Zygmunt Bauman über soziale Ängste und Angstbefreiung

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Jan. 022008
 

In der italienischen Wochenzeitschrift L’espresso vom 03.01.2008 äußert sich Zygmunt Bauman über Funktion und Erscheinungsformen der Angst in modernen Industriegesellschaften. Er sieht Angst funktional: Weshalb wird uns Angst eingeflößt und zu welchem Ende sollen wir sie empfinden? Als gefügige Objekte der Angst und der Ablehnung in der modernen Massengesellschaft erkennt er die Migranten, insbesondere die Zigeuner – den Ausdruck „Sinti und Roma“ verwirft er als bloße Begriffskosmetik. In Zeiten hemmungsloser Globalisierung, die gepaart sei mit einem immer schwächeren Staat, seien es einzig und allein künstlich geschaffene Bedrohungsszenarien, die noch den Zusammenhalt, das Funktionieren der fragmentierten Gesellschaften gewährleisten könnten. Dies gelte insbesondere auch für das Zusammenspiel zwischen Terroristen, Massenmedien und politischen Machteliten:

„I terroristi possono contare sulla collaborazione dei media, che riportano su scala globale le loro azioni locali; su potenti armate che in rappresaglia per queste azioni semineranno distruzione e odio, procurando ai terroristi schiere di nuove reclute; sui governi che vedono nelle azioni terroristiche (quelle riuscite e quelle fallite, o pianificate o solo pensate, o in sospetto di essere pensate) una chance per dimostrare di essere vigili ed efficaci e di ottenere l’applauso degli elettori.“

Bis hierhin vermag ich Baumann zu folgen. Nehmen wir als Beleg nur unsere Lage in Europa: Jedes Jahr sterben in der Europäischen Union etwa 50.000 Menschen bei Verkehrsunfällen, viele mehr tragen schwere und schwerste Behinderungen davon, während die Zahl der Terroropfer in Europa regelmäßig nur einen winzigen Bruchteil davon, der in vielen europäischen Ländern eine runde Null ist, ausmacht. Wer spricht in der öffentlichen politischen Debatte von diesem grotesken Missverhältnis? Wer tut etwas gegen den nicht erklärten „Krieg auf den Straßen“, wie es ein Beitrag von Eva Tenzer in der Zeitschrift Psychologie heute im Januar 2008 in polemischer Übertreibung titelt?

Ich widerspreche dem ursprünglich aus Posen stammenden Soziologen aber, wenn er am Schluss des Interviews einen Ausblick auf die Möglichkeit entwirft, uns von der Angst überhaupt zu befreien („la speranza di liberarci dalla paura“). Meint er damit ein Leben frei von Angst? Das halte ich für ausgeschlossen. Ich meine sogar, jeder – utopistische – Vorsatz, die Angst völlig aus dem menschlichen Dasein beseitigen zu wollen, würde einen neuen Teufelskreis von Repression und neuen Ängsten einläuten. Unser Ziel kann es nur sein, sinnvolle, realitätsgerechte Angst zu empfinden, irrationale Ängste zu durchkreuzen und denen in den Arm zu fallen, die aus geschürten Ängsten Kapital schlagen wollen.

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Neues Jahr – Neues Ja

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Jan. 022008
 

winteraugustinum.jpg Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich ein frohes, vom Ja zum Leben geprägtes Jahr 2008!

Das neue Jahr beginne ich mit Bachs E-Dur-Partita. Eine frohe, kraftvolle, glänzende Musik voller Bejahung des Lebens! Ich spiele sie auf der mich stets begleitenden Geige in aller Frühe vor dem Frühstück im Keller des Hauses, um die verschiedenen Langschläfer nicht zu behelligen.

Ringsum sind Bücher aufgestapelt. Ich entdecke das Exemplar eines Buches wieder, das ich lange vermisste: Uns eint vergossenes Blut. Juden und Polen in der Zeit der ‚Endlösung‘. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1987. Ich erinnere mich, dass der Autor etwa 1987 einen Abend bei Gesprächen in unserem Hause verbrachte. Ich wurde ihm damals vorgestellt, schüttelte ihm die Hand – aber ich wusste nicht, was ich ihn fragen sollte! Ich wusste: Dieser Mann hatte das Lager Auschwitz überlebt, er hat nach dem Krieg unter verschiedenen Beschuldigungen in verschiedenen polnischen Gefängnissen gesessen. Ich empfand Scham, aber auch eine gewisse moralische Unterlegenheit. Ich war überrascht, einen so freundlichen, zugänglichen und gut Deutsch sprechenden Mann kennenzulernen. Ich schlage das Buch auf: es enthält eine persönliche handschriftliche Widmung des Wladyslaw Bartoszewski an meinen Vater: „in der weltanschaulichen Verbundenheit“. Es ist gut, anhand solcher Zufallsfunde die fast schon verschwundenen Kindheitserinnerungen wiederzubeleben. Daneben bin ich dadurch auf Lebenszeit gefeit gegen die Jammerarien, welche insbesondere Teile der heutigen deutschen Gesellschaft ach so gerne über ihr hartes Los anstimmen! Als ob etwa Arbeitslosigkeit eine Entwürdigung, einen Verlust der Menschlichkeit darstellte!

Über den Tag fahren wir nach Dießen am Ammersee, wo meine Mutter wohnt. Hinter Kissing umfängt uns bereits eine zauberhafte winterliche Landschaft.

Von meiner Mutter erbitte ich mir folgendes Buch zur Ausleihe: Borwin Bandelow, Das Angstbuch. Woher Ängste kommen und wie man sie bekämpfen kann. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. Ein außerordentlich gescheiter Autor, von dem ich vieles hinzulernen kann!

Auf dem Bahnhof lernen wir beim Warten auf den Zug zurück einen Geistlichen kennen. Wir sprechen über seelische Not. Wir kommen überein, dass alles Geld der Welt nicht gegen Hartherzigkeit, gegen das Leiden an der Einsamkeit, gegen seelische Wohlstands-Verwahrlosung und Schwermut hilft. Jeder Besuch in wohlhabenden Gegenden – wie etwa hier am Ammersee – bestätigt diese Einsicht aufs Neue.

Der Tag klingt aus in kleiner Runde mit russischem Essen und allerlei Walzermusik, die ich erneut auf der Geige zu produzieren versuche.

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Quote of the day – the most salient political fear

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Dez. 282007
 

„Nevertheless, the most salient political fear, the one that most pervasively structures our lives and limits our possibilities, is the fear among the less powerful of the more powerful, whether public officials or private employers, far-off agents of state or local, familiar elites. And here we come to the crux of the argument. For all our talk today of the fear of terrorism, or, before that, of communism, the most important form of fear is that which ordinary Americans have of their superiors, who sponsor and benefit from the inequities of everyday life.“

Corey Robin: FEAR. The History of a Political Idea. Oxford University Press, New York 2004, 316 pages, here: p. 20

Stimmt dies? Nach Robins Sicht spielt Angst eine eminent wichtige Rolle beim Zusammenhalt von Machtstrukturen. Ängste werden bewusst eingesetzt, um Macht zu sichern. Die gerade „angesagtesten“ Ängste – also die vor Terrorismus, oder in Deutschland: die vor Arbeitsplatzverlust – sind willkommene Steuerungsmechanismen, um tiefersitzende, alltäglichere Ängste zu überdecken. Robins Buch ist erneut – wie schon das von Schmidbauer – ein herrlicher Gedankenschmaus! In diesem Buch werden die verschiedensten Spielarten all dessen, was die Griechen unter Phobos zusammenfassten, abgehandelt: Furcht, Angst, Terror, Schrecken, Entsetzen, Terrorismus, Einschüchterung – meines Wissens die umfassendste politische Analyse des Phänomens Angst aus jüngerer Zeit. Besonders lesenswert: die Ausführungen über Hannah Arendt.

Nebenbei: Nach einer Umfrage, die BILD heute auf Seite 1 brachte, flößt die „Angst vor sozialer Kälte“ den meisten Deutschen (58%) die größte Besorgnis ein – nicht die Angst vor Krankheit, Tod oder Terrorismus. Quelle der Meldung ist dpa; die Meldung selbst fand ich auch zum Nachlesen beim Fränkischen Tag.

Die Deutschen fürchten die soziale Kälte
Umfrage Fast jeder Zweite hält unsere Gesellschaft für kinderfeindlich.

von Dorit Koch, dpa

Hamburg – Die Angst der Deutschen vor Kinderfeindlichkeit und sozialer Kälte wächst: „Immer mehr Menschen sehen in diesen beiden Problemen die größten Zukunftssorgen. Umfragen haben ergeben, dass Deutschland damit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern leider weit vorn liegt“, sagte Zukunftsforscher Prof. Horst Opaschowski. „Ganz persönlich sehnen sich die Deutschen vor allem nach Vertrauen, Geborgenheit und menschlicher Wärme.“ Die Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, deren wissenschaftlicher Leiter Opaschowski ist, hat bei Repräsentativumfragen in neun Ländern 11 000 Menschen dazu befragt.

Gestern wurde Benazir Bhutto ermordet. Und gerade deswegen ist unser Thema Angst angesagter denn je!

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Dez. 272007
 

Mit derart wörtlich gepflastertem hartem Gefüge könnte man den Vers 606 aus den Persern des Aischylos wiedergeben. Emil Staiger übersetzt weitaus gepflegter und beruhigter:

Derart verstört Unheilsbestürzung unsern Sinn.

Las gestern zur Nacht dieses Drama in einem Zug durch. Was für eine Orgie der Angst, was für ein Wühlen in der Verstörung! Vieles erschließt sich erst, wenn man den griechischen Originaltext liest, Wort um Wort dem ungewohnten, über weite Strecken mit persischen Fremdwörtern und Namen durchsetzten Text nachlauscht. Dieser gesamte Monolog der Atossa ist darüber hinaus eine der Stellen, in denen ausführlich über Ursprung und Wirkung der Angst verhandelt wird.

Ἄτοσσα
φίλοι, κακῶν μὲν ὅστις ἔμπειρος κυρεῖ,
ἐπίσταται βροτοῖσιν ὡς ὅταν κλύδων
600κακῶν ἐπέλθῃ πάντα δειμαίνειν φιλεῖ:
ὅταν δ᾽ δαίμων εὐροῇ, πεποιθέναι
τὸν αὐτὸν αἰεὶ δαίμον᾽ οὐριεῖν τύχην.
ἐμοὶ γὰρ ἤδη πάντα μὲν φόβου πλέα
ἐν ὄμμασιν τἀνταῖα φαίνεται θεῶν,
605βοᾷ δ᾽ ἐν ὠσὶ κέλαδος οὐ παιώνιος:
τοία κακῶν ἔκπληξις ἐκφοβεῖ φρένας.
τοιγὰρ κέλευθον τήνδ᾽ ἄνευ τ᾽ ὀχημάτων
χλιδῆς τε τῆς πάροιθεν ἐκ δόμων πάλιν
ἔστειλα, παιδὸς πατρὶ πρευμενεῖς χοὰς
610φέρους᾽, ἅπερ νεκροῖσι μειλικτήρια,
βοός τ᾽ ἀφ᾽ ἁγνῆς λευκὸν εὔποτον γάλα,
τῆς τ᾽ ἀνθεμουργοῦ στάγμα, παμφαὲς μέλι,
λιβάσιν ὑδρηλαῖς παρθένου πηγῆς μέτα,
ἀκήρατόν τε μητρὸς ἀγρίας ἄπο
615ποτὸν παλαιᾶς ἀμπέλου γάνος τόδε:
τῆς τ᾽ αἰὲν ἐν φύλλοισι θαλλούσης βίον
ξανθῆς ἐλαίας καρπὸς εὐώδης πάρα,
ἄνθη τε πλεκτά, παμφόρου γαίας τέκνα,
ἀλλ᾽, φίλοι, χοαῖσι ταῖσδε νερτέρων
620ὕμνους ἐπευφημεῖτε, τόν τε δαίμονα
Δαρεῖον ἀνακαλεῖσθε, γαπότους δ᾽ ἐγὼ
τιμὰς προπέμψω τάσδε νερτέροις θεοῖς. ̓́ Vielleicht werde ich diesen Abschnitt überhaupt bei dem Angst-Vortrag zugrunde legen. Er scheint mir passend. Bis zum 18. Januar ist noch Zeit. Was das Johannes-Evangelium angeht, so steht 16,33 bereits fest – ein Spitzensatz johanneischen Denkens, der unabsehbar in die Ferne gewirkt hat, bis hin zu Kierkegaard, Heidegger, Paul Tillich, ja selbst der Ägyptologe Jan Assmann bezieht sich ausdrücklich auf ihn.

Wieso erwähne ich Assmann? Nun, im Februar 2007 besuchte ich Angst. Kon(junk)turen eines Gefühls, die Tagung des Einstein Forums Potsdam, bei der Assmann seine Überlegungen im Anschluss an dieses Jesus-Wort vortrug. Das Beste kommt jetzt: Diesen Vortrag kann man ebenso wie einige andere nachhören – was hiermit nachdrücklich empfohlen sei!

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„Fürchtet euch nicht!“

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Dez. 262007
 

Erneut lasse ich den Tag heute geruhsam angehen. Ich finde fast zufälllig beim Lesen von allerlei klugen Büchern über Angst die folgenden Worte, die häufig Nelson Mandela zugeschrieben werden. Er soll sie in seiner Antrittsrede als Staatspräsident 1994 gesagt haben:

Our deepest fear is not that we are inadequate. Our deepest fear is that we are powerful beyond measure. It is our light, not our darkness that most frightens us. We ask ourselves, Who am I to be brilliant, gorgeous, talented, fabulous? Actually, who are you not to be? You are a child of God. Your playing small does not serve the world. There is nothing enlightened about shrinking so that other people won’t feel insecure around you. We are all meant to shine, as children do. We were born to make manifest the glory of God that is within us. It’s not just in some of us; it’s in everyone. And as we let our own light shine, we unconsciously give other people permission to do the same. As we are liberated from our own fear, our presence automatically liberates others.

Diese mittlerweile berühmten Worte stammen allen Belegen nach, die mir vorliegen, von Marianne Williamson, und zwar aus ihrem 1992 erschienenen Buch: A Return to Love. Die Zuschreibung an Mandela ist eine Mär, die sich hartnäckig hält. Dieses Gedicht findet sich in dem veröffentlichten Manuskript seiner Rede nicht.

Ich selbst fand den Hinweis auf dieses Zitat übrigens in folgendem, durchaus lesenswertem Aufsatz: Linda Briendl: Archetypen der Angst und das sich ängstigende Individuum, in: Jan Baldewien, Hans Erich Loos (Hg.): „Angst essen Seele auf“. Vom Umgang mit den Ängsten. Evangelische Akademie Baden, Karlsruhe 2006, [= Herrenalber Forum Band 46], S. 9-29

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Dez. 252007
 

heiligabend.jpg Hoch oben auf der Empore der Heilig-Kreuz-Kirche, auf den Treppenstufen hockend – denn es war kein Platz auf den Bänken – höre ich mir die Botschaft an:


„Habt keine Angst!“ Unser Kind schwirrt auf eigene Faust im gewaltigen Kirchenraum umher. „Habt keine Angst!“ Zuhause suchte und fand ich einen zeitgenössischen Deuter, der diese Freudenbotschaft, deren Verkündung ein Teil der Menschheit heute begeht, ganz wesentlich als Befreiung von Angst deutet. Von der Angst, die in mannigfachen Gestalten unser Dasein wesentlich bestimmt. Es ist Eugen Drewermann. Ich habe mir seinen Kommentar zum Johannes-Evangelium entliehen. Drewermann schreibt:

Verständlich machen lässt sich die „neue Wirklichkeit“ (Paul Tillich), die mit der Person Jesu in die „Welt“ getreten ist, wohl nur, wenn man sowohl individualpsychologisch als auch sozialpsychologisch die Mechanismen freilegt, die im Felde der Angst das gesamte Dasein des Menschen und seine Weltauslegung verformen. „In der Welt habt ihr Angst; aber faßt Mut: ich – besiegt habe ich die Welt“, sagt der johanneische Jesus (Joh 16,32).

Eugen Drewermann: Das Johannes-Evangelium. Bilder einer neuen Welt. Zweiter Teil: Joh 11-21. Patmos Verlag, Düsseldorf 2003, S. 8

Alle Weihnachtslieder singe ich mit, doch bricht mir manchmal die Stimme.

Ich werde gerade in diesen von Lohnarbeit freigestellten Tagen meine Studien zum griechisch verfassten Neuen Testament fortsetzen und beständig immer wieder in die dionysische Welt des Aischylos eintauchen. Höchst bemerkenswert, dass Drewermann wieder und wieder eine Nähe des Johannes-Evangeliums zum Dionysos-Kult zu belegen meint.

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Zuversicht oder Zukunftsangst? Die Einsichten des Wolfgang Schmidbauer

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Dez. 242007
 

Worauf ich mich jetzt zu Weihnachten besonders freue: viel Zeit mit der Familie verbringen – und nach Herzenslust Bücher lesen! Zum Beispiel dieses: Wolfgang Schmidbauer: Lebensgefühl Angst. Herder Verlag Freiburg im Breisgau, 2005, 208 Seiten.

Der Autor beleuchtet Angst in ihren zahlreichen persönlichen, sozialen und politischen Ausprägungen. Ein gewisses Maß an Angst ist überlebensnotwendig. Es warnt vor Gefahren und hilft Schmerz vermeiden. Ein Übermaß an nicht bewältigter Angst hingegen führt zu krankhaften Verfestigungen, kann lähmend wirken. Phobien, Panikattacken und Depressionen sind die Folge. Unsere Generation – Schmidbauer bezeichnet sie in polemischer Zuspitzung als Generation Angst – sei durch ein Zuviel an bewusst und unbewusst geschürten dumpfen Ängsten gekennzeichnet, das im eklatanten Gegensatz zur tatsächlich erreichten Daseinsvorsorge stehe. Die Politiker nutzten die Angst der Wähler häufig in unverantwortlicher Weise aus, ja schürten sie noch zusätzlich, um daraus Gewinn zu ziehen. Sie gaukeln den Wählern falsche Verheißungen, gleisnerischen Trost, nämlich die Abwehr aller Ängste vor. Seine ganze Fülle an klugen, beherzigenswerten Einsichten lässt Schmidbauer in einem Schlusskapitel Generation Zuversicht?, einem Plädoyer für eine weise, solidarische Angst ausklingen. Er schreibt auf S. 206: „Eine solche Generation wird gelernt haben, die gefährliche Angst, ungerechte Privilegien einzubüßen, zugunsten der solidarischen Angst aufzugeben, nicht rücksichtsvoll genug mit den begrenzten Möglichkeiten unseres Planeten umzugehen, dieses an wenigen Stellen prekär mit Leben überwachsenen Stäubchens im All.“

Das Buch passt auf jeden Gabentisch, ich werde versuchen, es noch einmal rechtzeitig zu beschaffen, um es zu verschenken.

Zitat des Tages, aus diesem Buch, S. 13: „Autofahrer wissen schon lange, dass es nicht genügend Benzin für alle Zukunft gibt. Aber die meisten werden erst dann aufs Fahrrad umsteigen, wenn sie ihren Tank nicht mehr füllen können.“

So lasst uns denn aufs Fahrrad umsteigen!

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Das böse Tier oder: Wie Angst entsteht und wohin sie führen kann

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Dez. 202007
 

boses-tier.jpg Mit Wanja entdecke und singe ich gerne Kinderlieder. Diesmal durchblättern wir das Buch: Die schönsten Kinderlieder, herausgegeben von Gisela Walter, Ravensburger Buchverlag. Mit Bildern von Marlis Scharff-Kniemeyer. Es ist derzeit mein liebstes Liederbuch. Viele alte Bekannte treffen wir, aber auch Neues, z.B. das Lied

Wir wolln einmal spazierengehn in einem schönen Garten.

Wenn nur das böse Tier nicht wär, wir wolln nicht lange warten …

Nach und nach baut sich von eins bis zwölf eine immer stärkere Spannung, eine angstvolle Erwartung auf. Gibt es das Tier? Wie sieht es aus, wer hat es gesehen? Unklarheiten, Vermutungen, Ungenauigkeiten werden aufgebläht. Beim Singen kommt in mir eine echte Angstlust auf.
Wenn es dann heißt:

Um elf, da klopft’s

um zwölf, da kommt’s!

dann ist die Angst da – breit und groß und schaurig-schön! So entsteht Angst, so wird sie gelöst, so wird sie durch gemeinsames Singen bewältigt. Wanja sagt zum ersten Mal überhaupt: Dieses Lied lerne ich auswendig, das möchte ich vorsingen! Am nächsten Morgen kann er es auch schon auswendig. Ein echtes Einlernen war nicht nötig. Allerdings fragt er weiterhin nach den Einzelheiten des bösen Tiers. Wie sieht das böse Tier aus? Warum ist es im Garten? Ich antworte stets mit einem einen raunenden … Vielleicht ist es …

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„Sie haben Angst“

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Nov. 062007
 

In dem ZDF-Dokumentarfilm „Roots Germania“ von Mo Asumang, heute nach Mitternacht ausgestrahlt, sah und hörte ich erschütternde Zeugnisse. Unter anderem einige Hasslieder aus der deutsch-nationalistischen Musikszene. In einem Rap wurde einigen bekannten Menschen Mord angedroht. Wie fühlen sich diese Menschen, wenn sie mit dem Tode bedroht werden? Rita Süssmuth antwortet: „Sie haben Angst … sie sind vorsichtiger, wenn sie im Dunkeln um eine Ecke gehen.“ Mir war nicht klar, ob Süssmuth hier von denen sprach, „denen, die Angst haben“, oder von sich selbst … denn auch sie wurde namentlich mit diesen hasserfüllten gegrölten Parolen eingeschüchtert. Dann wurde mir klar: Sie sprach wohl eher von sich selbst, von ihrer eigenen Angst. Ich bewundere Frau Süssmuth schon seit langem für ihre mutigen, klaren, zuversichtlichen Worte. Zum ersten Mal sah ich sie hier, wie sie völlig offen von Angst, mit Angst sprach. Und da wurde mir klar, womit die Extremisten arbeiten: mit Angst. Angst ist ihre Waffe, mehr noch als die Kugeln und die Bomben. Frau Süssmuth hat sich durch ihre Worte erneut als stärker und mutiger denn die Angstmacher erwiesen.

Der Film von Mo Asumang hätte es verdient, weit früher und weit öfter gezeigt zu werden. Frau Asumang hat einen rechtsradikalen Gewalttäter im Gefängnis besucht und versucht, ein Gespräch mit ihm zu führen. Ich bin begeistert von diesem Mut und von diesem unerschütterlichen Vertrauen in das Wort. Ich teile dieses Vertrauen!

 Posted by at 17:24