Von Löwen und Tigern: am Tresen der deutschen Geschichte mit Florian Havemann

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Dez 222007
 

Vor mir liegt das Buch: Havemann. Von Florian Havemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Erste Auflage 2007, 1092 Seiten. In kleiner Runde saßen wir heute in der Küche und besprachen, was wir schon über das Buch gehört und gelesen hatten. Die eine kennt den einen, ich war schon in der Wohnung des anderen – unsere privaten Erinnerungen und Bekanntschaften vermengen sich mit den zwischen den grauen Pappdeckeln ausgebreiteten Reminiszenzen. Ich lese die ersten 43 Seiten. Es ist, als lehnte man in einer Kneipe neben einem Unbekannten, der dann nach und nach vieles auspackt, sodass man staunenden Mundes zuhört. Der Unbekannte zieht immer wieder ein vergilbtes Schwarz-Weiß-Foto aus der Brieftasche. Etwa so: „Da schau her, das ist mein Onkel Richard,“ der zum ersten Mal in der ganzen Zirkusgeschichte Tiger und Löwen, Löwen und Tiger in einer Truppe vereint hat (S. 37).

Ich weiß: es werden noch viele solche Begebenheiten kommen. Am Schluss wird mein Bild von Robert Havemann ein anderes sein. Ich erinnere mich noch an den Ton, mit dem meine Eltern von diesem Robert Havemann sprachen. Havemann war ein Opfer, Havemann war ein unerschütterlicher Warner und Mahner. „Was ist mit Havemann?“, hörte ich raunen. Havemann bewies, dass etwas nicht möglich war, was andere für möglich hielten. Was? Ich verstand es nicht, konnte es im Alter von acht Jahren nicht verstehen. Ich erinnere mich an den Buchrücken: Fragen – Antworten – Fragen. Der Buchtitel kam mir damals im Alter von 11 Jahren merkwürdig vor. Warum ein Buch schreiben, – so dachte ich – das mit Fragen endet?

Dieses hier – so scheint mir – lässt kaum Fragen offen. Ich werde es weiterlesen, denn es bietet eine vermutlich recht genaue Schlüssellochperspektive auf die letzten hundert Jahre deutscher Geschichte. Verengt wie eben jede Schlüssellochperspektive, wohl auch einseitig, böse, hilflos liebend mit nachgetragener-unerwiderter Liebe, ressentimentgeladen und enttäuscht, aber dafür spannend, unersetzlich und aufschlussreich in den Details. Was für ein Brocken, was für ein Trumm Buch!

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Rückkehr der Bürgerlichkeit – auch in Kreuzberg?

 bitte!, Das Gute, Friedrichshain-Kreuzberg  Kommentare deaktiviert für Rückkehr der Bürgerlichkeit – auch in Kreuzberg?
Dez 102007
 

In der aktuellen Ausgabe Nr. 25/2007 von zitty Berlin lese ich einen bemerkenswerten Artikel über die Rückkehr der Bürgerinitiativen: „Alle wollen mitreden.“ Autor Felix Denk schreibt:

„Zwar verlieren Parteien und Gewerkschaften scharenweise Mitglieder und die Wahlbeteiligungen sind nicht nur auf kommunaler Ebene so niedrig wie selten zuvor. Gleichzeitig jedoch steigt die Bereitschaft der Bürger, sich freiwillig zu engagieren – das gilt, wie Umfragen zeigen, für ehrenamtliche Tätigkeiten genau so wie für Bürgerinitiativen. Die Bürgerlichkeit kehrt zurück. So versteht auch der Soziologe Frank Adloff die Umfragewerte. Besonders die Mittelschicht ist bereit, Verantwortung zu übernehmen.“

Was also ist ein Merkmal des Bürgers? Vielleicht genau dies: ein Gefühl dazuzugehören, die Bereitschaft, sich einzumischen, Verantwortung zu schultern. Ich glaube, wir brauchen noch mehr davon. In der Demokratie sind wir alle Bürger. Egal ob wir Nadelstreifenanzüge, abgewetzte Jeans oder Latzhose tragen. In Kreuzberg ist es allenthalben zu sehen, da scheint eine neue „Bürgerlichkeit“ entstanden zu sein. Man findet sie im ökologischen Supermarkt LPG am Mehringdamm, im selbstverwalteten Fahrradladen oder beim rauchfreien Vätertreff eher als bei den vermeintlich „bürgerlichen“ Parteien, die hier in Kreuzberg nur zweite Geige oder vielmehr tiefsten Stimmenanteil-Kontrabass spielen.

Frühere Zeiten haben den Bürger als den satten, selbstzufriedenen Spießer gesehen, der die Welt so lässt, wie sie ist. Es kömmt aber darauf an, sie zu gestalten. Ich meine: sie behutsam gestalten, menschenfreundlich, umweltfreundlich, Eine-Welt-freundlich, in kleinen Schritten. Was meint ihr? Seht ihr euch auch als Bürger?

 Posted by at 14:09