„Sehnsucht nach Sprachergänzung“. Zu Sophokles, Oedipus auf Kolonos, Vers 685-693

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Mai 092014
 

Vorgestern benannten wir Hölderlins Sophokles-Übersetzungen als tastenden Versuch, über das Ausgesagte hinaus zu einem reinen Sagen zwischen den Sprachen zu gelangen. Ist diese Hypothese  überhaupt sinnvoll?

Benjamin behauptet genau dies und spricht in seinem Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“ von der Ergänzungsbedürftigkeit des Originals. Die zu übersetzende Sprache verlange danach, durch den Akt der Übersetzung über sich hinauszuwachsen, sich anzureichern mit einer Sinnfülle, die vorher nicht da war. Ein kühnes Unterfangen! Wir werden dies morgen anhand eines vorliegenden Textes nachzuvollziehen versuchen.

Hier schon einmal unsere kleine Gewebeprobe für den Untersuchungstisch. Ein Chorlied aus der Tragödie „Ödipus auf Kolonos“ von Sophokles, dessen Übersetzung durch Hölderlin wir vorgestern anführten:

οὐδ᾽ ἄϋπνοι
κρῆναι μινύθουσιν
Κηφισοῦ νομάδες ῥεέθρων,
ἀλλ᾽ αἰὲν ἐπ᾽ ἤματι
ὠκυτόκος πεδίων ἐπινίσσεται
ἀκηράτῳ σὺν ὄμβρῳ
στερνούχου χθονός: οὐδὲ Μουσᾶν
χοροί νιν ἀπεστύγησαν οὐδ᾽ ἁ
χρυσάνιος Ἀφροδίτα.

Sophocles. Sophocles. Vol 1: Oedipus the king. Oedipus at Colonus. Antigone. With an English translation by F. Storr. The Loeb classical library, 20. Francis Storr. London; New York. William Heinemann Ltd.; The Macmillan Company. 1912.

via Sophocles, Oedipus at Colonus, line 681.

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Strömende Sprachen

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Mai 072014
 

2014-05-01 13.09.53

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Noch mindern sich die schlummerlosen Quellen,
die in Wasser des Cephissus sich teilen,
Sondern immer und täglich
kommt der schnellererzeugende über die Felder,

Mit reinen Regengüssen
Über die Brust der Erde.

Also wendete Friedrich Hölderlin einen Chor aus dem griechischen Ödipus auf Kolonos ins Deutsche. Wir hören nur hinein. Wir halten das Ohr in diesen silbrig schimmernden Sprach-Fluss, uneingedenk der Bedeutung! Ist es eine richtige Übersetzung? Ist es die beste mögliche Übersetzung?

Über Hölderlins Sophokles-Übersetzungen vermerkte der deutsche Philosoph Walter Benjamin einmal mit furchtsam-vorsichtiger Bewunderung, dass in ihnen der Sinn von Abgrund zu Abgrund stürze, bis er in bodenlosen Sprachtiefen sich zu verlieren drohe. „Aber es gibt ein Halten. Es gewährt es jedoch kein Text außer dem heiligen, in dem der Sinn aufgehört hat, die Wasserscheide für die strömende Sprache und die strömende Offenbarung zu sein. Wo der Text unmittelbar, ohne vermittelnden Sinn, in seiner Wörtlichkeit der wahren Sprache, der Wahrheit oder der Lehre angehört, ist er übersetzbar schlechthin. Nicht allein um seinet-, sondern allein um der Sprachen willen.“

In Hölderlins Dichtung wie auch in Benjamins Besinnungen wird etwas wie das vorbegriffliche Sprechdenken erfassbar, hörbar, erahnbar.

 

Quellen:
Friedrich Hölderlin: Chor aus dem Oedipus auf Kolonos. In: ders., Werke und Briefe. Herausgegeben von Friedrich Beißner und Jochen Schmidt. Zweiter Band. Der Tod des Empedokles. Aufsätze, Übersetzungen, Briefe. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1969, S. 791

Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers. In: ders., Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1980 [=suhrkamp taschenbuch 345], S. 50-62, hier S. 62

Bild:
Ein kleiner Teich im Thüringer Wald (der Knöpfelsteich?), am Anstieg zum Rennsteig hoch von der Wartburg aus. Aufnahme des Wanderers vom 01.05.2014

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Ist das Mittelmeer ein Teich, ein See oder eine See?

 Antike, Freiheit, Griechisches, Integration durch Kultur?, Platon, Sokrates, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Ist das Mittelmeer ein Teich, ein See oder eine See?
Aug 122013
 

Phaidon_beginning__Clarke_Plato

Der fleißige Kreuzberger Hausfreund las als guter Europäer frühmorgens schon ein kleines Häppchen Platon. Was liegt näher als das Mittelmeer – zumal nach einem so herrlichen Urlaub an der türkisch-griechischen See?

Sokrates vergleicht bekanntlich im Phaidon die Griechen mit Fröschen, die in ihren kleinen Siedlungsflecken um einen Teich säßen, der von den Säulen des Herakles (=Gibraltar) bis zum Phasis, dem Grenzfluss in Armenien reiche:

Ἔτι τοίνυν, ἔφη, πάμμεγά τι εἶναι αὐτό, καὶ ἡμᾶς οἰκεῖν  τοὺς μέχρι Ἡρακλείων στηλῶν ἀπὸ Φάσιδος ἐν σμικρῷ τινι μορίῳ, ὥσπερ περὶ τέλμα μύρμηκας ἢ βατράχους περὶ τὴν θάλατταν οἰκοῦντας, καὶ ἄλλους ἄλλοθι πολλοὺς ἐν πολλοῖσι τοιούτοις τόποις οἰκεῖν.

Also ist das Mittelmeer laut Sokrates eine Art Froschtümpel! Wichtig festzuhalten: Die Griechen verknüpften mit ihrer Besiedlung der Ränder des Mittelmeeres keinerlei universalen Machtanspruch. Die Idee eines Reiches lag ihnen sehr fern. Im Gegenteil: Die Zerstrittenheit der Griechen untereinander war legendär. Die Idee des Großreiches wurde zunächst nur im Osten der Mittelmeerwelt verkörpert, in den großen Machtverbänden der Perser, der Meder, der Ägypter. Die Großreiche der Antike entstanden zunächst im Osten, im „Orient“, wie wir heute sagen. Sie waren nicht griechischen Ursprungs. Der griechische Blick auf die bewohnte Welt hatte damals gewissermaßen kein Zentrum. „Dieser Blick erfasste die Vielzahl der Länder in ihrem Nebeneinander“ (C. Meier).

Bild: Kodex mit der ältesten erhaltenen Handschrift, dem Beginn  des platonischen Phaidon, der Codex Clarkianus aus dem späten 9. Jh.
Zitate:
Platonis Phaidon, ed. Burnet, Oxonii 1903, ed. St. 109
Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, München 2009, S. 34

 

 

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Jul 262013
 

 

2013-07-23 12.51.44

In sengender Mittagshitze kletterten wir vor drei Tagen die staubige Bahn zu den oberen Rängen des riesigen Amphitheaters in Hierapolis Phrygia nahe Pamukkale hoch. Schon beim Hochgehen beschloss ich, ein paar alte griechische Verse ins Leben zu rufen, die mir eben so in den Sinn kamen. Passend erschien mir das Chorlied Vers 331 ff. aus der Antigone des Sophokles:
πολλὰ τὰ δεινὰ κοὐδὲν ἀνθρώπου δεινότερον πέλει.

Ein paar Mal setzte ich an, um den Aufnahmeleiter am Samsung-Smartphone, einen elfjährigen Jungen aus Berlin-Kreuzberg, zufriedenzustellen. Meine ersten Versuche fand er zu getragen, zu laut, zu pathetisch: „Warum sprichst du so laut? Warum übertreibst du so?“

Wir einigten uns auf ein herabgestimmtes Pathos. Aber, liebe Kreuzberger Kids, ganz ohne Pathos, also ohne Erschütterung geht es eben nicht ab in der attischen Tragödie. Die attische Tragödie ist Gottesdienst, ist kultischer, alle Sinne ansprechender Vollzug eines Wandlungsprozesses, der den ganzen Menschen mitreißt und beansprucht. Heiß war es damals sicherlich auch, denn die Aufführungen der 3 Tragödien und der einen Komödie an einem Tag hielten die Zuschauer einen ganzen Tag gefangen, Durst hatten die Zuschauer, besser: die Mitfeiernden damals wohl auch.

Sophokles Antigone Vers 331 Hierapolis phrygia 2013-07-23

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„Weißt du, das ist hier so: hier bietet man den älteren Menschen seinen Platz an!“

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Jul 162013
 

2013-07-13 20.27.15

Große Freude herrscht in mir über die zahlreichen Begegnungen mit Menschen hier in der Türkei. Kaum stelle ich eine Frage oder zeige meine Ratlosigkeit, bieten mir die Umstehenden Hilfe an. So läuft es. So läuft es gut. Manches Ungewohnte muss man Kindern aus Berlin freilich erklären, so z.B. das Maß an Höflichkeit und Freundschaftlichkeit gegenüber Älteren, gegenüber Fremden und auch der Respekt der Menschen untereinander. So sehe ich immer wieder, dass in den Sammeltaxen, den berühmten dolmuşlar, älteren Menschen wie selbstverständlich Platz angeboten wird. Das kenne ich aus dem heutigen Deutschland fast nicht mehr, obgleich uns selbst noch in unserer Kindheit eingeschärft wurde, wir sollten den Älteren, den Frauen und den Behinderten stets unseren Platz anbieten. Lang ist’s her, hier ist es noch Wirklichkeit!

Am Abendhorizont hier im türkischen Turgutreis, wo der gleichnamige osmanische General herstammen soll, sind die griechischen winzigen Inseln Pserimos, Kalymnos und Leros zu sehen. Wir sind also an der jahrtausendelang hin- und herwandernden Scheidelinie zwischen Asien und Europa, zwischen dem antiken „Persien“ bzw. Kleinasien und „Hellas“ Nicht weit von hier, in Bodrum, dem alten Halikarnassos, wurde Herodot geboren.

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Sep 052012
 

„Was hatten die Griechen des Altertums jenseits ihrer uns im Nachhinein fast unfassbaren Zerstrittenheit und kriegerischen Streitlust gemeinsam?“ Antwort: Recht wenig – außer der Verehrung der olympischen Götter, den olympischen Spielen und Homer. So schroff kann man es durchaus sagen.

„Was haben die heutigen europäischen Völker jenseits ihrer im Nachhinein oft unfassbaren kriegerischen Streitlust gemeinsam?“ Kulturell gesehen recht wenig – außer dem Bezug auf die drei mosaischen Religionen Judentum, Christentum und Islam und einer zivilgesellschaftlichen Tiefenprägung durch das Imperium Romanum.

Einen weiteren Beleg für meine Diagnose eines zutiefst unvollständigen europäischen Bewusstseins meine ich in der Vernachlässigung all jener Richtungen des Christentums zu erkennen, die weder dem römisch-katholischen noch dem evangelischen Flügel zuzuordnen sind. Die Kirchenspaltung, zu deren Überwindung heute namhafte deutsche Laien aufrufen (siehe FAZ S. 1), wird in Deutschland und in Westeuropa ausschließlich als die Trennung zwischen römisch-katholisch und evangelisch gesehen.

Dabei gehören der EU mit Griechenland, Zypern, Bulgarien und Rumänien vier Länder an, deren Bevölkerung sich mit über 80%, ja bis zu 97%  zum Christentum bekennt, wenngleich sie weder römisch-katholisch noch evangelisch bzw. protestantisch sind.

„Wie denn das?“ Antwort: Während die Völker des europäischen Westens das Neue Testament in lateinischer Sprache empfingen, empfingen es die Völker des Ostens in griechischer Sprache. Diese Völker gehören zum weiten Bereich des orthodoxen Christentums. Die Spaltung zwischen orthodoxem und lateinischem Christentum datiert wesentlich auf das Jahr 1054.

Die Bibel, also erstens der ältere hebräische Teil, bei den Christen Altes Testament genannt, verbunden zweitens mit dem Neuen Testament der Christen ist in der Tat neben der paganen Antike eine überaus wichtige kulturelle Klammer, welche die beiden Lungenflügel Europas zusammenhält, in ihrer Bedeutung vergleichbar den Gesängen Homers oder den Olympischen Spielen für das alte Hellas.

Das gilt unabhängig davon, ob man sich zur Person Jesu Christi bekennt oder nicht, also ob man „Christ“ ist oder nicht. Und selbstverständlich sind die biblischen Geschichten auch überreich im Koran der Muslime weitergeführt, wenngleich unter leicht veränderten Namen. So heißt unsere Maria, die hebräische Miriam, dort auf arabisch Meryam.

Hebräischer Tenach, christliches Neues Testament, neuerdings auch muslimischer Koran – ohne eine Befassung mit diesen drei Büchern wird man Europa kaum vollständig ausbuchstabieren können.

Und deshalb meine ich: das ganze Christentum sollten wir in den Blick nehmen – nicht nur den westlichen Lungenflügel.

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Feb 092012
 

„In Friedrichshain-Kreuzberg sterben die Kinder und werden massenhaft verprügelt wegen der Verarmung durch Hartz IV! – Den Deutschen ist es doch egal, wenn Millionen Rentner in Griechenland sterben! – Massenelend und Massenverarmung in Deutschland und Griechenland wegen der Politik der deutschen Bundesregierung! – Im deutschen Schulsystem werden Kinder erbarmungslos nach Schulformen selektiert wie an der Rampe in Auschwitz! – Deutschland verrecke!

Wörtlich so oder so ähnlich kann man es im griechischen Fernsehen und auf Kreuzberger Flugblättern und sogar auf einem Friedrichshainer Hausdach hören und lesen.

Nichts davon ist wahr. In Griechenland verhungern keine Millionen Rentner, kein einziger Rentner verhungert in Griechenland. In Kreuzberg gibt es keine Armut, keine verhungernden Kinder, das Hauptproblem der Kreuzberger Kinder sind – wie gesagt – die pflichtvergessenenen Eltern der Kinder, namentlich die Väter, die sich in der Weltgeschichte herumtreiben, statt sich um ihre Ehefrauen und Kinder zu kümmern, die sie dauerhaft im üppigen deutschen Sozialsystem geparkt haben.

Aber derartige antideutsche Hetze hinterlässt Wirkung.

Hier meine ich, dass man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen darf. Besonders wohltuend die scharfsinnige Analyse eines britischen Historikers, der von der Insel aus manches deutlicher sieht – Timothy Garton Ash. Lest selbst:

Angela Merkel needs all the help she can get | Timothy Garton Ash | Comment is free | The Guardian

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Feb 072012
 

Um Griechenland zu verstehen, muss man mit den Griechen selbst, mit kenntnisreichen Auslandsgriechen, aber auch mit Reisenden und Kaufleuten anderer Nationen sprechen, die das Land gut kennen, dort gelebt und gearbeitet haben, die Sprache sprechen. Man muss Griechenland bereisen, sich buchstäblich ins kαφενεíο setzen und den Menschen zuhören – wie es wohl Herodot einmal bei den fernen Skythen und den Ägyptern machte. Tut man dies, so wird man – als Herodot unserer Tage – etwa folgende Geschichte erzählen können, wie sie die Menschen, die sich auskennen dürften, auf den Tisch der Tavernen legen:

1) In Griechenland, so wurde mir erzählt, herrsche seit vielen Jahrzehnten eine kleine, begüterte Oberschicht, bestehend aus nicht mehr als 20 Familien, die den Großteil des privaten Vermögens besäßen und über die Verteilung staatlicher Mittel entschieden. Die beiden großen Parteien ND und PASOK seien ebenfalls im Besitz dieser Familien. Es herrsche ein unbeschreibliches Maß an Korruption und Vetternwirtschaft. Eine gute chirurgische Operation bekomme man nicht ohne vorher 20.000 Euro schwarz und in bar auf den Tisch des Chirurgen zu legen. Alle Chirurgen besäßen – trotz offiziell bescheidenster Gehälter – Luxus-Jachten. Die Korruption sei endemisch und durchziehe das ganze System.

2) Die demokratischen Gremien – Parlament, Regierung, Gewerkschaften, Parteien – seien mehr oder minder Staffage für interne Ressourcenverteilungskämpfe. Es herrsche in ganz Griechenland ein nahezu unbeschreiblicher Klientelismus.

3)  Die griechische Gesellschaft sei weiterhin zutiefst gespalten, der verheerende Bürgerkrieg von 1946-1949 sei übertüncht, aber nicht aufgearbeitet. Vom italienischen Überfall auf Griechenland an, der Griechenland in den Weltkrieg gerissen habe,  über die Besetzung durch Deutschland werde die gesamte Zeitgeschichte in lügenhafter Verzerrung dargestellt, die darauf abziele, Griechenland als Opfer fremder Mächte statt als bürgerkriegsgeschüttelte Gesellschaft zu zeigen. Selbst Besatzung und Widerstand seien in Wahrheit teilweise als innergriechischer Bürgerkrieg zu sehen.

4) Seit Jahrzehnten, so wird erzählt, würden immer wieder die Deutschen als Sündenböcke für eigene Unzulänglichkeiten und Staffage für eigene Großmannsträume hergenommen.

5) Die Deutschen wiederum hätten sich durch kaltherzige Besserwisserei und Schulmeisterei im Griechenland unbeliebt gemacht. Sie hätten kein Zeichen der Empathie gesetzt. In London kauften die Superreichen Griechenlands mit EU-Mitteln ganze Straßenzüge auf, zuhause in Griechenland wüchsen Arbeitslosigkeit, Verschuldung und gerechter Zorn, und die Deutschen setzten den Griechen jetzt die Daumenschrauben an.

5) Hauptursache der Staatsverschuldung in Griechenland scheine nicht so sehr der Staatshaushalt zu sein als vielmehr die durchweg akzeptierte Mitnahme- und Selbstbereicherungsmentalität der griechischen Oberklasse, die von ganz oben bis nach ganz unten durchsickere. Die politische Klasse des Landes sei nicht vertrauenswürdig.

6) Die griechische Oberklasse, so wird berichtet, schaffe in diesen Wochen verstärkt in riesigen Mengen staatliches Geld, vor allem auch EU-Geld beiseite, investiere dies in Immobilien im Ausland, namentlich in Deutschland, Großbritannien und USA.

7) Die bisherigen EU-Hilfen schienen dieses durch und durch korrupte System zu stützen und zu verstetigen.

8) Derartige Wahrheiten würden aber öffentlich kaum ausgesprochen, da jeder Grieche, der dies täte, sofort als Nestbeschmutzer verschrieen würde.

 

Kafenio – Wikipedia
Καφενεíο

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Wo war eigentlich das Wort am Anfang?

 Griechisches, Johannesevangelium, Koran, Latein, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Wo war eigentlich das Wort am Anfang?
Jan 032012
 

In the beginning were the words … so leitet der aktuelle Economist seine sehr kluge, sehr bedachte Umschau über die kritische Erforschung des Korans ein (S. 42-43). Lesenswert!

Also: Am Anfang waren die Worte. In der Tat, ausgerechnet am 27. Dezember kamen wir wieder jene vielzitierten Einleitungssätze des Johannes-Evangeliums in den Sinn, an denen sich der arme Faust schon abmühte:

Geschrieben steht: >>im Anfang war das W o r t!<<
Hier stock‘ ich schon! Wer hilft mir weiter fort!
Ich kann das W o r t so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen, […]

Eine kleine Übersicht in  wichtigen europäischen Sprachen der Jetztzeit ergab, dass alle das griechische Logos mit Wort (verbum, parola, слово, …) übersetzen. Es ist eine ur-europäische Tradition: das schaffende, das gesprochene, das zeugende Wort rückt im Johannes-Prolog in die höchste Wertigkeit auf.

Wie geht der Text weiter? „Sie können doch Griechisch – zitieren Sie doch mal bitte!“ So fragte mich kürzlich eine Runde an Fragenden. Ich ließ mich nicht bitten und antwortete:

καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν

… und merkwürdig, da fiel mir zum ersten Mal auf, wie seltsam dieses pros ton theon klingt. Ja, wer da mit den Augen hören, mit den Ohren denken möchte! Wer griechische Texte nicht nur stumm liest, sondern sie gelegentlich auch laut rezitiert, dem muss dieses πρὸς τὸν θεόν hart aufstoßen. Es klingt irgendwie falsch. Denn diese Präposition pros drückt zusammen mit dem Akkusativ  stets eine Richtung, eine Bewegung aus, fast niemals aber einen ruhenden Ort – pros mit Akkusativ bedeutet motus ad locum, nicht situs in loco. Dies gilt unverrückbar für die gesamte griechische Sprache bis weit über die Zeitwende hinaus – es gilt ohne Ausnahme auch für den Sprachgebrauch des Evangelisten Johannes.

Ich meine aus diesem Grund, dass die übliche vulgärsprachliche Übersetzung  nach der Vulgata „et verbum erat apud deum“ – „und das Wort war bei Gott“ den Sinn des zweifelsfrei überlieferten originalen griechischen Wortlautes nicht treffend wiedergibt.

Denn die Präpositionen bei oder auch lateinisch apud drücken keine Bewegung, sondern einen festen Ort aus. Ihr seht: Wie der arme Faust bin ich unzufrieden mit den jahrtausendealten verehrten Übersetzungen. Sie sind mir zu statisch, nicht dynamisch genug!

Es gibt jedoch eine Übersetzungsmöglichkeit, die das im griechischen Text Angelegte besser verstehbar macht, nämlich das lateinische „ad“ bzw. das deutsche „zu“.

Ich meine somit, als Übersetzung des griechischen

καὶ ὁ Λόγος ἦν πρὸς τὸν Θεόν

folgende Möglichkeiten vorschlagen zu dürfen:

lateinisch: et verbum erat ad deum

deutsch: und das Wort war zu Gott

Dieser deutsche Satz klingt ungewöhnlich, klingt gewagt – und genau so klingt auch das griechische Original, wie jeder gute Kenner des Griechischen bestätigen wird.

Wagnis – Ungewöhnliches – Regelverletzung!

Diese beiden Übersetzungen sind grammatisch zweifellos näher am griechischen Wort, sie eröffnen darüber hinaus ein räumlich-bildliches Verständnis des Prologs, das geeignet ist, auch die nachfolgenden Texte und Gleichnisreden besser, nämlich körperlicher zu begreifen. Man braucht dann viel weniger Theologie, viel weniger Kommentar, viel weniger Regalmeter Sekundärliteratur, wenn man mithilfe guter, freilich unerlässlicher Vertrautheit mit dem Griechischen versucht, diesen Grundtext, wie ihn der arme Faust nennt, besser zu verstehen.

Johannes sagt also:

Das Wort war zu Gott.

Es war nicht ortsfest, nicht am festen Ort angekommen, es war am Anfang nicht bei Gott, sondern es war unterwegs, es war gerichtet auf denjenigen, den keiner je gesehen hat.

Quellen:

Muslims and the Koran: In the beginning were the words | The Economist December 31st 2011-January 6th 2012, Seite 42-43

Johann Wolfgang Goethe: Faust. Texte. Herausgegeben von Albrecht Schöne. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 1999, S. 61

Nestle-Aland: Novum testamentum graece, ed. vicesima septima, Deutsche Bibelgesellschaft, Suttgart 1999, S. 247

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Dez 242011
 

καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· Μὴ φοβεῖσθε· – Und der Bote sagte ihnen: Habt keine Angst (Lukas 2,10).

Dieses gestern aufgenommene Bild zeigt ein paar elektrische Lichter in der Dunkelheit, einen Hinweis auf einen Storchenparkplatz und einen Pfeil, der den Weg zur Brandmeldezentrale weist. Wir sehen: Für Geburten gibt es heute Krankenhäuser mit gut ausgeschilderten Storchenparkplätzen, das Risiko der Feuersbrünste ist gemindert durch Warnmelder, echte Dunkelheit gibt es nicht, da Strom und Licht überall vorhanden sind. Wir dürfen sogar das allgegenwärtige Handy einmal abschalten. Wir könnten uns zu Weihnachten alle entspannen und locker chillen.

Wie haben wir es doch so herrlich weit gebracht in den letzten Jahrzehnten!

Mein aus Ägypten stammender Freund, der die Ereignisse des letzten Jahres am Tahrir-Platz miterlebt hat,  sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen. Denn wie sonst könnte Hamed etwas über Jesu dunkles Zimmer sagen?  Und zugleich zeigt diese Aussage die absolute Ferne von Jesus, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Weihnachtsfest und eurem Jesus-Gebimmel anfangen. Bleibt mir damit vom Leibe!“ Ich muss sagen, ich mag all diese Menschen, die den Weihnachtsrummel in voller Überzeugung oder gar angewidert ablehnen.

Doch meine ich, dass man durchaus hinter die Glitzer- und Rummelfassade hineinleuchten kann. Nicht alles ist schon ein abgekartetes Spiel, nicht alles ist schön aufgeräumt und glühweinselig. Es gibt Zweifel und Unsicherheiten auch im bestausgeschilderten Parkplatz.

Liest man etwa die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 09.12.2011 genauer durch, so wird man erkennen, dass sie von mannigfachen Ängsten getrieben sind: Angst vor dem Auseinanderbrechen der Währung, Angst vor dem Staatsbankrott, Angst vor dem Bedeutungsverlust und der Verarmung Europas. Die Staats- und Regierungschefs haben offenkundig den Überblick über das komplizierte Gefüge der Staatsfinanzen verloren. Sie weisen in ihrem Abschlussdokument ausdrücklich die zentral regulierte Währungs- und Wirtschaftspolitik als das entscheidende Fundament der europäischen Integration aus. Gedeih und Verderb der Europäischen Union hingen also am Geld. Politik bestünde also  darin, Geldwerte zu sichern, bestünde darin, den höchsten Wert für sich und seine Schäflein herauszuholen.

Nicht zufällig erschüttern immer wieder und gerade auch  in den letzten Wochen Geschichten über den falschen oder leichtfertigen Umgang mit dem Geld die Glaubwürdigkeit einzelner Politiker und auch der Politik insgesamt. Politik wird am Umgang mit Geld gemessen, das Geld und die Geld-Gerüchte liefern das Maß für den Wert der Politik.  Mit starrem Blick aufs Geld steigen und fallen die Kurse der Politiker.

Ist Geld alles?

„Fürchtet euch nicht!“ Die Geburt Jesu ereignete sich nach der ausmalenden Schilderung des Lukas  in notdürftigsten Umständen als erlebte Freude unter den Armen und Angstgeplagten des Altertums, den Hirten, die des Nachts ihre Herden hüteten. Für Jesus stand kein Storchenparkplatz bereit. Er wurde vorerst in einen Futtertrog abgelegt, und der Raum, in dem er geboren wurde, war wohl eine Ein-Raum-Wohnung, in der mehrere Menschen und allerlei Vieh den Platz teilen mussten.

Eine Brandmelde-Zentrale gab es nicht: die Hirten, die von einer Licht- und Feuererscheinung in Panik versetzt wurden, konnten keine Notruftaste drücken. Ihnen blieb nichts anderes als dem Wort des Boten zu vertrauen: „Jetzt geratet nicht in Panik. Fürchtet euch nicht.“ Und diese Botschaft wirkte. Das gesprochene Wort war für die Hirten stärker als die begreifliche Angst vor dem Unerwarteten.

In einem Kinderlied heißt es: „Die redlichen Hirten knien betend davor?“ Wieso redliche Hirten? Redlichkeit, das kommt von Rede, dem Reden vertrauen, sein Reden vertrauenswürdig machen. Redlichkeit ist das, was wir von den Hirten lernen können.

Sollen wir vertrauen? Heißt es nicht zu recht: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Ich erwidere: Vertrauen in das redliche Wort ist nicht alles. Aber ohne Vertrauen in die redliche Kraft des Wortes ist alles nichts. Wenn wir dem grundsätzlich nicht mehr vertrauen können, was andere uns sagen, können wir uns alle Staaten und alle Staatenbündnisse oder Bundesstaaten und alle Europäischen und sonstigen Unionen gleich abschminken. Dann nützen auch Rettungsschirme und automatische Kontrollen nichts mehr.

Hat uns materiell unvergleichlich reicheren Europäern des 21. Jahrhunderts die Angst- und Armutsgeschichte des Lukas mit den redlichen Hirten heute noch etwas zu sagen?

Ich meine: ja! Der Evangelist Lukas rahmt die Geburtsgeschichte Jesu in einen staatspolitischen Rahmen höchster Stufe. Eine steuerliche Erfassung der Vermögenswerte aller Bürger war der Anlass der Wanderung von Maria und Josef. Der regierende Kaiser hatte offenkundig – wie die Regierenden in unserer Zeit – den nötigen Überblick über Soll und Haben verloren. In diese Ausnahmesituation fällt die Geburt Jesu. Spannend! Wie verhält sich der Erzähler Lukas zu den drängenden finanzpolitischen Fragen seiner Zeit? Welches Ergebnis brachte die Steuerschätzung? Wir erfahren es nicht.

Es ist enttäuschend: Die großen weltpolitischen Fragen werden ausgeblendet. Statt auf den Kaiser und seine großen Nöte richtet der Erzähler seinen Blick auf das Kleinste, Jämmerlichste, Ärmste und Unscheinbare.

Die Weihnachtsgeschichte spielt in einer Zeit größter Unsicherheit, größter finanzieller Risiken. Aber sie schlägt doch einen deutlich anderen Ton an als den Ton des großen und des kleinen Geldes, der heute unsere Medien und oft auch unser Denken beherrscht. Ich finde, die Weihnachtsgeschichte ist eine unterirdisch wühlende, wenn auch sanftmütige Kritik an der Anbetung des Geldes und der Macht.  Sie bereitet die Umwertung aller Werte vor, welche der Einbruch des Christentums für die damalige Welt und später für ganz Europa bedeutete.

Johannes, der vierte Evangelist, angeblich der Mann des Wortes, legt allergrößten Wert darauf, das Wirken Jesu in Jerusalem mit einer beispiellosen, ja gewaltsamen Tat beginnen zu lassen: mit dem Hinauswurf der Händler und Banker aus dem Tempel, der nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch wirtschafts- und finanzpolitische Zentrale war. „Setzt euer Vertrauen nicht ins Geld, sondern in geistig-geistliche Werte!“  So deute ich diese Geschichte.

Die Geschichte von der Geburt Jesu  kann uns klarmachen, worin ein Sinn-Kern der Geschichte Europas besteht. Fürchtet euch nicht, habt keine Angst. Das sind wohltuende Worte in diesen wie wahnsinnig durcheinanderflatternden, viel zu aufgeregten Zeiten!

Wenn man sich heute, im Jahr 2011, in einen Zug setzt und von Moskau nach Lissabon fährt, wird man mehrere Zeitzonen durchmessen und Schlafwagenschaffner in 12 verschiedenen Sprachen Tee anbieten hören. Findet man Zeit auszusteigen und innezuhalten, wird man in allen Städten – ob nun in Moskau, Kiew, Warschau, Wien, Genf, Madrid oder Lissabon – chromstarrende Banken und Paläste finden, prachtvolle Schlösser und tuckernde Omnibusse. Aber man wird auch in allen diesen Städten Kirchen finden. Diese Gebäude sind gebaute Wahrzeichen,  die letztlich auf jene unscheinbare Geschichte in einer gedrängt vollen Einraumwohnung zurückgehen und auf jene Geschichten vom Vertrauen in das Wort verweisen: Fürchtet euch nicht. Diese Geschichte ist eine jener Geschichten, die Europa zusammenhalten könnten, wenn wir bereit wären, auf sie zu hören und einen Augenblick das Handy abzuschalten und innezuhalten.

Ich wünsche uns allen diese Fähigkeit, hinzuhören, Kraft zu schöpfen aus dem einigenden, dem redlichen Wort: Fürchtet euch nicht. Sicher: die weltpolitischen Fragen und Nöte sind nicht gelöst. Hunger, Tod und Krankheit, Krieg und Naturgewalten lauern.

Aber seien wir ehrlich: es geht uns in der Europäischen Union noch oder auf absehbare Zeit unvergleichlich gut. Kein neugeborenes Kind, so ersehnt wie sie alle sind, braucht heute in einem Futtertrog abgelegt zu werden. Der Storchenwagenparkplatz steht doch jederzeit bereit. Nahezu alle Menschen in der Europäischen Union sind dank Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft von Not und Armut befreit. Wir könnten uns eigentlich freuen und versuchen, möglichst viele Menschen außerhalb unserer 27-Länder-Wohlstandsinsel zu ähnlichen demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zu führen, wie wir sie genießen.

Warum haben wir nicht mehr Glauben, mehr Zuversicht? Ich vermute, es hat damit zu tun, dass wir der Angst noch zu viel Platz einräumen. Angst lähmt. Angst um des Geldes willen ist die lähmendste Angst. Für diese Angst besteht kein echter Grund. Denn Angst ängstet sich zuletzt um sich selbst.

Zu Weihnachten bietet sich uns nun die große Chance, diese Grundlosigkeit der Angst zu durchbrechen. Wir werden die Ängste nicht los, ebenso wenig wie wir unsere Not und unsere realen Schulden schnell loswerden. Aber wir dürfen erkennen, dass es etwas Größeres, etwa anderes als die Angst gibt: Vertrauen in das Wort, Vertrauen in den Nächsten, Hoffnung auf unsere Veränderbarkeit, Hoffnung, dass die Wanderung zu einem sinnvollen Ziel findet.

Wir setzen also der kalten Faust der Angst unser unerschütterliches Vertrauen in die Kraft des befreienden Wortes, in die Tüchtigkeit der europäischen Bürger, in den unverwüstlichen Friedenswunsch der Völker entgegen.

Das Glockengeläute, das man in Moskau, Kiew, Wien, Madrid oder Lissabon hören kann, ist nicht das lärmende Jesusgebimmel, vor dem mein ägyptischer Freund vom Tahrir-Platz sich zu recht scheut. Es ist ein Zeichen für das andere der Angst, ein Weck- und Merkzeichen der Freude. Das Glockengeläute sagt:  „Freut euch vorläufig, mindestens solange diese Glocke läutet. Lasst sie hineinläuten ins dunkle Zimmer.

Mit einer Wendung, die ich einem ergreifenden Choral im Weihnachtsoratorium Johann Sebastian Bachs entnehme, rufe ich Euch und Ihnen  zu:

„Seid froh dieweil!“

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Fahrrad und Füße statt Auto, oder: Ist Armut das größte aller Übel?

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Dez 152011
 

Feurio, Feurio, unser Wohlstand steht auf dem Spiel!

Zerstochen von den Fliegen des Finanzmarktes, suche ich Zuflucht in den Quellen des europäischen Denkens, das nirgend uns so würdig brennt als in den griechischen Schriften des Altertums! Es gibt ja heute mehr als einen Grund, wieder Griechisch zu lernen. Ja, ach möge doch in Europa wieder mehr Griechisch gelernt werden! Es war jahrhundertelang eine lingua franca des gesamten Mittelmeerraumes. In griechischer Sprache entstand das, was den Geist Europas bis heute prägt.

Kinderarmut, Altersarmut, Bildungsarmut … der Übel größtes scheint heute die Armut zu sein.

Doch ich widerspreche: Es ist mehr die Angst vor der Armut, die uns in der Europäischen Union lähmt. Eine gewisse Armut gibt es innerhalb der EU nur noch in wenigen Gegenden Bulgariens und Rumäniens. Aber auch diese wird schon bald der Vergangenheit angehören.

Ich behaupte: der größten Übel eines ist nicht die Armut, sondern die Angst vor Armut.

Umgekehrt gilt vielfach staatliche Mehrung und staatliche Umverteilung des stattlichen Wohlstandes, Sicherung des Geldwertes auf Kosten der nachfolgenden Generationen als die entscheidende Triebkraft der staatlich gesteuerten, von oben herab lenkenden Politik, ja als der Sinn von politischer Lenkung überhaupt.

Μακάριοι οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι, ὅτι αὐτῶν ἐστιν βασιλεία τῶν οὐρανῶν. 

Ganz anders klingt die reiche orientalische und europäische Tradition der gesuchten und gepriesenen Armut: „Sælic sind die armen des geistes, wan daz himelrîche ist ir.“ So fand ich es übersetzt in einem vor drei Jahren erschienenen brandaktuellen Buch.

„Ein ûzwendigiu armuot, und diu ist guot und ist sêre ze prîsenne an dem menschen, der ez mit willen tuot.“

Meister Eckart ist einer der größten europäischen Sprachpfleger: schöpfend aus der Antike, übersetzend, predigend, anverwandelnd. Vor allem hat er seine deutsche Muttersprache als gleichwertig mit den heiligen Sprachen des Altertums zu beleben gesucht.

Sollte die europäische Politik sich offen wie der von mir so hoch geschätzte Meister Eckart zum erzieherischen Wert der Wohlstandminderung bekennen, statt wie bisher ihren vornehmsten Sinn in der Hebung und Sicherung des Wohlstandes dank defizitfinanzierter Geldgeschenke zu sehen?

Freiwillige Wohlstandsminderung? Treppensteigen statt Aufzug? Fahrrad statt Auto? Müssen wir uns nicht etwas ärmer, etwas ehrlicher, etwas redlicher machen als wir eigentlich sind? Was sagen die Gelehrten, Doktoren und Professoren dazu?

„Nutzen Sie jede Gelegenheit zur Bewegung, das heißt Treppe statt Aufzug, Fahrrad statt Auto.“

Genau dieses Beispiel der freiwilligen Armut verlangt heute von uns Prof. Dr. med. Dr. med. habil . H. Michael Mayer, Orthopäde, Mitglied des Medizinischen Beirates der Versicherungskammer Bayern, Wirbelsäulenzentrum Orthopädische Klinik München-Harlaching

Zitatnachweise:

Meister Eckart. Predigt über Beati pauperes spiritu (P 52), in: Meister Eckart. Werke I. Texte und Übersetzungen von Josef Quint. Herausgegeben und kommentiert von Niklaus Largier. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2008, S. 550

H. Michael Meyer: Fahrrad und Füße statt Auto, in: gesundheit aktuell. Der Gesundheitsratgeber der Versicherungskammer Bayern. Ausgabe 4/2011, S. 15

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Auf verwachsenen Pfaden: der Satz des Anaximander

 Anaximander, Griechisches, Klimawandel, Natur, Ökologie, Ostern, Philosophie, Störfaktor Mensch  Kommentare deaktiviert für Auf verwachsenen Pfaden: der Satz des Anaximander
Apr 282011
 

„Durch den Tod zahlen die Menschen die Schuld, die sie durch Ressourcenverbrauch eingegangen sind, an die Natur zurück. Und der naturnahe Wald ist die CO2-Senke, die Grabsenke, das Zu-Grunde-Gehen des Störfaktors Mensch!“

So deuteten wir vor wenigen Tagen die Philosophie, die hinter dem RuheForst Nauen steht. Schon beim Schreiben fiel mir auf, wie nahe diese Formulierung dem ältesten Fragment der europäischen Philosophie steht – Zufall? Nein, ich glaube dies nicht. Die Fahrten in den Wald führten über Ostern ins Uralt-Halbvergessene, auf Holzwege – und Holz lautet ein alter Name für Wald. Diese Wege enden im Unbegangenen, das eben weil es unbegangen scheint, so plötzlich ins Unverborgene tritt. Der älteste erhaltene Satz der europäischen Philosophie lautet:

ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών· διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν

Wir übersetzen:

Woher den Seienden  ihre Entstehung ist, in dieses hinein entsteht auch das Verderben. Denn sie geben einander Strafe und Ablösung des Unrechts gemäß der Aufreihung der Zeit.

Modernes ökologisches Bewusstsein sieht  die Menschen, die „Seienden“ im herausgehobenen Sinne, als unrechtbegehende Ressourcenverbraucher, die einander die Schuldigkeit ablösen müssen gemäß der Ordnung der Zeitverläufe. Es gibt also keine Erlösung für den Menschen von außen her oder durch eigene Bemühung, sondern nur das Zugrundegehen in den Ursprung. Zyklisches Bewusstsein!

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Zitate und Plagiate – gilt in der Blogosphäre auch das Urheberrecht?

 Freiheit, Goethe, Griechisches, Grundgesetz, Homer, Platon, Rechtsordnung, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für Zitate und Plagiate – gilt in der Blogosphäre auch das Urheberrecht?
Feb 162011
 

Gilt im Internet, in der Blogosphäre, auch das Urheberrecht? Diese Frage stelle ich mir soeben beim flüchtigen Überlesen der Schlagzeilen. Meine Antwort lautet uneingeschränkt: ja!

In diesem Blog habe ich deshalb seit jeher folgende Regeln eingehalten: Alle Zitate sind eindeutig erkennbar, und zwar so, dass der Leser jederzeit die Quellen nachprüfen kann.

Längere Zitate, also etwa ganze Absätze, rücke ich samt Herkunftsangabe ein, so dass sie auch beim flüchtigen Lesen allein schon durch die Textanordnung als Zitate erkennbar sind.

Kürzere Zitate setze ich in Anführungszeichen.

Alle nicht als Zitate erkennbaren Äußerungen in diesem Blog sind eigenständige Hervorbringungen des Bloggers Johannes Hampel.

Allerdings gilt: Zahlreiche klassische Zitate Goethes, der Bibel, Homers, Platos usw. – etwa „ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür, und rein ist bald das Stadtquartier“   – sind nicht durch genaue Fundstellen kenntlich gemacht. Dadurch genügen sie nicht den Anforderungen, wie sie etwa an eine wissenschaftliche Dissertation zu stellen wären. Sie bieten im Wortlaut möglicherweise geringfügige Abweichungen vom bezeugten Text, da sie aus dem Gedächtnis zitiert werden. Damit folge ich einer jahrtausendealten Übung, wonach die überragenden Texte als „immerwährender Besitz“ (Thukydides) dem Gedächtnis eingeprägt werden und dabei selbstverständlich gewisse unwillkürliche Überarbeitungen erfahren. So zitiert Platon „seinen“ Homer an etwa 200 Stellen oft ungenau, G.W.F. Hegel wandelt Goethe- und Schiller-Zitate höchst eigenwillig ab – sehr schön zu beobachten etwa in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes. Nach heutigem Urheberrecht hätte sich Hegel eines Vergehens schuldig gemacht.

Bei diesen von mir aus dem Kopf zitierten Autoren handelt es sich ausnahmslos um Texte, die mittlerweile gemeinfrei sind. Das Gleiche gilt für allgemein zugängliche Texte wie etwa die Grundrechteartikel des Grundgesetzes.

 Posted by at 21:32