Mein Freund heißt Björn, werter Herr Struck!

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Feb. 142009
 

Wenig erbaut bin ich, wenn Auswärtige über unsere heimischen Wahlkreiskandidaten herziehen. So tat es gestern der Herr Peter Struck. Er sagte über unseren Wahlkreiskandidaten Björn Böhning: „Böhning hat keine Ahnung.“ Es geht um die „Schuldenbremse“ – also ein grundgesetzlich verankertes Verbot für den Bund, eine gewisse Höhe der Neuverschuldung zu überschreiten – und ein Schuldenverbot für die Bundesländer.

Schuldenbremse im Grundgesetz: „Begriff der Notsituationen eng begrenzen“ – Inland – Politik – FAZ.NET
Struck reagierte am Freitag scharf auf Kritik von linken Parteifreunden an der vereinbarten Schuldenbremse. „Böhning hat keine Ahnung“, sagte er im ZDF. Der Sprecher des linken SPD-Flügels lehnt die Schuldenbremse ab, weil dadurch die Handlungsfähigkeit des Staates übermäßig eingeschränkt werde. Auch aus den Ländern Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wurde Kritik geäußert, teils verbunden mit der Forderung nach einer Verfassungsklage.

Das gefällt mir nicht, wenn ausgerechnet ein Politiker einem anderen Politiker Ahnungslosigkeit vorwirft. Sind Sie ausgebildeter Volkswirt, sind Sie studierter Verfassungsrechtler, lieber Herr Struck? Aus verfassungsrechtlicher Sicht hatten wir uns bereits am 09.02.2009 in diesem Blog den Bedenken des ehemaligen Verfassungsrichters Jentsch zugewandt. Unsere Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des geplanten legislatorischen Werkzeugs sind seither gewachsen.

Aus psychologischer Sicht halte ich diese Schuldenbremse ebenfalls für „schwer verkäuflich“. Der Bund möchte künftigen Generationen ab 2020 genau das verbieten, was er gerade in immer größeren Stücken sich herausnimmt: Schuldenmacherei ohne Ende, das Hineinfüllen von Steuergeldern in Fässer ohne Boden.

Der Bund nimmt sich die Freiheit heraus, künftigen Politikern jene Freiheit zu verbieten, zu der er sich jetzt nahezu schrankenlos die Freiheit nimmt: das Schuldenmachen.

Sorry, Herr Struck: ich vermag Ihnen da nicht zu folgen. Und ja, ja: Auch ich habe keine Ahnung.

Und als echter Kreuzberger sage ich: Mein Freund heißt Björn.

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„Außer dem Staat kann keiner mehr helfen“

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Feb. 032009
 

Vor  wenigen Wochen guckte ich die ARD-Tagesthemen. Ein arbeitsloser Familienvater kam zu Wort. Er war vor einigen Monaten entlassen worden, da sein Werk dichtgemacht hatte. Er war schon fast 45 Jahre alt, gesund, hatte offenkundig zwei kluge und liebe Töchter – ditto eine ebensolche Ehefrau. Sie bewohnten eine Wohnung mit drei Zimmern. Sie litten weder an Pest noch an Aids noch an Lungenentzündung. Sie hatten genug zu essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Sie waren – mit einem Wort – gesund, eine intakte Familie. „Wie, glauben Sie, kann sich Ihre Situation verbessern?“ fragte die einfühlsame Reporterin. (Sie meinte natürlich: „Glaubst du denn im Ernst, dass sich deine Lage noch zu Lebzeiten verbessern wird?“)

Der Mann antwortete: „Ja, ich hoffe, dass der Staat mir endlich eine Arbeit gibt … sonst sehe ich schwarz.“ Dies war die letzte Aussage des Mannes, irgendein Fünkchen Hoffnung verbreitete der Tagesthemen-Bericht nicht.

Ich fasse die Aussage des Berichts in in einem schlichten Satz zusammen: „Nur der Staat kann mir noch helfen.“ Der Staat muss es richten. Die Arbeitslosen signalisieren inständig und flehentlich ihre Hilfsbedürftigkeit gegenüber dem Vater Staat (und der Mutter Bundesrepublik).

Dieser Bericht fiel mir wieder ein, als ich gestern nach getaner Body-Shape-Arbeit im Fitness-Studio den Bericht in der Morgenpost las, welcher Kanzlerin Merkel mit einer ganz ähnlichen Aussage zitiert:

Konjunktur – Staat steigt bei Pleite-Banken ein – Wirtschaft – Printarchiv – Berliner Morgenpost
Merkel betonte, die HRE müsse jetzt „in stabile Seitenlage“ gebracht werden. Zugleich unterstrich sie, die Regierung habe keinen Ehrgeiz, nun auch noch Banktätigkeiten auszuüben. Es seien aber die Banken gewesen, die ihre Hilfsbedürftigkeit gegenüber der Politik signalisiert hätten. „Außer dem Staat kann keiner mehr helfen. Das ist eine interessante Erfahrung.“

Was ist von einer solchen Aussage zu halten? Ich meine: Aus dem Munde des arbeitslosen Familienvaters signalisiert sie eine „erlernte Hilflosigkeit“. Bei mir erregt sie allerdings kein Mitleid, sondern eher den Wunsch, diesen Familienvater zu rütteln und zu schütteln … Die Vorstellung, dass nur der Staat noch helfen kann, halte ich für einen großen, abwegigen Irrtum, der zur Selbstlähmung führen muss.

Aus dem Munde eines Politikers signalisiert dieser Satz eine ebenso abwegige Selbstüberschätzung. „Die Politik“, „der Staat“ erweckt gerade in diesen Tagen eine gespenstische Hoffnung, an dem selbstverschuldeteten Zusammenbruch von einigen Teilen des Finanzsystems etwas Wesentliches verhindern zu können. Die Banken wimmern und weinen wie unartige Kinder. Sie signalisieren ihre Hilfsbedürftigkeit. Ja, wie es heißt es denn so schön: Bettelt, so wird euch gegeben! Aber dieser Grundsatz, der im mitmenschlichen Bereich Geltung haben mag, ist verheerend im staatlichen Bereich – wenn ihm derart willfährig nachgegeben wird, wie das „die Politik“ jetzt macht.

Gerade im Fall der HRE halte ich es für einen Fehler, dass überhaupt auf Verlangen der Betroffenen selbst so viele Steuergelder in die Hand genommen worden sind, um einen solchen kranken, von Anfang an zum Sterben verdammten Dinosaurier zu retten. Man hätte mehr dieser Dinosaurier sterben lassen müssen.

„Der Staat“ denkt jetzt darüber nach, diese sterbenden Dinosaurier, diese künstlich erzeugte Qualzüchtung Hypo Real Estate, durch Enteignungen vor dem Tode zu schützen. Der Staat spielt – Gott. Das kann nicht gutgehen. Zwar lässt sich gewiss das eine oder andere Missgebilde (also die ausgelagerten faulen Kredite der HVB) mit einem dreistelligen Milliardenbetrag ins Siechenheim retten, aber auf wessen Kosten? Auf Kosten der Künftigen, auf Kosten der Grundprinzipien des Markts, auf Kosten des ganzen Systems. Nein. Es passt alles nicht mehr zusammen, die Politik kaschiert mühsam die eigenen Versäumnisse der Vergangenheit, die ach so notleidenden Bankmanager können sich ins Fäustchen lachen.

Immerhin,  die FAZ wirft sich heute dagegen ins Feld:

Jetzt genügt offenbar schon ein Einzelfall – die gewiss desolate Lage der Hypo Real Estate (HRE) -, um mit der Drohung zu spielen, die Rechtsordnung außer Kraft zu setzen und dem Investor Christopher Flowers (er hält knapp 25 Prozent der HRE-Aktien) mit der Zwangsenteignung zu drohen. Und es genügt der Verweis auf reichlich nebulöse Gründe („systemisches Risiko“, die Bank als „öffentliches Gut“, das „Gemeinwohl“), um in der Güterabwägung das Eigentumsrecht zu vernachlässigen. Allein das Menetekel „Lehman“ raunend auszusprechen reicht aus, um die Bail-out-Maschine anzuwerfen und die Frequenz der staatlichen Rettungspumpe zu erhöhen.

Hätte der steuerzahlende Bürger nicht zumindest das Recht, sich von der Plausibilität eines Zusammenbruchs der nationalen Geldversorgung ein rationales Bild zu machen?

Die Drohung mit der Angst

Allein die Drohung mit der Angst nutzt sich allmählich ab.

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Quakendes Graswurzel-Geunke

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Jan. 212009
 

Ja hat sich denn alles mit diesem Blog verbündet? Der Graswurzelblogger reibt sich die Augen – als wollten sie sein Geraune und Geunke bestätigen, verhalten sich die Parteien nach den hessischen Landtagswahlen genau so, wie er es gestern vorausgeahnt hatte.

Mutmaßung 1 von gestern: „Die Parteiapparate der SPD und der CDU werden angesichts schwindender Zustimmung durch die Wähler noch stärker mit internen Revierstreitigkeiten beschäftigt sein, die Binnenzwistigkeiten werden sich verschärfen“, – und einen Tag nach dieser Vorhersage wird gemeldet: Der CDU-Fraktionschef im brandenburgischen Landtag tritt Knall auf Fall zurück. Dabei hatte man doch das Kriegsbeil schon hoch und heilig begraben! Als Begründung führt er mangelnden Rückhalt in der Partei an. Wir lesen im Tagesspiegel:

Acht Monate vor der Landtagswahl muss Brandenburgs CDU einen neuen Fraktionschef suchen: Amtsinhaber Thomas Lunacek ist am Dienstag zurückgetreten, nachdem er unter der neuen Landesvorsitzenden Johanna Wanka bei der Aufstellung der Landesliste ausgebootet worden war. Der 44-Jährige begründete seinen Schritt mit dem fehlenden Rückhalt in der Partei, der im Wahlkampf jedoch nötig wäre. „Es war mir nicht möglich, das Amt mit Kraft und Autorität weiterzuführen“, sagte Lunacek, der bei der Bekanntgabe seines Entschlusses befreit wirkte.

Mutmaßung 2 von gestern: Die beiden großen Parteien werden sich weiterhin selbst beschädigen, z.B. durch tiefschürfende, überwältigend frische Analysen wie etwa „Eine bürgerliche Mehrheit ist möglich“, „Wer Merkel will, muss CDU wählen“, „Kanzlerin Merkel ist unser Angebot an den Wähler“, oder: „Wir sind die bürgerliche Partei der Mitte“, und was dergleichen wohlfeile Sprüche mehr sind. Hier ist jedoch eine Ergänzung angebracht: CDU und SPD beschädigen nicht nur sich selbst, sondern stärker noch – soweit sie in der Koalition gebunden sind – einander. Nach dem alten Muster: Wir haben alles richtig gemacht, die anderen sind an allem schuld. Generalsekretär Hubertus Heil attackiert im Hamburger Abendblatt schon mal vorsorglich die Bundeskanzlerin Merkel:

Abendblatt:

Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner schreibt: „SPD wählen heißt Beliebigkeit, schlimmer: völlige Ungewissheit wählen“ …

Heil:

Fehlendes Profil kann Herr Schöppner eher bei der Union feststellen. Da gibt es zwischen den Verstaatlichungsfantasien des Herrn Rüttgers und den wirtschaftsradikalen Vorstellungen, die Herr Merz bei vielen in der Union hinterlassen hat, sehr viel Unklarheit. Bei Frau Merkel ist es ja so: Jeder glaubt sie zu kennen, aber keiner weiß wirklich, wofür sie steht. Die SPD ist klar aufgestellt.

Und auch mit unserem gestrigen Lob für den Wahlkämpfer Al-Wazir stehen wir nicht allein – denn heute reißen sich die Bundesgrünen um ihn. Der Spiegel berichtet:

Für Al-Wazir spricht: Er kann eigentlich alles. Öffentlich sprechen, scharf analysieren, führen und zusammenführen. Ein Realo, der auch mit den Parteilinken kann. Ein geborener Fraktionschef eben.

Was lernen wir daraus? Ich werde ab der nächsten Wahl im Jahre 2009 jeweils am Vorabend eine gefühlte Graswurzel-Prognose zum Wahlausgang geben. Den allgemeinen Trend glaubte ich gestern bereits zu erwittern:

a) Die beiden großen Parteien werden durch eigenes Zutun – nicht wegen der Großen Koalition – verlieren. b) Die drei kleinen Parteien werden gewinnen, und zwar um so stärker, je mehr sie sich nicht nur auf die Schwächen der großen verlassen, sondern auch ihr eigenes Profil durch die geeignete Kandidatenauswahl in Richtung auf eine Bürgerpartei des neuen Typs verbreitern. Musterfall hierfür: Tarek Al-Wazir.

Sind solche Vorahnungen unabwendbar? Nein. In der Politik ist kaum etwas mit großer Sicherheit vorhersagbar. Allerdings meine ich behaupten zu dürfen: Wahlen werden immer stärker durch die Persönlichkeit der Spitzenkandidaten und durch das richtige kommunikative Verhalten entschieden.

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Jan. 082009
 

istoria_2.jpg Vorweg ein Bekenntnis: Ich bin ein „Revisionist“. Ich meine damit, dass unsere Geschichte – also die Gesamtheit an Erzählungen, Haltungen und Überzeugungen, mit denen wir Vergangenheit deuten und weitergeben – von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag weitererzählt und umerzählt werden soll. Ein gutes Beispiel dafür ist die Bewertung von Regierungsformen. Ich selbst bin von Kindheit an als überzeugter Anhänger der parlamentarischen Demokratie erzogen worden. Diese Bundesrepublik Deutschland, in der wir leben, habe ich immer für einen Staat gehalten, der den persönlichen Einsatz aller Bürger verdient. Ich habe deshalb beispielsweise auch ohne zu zögern den Wehrdienst in der Bundeswehr angetreten. Mit dieser Hochschätzung der demokratisch-freiheitlichen Verfassungen ging für mich immer einher eine Abwehr und Geringschätzung alles monarchischen Denkens. Ich empfand oft, dass der vielfach gebeutelte Kontinent Europa mit seinen gekrönten Häuptern – salopp gesagt – viel Unglück erlebt hat, vor allem im 19. Jahrhundert. Es gibt ja auch, statistisch gesehen, kaum eine Weltgegend, in der mit so wenigen Unterbrechungen Herrschaftsverbände und Staaten kriegerisch übereinander hergefallen sind, wie eben unser ach so gepriesenes Europa unter der Herrschaft seiner Fürsten – von dem immerwährend Kriege anzettelnden Karl dem Großen bis zu den Zeiten eines Kaiser Wilhelm II. und eines Zar Nikolaus II. Die vielgerühmten Menschenrechte sind erstmals durch die republikanischen Staaten anerkannt und durchgesetzt worden.

Aber auch hier gilt es, Licht und Schatten genauer zu verteilen! Grob vereinfacht muss man sagen: Nicht alles, was die Könige, Zaren und Fürsten ins Werk gesetzt haben, war schlecht. Eine rein moralische Sichtweise hilft beim Verständnis nicht immer weiter. Dieser Schluss drängt sich einem auch auf, wenn man aktuelle Schulbücher der Geschichte, wie sie heute in Russland verwendet werden, durchsieht. So wird sich zwar wohl kaum etwas Günstiges über die dreifache Teilung Polens in den Jahren 1772-1795 sagen lassen. Sogar die Teilungsgewinnlerin Maria Theresia klagte bereits 1772: „Treu und Glauben sind auf alle Zeiten verloren!“

Aber die an diesen Teilungen beteiligte Zarin Jekaterina II. wird in den neuesten Schulbüchern der Geschichte, die ich mir aus Russland nachhause mitgebracht habe, überwiegend als kraftvolle Reformerin gesehen – ja geradezu als eine Art Vorbild für entschlossenes Regierungshandeln hingestellt. Russland sollte nach dem Willen Jekaterinas ein moderner Rechtsstaat mit einer effizienten Verwaltung werden. Dieses Vorhaben findet zumindest in den von mir eingesehenen Büchern die erkennbare Zustimmung der Schulbuchverfasser. Das Titelblatt ihrer „Instruction für die zur Verfertigung des Entwurfs zu dem neuen Gesetz-Buche verordnete Commißion“ ist in dem neuesten, 2009 erschienenen Lehrbuch der Weltgeschichte von G.B. Poliak und A.N. Markova sogar zweisprachig abgebildet – und zwar in einer deutsch-französischen Ausgabe.

Auch hier ist die Botschaft dieses Bildes klar: Russland suchte damals unter Führung der Zarin den Anschluss an die gesamteuropäische Staatenwelt des aufgeklärten Absolutismus. In dieser Absicht konnte sich die Zarin aber nur bedingt durchsetzen. Auch sie war, nicht unähnlich einem demokratisch gewählten Regierungschef, auf Zustimmung angewiesen – Zustimmung vor allem des Adels, den sie nur durch freigebige Privilegien, etwa durch Landgewinne, stillstellen konnte. Diesem Zwecke mochte auch die Einverleibung der polnischen Ländereien dienen.

Nationale Erwägungen spielten damals im Kalkül der Herrscher noch keine wesentliche Rolle. Jekaterina, die Bewundrerin Voltaires,  sah sich ebensowenig als „Russin“ oder „Deutsche“ wie sich Friedrich II. als einen „Deutschen“ betrachtete. Man dachte und handelte in Begriffen der dynastischen Macht und der rationalen Steuerung von Herrschaftsverbänden.

In den Begriffen einer vorwiegend moralischen Politikauffassung wird man der Verurteilung der polnischen Teilungen, wie sie die Zeitgenossin Maria Theresia und natürlich die Polen selbst ausgesprochen  haben, unbedingt zustimmen! In pragmatischer Hinsicht wird man aber versuchen müssen, das Machtkalkül, das dahinter steckt, zu verstehen. Und man wird der Zarin den Willen zur „Modernisierung“ eines riesigen Reiches nicht absprechen können.

Genau unter diesem Blickwinkel – Modernisierung, Schaffung eines Rechtsstaates, Durchsetzung einer effizienten, nicht korruptionsanfälligen Staatsverwaltung durch konsequente Reformen – genießt die „Deutsche auf dem Zarenthron“ heute offenkundig in der an den russischen Schulen gelehrten Geschichte hohes Ansehen.

Hier sind zwei Seiten aus dem genannten Schulbuch mit dem Abdruck der Instruction:

instruction_2.jpg

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Jan. 062009
 

25122008004.jpg Was hält uns in Europa zusammen? So fragten wir in diesem Blog im vergangenen Jahr. Unsere vorläufige Antwort: Es ist nicht klar. Wir wissen es nicht so recht. Und wenn wir es wüssten, müsste es laut und deutlich gesagt werden.

Was hält politische Gemeinschaften zusammen? So fragte Aristoteles. Seine Antwort: „Freundschaft“, das Gefühl einer Zugehörigkeit zueinander. Innerhalb einer Stadtgemeinde dürfe es keine Feindschaften, aber auch keine Gleichgültigkeit  geben, sonst bräche der Zusammenhalt auseinander.

Was hält unsere deutsche Gesellschaft zusammen? So fragen heute die beiden Bürger Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble in der FAZ auf S. 8. Ich nenne sie Bürger … Moment mal, sind das nicht zwei Politiker, Minister gar? Stimmt, ihr habt recht. Aber die beiden Verfasser schließen ihren Artikel höchst wirkungsvoll mit folgender Schlussformel ab: „… wir alle als Bürgerinnen und Bürger.“ Alle sind wir Bürgerinnen und Bürger, das ist doch ganz meine Rede. Einige dieser Bürger sind daneben auch Politiker, aber Politiker und Bürger sollten sich einig sein in einem gemeinsamen Ethos. So verstehe ich zumindest die beiden Autoren.

Den ganzen Artikel durchzieht die Forderung nach einem gestärkten Miteinander. Nur dann, wenn jede und jeder das Gefühl hat, dazuzugehören und gebraucht zu werden, kann sich eine Gesellschaft auf Dauer den wichtigen Einzelfragen zuwenden. Vereine, Bürgerinitiativen, Mehrgenerationenhäuser – das alles und vieles mehr sind hochwillkommene Beispiele solch tätiger Gemeinschaft, die den Staat trägt. Der Staat kann diesen Wurzelgrund nicht ersetzen, aber er kann ihn fördern.

Wir warfen gestern einen Blick auf das untergegangene Zarenreich. Politiker wie Stolypin kämpften unentwegt für die gemeinsame Sache. Umsonst, es war wohl schon zu spät. Die gesellschaftlich führenden Gruppen und die meisten Politiker, nicht zuletzt auch Zar Nikolaus II. höchstselbst, waren offenbar nicht bereit, eigene Besitzstände aufzugeben. Der Petersburger Blutsonntag von 1905 und viele andere Abwehrreflexe setzten Fanale der Unterdrückung gegen die berechtigten Forderungen der benachteiligten Bauern und Arbeiter.

Wie schreibt doch Vera Lengsfeld in ihrem Buch Neustart auf S. 103? „Und wenn Politiker in der Öffentlichkeit gegen jede mögliche Veränderung vor allem besitzstandswahrende Abwehrreflexe kultivieren, wirken sie lähmend auf die Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft.“

Ich meine: Wir brauchen Veränderung, wir brauchen dafür mehr innere Bindung an ein freiheitliches Miteinander. Ich glaube darüber hinaus: Die größten Risiken liegen nicht in der Staatsverschuldung, nicht in der Arbeitslosigkeit, nicht in der Finanzkrise. Die größten Risiken für unsere Republik und auch für die EU liegen darin, dass diese innere Bindung verloren gehen könnte.

Den höchst lesenswerten Artikel aus der heutigen FAZ werde ich mir aufheben. Man könnte ihn auch in einen Artikel für die führenden Boulevardblätter Deutschlands umschreiben, mit kurzen knackigen Sätzen und auf 200 Wörter verkürzt. Die Botschaft würde gut ankommen. Ich wünsche es ihr.

Unser Foto zeigt heute einen Blick in die Neue Oper in Moskau. Dort sahen und hörten wir am 25. Dezember eine Aufführung von Tschaikowskijs Nussknacker. Nach der Erzählung Nussknacker und Mäusekönig von E.T.A. Hoffmann. Auch solche deutsch-russischen kulturellen Gemeinschaftsleistungen halten uns in Europa zusammen.

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Jan. 052009
 

Fernsehen und auch Radio scheinen im heutigen Russland eine viel wichtigere Rolle zu spielen als Zeitungen. Und so nutzte auch ich bei diesem Aufenthalt jede Gelegenheit, um mir einen Eindruck von den Bildern zu verschaffen, die Tag um Tag in die russischen Haushalte flimmern. Gleich am ersten Abend nach unserer Ankunft erlebte ich eine denkwürdige Diskussion mit: Imja Rossija, der Name Russland, wurde durch den staatlichen Sender Rossija ausgestrahlt. Aus ursprünglich 500 Kandidaten sollten durch Zuschauerbefragungen in einer Reihe von Sendungen die wichtigsten Persönlichkeiten der russischen Geschichte gekürt werden. Peter I., Katharina II., Lenin, Stalin, Puschkin – sie waren schon in die Runde der letzten 10 vorgedrungen. Das ganze erinnerte mich an die ZDF-Serie „Unsere Besten“. Vor einer hochkarätig besetzten Jury legte sich diesmal der Regisseur Nikita Michalkow für „seinen“ Kandidaten, den Politiker Pjotr A. Stolypin ins Zeug.  Ab 1906 war Stolypin Innenminster, wurde bald darauf Premierminister.  In Deutschland ist dieser wichtige Reformer, der 1862 geboren und 1911 von politischen Terroristen ermordet wurde, weitgehend unbekannt. Um so erstaunter war ich, mit welchem Feuer, welcher Begeisterung Michalkow seinen Mann ins Rennen schickte!

Ich fasse Michalkows Plädoyer sinngemäß zusammen: Stolypin war einer jener Politiker, die in der zaristischen Spätzeit vernommen hatten, was die Uhr geschlagen hatte. Er versuchte durch einschneidende Reformen die schlimme Lage der Bauern zu verbessern, indem er ihnen neue Anrechte auf Grund und auf billiges Kapital verschaffte. Er kämpfte für eine effizientere Verwaltung, versuchte einen vernünftig geregelten Markt für die aufstrebende Industrie zu schaffen. Stolypin setzte auf grundlegende Reformen, ohne jedoch die Zarenherrschaft insgesamt in Frage zu stellen. Das Mittel der Revolution lehnte er ab, seine Agenda verlangte dem herrschenden Zaren und dem Adel weitreichende Zugeständnisse ab, ohne den Antimonarchisten Vorschub zu leisten. Mit diesem an pragmatischen Lösungen orientierten Ansatz machte er sich in einer ideologisch überhitzten Stimmungslage Feinde auf allen Seiten! Er sah sogar voraus, dass er einem Attentat zum Opfer fallen würde. Aber unbeirrt verfolgte er seinen Kurs, den er für den richtigen hielt.

Noch mehr als die Begeisterung Michalkows erstaunte mich, mit welch gebannter Aufmerksamkeit alle Studiogäste zuhörten – darunter auch Gennadi Sjuganow, der Chef der neuen Kommunistischen Partei. Den Mienen, den buchstäblich offenstehenden Mündern aller derer, die da überrascht lauschten, konnte ich entnehmen: Michalkow traf ins Schwarze, er schilderte mit kraftvollen, eindringlichen Argumenten einen Weg, wie Russland das weitere Auseinanderbrechen der Gesellschaft und auch die beiden Revolutionen von 1917 hätte vermeiden können. Er redete sich in Feuer, seine Worte klangen leidenschaftlich, – es war für mich mit Händen greifbar, dass hier über die neuere russische Geschichte insgesamt verhandelt wurde.

Diese Sendereihe kann man sicherlich unterschiedlich bewerten – wie ja die ZDF-Reihe „Unsere Besten“ ebenfalls herbe Kritik einstecken musste. Ich fand diese eine Sendung, die ich verfolgen konnte, äußerst erhellend! Nach meiner Rückkehr entnehme ich dem Internet: Stolypin hat es – ich meine: dank dieser mitreißenden Rede – auf Platz 2 geschafft, musste nur dem altehrwürdigen sagenumwobenen Helden Alexander Newski den Vortritt lassen. Newski – so will es die Überlieferung – rettete Russland vor dem äußeren Feinde. Er siegte. Stolypin hingegen wollte Russland durch innere Reformen vor dem drohenden Staatszerfall retten. Er scheiterte.

Für mich bleibt entscheidend: Die abstimmenden Zuschauer haben als ersten Politiker aus neueren Zeiten Stolypin gewählt – das kann meines Erachtens als ein klares Zeichen dafür gewertet werden, dass Russland heute den Weg kluger innerer Reformen, den Weg eines vernünftigen Interessenausgleichs wünscht. Und der Schlüssel zu einer Aufarbeitung der gesamten neueren russischen Geschichte scheint für Teile der heutigen russischen Gesellschaft wohl in einem vertieften Studium des untergehenden Zarenreiches zu liegen. In jenen Jahrzehnten wurden ganz offensichtlich Chancen verspielt, die weitsichtige Politiker wie Stolypin zu ergreifen bereit waren. Eine reformunfähige Gesellschaft wurde nach und nach reif für die Revolution.

Unser heutiges Foto zeigt den berühmten Säulensaal des Moskauer Herrenhauses, das später zum Gewerkschaftshaus wurde. Dort besuchten wir am 28.12. das Jolka-Fest für die Moskauer Kinder.

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Dez. 042008
 

Eins meiner politischen Vorbilder ist Kaiser Karl – nicht der sogenannte Große, sondern Karl der Vierte. In seiner Goldenen Bulle von 1356 ermahnt er die Kurfürsten ausdrücklich, sich in vielerlei Sprachen unterweisen zu lassen. Er verfügt, dass die Fürsten …

… diversorum ydiomatum et lingwarum differenciis instruantur, ut plures intelligant et intelligantur a pluribus.

Er fordert, die Fürsten des Reiches sollten mehrere Sprachen verstehen – und von mehreren verstanden werden, darunter auch das theutonicum ydioma – der Vorläufer des heutigen Deutsch. Er selbst war kein Deutscher nach Muttersprache, sprach aber wohl die fünf wichtigsten Sprachen des „Römischen Reiches deutscher Zunge“ mehr oder minder geläufig, darunter offenbar auch die lingua Boemica, also Tschechisch.

Ich freue mich, dass derzeit – angeregt durch einen in frühmorgendlicher Laune gefassten Beschluss des CDU-Parteitages in Stuttgart – eine Debatte über die Pflege unserer Muttersprachen läuft! Keine andere Sprache ist für Kinder so wichtig wie die Sprache, in der sie groß werden. Für mich ist das Schwäbisch, Oberbairisch, Schlesisch und verschiedene Mischformen daraus, erst viel später das genormte Hochdeutsch. Für meinen Sohn ist es Russisch und Deutsch, für meine Frau ist das Russisch. Wir alle pflegen und lernen beständig die jeweilige Sprache des anderen. Karl der IV. wäre mit uns zufrieden. Ich hätte ihn als Kurfürst auch gewählt, weil er so viel für die Bildung getan hat.

Ich wünsche mir, dass türkische und arabische Hauptschüler Friedrich Schillers Räuber auf Deutsch aufführen, deutsche Hauptschüler Shakespeares Hamlet auf Englisch, polnische Schüler den Pan Tadeusz von Mickiewicz in einer Berliner zweisprachigen Fassung  darbieten!

Die deutsche Standardsprache, also Hochdeutsch, ist in der Bundesrepublik Deutschland das einigende Band, das wir hier in Deutschland alle – Schwaben, Polen, Anatolier, Berliner, Russen, Araber – hegen und pflegen sollten. In diesem Sinne habe ich bereits einmal – wie am 14.04.2008 in diesem Blog berichtet – an die großartige Sendung mit der Maus geschrieben, deren unerschütterlicher Unterstützer und Anhänger ich im übrigen bin und bleibe –  habe der Maus geschrieben, sie, die Mausväter und Mausmütter, sollten Hochdeutsch sprechen, nicht Kölnische Umgangslautung. Denn unsere Vorschulkinder hier in Kreuzberg haben fast keine Berührung mit der Standardlautung des Deutschen. Und sie brauchen eine Sprache, die ihnen auch den Anschluss außerhalb der Ghettos ermöglicht.

In der Pflege unserer Sprachen sollten wir uns alle mehr Mühe geben. Ich meine: Die Pflege, das Erlernen der Sprachen sollte in unserem Denken und Handeln einen ähnlich hohen Rang einnehmen wie in der Goldenen Bulle Kaiser Karls. Da sind wir alle gefordert – vor allem die Eltern und alle erzieherischen Berufe, die Medien, aber auch die Politiker. Warum nicht Redewettbewerbe für künftige Politiker veranstalten? Immmer wieder lese ich gerne die alten griechischen, lateinischen und englischen Redner – Demosthenes, Cicero, Lincoln … und neuerdings Obama. Das sind große Meister des gesprochenen Wortes, an ihnen sollten wir in Deutschland uns schulen.

Das sind die Vorbilder, deren wir so dringend bedürfen. Ich bin zutiefst überzeugt: Auch unsere schöne deutsche Sprache eignet sich dafür, gute, klar gegliederte, Herz und Kopf gleichermaßen ansprechende Reden zu halten.

Ich befürworte deshalb, dass die Pflege der Sprachen einen noch stärkeren Platz in der einschlägigen Gesetzgebung der Länder und des Bundes einnimmt. Ich finde, es wird in der Unterrichtung der Sprachen, gerade in unseren Schulen,  zu viel Theorie vermittelt – es wird zu wenig gespielt, zu wenig um die gute treffende Formulierung gerungen, zu wenig dargestellt und zu wenig geredet. Es werden zu wenige Gedichte gelesen und gelernt. Statt dessen spricht man lieber über Theorie der Kommunikation.

Sollten Demokratien sich eine Landessprache in die Verfassung schreiben? Ich meine – sie können es, sie müssen es nicht, es kann auch schaden oder überflüssig sein. Gut ist es da, wo klare Mehrsprachigkeit gewünscht wird, wie in Belgien oder der Schweiz. Die USA haben wohlweislich darauf verzichtet. Denn es war zunächst nicht klar, welche Sprache den Vorrang erhalten würde. Zu einer gewissen Zeit im 18. Jahrhundert stellten die Deutschstämmigen sogar die größte Volksgruppe in Pennsylvanien dar, und es wurde ernsthaft diskutiert, ob Deutsch in jenem Bundesstaat als Amtssprache zugelassen werden sollte. Und sogar heute bezeichnen sich die meisten US-Amerikaner ihrer entfernteren Herkunft nach als „deutschstämmig“. Ihre Vorfahren sind also irgendwann aus deutschen Ländern eingewandert, so wie beispielsweise die Türken, Araber oder Russen im vergangenen Jahrhundert in großer Zahl nach Deutschland gekommen sind, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen.

Gibt es eine offizielle Landessprachenregelung in den USA? Nein, letztlich überwog die Weisheit der Gründerväter. Man ließ die Frage offen, schrieb bis heute nichts zur Landessprache in die Verfassung hinein. Das Englische setzte sich durch – aus Gründen, die nicht rechtlicher, sondern praktischer Art waren. Das Englische war die am meisten verwendete Sprache. Es herrschte auch bei den deutschen Einwanderern der Wille vor, sich rasch zu integrieren. Und dafür war das Englische nach und nach zur unerlässlichen Voraussetzung geworden, außer bei einigen hartnäckigen Integrationsverweigerern, die lieber in ihren geschlossenen Gemeinden verharrten, wie etwa den Amish.

Die Werte des Rechtsstaates und der Demokratie sind jedoch unabhängig von den einzelnen National- oder Landessprachen. Nicht unabhängig sind sie von Sprache überhaupt. Ein Recht, das nicht geäußert wird, das keine sprachliche Gestalt annimmt, besteht eigentlich nicht. Der mündige Bürger braucht immer die sprachlichen Mittel, um seinen An-Spruch durchzusetzen.

Nur wenn wir beständig unsere Sprachen mehren, schützen und schätzen, werden wir unser gemeinsames Ziel – den selbständigen freien Bürger im Rechtsstaat – stärken können. Aus der Vielfalt der Sprachen, der verschiedenen, sich wandelnden Sprachformen ergibt sich dann jener Sinn für das gemeinsame Wohl, in dem jede Sprache den ihr gemäßen Zu-Spruch findet.

Goldene Bulle Karls IV. 1356

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Nov. 022008
 

02112008003.jpg In den 80er Jahren forderten die Grünen die Trennung von Amt und Mandat. Das bedeutete: Wer ein Mandat in den öffentlichen Organen, etwa als Minister hatte, der sollte zugleich nicht auch ein Amt in der Partei innhaben dürfen. Und die Grünen setzten diese Trennung damals auch mit großer Härte gegen ihre Hoffnungsträger durch. Ich bezweifle, ob das immer sinnvoll war. Denn warum sollte jemand, die in der Partei genügend Sachkunde unter Beweis gestellt hatte, nicht zugleich auch diese Sachkunde in das Amt einbringen?

Unerlässlich scheint mir hingegen die Trennung von Parteiamt und Parlamentsmandat in besonderen Krisenzeiten. Mandatsträger, die versagt haben, müssen von ihren Parteiämtern abwählbar sein. Sie dürfen sich nicht auf irgendwelche parteiinternen  Absprachen in Hinterzimmern berufen, sondern müssen sich vor den Mitgliedern der Partei verantworten. Wenn sie sich als unfähig herausgestellt haben, sollten sie entweder von sich aus den Politikerinberuf an den Nagel hängen, oder die beherzten Parteimitglieder sollten sie abwählen.

Dafür sind Mitgliederbefragungen sehr wichtig. Denn beim Delegiertenprinzip werden häufig Stimmen im Tauschgeschäft verpfändet: „Bringst du meine Kandidatin auf Platz eins, dann setz ich deinen Kandidaten auf Platz 2.“ Delegiertenstimmen werden als Blöcke hin und her gehandelt. Es bildet sich über die Jahre hin ein verschwiegenes Kartell, in dem Neuankömmlinge, frische Sachkunde oder gar echte politische Inhalte nur stören und bei Bedarf flugs wieder hinausbugsiert werden.

In der Welt am Sonntag wird heute erläutert, wie die Parteien nunmehr erneut in eine Lernkurve hineingetrieben werden. Wir erlauben uns, die Schlüsselwörter „lernen“ und „Organisation“ durch Fettdruck hervorzuheben. Denn der Begriff der „Lernenden Organisation“ steht am Ursprung von unserem Leitbild Lernende Volkspartei.

Unser Bild zeigt die Winterwelt am Potsdamer Platz am heutigen Tage. Man muss nur glauben, dass es ein Winter ist, und die Augen schließen …

Sie suchen die Basis als Retter in der Not – WELT am SONNTAG – WELT ONLINE

Die Berliner CDU nennt Stöss als ein Paradebeispiel für diesen Trend. „Die CDU hat besonders stark bemerkt, dass allein ein guter Spitzenkandidat und die Arbeit im Parlament nicht reichen“, sagt er. Die Leute würden kritischer, seien besser gebildet. Das habe auch der Absturz der CSU in Bayern gezeigt. Wenn sich der designierte neue CDU-Landeschef Frank Henkel und seine designierte Stellvertreterin Monika Grütters jetzt der Basis stellten, sei das Beleg für einen „verspäteten Lernprozess„, sagt der Politologe. „Organisationen lernen eben in der Krise.“Ob die Spitze der Berliner CDU aber tatsächlich schon die Hinwendung zur Basis vollzogen hat, bezweifeln Christdemokraten, die sich seit Langem dafür starkmachen, auch in Berlin wie in vielen westdeutschen Kreisverbänden das Mitgliederprinzip mit Entscheidungen in Vollversammlungen zur Regel zu machen. „Die Mitglieder dürfen nur mitreden, aber mitnichten mitentscheiden“, sagt Tamara Zieschang, stellvertretende CDU-Ortsvereinsvorsitzende aus Mitte, die eine Basis-Initiative für eine Mitgliederbefragung zur neuen Parteiführung startete.

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Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende?

 Altparteien, Antike, Friedrich Merz, Latein, Parteienwandel, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende?
Aug. 232008
 

Heute widmet 3sat der quicklebendigen Sprache Latein einen ganzen Sendetag. Bene, da wollen wir nicht hinterdreinhinken und unser Thema wieder aufgreifen: Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende? Mitglieder und Wähler laufen davon, wirtschaftspolitische Experten wie etwa Rainer Wend, Friedrich Merz, Matthias Wissmann, Hildegard Müller oder Rainer Göhner verlassen die politische Bühne, die Personaldecke ist dünn. Kann man sich auf Lateinisch einen Reim drauf machen?

Gab es denn im alten Rom schon Parteien? Ja, zwar war Rom keine parlamentarische Demokratie, aber sehr wohl gab es Parteien und Grüppchen zuhauf, Vetternwirtschaft und Ämterpatronage ebenso – alles Dinge, die in offenen Staatsformen jederzeit auftreten können. Es gab sogar im Ansatz eine Lehre von den Parteientypen – nämlich die Unterscheidung in die Volksparteien (populares), die Eliteparteien (optimates) und die Milieu- oder Klientelparteien (clientelae).

Was machte gute Politiker aus, die sich aus jenen Parteien rekrutierten? Cicero sagt: die Fähigkeit, über die eigenen Wähler- und Klientelgruppen hinauszureichen und das Gemeinwohl in den Blick zu nehmen. Er schreibt im ersten Buch von De officiis:

[85] Omnino qui rei publicae praefuturi sunt duo Platonis praecepta teneant: unum, ut utilitatem civium sic tueantur, ut quaecumque agunt, ad eam referant obliti commodorum suorum, alterum, ut totum corpus rei publicae curent, ne, dum partem aliquam tuentur, reliquas deserant. Ut enim tutela, sic procuratio rei publicae ad eorum utilitatem, qui commissi sunt, non ad eorum, quibus commissa est, gerenda est. Qui autem parti civium consulunt, partem neglegunt, rem perniciosissimam in civitatem inducunt, seditionem atque discordiam; ex quo evenit, ut alii populares, alii studiosi optimi cuiusque videantur, pauci universorum.

[86] Hinc apud Athenienses magnae discordiae, in nostra re publica non solum seditiones, sed etiam pestifera bella civilia; quae gravis et fortis civis et in re publica dignus principatu fugiet atque oderit tradetque se totum rei publicae neque opes aut potentiam consectabitur totamque eam sic tuebitur, ut omnibus consulat. Nec vero criminibus falsis in odium aut invidiam quemquam vocabit omninoque ita iustitiae honestatique adhaerescet, ut, dum ea conservet, quamvis graviter offendat mortemque oppetat potius, quam deserat illa, quae dixi.

Der Parteienzwist und Parteienhader wird also von Cicero nicht als friedliches Wetteifern empfunden, sondern als tödliches Gegeneinander in Bürgerkrieg und Meuchelmord. Nur jene können gute Staatenlenker genannt werden, die es verstehen, das politische Amt im Sinne aller ihrer Auftraggeber auszufüllen. Macht, die um ihrer selbst willen erstrebt wird, schlägt unheilvoll auf das Gemeinwohl durch. Mit dieser Verpflichtung auf das Gemeinwohl und der Geringschätzung einer bloß parteigebundenen Sichtweise hat diese vielgelesene Schrift Ciceros das Staatsdenken vieler Jahrhunderte beeinflusst und mit dazu beigetragen, dass Parteien vielfach nicht als Chance, sondern als Bedrohung empfunden werden. Diese tiefverwurzelten Vorurteile sollten die Parteien auch heute nicht ruhen lassen.

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Zimmer fällt durch, Ströbele wartet

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Juli 072008
 

Dem heutigen Tagesspiegel gebührt Dank, dass er die sonst vernachlässigten parteiinternen Nominierungen zur Bundestagswahl beleuchtet.

Zimmer fällt durch, Ströbele wartet

Denn die Benennungen der Kandidaten sind im Grunde viel spannender als die Wahlsonntage. Bis zu drei Viertel aller Bundestagssitze werden bereits über die parteiinternen Nominierungen mit statistischer Sicherheit vergeben, es sei denn, die Wähler entschieden sich am Wahltag zu erdrutschartigen Umschichtungen. Dann ist es nur die Hälfte der Bundestagssitze, die schon viele Monate vor der Bundestagswahl 2009 eigentlich vergeben ist. De facto haben wir nämlich ein Parteienmonopol auf die Vergabe der Bundestagssitze. Das Grundgesetz schreibt dies nicht vor.

Nirgendwo sonst als bei den Nominierungen haben die Parteimitglieder so viel Macht über die politische Zukunft unseres Landes. Und sie lassen sich erfahrungsgemäß da auch nicht in die Suppe spucken.

Ströbele hält sich bedeckt, sagt noch nicht, was er will. Ein kluger Schachzug! Er ist gesetzt, die anderen Parteien können nicht in aller Seelenruhe einen auf ihn passenden Gegenkandidaten aufbauen. Sie können derzeit auch seinen potentiellen Nachfolger bei den Grünen nicht angreifen. Mit jedem Fernsehinterview, das er gibt und bei dem er seinen roten Schal unabhängig von der Wetterlage in die Kamera hält, verstärkt er sein Image – Bekanntheit wird zum Selbstläufer: Ströbele ist unabhängig von der Großwetterlage! In den letzten Tagen hat er ja die grünen Bezirkspolitiker in seinem Wahlkreis mehrfach kritisiert – und auch das wird ihm letztlich zugute kommen. Er ist erkennbar, er hat Kante. Die Wähler wollen das.

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Der Ball ist im Spiel: Zwei Kandidaten sind nicht genug!

 Horst Köhler, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Der Ball ist im Spiel: Zwei Kandidaten sind nicht genug!
Mai 252008
 

bellevue_25052008.jpg Den nettesten Kommentar – neben vielen verteufelnd-aufgeregten – zur morgen anstehenden Nominierung von Gesine Schwan als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt liefert Gloria von Thurn und Taxis auf S. 2 in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sie war 2004 vom Bayerischen Landtag in die Bundesversammlung geschickt worden und hatte sich für die ihr persönlich bekannte Gesine Schwan entschieden.

„Sie ist wirklich eine sehr kluge und außerdem gutgelaunte Frau. Kluge Deutsche sind meistens schlecht gelaunt. Mir hat gefallen, dass es bei ihr anders war.“

Den Seiteneinsteiger Horst Köhler, der bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten kein einziges parteipolitisches Amt innegehabt hatte, fand sie offenbar nur den zweitbesten Kandidaten. Es gilt: Was die Fürstin nicht kennt, wählt sie nicht.

Die Selbständigkeit der Fürstin Gloria gefällt mir. Sie hat es hingenommen, dass sie seither zu keinem Empfang der bayrischen Staatsregierung eingeladen wird! Damit stellt sie genau jene Unabhängigkeit im Denken und Urteilen unter Beweis, die Horst Köhler wieder und wieder in seinem Amt praktiziert hat. Er lässt sich einfach nicht unter machtpolitische Kuratel stellen, ebensowenig wie seine Amtsvorgänger. Wie schreibt Köhler so schön in seinem Geleitwort der neuesten Ausgabe des Grundgesetzes bei der Bundeszentrale für politische Bildung:

„Das Grundgesetz garantiert uns aber nicht nur die Freiheit vor staatlichen Eingriffen. Es gibt uns in gleicher Weise die Freiheit und den Auftrag für ein Leben in Selbstständigkeit und Verantwortung. Die damit verbundenen Möglichkeiten und Chancen gilt es heute verstärkt zu ergreifen und zu nutzen.“

(Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe. Stand: August 2006. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006, S.2)

Das sind Worte ins Ohr der Bundesversammlung! Bitte recht schön: Ergreift sie und nutzt sie! Oft wird der Parteiendemokratie vorgeworfen, dass zu viel in internen Besprechungen ausgekungelt werde, dass Ämter und Posten verschachert würden, darunter auch das Amt des Bundespräsidenten. Es ist aufschlussreich heute noch einmal nachzulesen, was Gerd Langguth in seiner Merkel-Biographie (Neuausgabe 2007, S. 261-266) über die Wahl Horst Köhlers schreibt. Langguth zitiert Roland Koch: – „Das Verfahren ist sehr chaotisch“ – und die Süddeutsche: „Falschheit, List und Betrügereien, … eine unwürdige und zynische Veranstaltung“. Der Autor Langguth selbst spricht von „Präsidentenpoker“.

Es ist klar: Die Wahl des Bundespräsidenten gilt leider vielfach als Indikator für die Macht oder Ohnmacht des amtierenden Kanzlers. Das neue Buch von

Hans Herbert von Arnim: Die Deutschlandakte. Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun, erschienen 2008 in München bei C. Bertelsmann

fordert deswegen die Direktwahl des Bundespräsidenten. Er schreibt auf S. 210:

„Würde der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt, wie die Präsidenten von Weizsäcker und Köhler selbst vorgeschlagen haben, würde das seine demokratische Legitimation erhöhen und ihm die Ausschöpfung seiner Kompetenzen erleichtern, ohne dass Weimarer Gefahren zu befürchten wären. Er könnte dann bei Ernennung von Beamten Ämterpatronage wirkungsvoll eindämmen.“

Ich meine: Wenn es bei der nächsten Wahl des Bundespräsidenten zu einer echten Wahl zwischen zwei so unabhängigen, jeder parteipolitischen Vereinnahmung unverdächtigen Persönlichkeiten wie Horst Köhler und Gesine Schwan kommt, kann das dem Ansehen dieses höchsten Staatsamtes nur zugute kommen. Vorausgesetzt, die Parteien enthalten sich eines allzu ruppigen Hickhacks mit gegenseitigen Unterstellungen und Anklagen. Denn: Zur Wahl stellen kann sich „jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestage besitzt und das vierzigste Lebenjahr vollendet hat“ (Art. 54 GG). Zwei Kandidaten sind dann eigentlich noch zu wenige – wir bräuchten vier, sechs, acht Kandidatinnen und Kandidaten! Und dann bitte einen „kurzen, knackigen, doch stets kultivierten Wahlkampf“, wie ihn Regierungssprecher Thomas Steg heute auf S. 4 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fordert! Gewählt wird dann, wer am Wahltag in höchstens zwei Wahlgängen „die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung erhält“ oder – in einem dritten Wahlgang – „die meisten Stimmen auf sich vereinigt“ (Art. 54 GG). So einfach ist das! Querwähler und Querdenker, die sich den Weisungen der sie entsendenden Organe nicht beugen, sind wahrscheinlich erneut zu erwarten. Sie sollten uns gemeinen Bürgern höchst willkommen sein!

Fürstin Gloria: Ich würde Sie gerne einladen! Viva la libertà!

Unser Bild zeigt den Amtssitz des Bundespräsidenten, Schloss Bellevue, am heutigen Tage.

 Posted by at 23:30

„Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“

 Friedrich Merz, Horst Köhler, Staatlichkeit, Systemfrage  Kommentare deaktiviert für „Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“
Mai 192008
 

Was heißt eigentlich: „Die Systemfrage stellen„? Keine leichte Frage! Doch ich hatte gestern Glück- zufällig belauschte ich auf einer Modelleisenbahnausstellung einen Vater, der mit seinem etwa zwölfjährigen Sohn das folgende Gespräch führte:

„Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“

„Weißt du, lieber Sohn, ein System, das ist alles zusammen – z.B. Deine Modelleisenbahn, also Gleise, Loks, Wagen und Trafo, das alles zusammen ist ein System. Eine Lok kann kaputtgehen, dann müssen wir sie reparieren oder ersetzen. Die Lok kann veralten, dann muss eben eine neuere her. Wir ersetzen oder reparieren dann einen Teil des Systems, aber wir stellen nicht die Systemfrage. Wenn wir aber sagen: unser System, so wie es da ist, passt nicht mehr richtig, wir müssen zu einem anderen System, z.B. von HO zu NO, von Roco zu Märklin, oder von analog zu digital, dann stellen wir die Systemfrage.“

„Nein, Papa, das will ich nicht, ich will nur zwei oder drei Loks mehr, aber die alten behalten.“

„Gut, lieber Sohn, du stellst also die Systemfrage nicht, sondern willst im bestehenden System bleiben und dieses System wachsen lassen.“

„Ja, Papa! Aber wer stellt in der Politik die Systemfrage?“

„Einige! In jeder der großen Parteien gibt es einige, die sagen: wenn wir so weitermachen, geht das System kaputt. Dann fliegt uns der ganze Laden um die Ohren, wie das Kanzlerin Merkel kürzlich gesagt hat, weil einige Manager zuviel Geld in ihre Taschen gestopft haben. Daraus ziehen einige den Schluss: Wir müssen das System wechseln oder ändern. Die Finanzmärkte sind so ein System. Zum Beispiel hat unser Bundespräsident gesagt: Die Finanzmärkte, so wie sie sind, haben sich zu einem Monster entwickelt. Er meint: Wir müssen das System ändern. Der Bundespräsident Horst Köhler von der CDU ist also einer, der die Systemfrage stellt. Oder nimm Dieter Althaus aus Thüringen! Er sagt: Im Alter haben wir bald nicht genug Geld. Deshalb müssen wir das gesamte Rentensystem ändern. Der Ministerpräsident Althaus aus Thüringen von der CDU verlangt mit aller Entschiedenheit den Systemwechsel. Er stellt also nicht nur die Systemfrage, sondern er geht sogar noch einen Schritt weiter: Er verlangt den Systemwechsel. Friedrich Merz von der CDU hat ebenso die Systemfrage gestellt und auf seine Art beantwortet: er hat einen radikalen Wechsel im Steuersystem gefordert.“

„Das ist ja spannend, Papa! Gibt es denn in der CDU nur Politiker, die die Systemfrage stellen?“

„Nein, lieber Sohn, viele, auch in der CDU, sagen: Ein echter Systemwechsel – auch wenn er bei einigen Systemen sinnvoll wäre – ist derzeit nicht zu stemmen. Wir können nur Auswüchse bekämpfen, sozusagen einige Schienen neu verlegen, hier ein Tröpfchen Öl, da eine kleine Gleisausbesserung, damit das insgesamt gute System bestehen bleibt und weiter wachsen kann. Nur in der neuen Partei DIE LINKE gibt es ebenso viele oder vielleicht sogar mehr Menschen als in der CDU, die die Systemfrage stellen. Diese Menschen bei DER LINKEN und bei der CDU sagen: Vieles stimmt nicht in unserem Staat. Wir wollen einiges ändern. Hört mal zu, wir haben da einige Ideen! Bitte schreit nicht so wild durcheinander! Bitte lasst uns ausreden, und vielleicht gefällt euch ja der eine oder andere von unseren Vorschlägen!“

„Dann darf also jede und jeder die Systemfrage stellen?“

„So ist es, lieber Sohn. Die einzige Voraussetzung ist: Man muss die Gesetze einhalten und man darf einige Grundsätze unserer Verfassung nicht antasten. Zum Beispiel: Nur der Staat darf körperliche Gewalt anwenden. Niemand darf einen anderen Bürger hauen oder eine Bombe schmeißen, weil er anderer Meinung ist. Aber wenn man etwas Böses macht und die Gesetze bricht, dann kann man vor Gericht kommen und kriegt dort eine Strafe. Zum Beispiel gab es früher in Deutschland Terroristen. Die haben gar nicht die Systemfrage gestellt, ja, sie haben überhaupt keine Fragen gestellt, sondern einfach Menschen gefangengenommen und getötet, sie haben Bomben geschmissen. Das war sehr böse und sie kamen ins Gefängnis.“

„Aber die Systemfrage stellen, das ist doch nicht böse, Papa, oder?“

„Nein, es ist nicht böse, solange man sich an das Grundgesetz und an die Gesetze hält, wie die CDU und die LINKE das ja allesamt tun. Der Bundespräsident Köhler, der Ministerpräsident Althaus, der frühere Steuerexperte Merz, das sind alles gute Menschen. Niemand wird sie vor Gericht bringen oder durch den Geheimdienst überwachen lassen, nur weil sie die Systemfrage stellen und weil sie grundlegende Änderungen an unserem System verlangen, ebenso wie Teile der Partei DIE LINKE.“

„Dann bin ich ja beruhigt. Kaufst du mir jetzt eine neue Lok? Das ist doch billiger als ein kompletter Systemwechsel!“

„O Sohn, Deine Logik ist mal wieder unwiderstehlich. Also gut, – aber nur weil Sonntag ist. Bitte komm mir bloß nicht mit einem Systemwechsel!“

Ich fand dieses Gespräch sehr aufschlussreich. Schade, dass ich die beiden nicht mehr ansprechen konnte, denn sie waren sehr bald im Gedränge verschwunden. Ich hätte sie gerne darauf hingewiesen, dass dieses Blog unter dem Datum vom 25.11.2007 einen Bericht über Dieter Althaus enthält, der einen radikalen Systemwechsel fordert, aber dennoch nicht vom Verfassungsschutz überwacht wird.

Lesehinwies:

CDU vergleicht Linke mit der RAF. Der Tagesspiegel, 18.05.2008

 Posted by at 12:53
März 252008
 

Erneut stoße ich auf einige Aussagen zum Gegensatz zwischen dem alten Perserreich und dem „Rest der Welt“, aus europäischer Sicht also den griechischen Stadtstaaten. Gebräuchlich seit etwa 2.500 Jahren und bis in die neueste Zeit hinein weiterverwendet ist die Entgegensetzung: dort „orientalisches Großreich mit despotischer Willkürherrschaft“, hier „europäisch-westliches freies Gemeinwesen mit starker Bürgerbeteiligung“. Perikles, Aischylos, Herodot, das Buch Ester der Bibel – sie gehören zu den frühen Belegen für diese schroffe Behauptung eines unversöhnlichen West-Ost-Gegensatzes; die neueren Begründungen für Aktionen gegen die jeweiligen Machthaber im Mittleren Osten reihen sich nahtlos in diese Deutungskette ein. Dies gilt übrigens auch für die Protestaktionen gegen das „blutige Schah-Regime“, deren amtliche Niederprügelung ja am 2. Juni 1967 einer der Auslöser der Studentenbewegung wurden, aber es gilt auch für die jüngsten militärischen Unternehmungen gegen die Nachfolgerstaaten des antiken Persien, also insbesondere die heutigen Staaten Iran, Irak und Afghanistan. Aber auch gegenüber der heutigen Türkei werden immer wieder ähnliche Vorbehalte geäußert, die letztlich in einer Linie mit der Ablehnung der orientalischen Staatsformen überhaupt liegen. Der britische Historiker Anthony Pagden hat in seinem neuen Buch „Worlds at War: The 2,500-Year Struggle Between East and West“ ganz offenbar noch einmal dieses Deutungsmuster als Konstante der europäisch-asiatischen Geschichte aufgearbeitet und im wesentlichen als zutreffend verteidigt, jedenfalls laut Rezension im Economist, (March 22nd-28 2008, p.87-88):

„It is hardly a coincidence, he [i.e., Pagden] suggests, that ancient Athens found itself doing battle with the Persian tyranny of Xerxes, while the modern Western world faces a stand-off with the mullahs‘ Iran. In his view of history, these are simply related chapters in a single narrative: the contest between liberal and enlightened societies whose locus is Europe (or at least European culture) and different forms of Oriental theocracy and authoritarianism.

Even where the enlightened West did bad things, these were aberrations from a broadly virtuous trajectory; where the tyrannical east (from Darius to Osama bin Laden) committed sins, they were no better than anybody could expect—that is what Mr Pagden implies. He broadly accepts the argument of the al-Qaeda propagandists that today’s global jihad is a continuation of the civilisational stand-off which began in the early Middle Ages and which is doomed to rage on.“

Helfen solche Vereinfachungen, die immer noch das politische Handeln und das Selbstbild des Westens leiten, weiter? Eine Schwierigkeit liegt darin begründet, dass unser Geschichtsbild der orientalischen Großreiche fast ausnahmslos aus der Außensicht „vom Westen her“ gespeist ist. Wir besitzen schlechterdings keine ausgearbeitete Geschichtsschreibung aus dem Inneren des Perserreiches, ebensowenig wie aus dem alten Ägypten. Was nun das antike Persien angeht, das sich ja im 6. Jahrhundert v.d.Z. von der Donau bis an den Indus erstreckte, also das erste, von den Zeitgenossen viel bestaunte Weltreich überhaupt darstellte, so tut man ihm offensichtlich unrecht, wenn man es einzig und allein als despotische, ungeregelte Willkürherrschaft bezeichnet. Im Gegenteil: Unter Dareios (550-486 v.Chr.) wurde eine effiziente Verwaltung aufgebaut. Der Altertumswissenschaftler Philipp Meier schreibt:

„Galt Kyros als der Begründer, so war Dareios der Ordner des Reiches. Er hat das Riesenreich bis auf den letzten Weiler hin durchorganisiert. Das Ergebnis war eine Verwaltung, die selbst nach heutigen Maßstäben als vorbildlich gelten darf. Dareios war der fähigste Organisator der alten Welt. Von diesem Erbe zehrt der Iran noch heute.“

Weit schwerer als der Vorwurf mangelnder Organisation wiegt jedoch der ständige Vorwurf mangelnder Freiheit, den wir im Westen landauf landab hören und wiederholen. Die östlichen Großreiche – ob nun das antike Perserreich oder das spätere Osmanische Reich – werden aus dem Westen meist stereotyp als Bastionen der Unfreiheit, der gesetzlosen Willkür gesehen, in denen der Einzelne und die einzelne Volksgruppe nichts, der Wille des Mannes an der Spitze alles gelte. Doch auch hier sind erhebliche Korrekturen angebracht! Ich zitiere noch einmal Philipp Meier, der die bis heute allseits umjubelten Siege der Griechen über die Perser bei Salamis und Plataiai in den Jahren 480-479 v. Chr. wie folgt kommentiert:

„Ob das allerdings für die Griechen ein Glück war, mag bezweifelt werden. Denn während die Perser eine relativ liberale Herrschaft über ihre Provinzen ausübten, versuchte Athen, die übrigen hellenischen Territorien in beträchtlich radikalere Abhängigkeit zu zwingen, die binnen 100 Jahren zum totalen Bedeutungsverlust der Stadt führten. ‚Es steht fest, dass die Staatsgewalt der griechischen Stadtstaaten über ihre Bürger in gewisser Hinsicht die des [persischen] Großkönigs über seine Untertanen überstieg. So hatten beispielsweise die den persischen Monarchen unterworfenen ionischen Städte keine andere Verpflichtung, als einen mäßigen Tribut zu zahlen, der ihnen überdies häufig erlassen wurde, während sie sich im übrigen selbst regierten.‘ (Jouveuel, S. 172) Athen dagegen versuchte, die angestrebte, aber nie verwirklichte hellenische Einheit durch eine Tyrannis durchzusetzen, die die Wehrfähigkeit der Städte derart herabsetzte, dass sie Alexander von Makedonien mit nur wenig Gegenwehr in die Hände fielen.“

(zitiert aus: Philipp Meier: Das Perserreich. In: Aischylos. Die Perser. In neuer Übersetzung mit begleitenden Essays. Regensburg: Selbstverlag des Studententheaters 2005, S. 73-86, hier S. 78 und S. 86)

Was lernen wir daraus? Ich meine dreierlei: Zunächst, die festgeprägten Urteile des Westens über den angeblich so barbarischen, unfreien Osten haben sich seit 2500 Jahren als außerordentlich hartnäckig erwiesen. Sie entbehren zweitens jedoch oft einer sachlichen Begründung und lassen sich dann durch historische Forschung widerlegen oder zumindest einschränken. Als handlungsleitende Impulse für die Beziehungen zwischen den heute bestehenden Staaten sind sie schließlich nur mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen. Sie führen wie schon in der Vergangenheit so auch heute oft in die Irre. Das zeigt sich in dem weitgehend konzeptionslos anmutenden politischen Handeln der westlichen Staaten in den heutigen Staaten des Mittleren Ostens.

 Posted by at 13:46