Entschuldung durch Inflation oder Schuldenschnitt für einzelne Länder?

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Sep 142012
 

1535 verbrannte Anton Fugger, der reichste Kaufmann der Vaterstadt Leopold Mozarts, also Augsburgs, demonstrativ den Schuldbrief Kaiser Karls des Fünften. Der Habsburger war zahlungsunfähig geworden, weil er sich wieder einmal zu viel Geld, diesmal  für einen Feldzug in Tunesien geliehen hatte. Was hätte Fugger tun sollen? Hätte er dem Kaiser die Schuld durch Ausgabe neuer Schuldtitel strecken können, obwohl er wusste, dass Karl V. sie ihm zu Lebzeiten nie würde zurückzahlen können? Dies wäre unklug gewesen. Fugger tat das für ihn selbst, für seine Familie und seine bis heute zahlreichen Nachkommen Beste: er strich die Schuld durch Verbrennen des Schuldbriefs und erhielt im Gegenzug stärkeren politischen Einfluss, weitere „Regale“, also kaiserliche Bergbau- und Handelsprivilegien.

Schuldenerlass im Gegenzug für Freihandel, Bergbaurechte, politischen Einfluss! Das ist Weisheit. Das Fuggersche Vermögen besteht heute noch, wovon ich mich bei gelegentlichen Besuchen in meiner Vaterstadt überzeugen kann. Ein überschuldeter Vorfahr Wolfgang Amadeus Mozarts, sein Urgroßvater Franz Mozart profitierte übrigens ebenfalls von dem legendären Reichtum der Fugger: Er lebte einige Jahre in der Fuggerei, der von den Fuggern gegründeten Stiftung für soziale Grundsicherung, ehe er sich durch eigener Hände Arbeit wieder daraus befreien konnte.

Guter, profunder, nachdenklich stimmender Artikel von Ulrich Hege und Harald Hau, beide Professoren für Finanzwirtschaft, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heute auf Seite 14!

Sie sagen: Es ist besser, einen radikalen, gleichwohl geordneten  Schuldenschnitt mit starken Verlusten insbesondere für die Finanzinvestoren durchzuführen statt durch Vergemeinschaftung der Schulden, wie sie die unbegrenzten Anleihenkäufe der EZB darstellen, einen unbeherrschbaren Zyklus aus Geldentwertung, Staatsfinanzierung durch die Notenpresse und politischer Erpressbarkeit einzuleiten.

Bild: Fuggerei in Augsburg

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Jul 172012
 

Zum Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles bei uns! Rund 115 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr würde die Einhaltung der neuen Hygienestandards an Berliner Schulen kosten, also die tägliche Reinigung der Böden und Toiletten durch den eifrig den Bürgern hinterherwischenden Berliner Senat! Ein Ding der Unmöglichkeit! Alle drängen und bedrängen die Geldkoffer des Staates, die Politik gebärdet sich im Kleinen wie im Großen fast nur noch als Streit ums Geld. Das Geld ist offenkundig die Grundlage und das entscheidende Maß der Politik, dieser Grundlage dient alles andere.

Dabei ist eigentlich genug Geld im System, es fehlt nur an den Regeln, wie heute recht zutreffend Bundestagspräsident Lammert seufzte.

Da flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten! Zur Erholung von diesen allzu europäischen Geld-Tönen schlage ich gerne die alten Bücher des Ostens, Homer, Herodot, Aischylos etwa  auf. – Heute wiederum las und rezitierte ich das berühmte Gedicht Einladung (Davet) von Nazim Hikmet. Was für andere Töne! Kraftvoll, leidenschaftlich, – dieser Mann wird noch getragen von einem echten republikanischen Ethos! Die Freiheit steht im Mittelpunkt seines Einsatzes, auf dieser ursprünglichen Einsicht in Freiheit und Gleichheit aller Menschen gründet sein Vertrauen in das gute, das gelingende Wort!

Bu memleket bizim – das ist unser Land.
Bu davet bizim – das ist unsere Einladung.
Bu hasret bizim – das ist unsere Sehnsucht.

In den Zeilen Hikmets wird für mich erfahrbar, wie kostbar die Freiheit – selbstverständlich auch die politische Freiheit – ist. Gelingende Politik stiftet Gemeinschaft im Wort: unser Land.

Gelingende Politik schließt andere Menschen, andere Völker ein statt aus: unsere Einladung.

Wie schwer ist es, sich im Gezänk über Geld dieses Wertes bewusst zu bleiben!

Gelingende Politik strebt erlebten Wünschen nach: unsere Sehnsucht.

Gelingende Politik, gelingendes Zusammenleben beruht darauf, dass alle sich dieser Zugehörigkeit, diesem Streben nach Freiheit und Brüderlichkeit verpflichtet wissen.

Hört selbst:

 Nâzım Hikmet:

DAVET
Dörtnala gelip Uzak Asya’dan
Akdeniz’e bir kısrak başı gibi uzanan
bu memleket bizim.

Bilekler kan içinde, dişler kenetli, ayaklar çıplak
ve ipek bir halıya benzeyen toprak,
bu cehennem, bu cennet bizim.

Kapansın el kapıları, bir daha açılmasın,
yok edin insanın insana kulluğunu,
bu davet bizim.

Yaşamak bir ağaç gibi tek ve hür
ve bir orman gibi kardeşçesine,
bu hasret bizim.

Quelle:

Türkçe Okuma Kitabı. Erste türkische Lesestücke. Herausgegeben von Celal Özcan und Rita Seuß. Illustrationen von Rita Seeberg. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2. Auflage, München 2011 [=dtv 9482], S. 76

Ich freue mich auch auf folgende öffentliche Veranstaltung:

„Wir wollen uns an die Abmachungen halten. Das ist das Fundament, auf dem Europa nur gedeihen kann.“  So wird Bundeskanzlerin Merkel 16.06.2012 in der ARD-Tagesschau zitiert.

Abmachungen einhalten, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit des Wortes – ist dies das Fundament, auf dem Europa neu gedeihen kann? An diesem Abend wollen wir ein politisches Gedicht über die Freiheit von Nazim Hikmet und eines von Friedrich Hölderlin kennen und lieben lernen.

Zum Mitmachen, Mitsprechen  und Mitwachsen für alle. Anschließend politische Diskussion.

Treffpunkt:  Donnerstag, 19. Juli 2012, 20.00 Uhr, Park am Gleisdreieck, Kreuzberg-West.

Neuer Kiosk am Park-Eingang (von der Hornstraße her)

In Deutsch und Türkisch

Bild: Wurzelscheibe eines Baumes vom Märchenpfad in Bischofswiesen, Berchtesgadener Land

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Wohnraum: ein wichtiges Gut zentralstaatlicher Steuerung!

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Apr 042012
 

Interessante Zahlen treffen in diesen Tagen zur Bewirtschaftung des Wohnraums durch den treusorgenden Staat ein!

Der Staat traut es den Menschen nicht zu, mit einem gewissen Geldbetrag eigenverantwortlich umzugehen. Stattdessen wird akribisch der Bedarf für einzelne Ausgabenarten ermittelt und dann nach einem festen Schlüssel zugewiesen. Lest zunächst die neueste Volksbeglückungsnachricht:

Unterkunftskosten: Höhere Warmmieten-Zuschüsse für Berlins Hartz-IV-Empfänger – Aktuelle Nachrichten – Berlin Aktuell – Berliner Morgenpost – Berlin
Nach den neuen Richtwerten steigt der Heizkostenzuschuss für eine Person in einer 50 Quadratmeter Wohnung von 378 Euro auf im Schnitt 394 Euro. Dabei liegt der Zuschuss bei Heizöl bei 398 Euro, für Erdgas bei 389 Euro und bei Fernwärme bei 408 Euro. Ein Zwei-Personen-Haushalt mit maximal 60 Quadratmetern bekommt künftig für die Bruttowarmmiete statt 444 Euro durchschnittlich 472,50 Euro, drei Personen 578 Euro (statt 542), vier Personen 665 Euro (statt 619) und fünf Personen 766 Euro (statt 705). Einer dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft stehen in Berlin 75 Quadratmeter zu, vier Personen dürfen 85 Quadratmeter bewohnen und eine fünfköpfige Familie 97 Quadratmeter. Für jede weitere Person kommen 12 Quadratmeter dazu.

Interessant sind die aktuellen Richtwerte der Wohnungsgrößen für Menschen, die nicht vom selbstverdienten Geld leben:

1 Person: max. 50 Quadratmeter
2 Personen: max. 60 Quadratmeter
3 Personen: max. 75 Quadratmeter
4 Personen: max. 85 Quadratmeter
5 Personen: max. 97 Quadratmeter

Im Vergleich:
Sowjetunion 1928:
Jedem Sowjetbürger durften nicht mehr als 8 qm Wohnfläche zur Verfügung stehen (Quelle: J. Baberowski, Verbrannte Erde, München 2012, S. 148f). Eine 5-Personen-Familie durfte über einige Jahrzehnte hinweg nicht mehr als 40 qm bewohnen.

Das war auch in der Tat so, das haben mir ehemalige Sowjetbürger bestätigt.

Ein deutscher alleinstehender Arbeitsloser, der in einer 1-Zimmer-Wohnung lebt, hat also Anspruch auf mehr Wohnraum als eine sowjetische Durchschnittsfamilie insgesamt bis in die 60er Jahre hinein hatte.

DDR:
Einer 5-Personen-Familie standen durchschnittlich 85 qm zur Verfügung (Quelle: J. Gauck, Winter im Sommer, München 2011, S. 121)

Zugleich stehen derzeit in Berlin 130.000 Wohnungen (7,5% aller Wohnungen) leer – allem Geunke von Verdrängung und Mietsteigerungen zum Trotz. Durch höhere Heizkostenzuschüsse verhindert der Staat, dass Umzüge in billigere leerstehende Wohnungen notwendig werden. Der enorme Leerstand an Wohnungen bleibt bei konstanten Bevölkerungszahlen erhalten, die Mieten steigen also dank staatlicher Zuschüsse stärker an, als dies ohne die Heizkosten-Zuschüsse der Fall wäre.

Die zentral steuernde Politik des Berliner Senats wirkt preissteigernd auf den Mietenmarkt ein. Sie lähmt erneut wie in zahlreichen anderen Fällen die Eigenkräfte der Bedürftigen, entmutigt sie, selbst auf die Suche nach einem gangbaren Weg zu gehen.

Der Berliner Senat verzerrt – wie schon seit Jahrzehnten – das ausgleichende Spiel von Angebot und Nachfrage. Wir leben weiterhin in einem stark staatsgläubigen, auf zentrale Steuerung und abfedernd-erstickende  Fürsorge bedachten Bundesland. Der einzelne Mensch kann wenig – die Politik des  Bundeslandes Berlin kann fast alles – und die Geber-Bundesländer müssen weiterhin für uns zahlen. Das ist die Formel des ungebrochenen Vulgärsozialismus, der die Berliner Landespolitik durchzieht.

Im Durchschnitt steht heute jedem Bundesbürger doppelt so viel Wohnraum zur Verfügung wie 1990. Was bedeutet das für die Klimapolitik? Fast 40% der Klimakiller werden aus den Heizungen in die Luft geblasen. Schon mal drüber nachgedacht, liebe Klimaretter?

Von den 40,5 Millionen Wohnungen in Deutschland stehen 3,5 Millionen leer; Leerstandsquote: 8,6%, Steigerung gegenüber Vorjahr: 0,6% (Quelle: Statistisches Bundesamt).

Trotz aller Abrisse steigt der Wohnungsleerstand in Deutschland an. Nur dank staatlicher Bemutterung und dank staatlicher Eingriffe in den Mietenmarkt können die Mieten in einzelnen begehrten Lagen so stark steigen, wie sie dies ja auch tatsächlich tun.

Gerade Kreuzberg mit seinem exorbitant hohen Hilfe-Empfänger-Anteil verzeichnet besonders starke Mietenanstiege, die nur dadurch zu erklären sind, dass der Staat immer mehr Geld direkt in die Wohnraumversorgung steckt und somit den Mietenanstig stützt.

Der Staat finanziert mit öffentlichem Geld den hohen Standard der Wohnraumversorgung in Kreuzberg. Der Staat ist unbeabsichtigt ein Preistreiber bei den Mieten.  Staatliche Preistreiberei bei den Mieten, weitere Entmündigung der Sozialklientel, Wählerstimmen im Gegenzug für wettbewerbsverzerrende Geschenke der öffentlichen Hand an selbsternannte Mündel der bemutternden Politik – dieses uralte Rezept, das noch aus Mauerzeiten stammt, geht in Berlin weiterhin auf. Wohl bekomm’s!

Eine wirklich intelligente Politik würde wirtschaftliche Anreize schaffen, in weniger gefragte Lagen umzuziehen, in denen das Mietniveau niedriger ist. Der Staat könnte z.B. mehr Verwaltungs-, Kunst- und Bildungseinrichtungen in ländlichen, unterentwickelten Räumen schaffen, wo oft 30 oder 40% der Wohnungen leerstehen. Beschäftigung schafft Zuzug! Zuzug schafft Mieter, Wegzug der Arbeitslosen hin zu neuer Beschäftigung würde den Berliner Mietenmarkt dämpfen.

Aber nein. Besitzstandswahrung ist das überragende Gebot der aktuellen Politik – und wenn jemand etwas anderes verlangt, kann er allenfalls Sonntagspredigten halten.

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Jan 192012
 

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The British, the British, the British are best,
I wouldn’t give tuppence for all of the rest

Derartig stolzgeschwellte Bocksgesänge sang ich gern selbst gelegentlich mit meinen britischen Kolleginnen und Kollegen mit, wenn es um lustiges Laienspiel ging. Diese Zeilen fielen mir wieder ein, als ich kürzlich  „The Kaiser’s Holocaust – Germany’s forgotten Genocide“ von David Olusoga und Casper W. Erichsen las. Kein lustiges Thema. Die Autoren stellen bereits im Titel die Einzigartigkeit des Holocaust in Frage. Denn wenn der deutsche Kaiser bereits in Deutsch-Südwest-Afrika einen Holocaust beging, wird dadurch unterstellt, es habe nicht nur einen von den Deutschen begangenen Holocaust gegeben. Die Deutschen wären erneut gebrandmarkt als das Volk des – diesmal doppelten – Holocaust. Soweit nichts Ungewöhnliches.

Gefröre einem nicht das Blut in den Adern, wäre man versucht zu singen:

The Germans, the Germans, the Germans are worst
I wouldn‘ give twoppence for all others‘ burst …

Dürfen die Autoren aber eigentlich die Einzigartigkeit des Holocaust in Frage stellen? Viele kluge und weniger kluge Argumente für und wider sind darüber gesagt und gedruckt worden.

Die Welt ist offenbar weiterhin einig, dass die Deutschen und nur die Deutschen die schlimmsten Menschheitsverbrechen begangen haben. Selbst die Deutschen fangen ja bereitwillig an dies zu glauben. Das geht so weit, dass man sagen kann: Selbst wenn es einen zweiten Holocaust gegeben haben sollte, hätten ihn denknotwendig immer noch die Deutschen und nur die Deutschen begangen. So bleibt alles in Ordnung. Das ist der Sinn des Buchtitels „The Kaiser’s Holocaust“.

Auf über 6 Millionen Tote schätzen Historiker die Zahl der in der Shoah (vulgärsprachlich Holocaust) von staatlichen Organen und deren willigen Helfershelfern ermordeten europäischen Juden. Staatliche Organe und Bürger fast aller europäischen Länder waren an diesem entsetzlichen Massenmord beteiligt. Historiker, die sich in die Archive und Zeitzeugenberichte hineinwagen, wissen es längst: Offenkundig war der Holocaust nicht die alleinige Schuld Deutschlands und der mit ihm verbündeten Staaten. Sowohl besetzte Länder als auch unbesetzte europäische Länder haben mit staatlichen Organen und mit Bürgern am Holocaust mitgewirkt.  So hat etwa der nicht von den Deutschen besetzte Teil Frankreichs, der Französische Staat (vulgärsprachlich „Vichy-Regime“ genannt), haben französische Polizisten und Gendarmen bereitwillig und ohne jeden Zwang Juden an den deutschen Staat zur Ermordung ausgeliefert.

6 Millionen – eine schreckliche Zahl, hinter der sich unbeschreibliches Elend und Grauen verbirgt!

Auf weit über 55 Millionen Tote schätzt der Historiker Norman Davies die Zahl der von staatlichen Organen und Institutionen Getöteten, die von 1917-1953  in der Sowjetunion und sowjetisch annektierten Ländern ums Leben kamen – wohlgemerkt ohne Kriegsopfer. Weit über 55 Millionen tatsächliche oder vermutliche, echte oder eingebildete Gegner der kommunistischen Diktatur verloren ihr Leben in systematischen oder willkürlichen Erschießungen, durch Hinrichtungskommandos, in Lagern, in Gefängnissen, wurden erschlagen, deportiert, vertrieben, in den Hungertod getrieben. Schrecklich.

„Ein Toter ist eine Tragödie – eine Million Tote sind nur Statistik“, so sagte Stalin einmal. Die staatlichen Organe der Sowjetunion haben von 1917 bis mindestens 1953 dementsprechend gehandelt. Hinter den Dutzenden und Dutzenden Millionen Ermordeter der kommunistischen Diktaturen in der Osthälfte Europas stecken Tragödien, zerbrochene Familien, zerstörte Existenzen, verwüstete Landstriche.

6 Millionen Ermordete! 55 Millionen Ermordete! Das sind atemberaubende Zahlen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Leider muss man die ungefähren Opferzahlen zusammenrechnen, um eine Vorstellung von der Dimension der Verbrechen zu erhalten. Kein Zweifel kann daran bestehen, welches der beiden totalitären Regime mehr Ermordete durch brutale Repression auf dem Gewissen hat. Offenbar haben die kommunistischen linken Diktaturen durch Verfolgung und Repression insgesamt weit mehr Tote, weit mehr Ermordete in den eigenen zivilen Bevölkerungen verursacht als die nationalsozialistischen und faschistischen rechten europäischen Diktaturen.

Ob man nun den Holocaust oder die Shoah der europäischen Juden einzigartig nennt oder nicht, ist meines Erachtens zweitrangig. Man sollte sich nicht den Mund fusslig über Einzigartigkeit reden, sondern der Millionen Opfer aller systematischen Massenmorde, die sich gegen Völker, gegen Klassen, gegen echte oder eingebildete Feinde richteten, gedenken.

Jeder Mord ist in gewisser Weise einzigartig, ist das schlimmste Verbrechen. „Wer einen Menschen tötet, tötet die Menschheit“, sagen Talmud und Hadithe übereinstimmend.

Dass aber systematischer Massenmord sich geplant oder willkürlich gegen ganze Völker, gegen Religionen oder Menschengruppen, gegen Klassen oder Rassen richtete, ist leider in der Menschheitsgeschichte mehrfach vorgekommen. Es geschah in deutschem Namen in Deutsch-Südwestafrika, es geschah aber auch nicht minder brutal in belgischem Namen in Belgisch-Kongo, in französischem Namen in Algerien, in italienischem Namen in Libyen und Abessinien.

Das EU-Parlament sollte versuchen, auch den vergessenen Opfergruppen Gerechtigkeit im trauernden Gedenken widerfahren zu lassen. Dabei sollten Deutsche vor allem die Opfer der von Deutschen begangenen Verbrechen, Russen die Opfer der von Russen begangenen Verbrechen, Belgier die Opfer der von Belgiern begangenen Verbrechen, Europäer die Opfer der von Europäern begangenen Verbrechen betrauern. Nur aus der Trauer über die selbstbegangenen Verbrechen der eigenen Völker kann Versöhnung erwachsen.

Ganz anders sieht dies jedoch eine Gruppe von EU-Abgeordneten, – worüber heute die taz berichtet:

EU-Abgeordnete formulieren Appell: Der Holocaust ist einzigartig – taz.de

Quellenangaben:

David Olusoga und Casper W. Erichsen: The Kaiser’s Holocaust – Germany’s forgotten Genocide. Faber & Faber, London 2010

Frank Brendle: Der Holocaust ist einzigartig. taz online, 19.01.2012

Norman Davies: Categories of people killed in Soviet Russia and the Soviet Union 1917-1953 (excluding war losses, 1939-1945), in: Europe. A History. Pimlico, London, 1997,  S. 1328-1329

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Nov 212011
 

Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Rheinland-Pfalz sind die Bildungssieger, wie der aktuelle SPIEGEL auf S. 71 berichtet. „Bayern und Baden-Württemberg, die Seriensieger in Bildungsvergleichen, schneiden insgesamt hervorragend ab“ (SPIEGEL Nr. 47, 21.11.2011, S. 72).

Woran mag das liegen? Sicher nicht am Geld, auch nicht an der Bildungsinfrastruktur, denn auch mit mehr Geld und besserer Bildungsinfrastruktur schaffen es andere Bundesländer nicht, die beiden Südstaaten einzuholen. Liegt es an der jahrzehntelangen CDU/CSU-Herrschaft in den vier genannten Südstaaten? Oder wählen erfolgreiche Bundesländer CDU/CSU?

Nein, das wäre zu grob vereinfachend. Daran mag aber soviel richtig sein, dass Bildungslandschaften Jahrzehnte und Jahrhunderte brauchen, um einen hohen Stand zu erreichen. Die historisch-geographische Lage ist sicherlich ein Schlüssel für das Verständnis der Süd-Nord-Spaltung der Bildungsrepublik Deutschland.

Denn die genannten vier Bundesländer verbindet, wie ein Blick in jeden Geschichtsatlas lehrt, eines: Sie haben eine jahrhundertelange Tradition der kleinräumigen Eigenständigkeit, sie sind gekennzeichnet durch ein dichtes Netz an konfessionell, kommunal und regional getragenen „Pflanzstätten der Bildung“. Ein typisches Beispiel dafür ist das berühmte Tübinger Stift, aus dem Schelling, Hölderlin und Hegel hervorgingen. Die zahlreichen städtischen Volksschulen Bayerns mit ihrem täglichen gemeinsamen Singen von Schülern und Lehrern sind ebenfalls ein Faktor, der den überragenden Erfolg des bayerischen Schulwesens zu erklären vermag.

Die vier Bildungssieger widersetzten sich stets dem Gedanken eines starken deutschen Zentralstaates. Sie sind die „Abweichler“ vom starken Zentralstaat, die sich übrigens auch dadurch auszeichneten, dass in ihnen vor 1933 die extrem zentralistische NSDAP nie so stark war wie in den nördlichen und östlichen Teilen des Deutschen Reiches.

Die südlichen Königreiche Bayern (mit Rheinkreis) und Württemberg, das Großherzogtum Baden, das Königreich Sachsen bildeten mehr oder minder vollständig jenes eine Drittel des Deutschen Reiches, das vor 1871 nicht zum Königreich Preußen gehört hatte! Die nördlichen Bundesländer hingegen, die zum stark zentralisierten Preußen gehörten, bilden ausweislich des aktuellen SPIEGEL die untere Häfte des Bertelsmann-Bildungsatlanten. Die stark regional, kommunal und kirchlich geprägten südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, in geringerem Umfang auch Sachsen segeln seit Jahrzehnten mit vollen Segeln den anderen Bundesländern voran.

Die Verantwortung weg vom Zentralstaat auf die jeweils niedrigste Ebene zu verlagern oder auf ihr zu halten, das ist der Kerngedanke der Subsidiarität.

Der druckfrische SPIEGEL feiert einen großartigen Sieg für die Subsidiarität, er liefert ein klares Votum gegen den Zentralismus in der Bildungspolitik.

SPIEGEL ONLINE Forum – Braucht der Bund mehr Kompetenz in der Bildungspolitik?

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Okt 252011
 

Orientalische Mythen drehten sich schon vor Jahrtausenden, als etwa 5 Millionen Menschen die gesamte Erde bewohnten, um das Problem der Übervölkerung der Erde durch die Menschen. „Nur die Vernichtung der Menschen scheint einigen Göttern als Ausweg in Frage zu kommen. Übrigens klagen sie auch darüber, dass deren Lärm ihnen den Schlaf raube.

So berichtet es der Historiker Christian Meier. Lärmbelastung, Umweltverschmutzung, Raubbau an den natürlichen Schätzen, ja, das können die Menschen, und das werfen ihnen die Götter der alten Welt wieder und wieder vor.

Als Ausweg aus der Resourcenknappheit und der Überbevölkerung empfahlen die alten Götter einander, sie sollten der Menschheit Kriege, Zank, Tadel, Uneinigkeit, ewiges Streiten senden, ferner periodische Vernichtung von großen Teilen der Menschheit durch Pest, Dürre und Sintflut bewirken.

Nun, die Erde hat es bisher ausgehalten, auch mit mehr als 5 Millionen Menschen. Die alten Götter haben es ausgehalten. Sie schlafen oft – und fest. Niemand kennt mehr Enlil, den obersten der altorientalischen Götter.

Nur wir Menschen zanken und streiten weiter. Aber wir sind mehr als 5 Millionen. Mindestens 1200 Mal so viele. Und die Erde kann uns alle ernähren, wenn wir es wollen.

Quelle: Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, 2. Aufl., München 2009, S. 88

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Die lernende Gesellschaft hat einen lebendigen Kanon

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Okt 202011
 

Bildungsgipfel: Gesucht: Die „Bildungsrepublik“ – Wissen – Tagesspiegel
Die öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildung und Forschung sollten bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen: In der Bildung von 6,2 Prozent auf sieben Prozent, in der Forschung von 2,4 Prozent auf drei Prozent.

Unter vorwiegend quantitativen Kriterien bemisst sich Erfolg oder Scheitern des ehrgeizigen Projekts der „Bildungsrepublik Deutschland“. Alle hacken jetzt schon darauf herum, weil die rein fiskalisch, monetär und statistisch gesetzten Ziele wohl nicht zu erreichen seien. Der Mehrjahresplan droht wegen Nichterreichung zu scheitern.

Das Projekt der Bildungsrepublik ist zwar im Ansatz hochlöblich. Die vorrangige Ausrichtung an quantitativen Zielwerten bei gleichzeitiger völliger Unbestimmtheit der Bildungsinhalte halte ich jedoch für einen nur mit großen Anstrengungen zu behebenden Mangel. So kann es etwa kein sinnvolles Ziel sein, die Quote der Studienanfänger auf 40% zu steigern, wenn zugleich Lehrstellen unbesetzt bleiben, wenn Handwerksbetriebe verzweifelt nach geeigneten Kandidaten suchen, während die Universitäten – vorübergehend – einen Studentenwellenberg zu bewältigen haben!

Ich würde vorschlagen, dass das Programm der „Bildungsrepublik Deutschland“ eingebettet würde in ein umfassenderes Leitbild der lernenden Gesellschaft. Diese Gesellschaft bemisst sich nicht an Zahlen, sondern an inhaltlichen Werten, an den Grundhaltungen des beständigen Lernens, Veränderns und Bildens. Das Leitbild verfügt über einen lebendigen Kanon an Werten,Werken, Erfahrungen und Riten.

Lerne und arbeite! Dies könnte das Leitwort der Lernenden Gesellschaft sein.

 Posted by at 23:34

Sind Hopfen und Malz an deutschen Schulen verloren?

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Sep 272011
 

Unerbittlicher Vergleich zwischen den Schulsystemen Deutschlands und Frankreichs. In Frankreich streiken die Lehrer heute. Hauptgrund: Zu große Klassen!

Ein Vergleich ergibt:

Frankreich hat im Durchschnitt 22,7 Schüler je Grundschulklasse und 24,5 in der weiterführenden Schule, Deutschland 21, 7 in der Grundschule und 24,7 in der Sekundarstufe.

Der Experte des französischen Fernsehens singt das Loblied Deutschlands. Nach den schlechten PISA-Ergebnissen von 2000 habe Deutschland dank Reformen und besserer Lehrerbildung mächtig zugelegt.

Befund: Klassenfrequenz ist nicht alles. Es scheint ebenso auf die Unterrichtsqualität anzukommen. Hierbei scheint in Deutschland nicht Hopfen und Malz verloren zu sein.

Actualités – France 2 : info en direct, jt, politique, économie, société… – France 2

 Posted by at 22:29

80.000 leerstehende Mietwohnungen in Berlin suchen verzweifelt Menschen

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Jul 122011
 

02072011794.jpg10 Tage lebte der Blogger in Mecklenburg-Vorpommern mit seiner Familie auf 6 Quadratmeter Wohnfläche! Das eigene Heim ist halt doch Gold wert! Es ging schon einigermaßen, zumal das Außenzelt uns nachts zuverlässig vor dem pladdernden Dauerregen schützte. Mit wie wenig kann der Mensch doch auskommen! Gebadet wird in der Ostsee, Essen und Trinken findet im Freien statt, Körperpflege in den Gemeinschaftsduschen.

Nur nachts dachte ich manchmal bei Blitz und Donnerschlag: Um wieviel besser wäre es jetzt, eine Mietwohnung am Stadtrand Berlins zu haben! Weiterhin verschenken die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Boni und Anreize, damit die Menschen aus den beliebten Innenstadtquartieren in die grünen Randbezirke ziehen. Das berichtet die BZ heute auf S. 14.  80.000 Wohnungen stehen in Berlin leer! Aus Steuergeldern finanziert werden 300-Euro-Starter-Boni, mietfreies Kinderzimmer, 500-Euro-Gutschein und und und …

Aus Berichten von Freunden und Bekannten weiß ich: Die Wohnqualität in den Großsiedlungen ist gut, sie bieten gerade für junge Familien jede Menge bezahlbaren Wohnraum. Den öden Hype um den Bergmannkiez und den Caffe-Latte-Prenzl-Berg sollte man nicht mitmachen! Was nicht durchgentrifiziert wird, fällt eh dem Spielhallenvirus zum Opfer. Konsequent: Bei meiner Rückkehr nach Kreuzberg entdeckte ich vor wenigen Stunden die erste Spielhalle in der Stresemannstraße. Meine Kinder können also jetzt wählen zwischen 2 Spielcasinos am Mehringdamm und einem in der Stresemannstraße.

Der Berliner Hätschel- und Verwöhnstaat schüttet über seine landeseigenen Wohnungsgesellschaften weiterhin sein Füllhorn aus. Buen provecho!  Eine Quadratmetermiete von 3 Euro, wie sie die GSW anbietet, kann niemals kostendeckend sein.

Dauerjammerer und Schlechtwettervögel: Greift zu – statt zu klagen!

Bild: So trübe sah es vor unserem 6-qm-Eigenheim tagelang aus.

Schnäppchen: Sonderangebote für Berliner Platten – B.Z. Berlin – Plattenbau, Sonderangebote, Sanierung

 Posted by at 13:41
Jun 302011
 

Die durchschnittlichen Wohnungsmieten in diesen vier Städten sind etwa vergleichbar teuer wie die durchschnittlichen Berliner Wohnungsmieten. Soll man also nach Bielefeld umziehen? Ich würde sagen: ja, wenn man dort eine Arbeit findet. Nein, wenn man dort keine Arbeit findet. Denn Berlin bietet bei vergleichbarem Mietpreisniveau wie Bielefeld unvergleichbar mehr Spaß, Unterhaltung und Freibäder. Die Schulen erhalten in Berlin pro Schüler weit mehr Geld als in Bielefeld, die Kinderbetreuung ist hier in Berlin viel besser ausgebaut. Das Freibadwasser ist in Berlin beheizt. Der öffentliche Nahverkehr ist billiger und besser ausgebaut.

Warum sollte man etwas daran ändern?

Immobilienmakler: Mieten in Berlin angeblich billig wie in Bielefeld – Berlin – Tagesspiegel
Trotzdem sind die Makler überzeugt, Berlin sei weiterhin billig. Nach wie vor seien für 4,50 Euro pro Quadratmeter ausreichend Wohnungen im Angebot, „die ein Bad haben, wo es nicht hineinregnet und wo die Fenster vernünftig schließen“, sagt der Verbandsvorsitzende Dirk Wohltorf.

Dies entspreche dem Preisniveau von Bielefeld oder Rostock.

 Posted by at 08:26
Apr 302011
 

Aha, interessantes Thema, das ich da im Blog Politikselbermachen entdecke. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg werden die Gelder für das Schulessen zusammengestrichen. Ausgerechnet bei den Schulen und beim Essen für unsere Kleinsten spart mein Heimatbezirk mehr als die anderen Berliner Bezirke. Was soll ich sagen? Soll ich mich schämen, ein Friedrichshain-Kreuzberger zu sein?

Ich rege mich ja schon gar nicht mehr über die fehlende Fahrradinfrastruktur im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf – über die schmähliche Ausgrenzung und das An-den-Rand-Drängen des Radverkehrs an der Skalitzer Straße, am Tempelhofer Ufer, an der Warschauer Straße, am Tempelhofer Berg und und und. Wer Fahrrad fahren will, wer jung, gesund, stark und risikofreudig ist, soll halt Fahrrad fahren, wie ich das ja auch mit größter Freude mache.

Ich lege hiermit das denkbar beste Zeugnis ab: Kein einziger gesunder, sportlicher, risikofreudiger, erwachsener Mann wird hier in unserem deutschlandweit bekannten Vorzeigebezirk am Fahrradfahren oder am Zu-Fuß-Gehen gehindert!

Alles gebongt, alles gegessen!

Aber dass man ausgerechnet am Schulessen, ausgerechnet an Centbeträgen knausert? Lest das hier:

Berlin muss sparen – beim Schulessen? « Politikselbermachen
Jedes Kind sollte gut essen, jedes Schulkind sollte auch gut selberkochen lernen. Leider wird in manchen Kreuzberger Familien zu wenig selber gekocht. Folge: Die Kinder sind auf qualitativ hochwertiges Essen in der Schule angewiesen. Lecker, schmackhaft und gesund kann man auch für wenig Geld essen – sofern man frische Zutaten der Saison kauft und selber kocht.

Eifrig auf den Spuren des herrlich bösen, roten SPD-Mannes Thilo Ich-nehm-meine-Mitgliedschaft-ins-Grab-Sarrazin, der Arbeitssuchenden und Sozialhilfeempfängern selber vormachte, wie man für Euro 1,03 für ein Mittagessen, für 3,76-3,98 am Tag gesund&lecker essen kann, wandelt derzeit der ganz liebe, grüne Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. In Friedrichshain-Kreuzberg darf das angelieferte Schulessen künftig nur noch höchstens 2 Euro/Portion kosten.

Lest selbst:

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat bei seiner aktuellen Ausschreibung zur Vergabe des Catering-Auftrags sogar festgelegt, dass das Schulessen künftig noch weniger kosten muss als in den Vorjahren. Das angelieferte Schulessen darf dort nur noch höchstens zwei Euro kosten. Bisher galt eine Kostenobergrenze von 2,05 Euro. Daraufhin haben nun Essensanbieter aufgegeben. Der Caterer „Drei Köche“, der bisher Schulen im Bezirk beliefert, hat sich an der Ausschreibung, deren Frist gestern abgelaufen ist, nicht beteiligt. „Bei diesem Preisdumping machen wir nicht mit“, sagte Geschäftsführer Klaus Kühn.

Quellenhinweise (hey Plagiatjäger – ihr habt keine Chance!):

Martin Klesmann: Schulessen auf Sparflamme. Berliner Zeitung online, 29.04.2011

Thilo Sarrazin: „Ernährung“, in: Deutschland schafft sich ab. DVA München 2010, S. 114-121

Bild: der herrliche Kreuzberg zur herrlichen Osterzeit

 Posted by at 20:54
Apr 082011
 

384,89 Euro beträgt der aktuelle Mindestlohn in der Türkei. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer in der Türkei bezieht diesen Mindestlohn. Der gesetzliche türkische Mindestlohn beträgt somit etwa ein Viertel bis ein Drittel dessen, was ein Arbeitsloser in Deutschland Monat für Monat an finanziellen Zuwendungen, etwa für Wohnen und Versicherungen sowie an Barauszahlungen erhält. Die Lebenshaltungskosten der Türkei sind unterschiedlich, in Istanbul liegen sie etwa so hoch wie in Deutschland, im Durchschnitt des Landes etwa auf halber Höhe oder etwas darunter. In Istanbul selbst beträgt der aktuelle Durchschnittslohn etwa € 850/Monat.

Ein Sozialhilfeempfänger in Deutschland steht also weit besser da, kann sich weit mehr leisten als ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in der Türkei, von den arabischen Ländern ganz zu schweigen.

Ein Blick auf diese simplen Zahlen vermag etwas von der faszinierenden Sogwirkung des deutschen Sozialsystems auf die anderen Länder dieser Erde zu erklären.

Dennoch wird unausrottbar von „Armut“ gesprochen.  So schreibt heute etwa Gilbert Schomaker in der Berlin-Ausgabe der WELT auf S. 30: „Von Armut betroffen sind laut Bildungsbericht 36 Prozent aller Kinder in Berlin, sogar 46 Prozent aller Jungen und Mädchen in Brandenburg. Als vom Risiko Armut betroffen gelten Familien, die bei zwei Kindern nicht mehr als 1550 Euro im Monat haben.

Es ist haltloser Unsinn, den uns die Statistiker da immer wieder auftischen. Es gibt in Deutschland keine statistisch nennenswerte Armut. Das ständige Gerede von Armut verstellt den Blick auf die wahren Ursachen von scheiternden Bildungskarrieren. Eine der Hauptursachen von scheiternden Bildungsverläufen liegt meines Erachtens darin, dass es zu wenige Anreize gibt, aus dem System der Sozialhilfe aus- und aufzusteigen. Denn alle denken und viele sagen: „Ich krieg ja eh Sozialhilfe.“ Umgekehrt bestehen stärkste Anreize, Familien bewusst ins deutsche Sozialsystem hineinzugründen und die Lebensplanung darauf abzustellen.

Und so entfällt jeder materielle Anreiz, wirklich gutes Deutsch zu lernen oder beruflich verwertbare Qualifikationen zu erwerben.

Minimum Wage in European countries – Google public data

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Mrz 302011
 

„Was für eine dumme Frage!“, werdet ihr mir antworten! „Sie tun es, wenn sie es wollen. Der Staat soll sich gefälligst heraushalten aus der Lebensplanung.“ Etwa 50% aller Haushalte in Berlin sind heute Single-Haushalte. Die Familie mit Kindern wird zum Ausnahmemodell, die WGs sind allenfalls eine Zwischenlösung. Der Staat übernimmt dank Sozialhilfe, Wohngeld, Hilfen zum Lebensunterhalt jede Garantie dafür, dass jeder so leben kann, wie sie oder er will. Es herrscht keinerlei wirtschaftlicher Druck mehr, zu Familien zusammenzuziehen oder in Familien zusammenzuwohnen. Das Single wird zur entscheidenden Größe der Wohnungspolitik, der Baupolitik, der Stadtplanung! Die Nachfrage nach kleinen Wohnungen wird zunehmen, das Geschrei von Wohnungsnot hebt schon an, da nicht mehr alle Wünsche nach Single-Wohnungen befriedigt werden können.

Mich stimmen solche Befunde eher nachdenklich. In dem Maße wie Familien zum Ausnahmemodell werden, werden Kinder zur Störgröße! Kinder, so meine ich, gedeihen am besten, wenn sie mit Vater und Mutter und mit anderen Kindern zusammenwohnen. Ökologisch gesehen sind Single-Haushalte kontraproduktiv, da besonders teuer.

Eine Stadtgesellschaft wie die unsrige, die de facto das Single zum Leitbild erhebt, lebt auf Kosten ihrer eigenen Zukunft. Sie fördert Egoismus und Einsamkeit. Ich finde das sehr problematisch – in jedem Sinne: psychologisch, ökologisch, ökonomisch und moralisch. Die Alten und die Kranken vereinsamen in der Single-Gesellschaft fast notwendigerweise.

Single-Boom: Deutschland wird zur Republik der Mini-Haushalte – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Wirtschaft

Besonders gering ist der Anteil der Haushalte mit drei oder mehr Mitgliedern in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Bereits 2009 lebte dort in jedem zweiten Haushalt nur eine Person. Bis 2030 steigt voraussichtlich der Anteil der Single-Haushalte in Bremen auf 54, in Hamburg auf 55 und in Berlin sogar auf 58 Prozent

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