpolitik weiterhin einen zweiten klug bedachten, weiterführenden Umbau des Systems scheut.

Hier ist insbesondere die Axt an die mittlerweile blühende Migrations- und Sozialindustrie zu setzen. Mir hat einmal eine Berliner Sozialarbeiterin erzählt, wie sie zwei Mal versuchte, mit einem türkischen, von Sozialhilfe lebenden Vater, der hier in Berlin aufgewachsen und  zur Schule gegangen ist, über Probleme mit einem Kind zu sprechen. Es war nicht möglich. Der Vater verstand auf Deutsch nicht, worum es ging. Auf Kosten des Staates musste zu den folgenden Gesprächen ein türkischer Dolmetscher beigezogen werden. Ein Fall von tausenden! Die Sozialarbeiter, die Berater, die Bewährungshelfer, die Dolmetscher usw., die unglaubliche Vielzahl an staatlich geförderten Initiativen, Vereinen, Beratungsstellen, Therapeuten usw. haben sich zu einer üppigen steuerfinanzierten Industrie ausgewachsen, die nichts mehr fürchtet als den Fortfall ihrer „Stammkundschaft“. Folglich verstehen die Vertreter dieser Industrie nichts besser, als unablässig die Öffentlichkeit von ihrer Unverzichtbarkeit zu überzeugen.

Ich rate zur Zurückführung der staatlichen Beratungs- und Förderleistungen. Sie sind aufs Ganze gesehen eher kontraproduktiv, weil sie Hilfeempfänger heranzüchten und Selbsthilfekräfte lähmen.

Das freigewordene Geld sollte zukunftsfähig investiert werden.

(Serie wird fortgesetzt.)

Kommentar aus dem heutigen Tagesspiegel:

Die Richtung geht verloren
Es waren und sind die Enkel von Migranten aus der Türkei, die oft genug mit so schlechten Deutschkenntnissen in die Schule kommen, dass ihr Weg in die Sackgasse schon in der ersten Klasse besiegelt wird. Sie sind Opfer der Illusionen von Bewegung ohne Veränderung, die ihre Eltern meist hilflos, die religiösen und politischen Führer in der Türkei oft genug sehr machtbewusst pflegen. Ihre Richtung aber hat die moderne Migration verloren, weil die Mehrheitsgesellschaften selbst vergessen haben, dass individuelles Menschenrecht und Demokratie eine unübertreffliche Orientierung für Menschen sind, die aufbrechen, um anderswo ihr Lebensglück zu machen.

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Vorfahrt für Sicherheit

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Sep. 012009
 

30082009004.jpg Toller Ausflug am Sonntag nach Wendisch-Rietz am Scharmützelsee! Unser Auto haben  wir abgeschafft, wir leben nunmehr als junge aufstrebende Berliner Familie autofrei! Gut so! Der Sonntagsausflug brachte uns per Rad und Bahn ins herrliche märkische Umland! Ich schloss die Augen, sog die Luft mit vollen Nüstern ein: es war ein perfekter Urlaubstag. Kleiner Nebeneffekt des Zugfahrens: Man führt viele kleinere und auch größere Gespräche. Auf der Heimfahrt saß ich neben einer teilgelähmten Frau, die mir erzählte, wie sie durch viel Willen, durch Glauben an ihre Kräfte, durch Fleiß und Physiotherapie  die Prognose der Ärzte „Sie haben noch etwa 17 Tage zu leben und werden sich nie mehr bewegne können“ überwand. Mittlerweile fährt sie selbständig Zug, bewegt sich sicher mithilfe des Rollators durch Bahnhöfe und durch die Straßen.

Wieder wurde mir bewusst, wie herrlich es ist „zehn gesunde Zehen und zehn gesunde Finger zu haben.“ Und einen Kopf, der Impulse aussendet, die über eine Tastatur eingegeben werden, so dass Tag um Tag in allen Ländern der Welt diese mehr oder minder bedeutungsschwangeren Betrachtungen nachvollzogen werden können.

Gute Argumentesammlung im heutigen Tagesspiegel zum Helmtragen! Die meisten Verkehrsexperten, die Unfallärzte und die Polizei raten seit Jahren dazu, nur mit Helm Rad zu fahren. Ich stimme ihnen zu. Ich habe in meiner Familie Helme eingeführt und habe  meinen zweiten Sohn Wanja zum Aufpasser, Hilfspolizisten und Mahner erzogen: Er weist mich bestimmt und fast immer höflich darauf hin, wenn  ich das innerfamiliäre Helmgebot verletze oder wenn ich mich nicht millimetergenau an die Verkehrsregeln halte. „HIER ist die Haltelinie, Papa!“ Tja, und dann muss ich eben 3 cm zurück. Gut so, lieber Sohn! Lass dich nicht beirren durch Krethi und Plethi auf unseren Straßen und Fußwegen, die sich einen Deibel um die Benimmregeln scheren!

Bloß nicht oben ohne!
„Verantwortungsbewusste Eltern sollten ihre Kinder nicht ohne Helm fahren lassen“, sagte der Polizeipräsident jetzt zum Schulbeginn dem Tagesspiegel. Und setzte hinzu: „Dazu sollte man Eltern nicht durch eine gesetzliche Verpflichtung zwingen müssen.“ Soll heißen: Glietsch fordert – noch – keine Fahrradhelmpflicht. Zumindest nicht, solange die Hoffnung besteht, dass Appelle gehört werden. Schließlich rät die Polizei seit längerem allen Radfahrern zum Helm.

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Mai 182009
 

 Yussuf – so heißt ein Mitschüler meines Sohnes. In Yussuf benannte sich auch Cat Stevens nach seinem Übertritt zum Islam um. Würdet ihr glauben, dass dieser Yussuf kein anderer ist als der Joseph aus dem 1. Buch Mose, das Juden wie Christen gemein ist?

Diesem Joseph oder Yussuf begegnete ich gestern beim Spazierengehen in Würzburg. Ihr seht ihn dort oben. Es war ein herrlich leichter, hingezauberter Abend. Die alte Mainbrücke zu überschreiten, den Blick der ruhig vertäuten Kähne zu genießen und ein paar Worte unter Freunden zu wechseln, das war für mich gestern ein schöner Augenblick.

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So wie Navid Kermani oder Necla Kelek uns einen neuen Blick auf das Kreuz lehren können, so vermag es Goethe, die Eigenart des Islam genauso hervortreten zu lassen wie auch sein Strenges und Hartes. Ähnlich wie Kermani gelingt es ihm, in Anziehung und Abstoßung des Eigene und das Fremde geradezu sinnlich spürbar werden zulassen.

Goethe schreibt in seinen Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans in dem Mahomet benannten Kapitel:

Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplificationen aller Art, gränzenlose Tautologien und Wiederholungen  bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von Neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt.

Eine der wenigen im echten Sinne erzählenden Suren ist die Sure 12. Sie ist ganz dem Josef (ungarisch: Joschka, arabisch: Yusuf, bairisch: Sepp) gewidmet. Goethe rühmt an der koranischen Umarbeitung der biblischen Josefsgeschichte, sie sei bewundernswürdig.  Die Überlieferungen des Alten Testaments beruhen – so Goethe – „auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem unwandelbaren Gehorsam und also gleichfalls auf einem Islam“.

So wie Kermanis Bildmeditationen das beste sind, was ich seit einigen Monaten über das Christentum gelesen habe, so stellen Goethes Meditationen über Mahomet das beste dar, was ich seit vielen Wochen aus der Feder eines Nicht-Muslims über den Islam gelesen habe. Ohne flache Multi-Kulti-Versöhnlichkeit gelingt es Goethe, sich in Lebenswelt und Schriftsinn des Koran hineinzuversetzen, sich in ihn einzufühlen, ohne die eigene, abendländische Denkart preiszugeben.

Der Goethe des West-östlichen Divans ist DER große Anreger für uns in der Bundesrepublik Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. Er muss gleichberechtigt an die Seite des bekannteren Goethe gestellt werden, der den Faust geschrieben hat!

Schließen wir diese kurze Abendandacht mit einem Zitat aus der 12. Sure, Vers 92-93. Sie kann uns zeigen, wie innig verschwistert Judentum, Christentum und Islam sind und bleiben. Denn alle drei Religionen erzählen in immer neuen Abwandlungen das spannungsreiche Thema der Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Bruder und Bruder. Ob Cat „Yussuf“ Stevens, ob Josef „Joschka“ Fischer sich immer bewusst waren, welche Kraft in ihrem Namen lag? Ihrem hebräischen Namen, der bedeutet: ER fügt hinzu? Denn nachdem Josef von seinen Brüdern verraten und verkauft worden war und der Vater aus Gram und Kummer das Augenlicht verloren hat, führt er zuletzt die große Versöhnung herbei, indem er sein Hemd weggibt und hinzufügt und dabei seinen Brüdern sagt:

„Keine Schelte soll heute über euch kommen. Gott vergibt euch, Er ist ja der Barmherzigste der Barmherzigen. Nehmt dieses mein Hemd mit und legt es auf das Gesicht meines Vaters, dann wird er wieder sehen können.“

Das heißt: Die Versöhnung geht vom Sohn aus, nicht vom Vater. Heißt sie deshalb Ver-söhnung, also Wiederherstellung des Sohn-Seins? Etymologisch nicht, denn das Wort stammt von Sühne ab. Aber in einem tieferen Sinne stimmt dieses Brückenbild. Joseph oder Yussuf – sie stehen im Bilde gesprochen „auf der Brücke“, sie sind die großen Hinzufüger, die großen Schenkenden.

Versöhnung geht in der Josefsgeschichte von dem aus, dem Unrecht angetan wurde, nicht von den Tätern des Unrechts. Und die Versöhnung macht im vollen Umfang „sehend“.

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Quellen:

Goethes Sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zehn Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Erster Band. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1885,  S. 555-557

Der Koran. Übersetzung von Adel Theodor Khoury. Unter Mitwirkung von Muhammad Salim Abdullah. Mit einem Geleitwort von Inamullah Khan. Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage, Gütersloh 2007, S. 185

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Wenige verstehen das Geheimnis …

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Nov. 292008
 

27112008001.jpg „Wenige verstehen das Geheimnis der unendlichen Liebe“, so dichtete Novalis in seinen Hymnen an die Nacht. Ich las den Dichter als 15-Jähriger, an seinen Gedichten wie an denen Goethes ging mir damals auf, was Dichten bedeuten kann: kühnes, freies Ausgreifen in einen Gedankenraum hinein, den vorher noch niemand betreten hat.

Den gestrigen und den heutigen Tag verbrachte ich beruflich in der alten Bergstadt Freiberg in Sachsen. Dort studierte Novalis an der Bergakademie, arbeitete anschließend in der Bergwerksverwaltung, erkundete Braunkohleflöze in Mitteldeutschland. In der Nacht lag ich am offenen Fenster in der Winterkälte, starrte hinaus zum goldenen Knauf der Martinskirche und versuchte mich an Verse zu erinnern, die ich beim Novalis gelesen, an Szenen, die ich aus seinem Ofterdingen noch in mir trug. Besonders erinnerte ich mich an die Szene, in der Heinrich in einem alten Bergwerk ein Buch findet, in dem er aufgeschlagen seine eigene Geschichte findet. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg … dieses Motto tauchte von irgendwoher wieder auf.

Mein getreuer Reisebegleiter ist weiterhin das Buch „The Audacity of hope„. Nur wenige verstehen das Geheimnis der Freiheit! Nur wenige verstehen es, von der Freiheit so zu reden, dass man auch bei größter Müdigkeit noch weiterliest. Der Verfasser von The Audacity ist einer!  Was für ein begnadeter Erzähler! Im zweiten Kapitel „Werte“ erzählt er davon, was Freiheit für ihn bedeutet – für ihn, für seine Frau, für uns alle. „The value of individual freedom is so deeply engrained in us that we tend to take it for granted“ (S. 53). Wir dürfen nicht vergessen, dass die Freiheit, die wir genießen, jederzeit an vielen Orten dieser Welt nicht gilt, erst noch errungen und dann verteidigt werden muss.

In der Fußgängerzone entdeckte ich einen Hinweis auf unser Thema. Das Foto zeigt den Schreibenden in Freiberg am gestrigen Tag. Auf dem Pflaster lag erster Schnee. Es roch nach Winter.

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