W Rzeczpospolitej Ptasiej/In der Vogelrepublik, oder: Das Leben kommt aus dem Wasser/Życie pochodzi z wody

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Mai 152013
 

2013-05-10 11.52.59

So schön ist es jetzt in der Neumark – das Warthetal, das wir vier Tage lang mit dem Rad erkundeten, ist ein überwältigend artenreicher Lebensraum für seltene Amphibien, für seltene Vögel, für Störche und Blindschleichen! Ein uraltes, kilometerbreit sich erstreckendes Urstromtal! Hier befahren wir gerade den Damm in der Nähe von Sonnenburg/Słońsk. Auf der linken Seite (siehe Foto) wird nunmehr erneut der periodischen Überschwemmung Raum gewährt, eine zeitweilig eintretende Versumpfung und Überflutung ist gewollt.

Auf der rechten Seite des Dammes erkannten wir das von vielen Menschengenerationen mühselig trockengelegte Bruch. Hier, in der Nähe des ab dem 13. Jahrhundert bezeugten alten Sonnenburg  wurde über Jahrhunderte, insbesondere unter Brandenburg-Preussens Friedrich II. systematisch Entwässerung, Landgewinnung, Urbarmachung betrieben. Der Mensch rang der Natur seinen Platz zum Arbeiten, Wohnen, Siedeln ab!

Störche sind in der „Vogelrepublik Warthemündung“ ein häufiger Anblick. Das Quaken der Frösche und auch der geliebte rauschende Regen  begleiteten uns kilometerlang! Überall Singen, überall Wasser, überall Schleichen, Flattern, Huschen! Überall regt sich’s und strebt empor! Der Tisch ist gedeckt.

Du hörst, siehst, staunst und erkennst: Das Leben kommt aus dem Wasser.

Oder wie meine schlesische Urgroßmutter gesagt hätte: Życie pochodzi z wody.

2013-05-10 09.54.35

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Sora nra matre tra – Schwester unser Mutter Erde

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März 142013
 

page2-405px-Cantico_delle_Creature.djvu

Ein großes Vergnügen bereiten mir seit jeher die frühesten volkssprachlichen Texte – etwa des Althochdeutschen oder auch des Italienischen. Es ist ein tastendes Ungefähr zu spüren, ein Sich-Hineinfügen, ein Sich-Hineinlassen aus dem Bildungssprachlichen, dem Vatersprachlichen (etwa aus dem Lateinischen) in das Muttersprachliche, das Volkssprachliche, das zugleich die natürliche, die „gewachsene“ Sprache darstellt.

So hat dies staunend und doch ergreifend damals der Poverello d’Assisi, der gerade heute wieder ins Licht gerückte Francesco Giovanni di Pietro Bernardone – unser Franz –  geschafft.

„Sora nra matre tra“

lautet ein winziges Bruchstück aus seinem geistlichen Gesang. Das Manuskript zeigt wie damals üblich keinerlei Zeilenbruch und verwendet auch die Zusammenschreibungen, welches der Leser selbst auflösen muss zu

sora nostra matre terra

schwester unsere mutter erde

Auf Neuhochdeutsch:

Unsere Schwester Mutter Erde.

Das ist kaum auszuschöpfen, was das bedeutet.

File:Cantico delle Creature.djvu – Wikipedia.

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Von der Vielfalt der Bäume: Wir brauchen in Deutschland außer unserer lingua franca – dem Deutschen – auch die vielen anderen Sprachen!

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März 122013
 

2013-03-12 08.24.11

Eine bittere Erkenntnis brachte der gestrige tief verschneite Tag: Ohne mein Zutun und ohne mein Wisssen hat der Diensteanbieter dieses Blogs das gesamte Auftreten und die Darbietung dieses Blogs verändert. Dies wäre noch hinzunehmen. Aber dass zugleich alle Sonderzeichen, alle Buchstaben, die nicht in der deutschen oder englischen Sprache enthalten sind, getilgt wurden, dass die gesamte Zeitrechnung, z.B. die Monatsnamen, auf Englisch umgestellt wurde, trifft auf meinen Widerstand.

Gerade im vielsprachigen „Schatzkästlein des Kreuzberger Hausfreundes“ sind damit die türkischen, arabischen, russischen, griechischen, tschechischen und polnischen Wörter nicht mehr entzifferbar. Die fremden Buchstaben sind durch Fragezeichen ersetzt. Ein Teil der Sprachen verstummt! Schaut selbst nach – so ist es also, wenn Sprachen verstummen, weil ihre Sonderzeichen, ihre Signatur, ihr Gepräge nicht mehr anerkannt werden!

Schatzkästlein

Das ist bedauerlich. Ich bin für eine Pflege aller Sprachen. Selbstverständlich muss bei uns in Deutschland, in Österreich, in den deutschsprachigen Kantonen der Schweiz Deutsch die allgemeine anerkannte Lingua franca für alle ethnischen Gruppen, für alle Lebensalter und alle Lebensbereiche bleiben.

Denn Deutsch, also die Mutter- und Arbeitssprache von Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die Mutter- und Arbeitssprache eines Sigmund Freud, einer Hannah Arendt, eines Theodor Herzl, eines Johann Wolfgang Goethe, von Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart, eines Karl Marx, eines Carl Flesch, die Mutter- und Arbeitssprache eines Albert Einstein, die Mutter- und Arbeitssprache von  Thomas und Heinrich Mann und der Brüder Grimm und von Franz Kafka hat mehr als jede andere einzelne Sprache das geistige und politische Antlitz unseres Kontinents im 20. Jahrhundert im Guten wie im Bösen geprägt und tut dies noch weiterhin. In der EU ist es diejenige Sprache, die mit Abstand am häufigsten als Muttersprache gesprochen wird.

Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist in Deutsch verfasst und verdient weiterhin verstanden zu werden.  Es wäre ein riesiger Irrtum, wenn wir diesen großartigen Schatz, die deutsche Sprache, weiterhin so schlecht behandelten wie dies gegenwärtig geschieht, wo selbst hohe Vertreter unseres Staates einen partiellen Verzicht auf das Deutsche zugunsten einer neuen lingua franca empfehlen.  Insofern muss jeder Versuch bekämpft werden, unsere schöne deutsche Muttersprache in die Besenecke einer reinen Kinder- und Märchensprache zu verbannen und sich ansonsten dem unumschränkten Herrschen der übermächtigen Handels- und Kolonialsprache Englisch zu beugen.

Aber daneben sollen wir in Deutschland auch die großen europäischen linguae francae und die Sprachen aller unserer Nachbarvölker pflegen und achten. Die im Schulunterricht zu pflegenden linguae francae sind: Altgriechisch, Lateinisch, Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Russisch, wobei derzeit das Englische global ohne Zweifel an Nummer 1 steht. Das war nicht immer so und muss auch nicht so bleiben. Ich meine: Zur Zeit sollte sicherlich jedes deutsche Schulkind wenigstens 3 oder 4 Jahre Englisch lernen.

Ferner verdient das kulturprägende Hebräisch, die Sprache, in der etwa 2 Drittel der christlichen Bibel verfasst worden sind, besondere Achtung und Zuwendung.

Dänisch, Finnisch, Tschechisch, Kurdisch, Türkisch, Assyrisch, Arabisch, Polnisch, Chinesisch und Dutzende andere sind weitere Sprachen, die in Deutschland gepflegt und gehegt werden sollten. Alle Menschen, die fremde Muttersprachen mitbringen, sollen diese Muttersprachen neben der unbestrittenen lingua franca Deutschlands, dem Deutschen, weiterhin pflegen und weitergeben. Ich meine, es wäre eine schöne Geste, wenn mindestens in den grenznahen Gebieten stets an den Schulen auch die Sprache des unmittelbaren Nachbarn gelernt würde: in Brandenburg also Polnisch, in Baden Französisch, in Schleswig Dänisch, in Sachsen und Thüringen und Niederbayern Tschechisch.

Die Vielfalt der Bäume macht den Reichtum Europas aus!

Bild: Bäume am heutigen Tag im Park am Gleisdreieck

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„Schamt’s enk!“, oder: Wenn schon fremdschämen – dann richtig!

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Feb. 052013
 

„Bairisch wurde 2009 von der UNESCO auf die Liste der aussterbenden Sprachen gesetzt. Doch gerade die Sprache verbindet uns mit der Heimat und egal wo und was für den Einzelnen Heimat ist, sie mag im Koffer, im Fotoalbum oder vor der Haustüre sein – die Sprache ist und bleibt immer ein Teil von ihr. Allerdings ist Sprache auch ein Teil einer anderen Heimat, einer Heimat, die uns fremd ist, die wir nicht kennen, aber die Heimat des Anderen ist. Da helfen nur Toleranz, Respekt und Zuneigung.“

Gute, treffende, nachdenkliche Worte von Rosemarie Will zum Eingang des Berchtesgadener Heimatkalenders 2013, den wir hier im Familienkreis im preußischen Friedrichshain-Kreuzberg mit großem Gewinn lesen!

Redlichkeit gebietet es allerdings auch in der Blogosphäre, eigene sprachliche und sachliche Fehler einzugestehen. So unterlief uns gestern ein dicker Patzer bei der Pluralbildung von „Scham di“ / „schäme dich, Bayern, dass du die staatliche Kleinstkinderbetreuungsquote so niedrig hast und wertvolle Menschen bzw. Humanressourcen dem Produktionskreislauf vorenthältst!“

Schamt’s eahna ist falsch. Schämt euch, ihr Bayern! muss in gutem gepflegtem Bairisch lauten: „schamt’s enk!“ oder auch „schamt’s aich„.

Zu höhergestellten Damen könnte man sagen:

Schamen’s eahna – schämen Sie sich, dass sie Ihr Kleinstkind selbst betreuen, statt es in professionelle Hände abzugeben.

Und damit für heute auf  Türkisch:

allahaısmarladık

oder, wie der Bayer im preußischen Friedrichshain-Kreuzberg sagt:

Pfüt eahna God!, oder Pfiat aich God!

Gemeint ist ohnehin dasselbe:

Guit scho – „es gilt schon“.

Rosemarie Will: „Grüß Gott“. Berchtesgadener Heimatkalender 2013, Verlag Berchtesgadener Anzeiger, Berchtesgaden 2012, S. 75-89

Bild: Portal der Berchtesgadener Stiftskirche St. Peter und Johannes der Täufer

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Schrippe = Weggla = Semmel

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Jan. 172013
 

Große Dankbarkeit empfinden wir gegenüber dem Mann, der kürzlich den Pankower Schrippenstreit vom Zaun gebrochen hat! Denn er hat sich zum Gemütswert der Sprache bekannt. Der Dialekt der eigenen Kindheit bewahrt in der Tat Spuren des biographischen Gedächtnisses auf. Er verortet den Menschen in seiner eigenen Geschichte! Wer den Zungenschlag der Kindheit vermisst, vermisst Mutter, Vater und Geschwister, vermisst Heimat!

Von Ennio Flaiano, einem der Drehbuchschreiber für La notte von Michelangelo Antonioni, wird uns berichtet, er habe einmal den berühmten Regisseur auf die Schippe genommen:

„Ma che mi stai parlando sempre di incomunicabilità! Falli parlare in dialetto e vedrai che cominceranno presto a comunicare! – Was sprichst du eigentlich immer von der Sprachlosigkeit. Lass die Leute Dialekt sprechen und du wirst sie sehen, sie fangen schon an miteinander zu kommunizieren!“

Außerhalb Pankows stieß der Pankower Schrippenstreit auf amüsiertes und teils gespieltes Entsetzen. „Bei uns in Nürnberg sagt man Weggla!“ „Bei uns in Augsburg sagt man Semmel!“ Spannend! Die echten Lechschwaben sagen also nicht Weckle, wie von Herrn Thierse behauptet, geschweige denn Wecken, sondern Semmel – offenbar abgeleitet vom assyrisch-bairischen Sömmi.

„Und dafür habt ihr in Berlin Zeit!“ „Ja mei! Ihr Berliner braucht nichts dringender als eine schwäbische Kehrwoche, und zwar regelmäßig.“ „Wie schaut’s nachert bei Eierm Flughafa aus? Wann kriegtsa den gebacken? Duads fei ned dLandeboh vergessa!“

Hohn und Spott ergossen sich bei meinem jüngsten Aufenthalt über uns arme Berliner bei meinem kürzlichen Aufenthalt in Lechschwaben. Zitate: „Ihr solltet uns Schwaben dankbar sein! Wir bezahlen Eure phantastisch aufgewärmten Schwimmbäder, Eure Kita-Plätze, Eure im Märkischen Sand versenkten Milliarden.“

Da ist schon etwas dran. Berlin schwimmt im Geld der anderen Bundesländer und haushaltet schlecht. Es hat „traumhafte Förderkulissen“ hochgezogen. Bei jedem Problem wird die Hand ausgestreckt und ein neues staatliches Förderprogramm aufgelegt. Wie nennen sie es jetzt mal wieder? „Bündnis für Mieten“, „Bezahlbarer Wohnraum für alle!“ Ja mei! Sie können es nicht lassen! Statt die Leute etwas enger zusammenziehen oder etwas mehr arbeiten zu lassen, verhängen die Politiker Programme, die nicht funktionieren können, und verbraten weiterhin munter das Geld der anderen Bundesländer.

Doch meine ich: Hohn und Spott kübelweise allein greifen zu kurz. Deutschland spricht immerhin von seinen Dialekten. Dafür könnten wir Schwaben  uns Berlinern dankbar sein. Möge der Pankower Schrippenstreit dazu beitragen, die Deutschen auf die Vielfalt ihrer Dialekte aufmerksam zu machen! Auch die gilt es zu hegen und zu pflegen.

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„Co zburzył ogień Twego gniewu, Boże, łaska Twa odbudować pomoże“, oder: Wo sind eigentlich die Sorben von Žarow geblieben?

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Dez. 122012
 

„Ich bin die Tochter einer aus dem Osten vertriebenen polnischen Mutter“ – „Und ich bin der Sohn eines aus dem Osten vertriebenen deutschen Vaters“. So entspann sich kürzlich ein Gespräch unter strahlend blauem Himmel inmitten der fröhlich zwitschernden Tierwelt eines Zoos, das ich standesgemäß mit einigen polnisch vorgetragenen Zitaten der Satire „Der Elefant“ von Sławomir Mrożek würzte:

Kierownik ogrodu zoologicznego okazał się karierowiczem. Zwierzęta traktował tylko jako szczebel do wybicia się. Nie dbał także o należytą rolę swojej placówki w wychowaniu młodzieży.

Dieses Gespräch mit einer Polin kam mir gestern wieder in den Sinn, als ich las, wie Deutschland mal wieder treuherzig und einfältig damit beschäftigt ist nachzuweisen, dass – so wie in allen Parteien von CDU bis SPD/SED, in Gerichten, in Schulkollegien, in Berufsverbänden – eine bedeutende Zahl von Verbandsfunktionären des BdV auch durch frühere Mitgliedschaften belastet war. Bundestagsvizepräsident Thierse beeilt sich mit seiner Forderung nach einer „nachhaltigen und gründlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte“. Zum wievielten Mal wird diese Forderung erhoben? Und was kann eigentlich an substantiellen Erkenntnissen noch daraus hervorgehen?

„Co zburzył ogień Twego gniewu, Boże, łaska Twa odbudować pomoże„. In der alten Stadt Sorau, dem alten Sorbenstädtchen ŽŽarow in der Niederlausitz,  lasen wir diesen Spruch in deutscher Sprache hoch oben in der Wölbung der Pfarrkirche. In alten Postkarten, auf alten Bildern ist die Vergangenheit Soraus noch fassbar, etwa in den deutsch geschriebenen Worten einer Postkarte von 1908: „Mit herzlichen Grüßen von Kirchplatz 7“.

Im offiziellen Kirchenführer der Pfarrkirche, dessen Kosten auch die Europäische Union großzügig mitträgt, findet sich weder im polnischen noch im deutschen Teil ein Verweis auf den alten sorbischen Ortsnamen  ŽŽarow, geschweige denn auf den deutschen Namen Sorau. Żary, der nach dem Krieg und nach den Vertreibungen der Sorben und Deutschen verordnete neue polnische Name, wird ausschließlich verwendetganz im Sinne des Mythos, dass dies uralter polnischer Boden sei.

Es ist hier in Żary genauso wie in Kappadokien in der Türkei, wo ebenfalls nirgendwo an die vertriebenen Griechen erinnert wird und nur noch die griechischen Inschriften in den Felsenkirchen davon erzählen, dass hier im Herzen der heutigen Türkei einst jahrhundertelang blühendes griechisches Leben herrschte.

Ich habe das wieder und wieder bei allen meinen Reisen nach Polen und in die Tschechische Republik erlebt: die ehemals deutsch besiedelten Gebiete erinnern sich offiziell noch fast nicht ihrer früheren Bewohner. Die gewaltsamen Vertreibungen der Sorben, der Juden, der Deutschen, der Polen  kommen nicht vor, sind noch kein Bestandteil des Gedächtnisses. Die jahrhundertealte deutsche zivile Vergangenheit in Städten wie Breslau, Troppau, Sorau, Stettin,  Königsberg, Riga usw. wird in der deutschen, der polnischen und der tschechischen Öffentlichkeit fast  völlig abgedunkelt. In den Städten des ehemaligen deutschen Ostens werden heute von den Nachfolgegesellschaften einige Jahrhunderte deutscher Geschichte nahezu komplett verleugnet. Das entstehende, höchst unvollständige Geschichtsbild ist geprägt von falschem nationalistischem Pathos und Illusionen. Das wird jeder bestätigen, der  imstande ist, Polnisch und Tschechisch zu lesen und zu verstehen. Dass hier in den Städten der Niederlausitz bis 1946 einmal Sorben und Deutsche lebten, dass die Mehrheit der Bevölkerung bis 1946 Sorben und Deutsche waren und fast ausschließlich Deutsch sprachen, wird versteckt und verheimlicht. Von den millionenfachen Ausbürgerungen und den Vertreibungen der Bevölkerung in den Jahren 1939 – 1946 wird nicht geredet, sehr viel aber von der angeblichen „Wiedergewinnung des polnischen Bodens“, der vorübergehend, gewissermaßen irrtümlich, „eingedeutscht“ worden sei.

Ich habe mich oft gefragt, warum gerade die deutsche Gesellschaft so unempfindlich ist gegenüber dem Leid, das den polnischen, deutschen, sorbischen Vertriebenen in den Jahren 1939-1946 widerfahren ist, unempfindlich mindestens soweit es die Deutschen betrifft. Warum die Deutschen so gar nichts mehr wissen wollen von den städtischen Zentren in Schlesien, in der Lausitz, in Böhmen und Mähren, die jahrhundertelang deutsch sprachen, deutsch geprägt waren? Wohl etwa deshalb, weil diese heute so lästigen Vertriebenen fast ausschließlich Kinder, Alte und Frauen waren und der ständigen Revanchismus-Beschuldigungen und der wütenden, oft wahnhaft verzerrten Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit überdrüssig sind?

Die heute noch lebenden Vertriebenen, diese damals minderjährigen Kinder, die heute noch lebenden Frauen wollen nichts anderes als in ihren Gefühlen und Erfahrungen angenommen werden. Genau das fehlt, genau das wird ihnen wieder und wieder von maßgeblichen Politikern der deutschen und der polnischen Seite wie etwa Wolfgang Thierse verweigert. Es herrscht ein unausgesprochenes Schweigegelöbnis: Du sollst nicht fragen. Du sollst nicht wissen. DU SOLLST NICHT MITTRAUERN.

Diese nahezu komplette Auslöschung der Erinnerung an die frühere deutsche und sorbische und jüdische Bevölkerung  im heutigen Westpolen und auch in Tschechien beginnt schon bei der fast völligen Auslöschung der alten sorbischen, schlesischen und deutschen Ortsnamen.

Es ist insgesamt ein trauriger Befund. Der im Jahr 2004 verstorbene Pfarrer Tadeusz Kleszcz, der den Wiederaufbau der Sorauer Pfarrkirche – freilich ohne Wiederherstellung der originalen deutschen Inschriften – bewirkte, findet einfach keine Ruhe, wie uns die heutigen Bewohner von Żary raunend erzählen: sie berichten, dass er des Nachts umgehe, als wollte er eine Botschaft verkünden.

Ich meine: Solange in Deutschland, Polen und Tschechien eine derartig lückenhafte Erinnerungsunkultur gepflegt wird, kann der Pfarrer Kleszcz keine Ruhe finden. Und darauf, auf dieser Unkultur des Lückengedächtnisses, kann auch keine von den Herzen getragene Europäische Union erwachsen. Der Euro wird es auch nicht schaffen, die Europäer zusammenzuführen. Polen leistet doch ohnehin Hervorragendes in seinem marktwirtschaftlichen Wiederaufbau, der innerhalb des Euro sicher nicht möglich gewesen wäre.

Die echte Versöhnung zwischen Völkern kann nur über das freie, erlösende Wort erfolgen. Sie setzt Ehrlichkeit und Eingeständnis nicht nur der von Deutschen verübten Verbrechen, sondern auch der von anderen Staaten und anderen Völkern verübten und gedeckten Verbrechen voraus. Und dazu gehören die grausamen Vertreibungen von etwa 12 Millionen Deutschen nach dem Ende des 2. Weltkrieges.

Erst kürzlich brachte der amerikanische Historiker R. M. Douglas das Thema in seinem Buch „Orderly and Humane“ wieder auf die Tagesordnung, das Thema der Vertreibungen der Deutschen und Ungarn nach dem 2. Weltkrieg, das er das am besten versteckte Geheimnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts nannte.

Wir Deutschen müssen einsehen lernen, dass wir nicht die absolut zu setzenden Urheber aller Verbrechen in der qualvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts sind, wie es leider von Deutschen selbst, darunter dem Bundestagsvizepräsidenten  Thierse, allzu oft stillschweigend unterstellt wird.  Die Deutschen waren und sind  nicht allein die erste Ursache des Bösen. Die Geschichte ist ein Elephant! Sie vergisst nicht so leicht, auch wenn betrügerische Zoodirektoren wie der Kierownik  in der Satire von Sławomir Mrożek alles tun, um den Zuschauern und der unreifen Jugend etwas vorzugaukeln. Aber dieser Zoodirektor benutzt die Tiere, das Unfertige, Ungebärdige, Umtriebige der Erinnerung nur, um sich selbst seine Karriereaussichten zu verbessern!

Wie lautet nun der verlorene, ursprünglich  deutsche Spruch im Gewölbebogen des Lettners der Pfarrkirche von Sorau?

Wie Dein Zornfeur  reißet nieder
Deine Gnade bauet wieder
was gebauet/walte drüber

2. Maii: 1684

Literatur:

Stanisław Kowalski: Kościół Farny w Żarach, Żary 2007, hier bsd. S. 23 und 29
Sławomir Mrożek: Słoń. In: Norbert Damerau: Langenscheidts Praktisches Lehrbuch Polnisch, Berlin und München 1967, S. 134ff. [=Lektionen 26-30]

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Das läuft schon: der Klimawandel und der Mentalitätswandel im europäischen Geschichtsbild

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Sep. 192012
 

Geschenkter Nachsommer! Heute las ich bei herrlichem Sonnenschein im Prinzenbad die FAZ, vor allem die Wissenschaftsbeilage, Seite N 1, das Interview zum Klimawandel mit Acatech-Präsident Reinhard Hüttl, sowie Seite N4, Gespräch zum Mentalitätswandel des historischen Bewusstseins mit Sir Ian Kershaw und Timothy Snyder.

Eine Botschaft Timothy Snyders darin: Lerne fleißig die Sprachen der östlichen Hälfte Europas, dann kannst auch du bei den staatlich organisierten Hungersnöten in der Ukraine, beim Nationalitätenterror der Kommunisten und beim Holocaust mitreden! Das ist richtig. Wer die originalen, schriftlich dokumentierten Tötungsbefehle der Kommunisten lesen und interpretieren will, muss Russisch können. 

Sowohl Snyder als Kershaw tun etwas, was ich in diesem Blog immer wieder eingefordert habe: Sie brechen die einseitige Deutschlandfixierung der neueren Geschichte auf. Sie haben das ganze Bild im Blick, und da zeigt sich, dass nicht nur Deutschland, sondern zahlreiche andere Mächte, insbesondere die Sowjetunion das Antlitz Europas umgewandelt haben. Und vor allem legen sie dar, dass es ab etwa 1930, beginnend im Westen der damaligen Sowjetunion, zu einer Abfolge von staatlich organisierten Pogromen, Vertreibungen und Massenmorden kam, die insgesamt etwa 14 Millionen Opfer forderten – wohlgemerkt außerhalb der Toten, die die zahlreichen zwischenstaatlichen Kriege forderten.

Die Klimadebatte – so scheint mir – wird weiterhin mit gläubiger Inbrunst geführt, zerfällt im Augenblick in gewisse bekenntnishaft organisierte Gemeinden – die Orthodoxen, die Revisionisten, die Leugner, die Fundamentalisten, die Indifferenten, die Ketzer.

Reinhard Hüttl, Fritz Vahrenholt, Hans von Stoch, Wolfgang Cramer, Paul Becker – das sind maßgebliche Namen in der deutschen, teilweise in der weltweit geführten Klimadebatte. Derzeit wird mal wieder heftig gestritten. Wie schlimm ist der Klimawandel, wie unvermeidlich, wie unumkehrbar?

Einigkeit scheint zu herrschen, dass Deutschland kaum unmittelbar vom Klimawandel bedroht ist. Deutschland, die nordischen Länder, Grönland, Kanada, die nördliche Russische Föderation dürften im Gegenteil eher profitieren. Insgesamt dürften mehr Menschen vom Süden in den Norden ziehen als vom Norden in den Süden.

Reinhard Hüttl sagt etwas sehr Tiefschürfendes: „Meine Sorge ist, dass wir den Menschen sagen, wir hätten die Probleme im Griff und bekämen eine heile Welt. Das wird aber auch zu meinem Bedauern nicht geschehen. Es gibt die Hitzeperioden, wir haben die Arten, die einwandern oder aussterben, wir haben neue Krankheiten, wir müssen nachdenken, wie wir uns bestmöglich an die Veränderungen anpassen.“

Das ist die gesamte Klimadebatte in nuce!  Ich würde diese Sätze so verstehen:

„Es gibt die Hitzeperioden, wir haben die Arten, die einwandern oder aussterben, wir haben neue Krankheiten, wir müssen nachdenken, wie wir uns bestmöglich an die Veränderungen anpassen.“ Das ist zweifellos richtig. Aber es ist keine alles überragende Bedrohung, sondern eine Herausforderung neben anderen Herausforderungen wie etwa Analphabetismus, Aids, Schulabbrechern, 6000 Verkehrstoten pro Jahr in Deutschland und etwa 800 Mordfällen pro Jahr.

Meine Sorge ist, dass wir den Menschen sagen, wir hätten die Probleme im Griff und bekämen eine heile Welt.“ Und meine  Sorge ist, dass immer wieder Wissenschaftler und Politiker auftreten und behaupten, sie hätten die eine, die riesige, die alles überragende Themenstellung erkannt – wahlweise etwa den Klimawandel, den islamischen Fundamentalismus, le waldsterben, die Staatsverschuldung, den Zerfall der Euro-Zone, die Umweltverschmutzung,  die hohe Schulabbrecherquote und und und. Das Herausstreichen einer und nur einer Themenstellung bedeutet allzu oft, dass Ressourcen und Kräfte diesem einen großen überragenden Ziel untergeordnet werden – auf dass eine geheilte Welt errichtet werde.

Ich halte das für gefährliche Hybris, für Machbarkeitswahn, der in Unfreiheit umschlagen kann.

 Posted by at 13:50
Sep. 052012
 

„Was hatten die Griechen des Altertums jenseits ihrer uns im Nachhinein fast unfassbaren Zerstrittenheit und kriegerischen Streitlust gemeinsam?“ Antwort: Recht wenig – außer der Verehrung der olympischen Götter, den olympischen Spielen und Homer. So schroff kann man es durchaus sagen.

„Was haben die heutigen europäischen Völker jenseits ihrer im Nachhinein oft unfassbaren kriegerischen Streitlust gemeinsam?“ Kulturell gesehen recht wenig – außer dem Bezug auf die drei mosaischen Religionen Judentum, Christentum und Islam und einer zivilgesellschaftlichen Tiefenprägung durch das Imperium Romanum.

Einen weiteren Beleg für meine Diagnose eines zutiefst unvollständigen europäischen Bewusstseins meine ich in der Vernachlässigung all jener Richtungen des Christentums zu erkennen, die weder dem römisch-katholischen noch dem evangelischen Flügel zuzuordnen sind. Die Kirchenspaltung, zu deren Überwindung heute namhafte deutsche Laien aufrufen (siehe FAZ S. 1), wird in Deutschland und in Westeuropa ausschließlich als die Trennung zwischen römisch-katholisch und evangelisch gesehen.

Dabei gehören der EU mit Griechenland, Zypern, Bulgarien und Rumänien vier Länder an, deren Bevölkerung sich mit über 80%, ja bis zu 97%  zum Christentum bekennt, wenngleich sie weder römisch-katholisch noch evangelisch bzw. protestantisch sind.

„Wie denn das?“ Antwort: Während die Völker des europäischen Westens das Neue Testament in lateinischer Sprache empfingen, empfingen es die Völker des Ostens in griechischer Sprache. Diese Völker gehören zum weiten Bereich des orthodoxen Christentums. Die Spaltung zwischen orthodoxem und lateinischem Christentum datiert wesentlich auf das Jahr 1054.

Die Bibel, also erstens der ältere hebräische Teil, bei den Christen Altes Testament genannt, verbunden zweitens mit dem Neuen Testament der Christen ist in der Tat neben der paganen Antike eine überaus wichtige kulturelle Klammer, welche die beiden Lungenflügel Europas zusammenhält, in ihrer Bedeutung vergleichbar den Gesängen Homers oder den Olympischen Spielen für das alte Hellas.

Das gilt unabhängig davon, ob man sich zur Person Jesu Christi bekennt oder nicht, also ob man „Christ“ ist oder nicht. Und selbstverständlich sind die biblischen Geschichten auch überreich im Koran der Muslime weitergeführt, wenngleich unter leicht veränderten Namen. So heißt unsere Maria, die hebräische Miriam, dort auf arabisch Meryam.

Hebräischer Tenach, christliches Neues Testament, neuerdings auch muslimischer Koran – ohne eine Befassung mit diesen drei Büchern wird man Europa kaum vollständig ausbuchstabieren können.

Und deshalb meine ich: das ganze Christentum sollten wir in den Blick nehmen – nicht nur den westlichen Lungenflügel.

 Posted by at 13:53
Aug. 312012
 

Staunen und Lächeln beim Studium der morgendlichen taz: Eine neue Geld-Umverteilungsorgie im nach wie vor vulgärsozialistisch regierten Bundesland Berlin ist in vollem Gange! 100 Mio. werden in dieser Legislatur dank des von Jan Stöss und Raed Saleh (SPD) geschmiedeten „Bündnisses für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten”“ und dank der 30%-vom-Einkommen-Kappungsgrenze indirekt an die Vermieter verteilt werden. Wird der Finanzsenator Nußbaum Chuzpe und Traute genug haben, diesem erneuten, besonders dreisten  Anschlag auf die Haushaltskonsolidierung zu widerstehen? Zweifel sind angebracht!

„Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“. Wem fiele da nicht die Arie des Papageno aus Mozarts Zauberflöte ein:

Das klinget so herrlich,
das klinget so schön!
Trala la lalal la,
Trala, la la!

Welcher politische Depp steht denn gern für unsoziale Wohnungspolitik und für Wuchermieten da? Niemand. Auch Herr Nußbaum nicht. Auch dieser arme Kreuzberger Blogger nicht. Natürlich nicht!

Diesen für das Individuum sehr bequemen, für die Konsolidierung des Landeshaushaltes aber verheerenden Geldverschwendungsmechanismus hat der Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeister Franz Schulz klipp und klar vollkommen richtig, aber sehr höflich auf gut Französisch so ausgedrückt (im Deutschen lügt man ja bekanntlich, wenn man höflich ist, lächel …):

„Plafonner les loyers ne serait pas réaliste. Cela ne concernerait que le logement social et obligerait Berlin déjà lourdement endetté à verser des sommes colossales aux bailleurs pour les dédommager du manque à gagner.“

Zu Deutsch: “Eine Kappungsgrenze der Mieten beträfe nur die Sozialwohnungen und zwänge Berlin, das ohnehin bereits schwer verschuldet ist, riesige Beträge an die Vermieter zu bezahlen, um sie für entgangene Gewinnmöglichkeiten zu entschädigen.”

Bürgermeister Schulz hat recht: Wuchermieten – etwa am Kreuzberger Kotti oder in Neukölln – werden dank der Mietenkappung direkt mithilfe des geldverteilenden Berliner Senates in breitem Umfang möglich. Die Bezirke dagegen werden komplett ausgezogen bis aufs Hemd. Der Personalabbau in den Bezirken ist eine logische Folge der mit unerbittlicher Konsequenz weitergetriebenen, seit 1961 bis heute in Berlin herrschenden  vulgärsozialistischen Umverteilungspolitik. Gutes, spannendes, kenntnisreiches  Interview mit Bezirksstadträtin Franziska Giffey, taz, S. 23!

Nach den Türken, den Arabern („Libanesen“) rollt nun eine dritte „Zuwanderungswelle“, wie Frau Giffey  sagt, auf Neukölln zu.

Hier im heutigen taz-Interview gibt es die guten Ratschläge, wie man – nach der bestens gelungenen Integration der türkischen Volksgruppe, der arabischen Volksgruppe – nun auch die gelungene Integration der neu entstehenden  Roma-Bevölkerungsgruppe in den Sozialstaat schafft:

1) Einreise der Familien mithilfe eines auf 3 Monate befristeten EU-Visums

2) Unterbringung der Familien als Untermieter in den angemieteten Wohnungen der Übersiedlungshelfer gegen Zahlung einer Wuchermiete, z.B. 1000.- Euro/Zimmer

3) Anmeldung eines Gewerbes, etwa als Zettelverteiler, Entrümpler, Handyverkäufer oder Abschleppdienstleister. Dadurch ist das dauerhafte Aufenthaltsrecht gesichert. Kindergeld sofort beantragen!

4)  Zum Jobcenter gehen. Sofortige Beantragung der Aufstockung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit. Jeder mitfühlenden Seele ist klar, dass man mit Zettelverteilen oder Kellerausräumen keine Familie ernähren kann. Die Aufstockung muss also her. Damit ist eigentlich alles Wesentliche getan. Denn:

4) Nach 1 oder 2 Jahren kann das Zettelverteilungsunternehmen, das Abschleppgewerbeunternehmen, der Handyladen oder das Automatencasino planmäßig in den Konkurs geschickt werden. Von diesem Zeitpunkt an werden die gesamte Familie und all die zahlreichen weiteren Beschäftigten des Zettelverteilungsunternehmens, Handyladens oder Automatencasinos auf Dauer und generationenübergreifend von staatlicher Hilfe leben. Das ist nun wirklich in Deutschland hunderttausendfach vorgemacht worden, und es wird hunderttausendfach nachgemacht werden.

5)  Nächster Schritt: Sehnsüchtiges Warten auf das „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“! Sobald die Menschen die Unbezahlbarkeit ihrer Wuchermieten (etwa 1000 Euro/Zimmer) nachweisen können, also nachweisen, dass sie mehr als 30% des vom Staat aufgestockten Nettoeinkommens für Mieten ausgeben, stehen ihnen auch für die Miete indirekte Ausgleichszahlungen zu. Diese Mietenausgleichszahlungen werden allerdings direkt an die Vermieter gezahlt – in diesem Fall an die landeseigenen Wohnungsgesellschaften. Die Details sind völlig unklar. Für die Klärung der administrativen Einzelheiten, die Verwaltung, die Antragsberatung, die Hilfe bei der Antragstellung  und die Antragsprüfung werden zahlreiche neue Sachbearbeiterstellen nötig sein. Diese Stellen in der Verwaltung werden geschaffen werden – nicht Stellen für Erzieher, Lehrer, Polizisten! Der öffentliche Dienst wird also im Zuge der Umsetzung  des „Bündnisses für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“ ebenfalls erneut anschwellen.

LIES! jeden Tag eine gute taz! In diesem guten Interview mit Franziska Giffey auch ein klares Bekenntnis zum Volksgruppenkonzept: Neu-Neuköllner Roma, Alt-Neuköllner Türken, Alt-Neuköllner Araber, Neu-Neuköllner „Bildungsbewusste“ (=gemeint sind mit diesem verhüllenden Euphemismus zuwandernde deutsche Migranten) müssen in die „nötige Balance“ gebracht werden. Schön: Die Realität, dass sich in Berlin mithilfe der üppigen Füllhörner des Sozialstaates klar voneinander abgeschlossene, gleichberechtigte, nebeneinander herlebende Volksgruppen angesiedelt haben, wird endlich von der Politik anerkannt. Nach der türkischen, der arabischen, der deutschen entsteht nun also eine Roma-Volksgruppe. Willkommen!

Das taz-Interview mit Franziska Giffey bringt denn auch ein klares, wohltuendes Bekenntnis zum Volksgruppenkonzept, wie es ähnlich auch in der Tschechoslowakei, in Jugoslawien, in Belgien und in der Sowjetunion vom Staat durchgeführt worden ist. Auch in diesen vier genannten, bewusst multiethnisch angelegten Staaten wurde streng darauf geachtet, dass jede der Volksgruppen genug vom Kuchen, also vom staatlichen Geld abbekam. Der Staat sorgte in der Sowjetunion, in Jugoslawien, in Belgien und in der Tschechoslowakei für das nötige Gleichgewicht zwischen den Völkern. Es klappte prima über mehrere Jahrzehnte, wie wir alle wissen.

Frau Giffey formuliert die Aufgabe des mithilfe des reichlich vorhandenen Geldes zentral steuernden Staates auf gut Deutsch so: „Wir müssen für die nötige Balance zwischen den Bevölkerungsgruppen inklusive der neu Zugewanderten sorgen.“

Schön gesagt. Danke, Frau Giffey.

Clever gemacht. Die Ausplünderung des Berliner Landeshaushaltes geht weiter. Von BER schweigen wir. Wir nennen nur das Kürzel und verweisen auf die heutige taz. Das reicht.

Herr Nußbaum, bitte bleiben Sie hart. Leisten Sie Widerstand.

http://www.taz.de/Integration/!100719/

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ἄργυρος κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε, oder: vom Europa des Geldes zum Europa des freien Wortes

 Antike, Europäische Union, Geld, Gemeinschaft im Wort, Sprachenvielfalt, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für ἄργυρος κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε, oder: vom Europa des Geldes zum Europa des freien Wortes
März 142012
 

Immer wieder tauche ich hinab in die alte, griechisch sprechende Welt, die Europa zu dem werden ließ, was es heute zu werden verspricht. In den attischen Tragödien des 5. und 4.  Jahrhunderts vor Christus werden zahllose Fragen erörtert, die uns bis zum heutigen Tage beschäftigen. Etwa die folgende:

Was hält Europa und die Europäische Union zusammen?

„Die Wirtschaft!“ werden die meisten sagen. „Der freie Austausch an Waren und Dienstleistungen sichert den Zusammenhalt!“.

„Der acquis communautaire!“ schallt es aus Brüssel zurück. „Die etwa 100.000 Seiten gemeinsamer Rechtstexte über Ansprüche und Rechte der Mitgliedsstaaten sind eine unlösbare institutionelle Klammer!“

„Der Euro!“, werden wieder andere einwerfen. „Nur durch die Gemeinschaftswährung werden die Schicksale der Staaten so unlösbar verknüpft, dass Wohlstand, Wachstum und soziale Gerechtigkeit gesichert sind.“

Kaum ein Zweifel darf bestehen, dass die Europäische Union und überhaupt europäische Politik auf der Wirtschaft und auf dem Geld begründet ist. Das Geld und die Wirtschaft sind – nach der aktuellen Politik zu urteilen – die eigentlichen Fundamente und der Maßstab der Europäischen Union.

„Lernt doch erst mal griechische Texte lesen“, begehre ich auf, wenn wieder einmal derartige Reden geführt werden. „Habt ihr nicht die Antigone des Sophokles gelesen?“

Erstaunlich etwa, was König Kreon in der Antigone des Sophokles über das Geld sagt:

οὐδὲν γὰρ ἀνθρώποισιν οἷον ἄργυρος

κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε. τοῦτο καὶ πόλεις

πορθεῖ, τόδ᾽ ἄνδρας ἐξανίστησιν δόμων·

τόδ᾽ ἐκδιδάσκει καὶ παραλλάσσει φρένας

χρηστὰς πρὸς αἰσχρὰ πράγματ᾽ ἵστασθαι βροτῶν·

Meine deutende Übersetzung in modernes Deutsch lautet:

„Denn keine so schlimme Gesetzesgrundlage erwuchs für Menschen wie das Geld. Es zerstört sogar Städte, es vertreibt Männer aus den Häusern, Geld prägt Mentalitäten um, so dass die an sich richtige Gesinnung zum Niederträchtigen gewendet wird.“

In diesen Versen (295-299), die wohl um das Jahr 442 vor Christus entstanden,  schreibt Kreon dem Geld eine unterminierende, gemeinschaftsszerstörende Kraft zu. Keine schlechtere Grundlage für Gesetze als das Geld gibt es. Fremdes Geld zerstört den Zusammenhalt der Polis, Geldgier führt zu Hader, Zank und Zwietracht in der Stadt, die Gier nach Silber brachte die griechischen Städte gegeneinander auf.
Ich meine: Der Ansatz, die Europäische Union vornehmlich auf dem Geld begründen zu wollen, hat uns alle in die Irre geführt.

Die Europäische Union muss stattdessen auf anderen, auf kulturellen Werten, vor allem auf dem freien Wort stets von neuem begründet werden!

Weit geschmeidiger, weit moderner als der Kreon des 5. Jahrhunderts v. Chr. drückte dies kürzlich ein Schriftsteller, der unter uns lebende Petros Markaris in folgenden Worten aus:

Wir haben mit der Einführung des Euro diese Werte vernachlässigt und Europa mit dem Euro identifiziert. Und jetzt, mit der Rettungsaktion für den Euro, werfen wir die gemeinsamen Werte, die Diversität der europäischen Geschichte, die verschiedenen Kulturen und Traditionen als Ballast über Bord. Europa hat viel in die Wirtschaft investiert, aber zu wenig in die Kultur und die gemeinsamen Werte.

Quellen:

Sophoclis fabulae. Ed. A.C. Pearson, Oxonii 1975, Ant. vv.  295-300

Süddeutsche Zeitung, 26.01.2012:

http://www.sueddeutsche.de/politik/reise-des-schriftstellers-petros-markaris-die-krise-hat-das-letzte-wort-1.1267452 

The Little Sailing: Ancient Greek Texts

 Posted by at 15:34
März 052012
 

„Deutschland 2011 ist multiethnisch, eine Vielvölkerrepublik, die sich einer staatlich instruierten Integrationspolitik verschrieben hat, die autoritäre, altmodisch nationalstaatliche Züge trägt.“

So schrieb es gestern Zafer Senocak im Tagesspiegel.

Seine Rede von der Vielvölkerrepublik erinnert an die zahlreichen europäischen Vielvölkerstaaten: das osmanische Reich, die Tschechoslowakei, Österreich-Ungarn, Zypern, die Sowjetunion, Jugoslawien, Belgien, Schweiz – sie erkannten bzw. erkennen verschiedene Nationalitäten bei ihren Staatsbürgern an. Soll Deutschland ebenfalls ein Vielvölkerstaat werden – also das Land, in dem Deutsche, Kurden, Türken, Katalanen, Araber, Polen, Russen, Libyer, Ägypter als gleichberechtigte Nationalitäten oder Volksgruppen zusammenleben?

Das würde eine wesentliche Grundgesetzänderung, eine mehrsprachige Justiz mit den wichtigen Minderheitensprachen Kurdisch, Türkisch, Polnisch, Katalanisch, Arabisch usw., muttersprachliches Schulwesen für alle größeren Volksgruppen  notwendig machen. Manche Türken kämen nach Jahrzehnten hartnäckiger Weigerung endgültig darum herum, Deutsch zu lernen, die Kurden hätten Anspruch auf Kurdisch als Amtssprache usw. usw.

Dann müsste sich Deutschland vom Grundgedanken des Nationalstaates verabschieden und sich hinbewegen zu einem Staat der Volksgruppen, wie es etwa die Tschechoslowakei und Jugoslawien waren, wobei die Türken selbstverständlich sofort die zweitwichtigste, am schnellsten anwachsende Volksgruppe nach den Deutschen bilden würden, versehen mit allen Rechten einer anerkannten Minderheit, wie sie heute etwa die Sorben oder die Dänen genießen. Denkbar wäre auch eine Aufteilung nach Volksgruppen wie etwa auf Zypern. Das scheint Zafer  Senocak zu fordern.

Darüber müsste man diskutieren.
Integration: Ostdeutschlands Mief darf nicht auf den Westen abfärben – Andere Meinung – Meinung – Tagesspiegel

 Posted by at 16:58
Feb. 162012
 

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Weiterhin gut behauptet: unser heimatliches Kreuzberg im aktuellen Economist auf Seite 29, der Zeitschrift für alle Länder der Welt, die nach eigenem Bekunden der Bundespräsident Richard von Weizsäcker so gern las.  Zwischen dem Titelthema Syrien, der endlosen Griechenland-Geschichte, der Religionspolitik der Kommunistischen Partei Chinas und einem Nachruf auf die Nobel-Preisträgerin Szymborska, die auch mehrere Elogen auf Stalin und die kommunistischen Schauprozesse verfasst hat, erscheint unser Heimatbezirk mit einem neuen Dialekt: Kiezdeutsch.

Die in Kreuzberg wohnende Professorin Heike Wiese beobachtet fasziniert, wie sich unter unseren Augen ein neuer Dialekt heranbildet. Prof. Helmut Glück von der Uni Bamberg widerspricht: Kiezdeutsch sei eine Sprechart, kein Dialekt.

Ich meine, beide habe irgendwo recht. An Kindern habe ich selber bemerkt, wie sie sich anpassen an die typische Kreuzberger Sprechweise. Ortsüblich ist zum Beispiel die häufige Beschwörungsformel: „Isch schwörs dir!“ Ganz typisch für die Kreuzberger Kinder scheint mir auch die frühe Bekanntschaft mit vielen Ausdrücken aus den Bereichen Erwachsenensexualität, für die wir früher eine scharfe Zurechtweisung erhalten hätten. Diese intimen Kenntnisse zeigen die Jungen bereits ab 6 oder 7 Jahren mit großem Stolz.

Manche Lehrer an Kreuzberger Gymnasien sagen mir, manche Schüler verstünden in allen Stufen oft schon die Aufgabenstellungen nicht, geschweige denn, dass sie imstande wären, eine sinnvolle Antwort zu formulieren.

Ich meine, Kinder und Jugendliche sollen ruhig wie Jugendliche aller Zeiten und Völker ihre Gruppensprache sprechen. Wichtig wäre aber auch, dass alle Standardsprache, also Hochdeutsch lernten.  Ich glaube, gute Kenntnisse der üblichen deutschen Sprache wären eigentlich unabdingbar.

Spannend!

Bild: Russisches Denkmal für die ruhmreichen Söhne der sowjetischen Heimat in Brandenburg/Havel

German dialects: Teenagers’ argot | The Economist

 Posted by at 21:47
Jan. 272012
 

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„Frage niemanden nach seiner Herkunft, er wird sie dir in seinen Erzählungen offenbaren.“ Ein treffliches Sprichwort, das ich gern meiner Sprichwort- und Volksliedsammlung einverleibe. Berichtet hat es uns die redliche Hatice Akyün, deren Kolumnen ich gerne verfolge.

Ich ergänze als wackerer Deutscher: Frage niemanden nach seiner Stimmung im Gemüt, er wird sie dir in seinen Liedern offenbaren.

„Ehre Vater und Mutter, damit es dir wohlergehe auf Erden!“ Dieses alte Gebot, das noch bis vor wenigen Jahrzehnten in Deutschland häufig zu hören war, fällt mir ein, wenn ich Hatice Akyüns gute, anrührende, in Spruchweisheiten mündende  Erzählungen lese. Bitte beachtet den zweiten Teil! Das weithin vergessene Gebot meint, dass zum glücklichen Leben auch eine stete Auseinandersetzung, eine pflegende, achtungsvolle Aufmerksamkeit für die Älteren, die „Eltern“ gehört.  Da ist was dran. Hatice ist mit ihren wöchentlichen Kolumnen vorbildlich in der Entfaltung dieses Gebotes.

Aber auch sonst ist heute ein Freudentag. Denn die Schulwelt würdigt am heutigen Zeugnisverteilungstag den Einsatz des armen Kreuzberger Bloggers, des Herrn Hampel, wie er auch heißt, für das heimatliche Liedgut der Altvorderen mit einer Urkunde. Danke, Hatice, danke, Schulwelt!

Kolumne „Meine Heimat“: Ganz warm ums Herz – Meinung – Tagesspiegel
„Sorma kisinin aslini, sohbetinden belli eder“

 Posted by at 23:04