Gesungenes Licht der Zuversicht. Eine Gnade

 Gnade, Singen  Kommentare deaktiviert für Gesungenes Licht der Zuversicht. Eine Gnade
Nov 052019
 
Zirbenwald im Ötztal

„Herr der Gnade, Gott des Lichts,
laß dein Alles und mein Nichts
mich zur Demut treiben…!“

Herrliche, beseligte Augenblicke erlebte ich am Sonntag beim Singen von drei barocken Arien in der Hochmeisterkirche. Telemann bringt die demütigen und doch stolzen Worte des Matthäus Arnold Wilckens zum Leuchten, zum Schweben, zum Heben, zum Leben! Zum Niederknien, zum Aufschauen! Aug in Auge mit dem Übersteigenden, ergeben und herausfordernd sang ich in die Mauern hinein, durch die Mauern hindurch, hinauf zur Kirchturmspitze, wo der Falke ein und aus fliegt – und darüber hinaus! Danke an Kathrin, danke an Christian, die Ihr uns das möglich gemacht habt!

Diese drei Arien waren es:

„Auf ehernen Mauern, auf marmornen Gründen ruht
unserer Hoffnung Zuversicht…“ TVWV 1: 96

„Seele, lerne dich erkennen,
lauter Stückwerk ist zu nennen,
was der Menschen Witz vermag…“ TVWV 1: 1258

„Herr der Gnade, Gott des Lichts,
laß dein alles und mein Nichts
mich zur Demut treiben.
Ist, was mein ist alles dein,
ach! so muss ja dir allein auch was dein ist bleiben.“ TVWV 1: 399

Gesungen nach folgender Ausgabe:
Georg Philipp Telemann: Sechs Arien aus dem Harmonischen Gottesdienst. Für hohe Stimme, Altblockflöte und Generalbass. Partitur. Carus Verlag, Stuttgart 1972/1992

 Posted by at 16:01

„Mein Falk ist der Kapp und der Stange so leid“

 Europäisches Lesebuch, Singen, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für „Mein Falk ist der Kapp und der Stange so leid“
Okt 152019
 
Alles wartet auf Janine, das Sakerfalkenweibchen. Vorführung der uralten Kunst der Beizjagd mit dem Falken. Greifvogelpark Umhausen, Ötztal, 28.08.2019

Gespanntes Ausharren im weiten Rund des Greifvogelparks. Stille herrscht. Der Falkner wartet auf Janine, das Sakerfalkenweibchen. Gleich wird sie heranstürmen auf wendigen Flügeln! Wir wohnen einer Vorführung der uralten Kunst der Beizjagd mit dem Falken bei. Eine willkommene Gelegenheit, der vielfachen Erwähnungen der Beizjagd in Franz Schuberts Liedern zu gedenken, die weiterhin in meinem Herzen summen! „Mein Falk ist der Kapp und der Stange so leid“, heißt es im „Lied des gefangenen Jägers“.

Wir legen uns die Szenerie des Liedes mit allerlei Ausschmückungen so fest. Dieses etwa denkt der gefangene Jäger:

Müde steht mein Roß im Stall. Es hebt kaum den Kopf. Es scheint zu fragen: „Und wer bist du?“ Das lange Warten hat auch meinem Falken zugesetzt. Das beständige Sitzen auf der Stange hat ihn mißmutig gestimmt, die engsitzende Kappe betäubt ihn offenkundig. Gefangenschaft – diese Gefangenschaft! – macht krank. Dieses Leben hier widert mich an! Das edle Windspiel, das mein Vater mir zum 18. Geburtstag geschenkt hat, verweigert seit Tagen die Nahrungsaufnahme. Sein Blick – ein einziger langgezogener Vorwurf! O wie anders war es doch, als ich dem Hirschen im Buchenwald nachhetzte, den Bluthund auf seine Fährte setzte, den Bogen gespannt, als ich meinen Falken Jenny auf Fasanen und Rebhühner jagen ließ! […]

Hier der Text, den Schubert vertont hat. Es handelt sich um eine Übersetzung des „Lay of the imprisoned huntsman“ aus Walter Scotts „Lady of the Lake“.

Mein Roß so müd in dem Stalle sich steht,
Mein Falk ist der Kapp‘ und der Stange so leid,
Mein müßiges Windspiel sein Futter verschmäht,
Und mich kränkt des Turmes Einsamkeit.
Ach wär ich nur, wo ich zuvor bin gewesen,
Die Hirschjagd wäre so recht mein Wesen,
Den Bluthund los, gespannt den Bogen:
Ja solchem Leben bin ich gewogen.

[…]

Wie sagte und sang doch Walter Scott:

My hawk is tired of perch and hood,
My idle grey-hound loathes his food,
My horse is weary of his stall,
And I am sick of captive thrall.
I wish I were, as I have been,
Hunting the hart in forests green,
With bended bow and blood-hound free,
For that’s the life is meet for me.

„I hate to learn the ebb of time,
From yon dull steeple’s drowsy chime,
Or mark it as the sun-beams crawl,
Inch after inch, along the wall.
The lark was wont my matins ring,
The sable rook my vespers sing;
These towers, although a king’s they be,
Have not a hall of joy for me.

„No more at dawning morn I rise,
And sun myself in Ellen’s eyes,
Drive the fleet deer the forest through,
And homeward wend with evening dew;
A blithesome welcome blithely meet,
And lay my trophies at her feet,
While fled the eve on wings of glee, –
That life is lost to love and me!“

Nachweise:

Lied des gefangenen Jägers. Aus Walter Scotts Fräulein vom See. Etwas geschwind. In: Schubert-Album. Sammlung der Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung von Franz Schubert. Nach den ersten Drucken revidiert von Max Friedlaender. Band II. Leipzig, C.F.Peters, o.J., S. 106-109

Lay of the imprisoned huntsman. In: The Lady of the Lake. By Walter Scott. Edited with introduction and notes by Elizabeth A. Packard. Head of English and History in the High School at Oakland, California. The Macmillan Company, Published April 1900, o.O., Seite 162-163

 Posted by at 08:38

Du warst nicht nur von dieser Welt, Andrea! (Ihm nachgerufen)

 Europas Lungenflügel, I' vidi in terra angelici costumi, Italienisches, Singen, Unverhoffte Begegnung  Kommentare deaktiviert für Du warst nicht nur von dieser Welt, Andrea! (Ihm nachgerufen)
Jul 202019
 

Wegwarte und Rispen-Flockenblume auf der Wiese, am 15.07.2019, Hans-Baluschek-Park

Andrea Camilleri war soeben im italienischen Fernsehen zu hören, bei einem seiner letzten Interviews. Ich zitiere:

«Io sono stato felice per pochi attimi e per cose inspiegabili. Una volta quando in campagna mi entrò la citronella nelle narici, nei polmoni e mi venne voglia di cantare ad alta voce e sentii il mio essere in armonia con l’universo, non con il mondo, ma con il grandissimo nulla dentro cui fui felice di perdermi».

[Ich bin wenige Momente glücklich gewesen, und wegen unerklärlicher Dinge. Einmal, als in Feld und Wiese Zitronengras in meine Nasenlöcher und Lungen drang, und ich Lust bekam, mit lauter Stimme zu singen, und ich fühlte, dass ich in Harmonie mit dem Universum war, nicht mit der Welt, sondern mit dem riesengroßen Nichts, in dem ich glücklich war verloren zu gehen.]

… also im Augenblick von diesem höchsten Glück verspürtest du Lust, mit lauter Stimme zu singen? Darauf rufe ich dir als Überlebender deines Todes zu: Bereits das Singen mit lauter Stimme kann uns Lebenden, uns noch Lebenden im rechten Moment, in nicht wenigen Momenten Glück bedeuten. Du erinnerst dich?

ed era il cielo a l’armonia sì ’ntento
che non se vedea ’n ramo mover foglia!

C’è tanta dolcezza che ti aprirà le narici, Andrea, che farà entrare l’odore della citronella nei tuoi polmoni …

In memoriam Andrea Camilleri (Porto Empedocle, 6 settembre 1925 – Roma, 17 luglio 2019)

 Posted by at 16:24

Glückes genug

 Apokalypse, Italienisches, Singen, Was ist deutsch?  Kommentare deaktiviert für Glückes genug
Jun 232019
 
„Sarà lieta la mia sorte, al tuo fianco io vuò spirar“. Donizettis „Il Barcaiolo“, gesungen im Hochmeistersaal am 22.06.2019. Am Klavier: Kathrin Freyburg

Gelöstes, leichtes Dahingleiten über die flimmernden Wogen des Augenblicks, Dahinsegeln über die lächelnden grünen Meeres-Abgründe, ein triumphierendes, pulcinella-artiges Wiederauftauchen nach den Schrecknissen der Seefahrt, ein Zuzwinkern an die Geliebte nach dem Scheintod des Schiffsuntergangs – überhaupt etwas Starkes, Frohes, etwas … Italienisches!

Hinter mir ließ ich gestern, da ich Donizettis raffiniertes Ding, diese Barcarola, vortragen durfte, das allzu Schwere, das Dampfige, das unerträglich Wabernde, Schicksalhaft-Jähe des deutschen Wesens und Unwesens, all die ständige Nahzeiterwartung des Weltenendes, ob nun damals beim Bergmannssohn Martin Luther oder auch heute im Braunkohletagebau Garzweiler, diese Unfähigkeit der Deutschen, sich auch nur einen Augenblick an dem Erreichten, dem Gelungenen zu erfreuen, diese Form-Unlust der Deutschen, diese Unerbittlichkeit, diese Humorlosigkeit der Deutschen, wie sie immer wieder aufflackert in eingebildeten – deshalb höchst realen – Ängsten vor dem nahenden Weltenbrand und Weltenende!

Nein, da lob ich mir doch meine Italiener! „Könnt ich einen Augenblick sein wie sie!“ Also wünschte ich mir.

Und siehe, da ward ich es schon, mindestens im Singen. Nichts hinderte mich! Die Barke glitt federleicht dahin! Glückes genug!

 Posted by at 20:21

„Zurück zum Gesang, zum Ton als Sprache!“ Kottmanns beredte Klage

 Aus unserem Leben, Desiderius Erasmus von Rotterdam, Erasmus, Geige, Hölderlin, Kinder, LXX, Märchengeiger, Singen  Kommentare deaktiviert für „Zurück zum Gesang, zum Ton als Sprache!“ Kottmanns beredte Klage
Jun 132019
 

Viel hat von Morgen an,
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.

„Bald sind wir aber Gesang.“ So Hölderlin, in seiner Hymne „Friedensfeier“ (Fassung vom 28.09.1802). Vom Gespräch, das wir von Morgen an sind, zum Gesang, der wir bald sind. Eine großartige Aufgipfelung, die vermutlich auf Erasmus von Rotterdam zurückgreift, der ja Joh 1,1 übersetzt hatte mit: Im Anfang war das Gespräch.

Eine weitere gedankliche Hymne auf das Gesangliche, dieses Mal am Geigen, stimmt heute in der FAZ auf S. 11 der Frankfurter Geiger Alois Kottmann an. Höchst lesenswert! Er beklagt die heutige artistisch-zirzensische Geigenbetriebsamkeit und sagt:

„Die Geige ist nicht da, um zu geigen, sondern um etwas zu sagen. Denn der Gesang ist das Ursprünglichste in Tönen. Ich nehme an, das Erste, was der Mensch konnte, war nicht sprechen, sondern summen. Der Gesang stimuliert den Menschen. Der Gesang macht das ganze Gemüt aus und war schon da, bevor die Sprache sich in ihrer ganzen Komplexität entwickelt hatte. Und da müssen wir im Geigenspiel wieder hin, zu dieser Ursprünglichkeit, dieser Ganzheit des Gemüts, aus der heraus sich erst wieder tonsprachlich arbeiten lässt.“

Quellen:
Friedrich Hölderlin: Friedensfeier, in: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Herausgegeben von D. E. Sattler. Luchterhand Verlag, München 2004, Band IX, S. 231-236, hier S. 234

„So kann man doch nicht Geige spielen!“ Wir müssen zurück zum Gesang, zum Ton als Sprache – und weg von der reinen Selbstdarstellung. Ein Gespräch mit dem Hochschullehrer Alois Kottmann. Das Gespräch führte Jan Brachmann. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juni 2019, S. 11

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/der-geiger-alois-kottmann-im-gespraech-16233272.html

Bild: Feld- und Wiesengeigen inmitten summender Mückchen und Fliegen. „Das Märchen von dem Frettchen und dem Stier Ferdinand.“ In Irenes Garten. Der hier schreibende Geiger mit seinem Sohn Ivan. Aufnahme vom 05.07.2009. Bildhintergrund: Die rückwärtige Einbandansicht der Septuaginta-Ausgabe des Jahres 1935 von Alfred Rahlfs, Verlagsnummer 5121. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1979


 Posted by at 12:45

Full-throated ease: das Geheimnis der Nachtigallen

 Nachtigall, Natur-Park Schöneberger Südgelände, Singen  Kommentare deaktiviert für Full-throated ease: das Geheimnis der Nachtigallen
Jun 012019
 
The grass, the thicket, and the fruit-tree wild-
White hawthorn, and the pastoral eglantine…
Hundsrosen im Südgelände, die Schwestern der Eglantine, wachsen Seit an Seit mit Gras, mit Dickicht und mit wildem Obst! Aufnahme vom 26.05.2019

[…]
‚Tis not through envy of thy happy lot,
But being too happy in thine happyness-
That thou, light-winged Dryad of the trees,
In some melodious plot
Of beechen green, and shadows numberless,
Singest of summer in full-throated ease.
[…]

Too happy in thine happyness – oft schon rang ich nach Worten, wenn ich dem unbeschreiblich süßen, dem unverhofft sehnenden Nachtigallensang hier in Schöneberg nachsann. Bis zum heutigen Tag singen und klagen einige Männchen weiter, sie klagen uns wohl ihr Leid, denn nur die Männchen, die kein Weibchen gefunden haben, singen noch so spät im Jahr, während ihre jäh verstummten, ernüchterten, bürgerlichen Geschlechtsgenossen jetzt mit Nestbau und Brutpflege befasst sind.

Was soll ich auch sagen zu dieser Fülle des Wohllauts, diesem Erfindunsgreichtum, dieser Mannigfaltigkeit an Tönen, diesem süßen Schmelz, dieser Ausdruckskraft?

Thou singest in fullthroated ease, so fasst diesen Eindruck des Nachtigallenschlags der aus London stammende John Keats, und er trifft damit das Geheimnis nicht nur des Nachtigallensangs, sondern des Singens überhaupt: „vollkehlige Leichtigkeit“, völlige Öffnung des Schlundes, des „Schlotes“, bei gleichzeitiger Lockerheit des Schnabels, Strömenlassen der Lautwerkzeuge, während der übrige Körper fest im Gebüsch verankert ist, als beweglicher stämmiger Resonanzraum ganz verschmilzt mit den Girlanden und Melodienranken des Sängers, so habe ich einige Nachtigallen hier in Schöneberg gesehen, und so hörte ich zwei von ihnen auch heute, am 1. Juni 2019, im geöffneten Fenster meines Zimmers lehnend.

Einige andere Vogelarten erhoben da im zartesten Morgengrauen ebenfalls ihre Stimme, ich meinte insbesondere auch den Gartenrotschwanz zu vernehmen, den ich einige Mal schon hier im Gehölz sah und hörte. Sein Gesang beginnt „mit einem gedehnten hohen Ton, dem einige kürzere und tiefere Töne folgen, weiter klingelnde Passagen, in die auch raue Töne und Imitationen eingebaut sind, mit einem schwachen Trillern endend… „

Endend? Das Ende? Darf so etwas Schönes enden? Ja, es muss enden! Aber es wird wiederkehren, John Keats! Es ist wieder da! John, es ist kein Wachtraum, es ist, war, und es wird sein.

Adieu! adieu! thy plaintive anthem fades
Past the near meadows, over the still stream,
Up the hill-side; and now ‚tis buried deep
In the next valley-glades:
Was it a vision, or a waking dream?
Fled is that music:—do I wake or sleep?

Zitatnachweise:
John Keats: Ode to a Nightingale, in: The Oxford Book of English Verse. Edited by Christopher Ricks. Oxford University Press, 1999, S. 403-404
Eckart Pott: Gefiederte Stars. 4., aktualisierte Auflage. Franckh-Kosmos-Verlag, Stuttgart 2019, hierin: Nachtigall, S. 24; Gartenrotschwanz, S. 30

 Posted by at 13:57

Bald sind wir aber Gesang

 Agamben, Hölderlin, Italienisches, Philosophie, Singen  Kommentare deaktiviert für Bald sind wir aber Gesang
Mai 112019
 

Com’è immediatamente evidente quando si fa o si ascolta musica, il canto celebra o lamenta innanzitutto una impossibilità di dire, l’impossibilità – dolorosa o gioiosa, innica o elegiaca – di accedere all’evento di parola che costituisce gli uomini come umani.

Als besten Einstieg in das vielfach verzweigte Denken Giorgio Agambens möchte ich heute, an diesem strahlend reinen, erfrischend kühlen Maimorgen, seine tastend-lauschenden, versuchend-anfänglichen Suchbewegungen in dem schmalen Bändchen „Was ist Philosophie?“ empfehlen. Hier tritt, so meine ich, eine jugendliche Neugier hervor, ein mühselig errungener Verzicht auf das bewältigende Denken, das mithilfe eines begrifflichen Gerüstes versuchte, „der Dinge ein für allemal Herr zu werden“.

Die 13 Seiten des hier angezeigten, 2016 in den Marken (und „die Marken“, das sind bekanntlich, wörtlich genommen, „die Grenzgebiete“) erschienenen Versuches über die „Geburt des eigentlich Menschlichen aus dem Geist des Gesanges“ sind kurz, mehr noch: sie sind kurzweilig. Sie dauern nicht länger als die 13 Strophen eines elegischen Liedes.

Zitatnachweis: Giorgio Agamben: Appendice. La musica suprema. Musica e politica. In: ders., Che cos’è la filosofia? Quodlibet, Macerata 2016, S. 133-146, hier S. 135

 Posted by at 07:51

Heroes not just for a birthday: David Bowie und Klaus Nomi in Schöneberg

 Heimat, Männlichkeit, Schöneberg, Singen, Unverhoffte Begegnung  Kommentare deaktiviert für Heroes not just for a birthday: David Bowie und Klaus Nomi in Schöneberg
Jan 082019
 
Gedenktafel und Graffito an der Hauptstraße 155 in Schöneberg, aufgenommen heute

Boah, ist das heute ein unablässig prasselnder, galaktisch sprühender Nebelregen! Nach einem Friseurbesuch pilgere ich passend zu diesem nebelfeuchten spacigen Dunstschwadenwetter einen kurzen Abstecher zur Hauptstraße 155, zu dem Haus, in dem von 1976-78 David Bowie wohnte. Er wurde ja an einem 8. Januar geboren!

Die Immenstädter Autorin Barbara Frey führte mich kürzlich an diese Stelle, als sie auf Forschungsreise in Schöneberg vorbeikam und mich in das Leben und Schaffen Klaus Nomis einführte. Der außerhalb seiner Geburtsstadt sehr bekannte Countertenor Klaus Nomi, der in Immenstadt/Allgäu geboren wurde, in Berlin eine Gesangsausbildung durchlief und oft im Schöneberger Kleist-Casino auftrat, unter anderem mit der berühmten Arie der Dalila aus „Samson et Dalila“, war während seiner New Yorker Jahre (ab 1973) eine wesentliche Anregungsquelle für den 3 Jahre jüngeren David Bowie, der wesentliche Elemente von Nomis Bühnenerscheinung übernahm und produktiv weiterentwickelte. Insbesondere die Bühnenkostüme Nomis dürften maßgeblich die späteren Outfits von Bowie beeinflusst haben, wovon das oben zu sehende Graffito Zeugnis ablegt. Am 24. Januar 2019 veranstaltet das Literaturhaus Allgäu in Immenstadt mit Barbara Frey eine Soirée auf den Spuren Klaus Nomis.

David Bowie – 8.1.1947 London – 10.1.2016 New York City
Klaus Nomi – 24.1.1944 Immenstadt – 6.8.1983 New York

www.literaturhausallgaeu.de/Veranstaltung/literarische-soiree-out-of-immenstadt-klaus-nomi-24-jan-1944-6-aug-1983-2/?instance_id=94

 Posted by at 16:47

„Und so etwas soll ich singen? So etwas muten Sie mir zu?“

 Deutschstunde, Schöneberg, Singen, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für „Und so etwas soll ich singen? So etwas muten Sie mir zu?“
Dez 092018
 


Herrlicher, herzerwärmender Gastauftritt von Marlene Dietrich in einer der ersten Folgen von „Babylon Berlin!“ Allein schon wegen dieses trotzigen Aufbegehrens der großen deutschen Diseuse lohnt sich das Ansehen dieser prachtvollen Serie unbedingt! „Ja, damals!“ Damals hatten die deutschen Sängerinnen Mumm in den Knochen. Dietrichs Diktion war vorbildlich. Diese große deutsche Diseuse traf die Töne rein und klar und unverzerrt, auch ohne elektronische Implantate und Korrekturen, wie sie sich heute breitgemacht haben. Sie formte die Wörter der deutschen Sprache verständlich bis in die feinste Faser hinein. Ja, sie KONNTE noch GUTES DEUTSCH singen. Sie bot den Produzenten die Stirn. Sie widerstand!

Wie einigen anderen deutschen Sängern und Sängerinnen der leichten Muse heute auch noch (etwa der ebenfalls sehr sauber singenden Helene Fischer) schlug und schlägt ihr aus Teilen des Feuilletons dumpfe Ablehnung, stumpfe Ignoranz, ja roher Neid entgegen. Die Bilder mit der Aufschrift „Marlene go home“, zu sehen bei ihrer Rückkehr nach Berlin im Jahre 1960, sind ein beredtes Zeugnis dessen. Dennoch stammt sie von hier, sie gehört auch hierher nach Schöneberg!

Unser Bild zeigt einen Blick auf den Himmel über der heutigen Leberstraße, genau an der Stelle, wo Marlene Dietrich am 27.12.1901 das Licht der Welt erblickte! 280m entfernt von der Stelle, wo dieses hier jetzt niedergeschrieben wird.

 Posted by at 12:00

Um das Leben singen

 Freude, I' vidi in terra angelici costumi, Singen  Kommentare deaktiviert für Um das Leben singen
Nov 242018
 


Das Konzert „Una serata musicale“ im Hochmeistersaal hat mir sehr gut gefallen am letzten Sonntag! Das ganze Singen und Musizieren gewinnt doch den eigentlichen Sinn erst durch die Zuhörenden.

Es war ein großer bewegender Abend für mich. Ich hatte beim Vortrag des Petrarca-Sonetts das Gefühl, um das eigene Leben oder um vielmehr ein ganz neues Leben zu singen, singend um all das zu bitten, was gut und heilig im Leben ist. Insgesamt waren es einige Stunden vollkommenen – wenngleich mühsam erarbeiteten – Glücks, die ich mit und dank der singenden und musizierenden und zuhörenden Menschen genießen durfte, und die ich mit in die Nacht nahm.

Eine wunderschöne Gemeinschaftsleistung war das, die auch nachhaltige Wirkung in den Zuhörern hinterlassen hat.

Ich lasse sie noch weiterklingen und langsam ausklingen.

 Posted by at 19:46

Jóhann und Ammiel, zwei fahrende Gesellen, verzaubern den Pierre-Boulez-Saal

 Freude, Heimat, Männlichkeit, Singen, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für Jóhann und Ammiel, zwei fahrende Gesellen, verzaubern den Pierre-Boulez-Saal
Nov 052018
 


Jóhann Kristinsson, Bariton
Ammiel Bushakevitz, Klavier

verzauberten gestern den Berliner Pierre-Boulez-Saal mit allen Zuhörern, den hier schreibenden eingeschlossen. Kristinsson, ein junger, gewinnender, lebensfroher Mann schlug mich gleich mit den ersten Tönen in Bann:

„Aus der Heimat hinter den Blitzen rot,
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
es kennt mich dort keiner mehr.“

Jedes dieser Lieder aus Robert Schumanns op. 39 erlebten Kristinsson und Bushakevitz gemeinsam. Es war jedes Mal ein neues Bild, aufgeschlagen, erlebt, überflogen, hin und weg! Dieser Sänger machte mir eine große, überbordende Freude. Jeder Laut war geformt, klar verständlich, jeder Ton trug den Sänger, und der Sänger trug uns dahin.

Die Gesangstechnik Kristinssons ist makellos, seine Aneignung aller Lieder ist tief verankert, er hat sich jedes Lied zu eigen gemacht, trug alle Lieder von Schumann, Mahler und Wolf auswendig vor. So soll es sein, so muss es sein! Er eroberte die Herzen aller. Er unterstützt mit sparsamen Gesten den Gehalt der Verse, vertraut aber ansonsten dem stärksten Mittel, das die Sänger haben: der Person selbst, der Stimme, dem Atem, dem Wort, Klang, Körper!

Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ waren nicht in abgrundtiefe Verzweiflung getaucht, sondern in eine fast schon erlösende Gewissheit: „Solange wir noch singen, solange wir noch zuhören können, ist nicht alles verloren. Im Gegenteil, alles ist gewonnen!“

Bushakevitz war ein äußerst getreuer und verlässlicher Begleiter, Wandergefährte, Stütze und Stab für den Sänger.

Äußerst reizvoll fand ich die abschließende Auswahl der Hugo-Wolf-Lieder nach Gedichten von Joseph von Eichendorff, denn Wolf taucht all das, was bei Schumann so düster, weh, zerrissen daherkommt, in das fast schon italienisch zu nennende, tänzerische Spiel. Freiheit, Lachen, Sonne waren angesagt. Das Programm, das als Weltenklage des Heimatlosen begonnen hatte, endete als lustiger Kehraus mit dem Blick ins Freie. Ein deutliches Aufbäumen, ein Ermannen war darin spürbar, so sehr, dass man Mühe hatte zu glauben, dass die ersten und die letzten Lieder nach Gedichten desselben Dichters komponiert waren, eben Josephs von Eichendorff. Hier die dritte Strophe aus dem letzten Lied, Seemanns Abschied:

Streckt nur auf eurer Bärenhaut
Daheim die faulen Glieder,
Gott Vater aus dem Fenster schaut,
Schickt seine Sündflut wieder,
Feldwebel, Reiter, Musketier,
Sie müssen all ersaufen,
Derweil mit frischem Winde wir
Im Paradies einlaufen.

Ein versöhnlicher, wunderbarer Ausklang des Sonntags war dieser gemeinsame Auftritt der beiden fahrenden Gesellen, der mir noch jetzt ein Lächeln in die Seele zaubert, während ich dies schreibe. Danke Jóhann, danke Ammiel!

 Posted by at 23:14

Auf einem Baum ein Kuckuck saß

 Gedächtniskultur, Gute Grundschulen, Singen  Kommentare deaktiviert für Auf einem Baum ein Kuckuck saß
Jul 142018
 

Komm in den totgesagten park und schau
Der schimmer ferner lächelnder gestade
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erfüllt die weiher und die bunten pfade…

… und was siehst du dort hinten?

Ja, dort hinten, irgendwo in einem Winkel des totgesagten Parks der Erinnerung, da steht er, der runde Pavillon. Pavillon? Ein seltsames Wort für ein Gebäude, das es nur ein einziges Mal auf dieser Welt gab. In keinem Diktat kam es vor, kein Lehrer hätte es gewagt, uns dieses Wort zu diktieren: Páwioh sprach sich das aus. Aber es schrieb sich anders. Warum nannte sich dieses Gebäude der Volksschule Firnhaberau so? Ja, Firnhaberau, das war ein richtiges, ein gutes Wort, das uns hunderte Mal über die Lippen ging. Firnhaberau, das war die Heimat. Das gehörte zu uns. Wir gehörten zu ihr.

Aber Pavillon? Pavillon, das klang sehr rund, das musste irgendwie chinesisch aussehen. War der Pavillon rund, war der Pavillon chinesisch? Hatte er ein Pagodendach?  Zweifel steigen in mir auf, während ich dies hier schreibe. War der Pavillon rund? War nicht vielmehr das kleine Pausenhäuschen im Schulhof rund? Und der Herr Mögele, lebt er noch? Waltet er noch seines Amtes? Nur er waltete seines Amtes; sonst gab es niemanden, der seines Amtes waltete. Uns schien es immer so, als ob die Lehrer wechselten, als ob die Schüler kämen und gingen, aber der Herr Mögele, „der Mögele“, wie wir ihn nannten, der blieb. Er waltete und waltete! Der überdauerte uns. Er war die Ordnung in den Gängen, er war der Herr der Sauberkeit. Nur er hatte die feinen, gummiartigen rötlichen Krümel, die Sauberkeit in Hof und Gang und Zimmer schufen. Nur er hatte den sehr breiten Besen, mit dem er die Krümel über die im Sonnenglanz schimmernden Holzbohlen zog. Und danach – war der Dreck weg. Der Herr Mögele, das war eine Art Zauberer.

Besen, Besen,
Dreck! Sei’s gewesen!

Und die Albrecht-Greiner-Singschule? Gibt es die noch? War’s nicht dort im Pavillon, wo du in der vierten Klasse einmal wöchentlich  die Singstunde besuchtest? War es nicht das Ziel Albert Greiners, die menschliche Stimme, „gleichviel ob im Singen oder Sprechen, natürlich und schön klingen zu lassen“? Erlebtest du damals nicht bereits das singende Sprechen und das sprechende Singen?  Etwa bei folgendem Lied:

Auf einem Baum ein Kuhuckuck saß
Simsalabim bambasala dudala dim!

Und  dieses Lied war offenbar für dich geschrieben, denn ihr wohntet im Kuckucksweg 9. Dies war allgemein bekannt.

Uns so lerntest du es kennen, ein „System von kindgemäßer Stimmkunde, mit Gymnastik der Tonwerkzeuge, Atmung, Lagenausgleich, Vokalpflege, Notensingen, Rhythmik und dergleichen.“ Das hatte alles Albert Greiner ausgedacht. Auch er – musste eine Art Zauberer sein. So dachtest du, so erlebtest du das damals.

Und heute? Was erfährst du heute? Die Volksschule am Hubertusplatz gibt es immer noch, doch heißt sie heute Grundschule und Mittelschule Augsburg-Firnhaberau. Der Herr Mögele ist nicht mehr der Hausmeister. Der Pavillon der 60-er Jahre war kein Rundbau, – hier trog deine Erinnerung! -, sondern ein rechteckiger ebenerdiger Langbau. Die Albert-Greiner-Singschule besteht weiter, jedoch nicht mehr unter diesem Namen; sie heißt jetzt Sing- und Musikschule Mozartstadt Augsburg.

Und die Musik und die Lieder?

Am 21.06.2018 lud deine Schule deiner Kindheit zu einem sommerlichen Konzertabend ein. Zwei Bläserbands bliesen zum Auftakt, es folgten klassische Klarinettenduette, und der Grundschulchor sang, jedoch nicht von einem Kuckuck, der auf einem Baum saß, sondern von rostigen Rittern, russischen Jungen und radelnden Elefanten.

Die Erinnerung mag trügen, die Musik erklingt weiter, die Lieder wechseln, das Singen bleibt und lebt.

Zitat zu Albert Greiner:
Abschnitt „Singschulen“, in: rororo Musikhandbuch in 2 Bänden. Herausgegeben und bearbeitet von Heinrich Lindlar, Band 1: Musiklehre und Musikleben, Rowohlt Verlag, Reinbek 1973, S. 296-297, hier S. 296

Homepage der heutigen Grundschule und Mittelschule Augsburg-Firnhaberau:
http://www.gsms-firnhaberau.de/index.php

Bild:

Blick aus dem Park auf das Sommerbad am Insulaner, Aufnahme vom 12.07.2018

 

 Posted by at 19:28

Ganz glühend im Wüstensand: Hagars Klage

 Antike, Hagar, Islam, Mutterschaft, Pierre Boulez Saal, Religionen, Singen, Vertreibungen  Kommentare deaktiviert für Ganz glühend im Wüstensand: Hagars Klage
Jul 112018
 

 

 

 

 

 

Ganz offenkundig ließ sich Franz Schubert wieder und wieder von den Texten der Dichter zu seinen Kompositionen entzünden. Freunde haben beschrieben, wie sie, hier also Josef von Spaun und Johann Mayrhofer, Schubert einmal in diesem Zustand der durch Dichtung erzeugten ekstatischen Entrückung erlebten: „… wir fanden Schubert ganz glühend, den Erlkönig aus dem Buche laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buche auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in der kürzesten Zeit, so schnell man nur schreiben kann, stand die herrliche Ballade nun auf dem Papier.“

HAGARS KLAGE, so lautet das früheste Lied Franz Schuberts, das uns heute noch erhalten ist. Geschrieben hat er es im Convicte im Alter von 14 Jahren. Unbeschreiblich muss den jungen Convicts-Schüler  der Schmerz erschüttert haben, den Clemens August Schücking in sein endlos wimmerndes, geradezu aufschreiendes Gedicht HAGARS KLAGE einbrannte:

Hier am Hügel heißen Sandes
Sitz‘ ich, und mir gegenüber
Liegt mein sterbend Kind,
Lechzt nach einem Tropfen Wasser
Lechzt und ringt schon mit dem Tode,
Weint und blickt mit stieren Augen
Mich bedrängte Mutter an.
Du mußt sterben, du mußt sterben
Armes Würmchen!

[…]

Schubert hat das Gedicht zu einer dramatisch erregten, durchkomponierten Phantasie mit vielen Gefühlswechseln ausgestaltet. Sie eröffnet den Band V der großartigen Neuausgabe der etwa 600 erhaltenen, hier vollständig zusammengetragenen Schubert-Lieder.

Am 20. Oktober 2018 um 19 Uhr wird Mojca Erdmann dieses Lied im Pierre Boulez Saal singen, begleitet vom Pianisten Malcolm Martineau.  Die Karten sind bestellt, wir sind schon sehr gespannt!

Zitate:
SCHUBERT. Lieder. Band 5. Herausgegeben von Walther Dürr. Urtext der Neuen Schubert-Ausgabe. Bärenreiter Verlag, Kassel 2011, Seite VII [zur Entstehung von Hagars Klage], Seite XXIII-XXIV [Text des Gedichts Hagars Klage von Schücking ], Seite 1-17 [Schuberts Lied Hagars Klage von Schücking]

SCHUBERT. Lieder. Band 1. Herausgegeben von Walther Dürr. Urtext der Neuen Schubert-Ausgabe. Bärenreiter Verlag, Kassel 2005, Seite VII [zur Entstehung von Schuberts Erlkönig von Goethe]

Konzert-Hinweis laut dem Buch:
Pierre Boulez Saal. Die Spielzeit 2018/19. Berlin 2018, S. 30-31

Bild:

Gemälde „Hagar und der Engel“ von Carel Fabritius. Sonderausstellung „Das Zeitalter Vermeers und Rembrandts. Meisterwerke aus der Leiden Collection“. Moskau, Puschkin-Museum, 8. Mai 2018

 Posted by at 20:21