Ganz oft erlebt man als unverdrossener Graswurzelblogger das Gefühl einer gewissen Genugtuung – nämlich immer dann, wenn Eindrücke oder Analysen eines solchen Blogs wenige Tage später durch Aussagen der Betroffenen selber bestätigt werden. Mir entfährt dann öfters der Ausruf: „Ich hab es doch gesagt!“ Triumph? Nein, das glaube ich nicht … eher ist es so, dass man in den Quellen fischt, die am ehesten die eigenen Urteile bestätigen.
So bezeichnete ich Barack Obama im Sommer in diesem Blog als einen Konservativen. Damals, so meine ich, hatte kaum jemand in der deutschen Presse Barack Obama als einen Konservativen erkannt. Zum Teil lag das daran, dass zu wenige seine Bücher gelesen hatten und dass zu viele der fälschlichen Meinung anhingen, „die Konservativen“ stünden den amerikanischen Republikanern, „die Linken“ den Demokraten näher.
Heute höre ich ein Interview, das der damalige Kandidat Obama im Jahr 2007 bei einem Auftritt zusammen mit Eric Schmidt, dem CEO von Google gab – und er sagte: „Viele halten mir vor, ich sei progressiv. Aber ich bin konservativ – in dem Sinn, dass ich die Werte pflege, die Amerika groß gemacht haben.“
Und sonst? Die Junge Garde, die Jugendorganisation der Putin-Partei „Einiges Russland“, verlangt – neben einem Leben ohne Alkohol – eine Umbettung Lenins, weg vom Kreml-Mausoleum, hin an die Seite seiner Mutter in Petersburg, wie es der Diktator selbst in seinem Testament verlangt habe. Man solle endlich den Wunsch des Führers erfüllen. Damit kratzen die Jungen jedoch an einer Weihestätte des Kommunismus, mehr noch: sie fordern durch die Blume die Auflösung dieser Kultstätte. Sie können dies aber nicht offen tun. Denn viele hängen an Mythen. Ich erinnere mich noch, wie es war damals war im Jahre 2001, als ich am einbalsamierten Leichnam Lenins vorbeischritt und mich nicht entblödete, im Flüstertone eine Frage an meine russische Begleiterin zu richten. Denn ich war es aus den heiligen Weihestätten meiner Kindheit gewohnt, dass man zumindest halblaut flüstern durfte. Ein frevelhaftes Tun! Ein scharfer Verweis der Wachen belehrte mich eines Besseren! Ich verstummte augenblicklich, wie mir geheißen.
Mein Eindruck: Wenn jetzt nach Stalin auch noch die Gestalt Lenins demontiert wird, dann bedeutet dies einen weiteren Rückbau des Kommunismus – schon jetzt lässt sich in Russland selbst erkennen, dass „Stalinismus“ als Erklärungsmuster für ein Terrorsystem nicht mehr akzeptiert wird. Man kann nicht alles Böse Stalin in die Schuhe schieben, man kann ein so umfassendes System nicht umstandslos personalisieren. Das wäre ja auch ganz und gar wider die Lehre des historisch-dialektischen Materialismus. Aus Vera Lengsfelds Buch „Mein Weg zur Freiheit“ weiß ich, wie nach 1956 alle Bücher Stalins aus den Privatbibliotheken entfernt und verbrannt werden mussten.
Ich halte allerdings Bücherverbrennungen für den falschen Weg der Auseinandersetzung. Ich habe selbst noch in Russland eine prachtvolle Stalin-Gesamtausgabe in eigenen Händen gehalten und darin geblättert. Man sollte freizügig darin lesen. Denn ich meine: An ihrer Sprache kann man sie erkennen. Deshalb meine herzliche Aufforderung an alle Befreier des Proletariats: Lernt gescheit Russisch! Lest Lenins Befehle aus dem Jahr 1917 und 1918 im Original! Studiert umfassend die ruhmreiche Geschichte der kommunistischen Bewegung und der Räterepubliken aus den besten in russischer und deutscher Sprache verfügbaren Quellen und den Forschungsergebnissen der heutigen russischen und deutschen Historiker! Leistet euren Beitrag zur Aufklärung der Massen!
Die historischen Quellen aus jenen Jahren, die nunmehr in Russland frei im Umlauf sind, sprechen eine deutliche Sprache. Sicherlich wird man auch in Deutschland den einen oder anderen Gedenkstein mit anderen Augen sehen – man wird nicht mehr so einfach kommentarlos an einem Gedenkstein mit der Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“ vorbeigehen können. Man wird sich sein Teil dazudenken.
Unser Bild zeigt ein Plakat aus guter alter Zeit, aufgenommen in einem Berliner Café in der Karl-Marx-Allee.
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