Der vergessene Triumph des Nationalstaates in Europa

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Nov. 112010
 

Die Türkei verbot 1928 die arabische Schrift und schaffte den Pflichtunterricht für Arabisch und Persisch 1929 ab. Das war die Abschaffung der multikulturellen Gesellschaft zugunsten des Nationalstaates!

„Wir 40 Millionen Kurden sind das einzige große Volk, das keinen eigenen Staat besitzt!“, seufzte einmal ein kurdischer Bekannter.

Bei all den mehr oder minder bedeutsamen Reden und Artikeln über Europa wird meist komplett übersehen, dass 1990 neben der Sprengung der kommunistischen Diktaturen vor allem auch den fast uneingeschränkten Triumph des Nationalstaates bedeutete!

Zum ersten Mal in der europäischen Geschichte überhaupt haben wir seit 1990 fast ausschließlich als Nationalstaaten konziperte Republiken. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen europäischer Länder, die im Kern keine Nationalstaaten sind: a) Belgien, das stark gefährdet ist, b) Schweiz, die durch starke Subsidiarität der Kantone zusammenhält, c) Bosnien-Herzegowina, ein multinationaler Staat, der vor dem Zerfall stehen könnte, d) Zypern, ein binationales Gebilde unklaren Status‘, das erhebliche Risiken in sich birgt.

Alle anderen europäischen Staaten sind Nationalstaaten! Erst in den Nationalstaaten ist Europa zur Freiheit gelangt. Lettland ist der Staat der Letten, Polen ist der Staat der Polen, die Tschechische Republik ist das Land der Tschechen, Litauen ist der Staat der Litauer, Russland ist der Staat der Russen, Ukraine ist der Staat der Ukrainer, Portugal ist der Staat der Portugiesen, Italien ist der Staat der Italiener.

Und Deutschland? Die Lage ist offen! Hier in Kreuzberg wird sicher kaum jemand diesen Satz unterschreiben, wonach Deutschland der Staat der Deutschen sei. Die wachsende türkische Gemeinde, die wachsende russische Gemeinde, die sehen sich sicherlich nicht als Deutsche, sondern als Russen in Deutschland, als Türken in Deutschland. Das türkische Sonderbewusstsein ist stark, wird stärker, Deutsche wollen die meisten nicht werden. Wieso sollten sie?

Ich persönlich sehe Deutschland ebenfalls als den Staat der Deutschen. Alle Bürger, die dauerhaft hier leben wollen oder dauerhaft hier leben, sollten sich als deutsche Staatsbürger sehen können.

Wer sich als Türke und nicht als Deutscher sieht, der wird sich früher oder später zurück in den Staat der Türken sehnen.  Und in der Tat: Sobald sich eine wirtschaftliche Perspektive jenseits der Sozialhilfe eröffnet, verlassen viel gut ausgebildete, erfolgreiche Türken Deutschland, um im Nationalstaat der Türken etwas aufzubauen. Ich halte dies für bedauerlich, dass gerade die gut Ausgebildeten uns verlassen. Aber nicht notwendigerweise sind wir Deutschen selbst daran schuld.

Die Türkei ist doch ein herrliches, großartiges Land, das jetzt einen Boom erlebt! Es gibt keine Blockadehaltung der Bürger bei allen Großprojekten, die Türken sind ehrgeizig, stolz, sie haben Gemeinschaftsgefühl und Arbeitsethos. Das Problem war eben über Jahrzehnte der vernachlässigte Osten, aber nach und nach wird er auf die Beine kommen – ohne Sozialhilfe, die es in der Türkei ohnehin nicht gibt.

Wie bilden sich Nationalstaaten? Verbote und Zwang, Gewalt und Vertreibung, wie dies die europäischen Staaten ab 1919 und die Türkei ab 1921 praktiziert haben, sind der falsche Weg, um Nationalstaaten zu gründen.

Der richtige Weg ist es, sich anzustrengen, die Fesseln der nationalen Herkunft zu lösen und einen eigenen Beitrag zur Gesellschaft der Freien und Gleichen zu leisten.

Und die Kurden? Die Kurdenfrage ist offen. Wenn sie begrenzte Autonomie oder gar einen eigenen Nationalstaat fordern, wird man ihnen das nicht auf Dauer verweigern können.

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Juli 202010
 

Ein harter Brocken, was hier in der Überschrift steht! Dennoch gefällt mir dieser philosophisch-theologische Brocken. Immer wenn ich, der sehr schwach praktizierende, der sehr schlechte Knecht des Christentums mit Muslimen spreche oder mit ihnen bildhaft gesprochen zusammenrumple, wird mir das sofort klar, ebenso auch beim Studium der Hadithe, des Talmud oder der paulinischen Briefe.

Mehr oder minder zufällig finde ich daneben immer wieder Bundesgenossen in dieser Sicht, so etwa seit Jahren in Jacques Attali, oder neuerdings (?) auch in Angelika Neuwirth.

Angelika Neuwirth (FU Berlin) hat sich nämlich aufsehenerregend bei der Tagung „Beyond tradition“ in Münster hervorgetan.  Thema „Aufgeklärte islamische Theologie möglich in Deutschland?“ (FAZ, 16.07.2010, S. 34). Sie sagt,

der Koran sei sowohl in seiner überlieferten Textform als auch in seiner mündlichen Vorform vor allem als „europäisches Vermächtnis, als Auslegung und Neuformulierung bereits bekannter biblischer und nachbiblischer Traditionen zu betrachten. Inhaltlich handle es sich um eine ergebnisoffene Mitschrift von Diskussionen zwischen dem Propheten Mohammed und seinen Hörern. Es gelte demnach, den Koran als europäischen Grundtext in die (westliche) Spätantike-Vorstellung aufzunehmen.

Wow! Das entspricht genau meinem Empfinden, das entspricht genau meinem bildungspolitischen Programm für Berlins Grundschüler. Koran ist also Bestandteil der europäischen Überlieferung ebenso wie frühchristliche Literatur, da sowohl Christentum wie später Islam aus der
Verschmelzung von „Jerusalem“ und „Athen“ hervorgehen.

Welch ungeheure Chance böte sich den Berliner Grundschulen, wenn sie altgriechische, jüdische, islamische und christliche Geschichten in ihren Lesestoff aufnähmen! Ulysses meets Mohammed. THAT is IT. Sie, die Berliner Stadtgesellschaft, erwürbe sich nahezu ewigen Ruhm, wenn sie die unselige Spaltung zwischen muslimischen und nichtmuslimischen („christlichen“) Kindern überwände.

Aber sie tut es nicht. Sie scheut die Grundtexte der europäischen Überlieferung wie der Teufel das Weihwasser.

Koran kann gelesen werden wie die Vorlesungsmitschriften etwa des Aristoteles. Und in der Tat gab es im 11. bis 12. Jahrhundert eine Hochblüte arabischer Gelehrsamkeit, die genau das versuchte – die Synthese koranischen und aristotelischen Wissens.

Spannend, spannend … aber noch nicht Allgemeingut.

Bild: Sowjetisches Ehrenmal für den „Ewigen Ruhm“ in russischer Sprache, Ort: Erkner, Neu-Zittauer Straße.

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Gehört die Türkei zu Europas Kultur?

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März 022010
 

„Eis ten polin“ – von dieser griechischen Kurzformel leitet sich der moderne Name des heutigen Istanbul her – einer grandiosen Geburtsstätte dessen, was heute das ganze Europa ausmacht. Man könnte diese Stadt eigentlich metaphorisch als „eis ten Europan“ benennen, denn sie steht genau an der Grenze zwischen dem östlichen und dem westlichen Europa. Als Byzantion (Byzanz) gegründet, wurde sie im 4. Jh. n. Chr. in Konstantinopel umbenannt. Von da aus empfingen die östlichen Völker das Evangelium in griechischer Sprache – darunter alle ostslawischen Völker. Kleinasien war im 1. Jahrhundert eine der Gründungsstätten des Christentums. Die Türkei birgt den Mutterboden für die europäische Leitreligion.

Die Osmanen bevorzugten die griechische Stadtbezeichnung Konstantiye oder auch Istanbul. Auf diese und andere Zusammenhänge machte kürzlich der studierte Historiker Christan Dettmering auf dem berühmten Glashaus-Stammtisch aufmerksam.  Ohnehin sprachen große Teile der türkischen Macht- und Verwaltungselite Griechisch – ja die meisten sprachen nicht nur die damalige Weltsprache Griechisch, sondern waren selbst Griechen. Und noch bei der Gründung der modernen Türkei waren 30% der Bevölkerung Christen, ganz überwiegend Griechen und Armenier.

Ich halte die Türkei für einen Mittler- und Brückenstaat, der kulturell gesehen teilweise zum östlichen Europa gehört, wie etwa auch Griechenland, Bulgarien, Bosnien-Herzegowina, zu einem Teil aber auch zur Gemeinschaft des islamischen Kulturkreises, der vom Maghreb bis nach Indonesien reicht.

Kulturell gesehen gehört also Kleinasien, die heutige Türkei, zum östlichen Teil Europas wie etwa Griechenland und Bulgarien.  Auch wenn die 1982 verhängte, noch heute geltende Verfassung von der „ewigen unteilbaren Existenz des türkischen Volkes“ ausgeht, tun wir Europäer gut daran, die Türken nicht vor den Kopf zu stoßen: Die Osmanen mischten in der europäischen Geschichte kräftig mit,  sie waren ein Teil von ihr, ja über mehrere Jahrhunderte hinweg beherrschten sie weite Teile des östlichen Europa, darunter den ganzen Balkan. Und sie stellten sich bewusst als Nachfolger des antiken Ostrom dar. Die bosnischen Muslime sind eine seit Jahrhunderten bestehende „autochthone“ islamische Gemeinde – mitten in Europa.

Und die Nachfolger der Osmanen, das sind die Jungtürken. Sie haben einen an europäischen Staatsmodellen ausgerichteten Überbau geschaffen. Ihr Vorbild waren die damaligen, autoritär geführten Nationalstaaten des westlichen Europa, also etwa Frankreich oder auch Deutschland.

Vor jeder Überheblichkeit gegenüber „Ostrom“, also Istambul oder auch Moskau, sollten wir Spätlinge uns hüten. Vielleicht hilft dabei ein Besuch der folgenden Ausstellung:

Byzanz – Die Supermacht, die Europa vor den Arabern rettete – Kultur – Berliner Morgenpost
Byzanz, so der überwältigende Tenor, war eine Großmacht mit einer Zivilisation, der das abendländische Mittelalter das Wasser nicht reichen konnte. Ein Staat, der, rechnet man nur von der definitiven Reichsteilung nach dem Tod von Theodosius dem Großen 395 bis zum ersten Fall 1204, länger Bestand hatte, als die Neuzeit währt. Vor allem aber hätte das Abendland ohne den oströmischen Schutzschirm kaum die Chance gehabt, einmal zur Geburtstätte von Renaissance, Aufklärung und Weltherrschaft zu werden.

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Dez. 212009
 

 Kein anderer deutscher Politiker liefert so brillante Analysen zum politischen  Tagesgeschäft, kein anderer deutscher Politiker kann den Funktionswandel des politischen Systems seit den Jahren 1989/90 so unbestechlich erklären wie Wolfgang Schäuble. Ich erinnere mich an einige seiner SPIEGEL- und ZEIT-Beiträge. Jeder von ihnen hat mir eine Einsicht geliefert, die ich so oder so ähnlich schon dunkel geahnt hatte – aber eben nicht die Kraft, nicht die Erfahrung hatte, sie auch auszusprechen. Ob man Schäubles Einschätzungen der Lage immer zustimmt, bleibe dahingestellt – aber in seinen hinter die Fassade dringenden, meta-politischen Aussagen halte ich ihn für unübertroffen unter den deutschen Politikern.

Um so überraschter war ich am vergangenen Donnerstag, ihn bei der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa in sehr aufgeräumt-erzählerischer, zwangloser, persönlicher Haltung zu erleben. Thema war erneut: Das Doppelgedächtnis der „alten“ und „neuen“ EU-Staaten. Zsuzsa Breier hob zu Beginn hervor, wie weit wir noch von einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur entfernt seien. Dazu sei noch sehr viel mehr Erzählen und Benennen nötig. Viel zu wenig werde von den Verbrechen der Kommunisten geredet. Mart Laar, der ehemalige estnische Ministerpräsident, arbeitete in klaren, unzweideutigen Worten heraus, welchen Weg Estland und die ehemaligen Ostblockstaaten insgesamt gegangen seien: weg aus der Unterjochung durch das Zwangssystem des Kommunismus, hin zu Selbstbestimmung, schmerzhaften Reformen, mühsamen Aufbauprozessen.

Schäuble fand von Anfang an einen sehr persönlichen Ton. Ich sah, mit welcher Aufmerksamkeit er durch seinen frei schweifenden Blick das Publikum zu „lesen“ versuchte! Immer wieder richtete er auch das Wort direkt an uns Zuhörer. Etwa als er sich klar für das repräsentative und gegen das direkte Modell der Demokratie aussprach: „Machen Sie nicht den Fehler, Volksabstimmungen einzuführen! Sonst kommt so ein Blödsinn heraus wie das Schweizer Minarettbauverbot.“ Es gelte vielmehr, mühselige Einsichten „von oben herab“  durch „nachholende Zustimmung“ in politisches Handeln umzusetzen. Schäuble verwies zu recht darauf, dass die Generation „Adenauer und seine Mitstreiter“ viele grundlegende Weichenstellungen durchsetzten, die zweifellos bei direkten Volksabstimmungen damals durchgefallen wären. Regierungskunst ist eben auch, das für richtig Erkannte zu tun, auch wenn die Mehrheiten erst nachher zustande kommen.

Zwei Mal kam Schäuble zu der Feststellung: „So sind wir.“ So sind wir – wir werden die Freiheit dem Zwang vorziehen. Und wir werden den größeren Wohlstand dem freiwilligen oder erzwungenen Verzicht und der Mangelwirtschaft vorziehen.Wir können Politik nur mit den Menschen machen, wie „wir“ (nicht „sie“) eben sind.

„So sind wir.“ Dieser eine Satz hat mich am meisten beeindruckt! Hier wurde nicht von komplizierten Systemen oder Funktionen, vom „christlichen Menschenbild“ oder ähnlichem doziert. Hier sprach einer, der sich ausdrücklich einbezog. Der sich selbst für fehlbar, unvollkommen und beschränkt ausgab und ausdrücklich auf eine Stufe mit seinen Wählern stellte.

Den Vorwurf, es werde zu wenig von den Verbrechen der Kommunisten gesprochen, parierte Schäuble mit folgendem Hinweis: „Mir hat mein Freund Ignatz Bubis erzählt, wie lange es dauerte, bis seine Verwandte über die Schrecken des KZ zu reden anfing. Es dauerte bis in die 80er Jahre.“ Schäubles Botschaft war: Man sollte nicht zu viel in den Schrecken der Vergangenheit wühlen, sondern beherzt und entschlossen die großen Aufgaben der Zukunft anpacken, etwa die Festigung und Vertiefung der Europäischen Union. Hier sei er keineswegs mit dem Erreichten zufrieden. Die einseitig verfolgte Idee des Nationalstaates habe sich überlebt. Der Nationalstaat bedürfe der Überwölbung durch Europa – aber auch der Stärkung der untergeordneten, der regionalen und lokalen Ebenen. Hier klang das Subsidiaritätsprinzip durch, das – so Schäuble – leider nicht durchgängig genug beachtet werde.

„Wenn es eine umfirmierte NSDAP gegeben hätte, wenn sie nach 1945 nicht verboten worden wäre, dann hätten die Nazis ähnlich hohe Stimmengewinne erzielt wie die umbenannte SED nach 1990.“  Diese mutige Aussage bekräftigte Schäuble noch einmal, als ein Zuhörer energisch den Kopf schüttelte. Geschäft der Demokratie sei es, das gesamte Spektrum der Meinungen zuzulassen und durch unablässiges Werben und Kämpfen für die als richtig erkannte Sache einzutreten. Gerade in diesen Passagen wurde deutlich, dass dem politischen Menschen Wolfgang Schäuble jeder eifernde, jeder rechthaberische Zug fehlt. Ich meine: Zwischen dieser klug abwägenden, um die Verführbarkeit des Menschen wissenden Weltsicht und dem, was man als stumm leidendes Mitglied etwa auf Versammlungen der Berliner CDU um die Ohren gewatscht bekommt, liegen wahrhaftig Welten.

Einbeziehung, Ausgleich, klare Friedenspolitik – unter diesen Grundworten ließen sich weitere Anmerkungen zusammenfassen. Einer privilegierten bilateralen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland, wie sie bis 2005 gepflegt wurde, erteilte Schäuble deshalb eine klare Absage: „Wir dürfen als Deutsche keine Russlandpolitik machen ohne unsere europäischen Partner einzubeziehen.“

Mein persönliches Fazit des Abends lautet: Mart Laar und Wolfgang Schäuble teilen wesentliche Grundeinsichten.  Sie gehen davon aus, dass die Politik eines freien Europa aktiv-vorwärtsblickend sein muss, im Bewusstsein der zum Glück überwundenen Spaltung Europas klare Ziele verfolgen muss, ohne die Gräben der Vergangenheit durch gefährliches Verschweigen oder nicht zielführendes Darin-herum-Wühlen künstlich offenzuhalten.

Ich fasse also den gesamten Abend so in zwei Worten zusammen: „Wer nicht gegen uns ist, der sei für uns! Wer noch nicht für uns ist, dem reichen wir die Hand hin!“

Die Kraft der Freiheit wird stärker sein als die Knechtschaft eines Systems. Der politische und wirtschaftliche Erfolg des Europäischen Projekts wird stärker sein als das Spaltungsdenken. Und die Idee der Eigenverantwortung wird dem übermäßigen Machtanspruch der Systeme und Bürokratien in jederlei Gestalt widerstehen müssen.

Dem kann ich nur zustimmen. Denn: So sind wir.

Unser Foto zeigt von links nach rechts:  Wolfgang Schäuble, Mart Laar, Moderator Konstantin von Hammerstein

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Aug. 272009
 

Na bitte! Das ist Wasser auf meine Mühlen! Nicht nur den Germanozentrismus – also die Haltung, wonach der 2. Weltkrieg der „Krieg der Deutschen“ (wie der SPIEGEL fabuliert) gegen den Rest der Welt gewesen sei, gilt es zu überwinden, sondern auch den Eurozentrismus. Der Skandal um die Zensur in der Werkstatt der Kulturen belegt, wie viel an Aufklärung noch zu leisten ist. Es gab nicht nur in allen wichtigen Regionen der Welt überzeugte Waffenbrüder und Kollaborateure der Nationalsozialisten, sondern es gab auch ganze Staaten und Länder, die auf Seiten der deutschen Nationalsozialisten und der italienischen Faschisten gegen die Bolschewisten, die Kapitalisten und die Kommunisten und ferner gegen die angebliche „jüdische Weltverschwörung“ kämpften oder besser zu kämpfen glaubten.

Selbstverständlich lebt die Mär von der „jüdischen Weltverschwörung“ in der arabischen Welt bis zum heutigen Tage ungemindert weiter, sie dient weiterhin als Rechtfertigungsgrund für Terrorattacken wie etwa die vom 11. September 2001.

Applaus für das Kölner Journalistenbüro Recherche International, das heiße Eisen mutig anpackt! So konnten sie unter anderem nachweisen, dass die deutschen Islamwissenschaftler und die deutschen Lateinamerikanisten über Jahrzehnte hinweg mit unbequemen Wahrheiten über die Unterstützung deutscher Nationalsozialisten durch hochgestellte Kreise in der arabischen und südamerikanischen Welt nichts zu tun haben wollten.

Die Presseerklärung des Veranstalters der verdrängten Ausstellung empfehle ich nachdrücklich eurer Aufmerksamkeit:

Ausstellungsort verlegt – Presseerklärung vom 24.8.2009
Vom 1. bis 30. September sollte die Ausstellung «Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg» in der Werkstatt der Kulturen in Berlin-Neukölln ihre Premiere erleben, bevor sie bis Ende 2011 durch zahlreiche weitere Städte touren wird. Als Tag der Eröffnung wurde bewusst der 1. September gewählt, der 70. Jahrestag des Kriegsbeginns in Europa (!), um der gängigen eurozentristischen Sichtweise auf den Zweiten Weltkrieg eine globale Perspektive entgegen zu setzen.

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Systeme auf der Anklagebank

 1968, Georgien, Vertreibungen, Verwöhnt, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Systeme auf der Anklagebank
Mai 182009
 

Dieses Bild zeigt den den hier schreibenden Blogger beim Lesen der Mainpost vom 24. November 1945. Auf der Domstraße gerate ich ins Plaudern mit den Betreibern des Straßencafés, spreche sie türkisch an. „Woher in der Türkei kommen Sie?“ „Wir sind Kurden!“ „Aha!“ Ich denke: Aber Türkisch sprechen sie doch alle, auch die vielen Nicht-Türken in der Türkei. Das Kurdische wurde ja über Jahrzehnte hinweg verboten und verdammt. Gut aber, dass in der Türkei allmählich kurdische Sender, kurdische Veröffentlichungen zugelassen werden! Deutschland mit seiner seit 40 Jahren erscheinenden Hürriyet gilt mittlerweile sogar als Vorbild für gelingende Minderheitenpresse.

Einen halben Sonntag verbrachte ich nach einem beruflichen Einsatz schlendernd, bummelnd, plaudernd in Würzburg. In der Residenz schließe ich mich einer deutschsprachigen Führung an, die gerade die Fresken des Gian Battista Tiepolo betrachtet. „Sehen Sie dort – das ist der Kontinent Asien. Asien wurde als Mutter der Kultur, als Wiege der Zivilisation und der christlichen Religion verehrt: deshalb sehen Sie die Gesetzestafeln des Mose, Sie sehen die erste Schrift der Menschheit, wofür man damals das Georgische hielt. Und Sie sehen die Schädelstätte Golgatha. All das verband man damals mit Asien.“ Ich vernahm’s – und staunte, dass ein Gedanke, den ich erst vor zwei Tagen erneut in diesem Blog ausgeführt hatte, mir nun großmächtig in den riesig ausgespannten Deckengemälden eines deutschen Fürstbischofs entgegentritt. Ich ziehe daraus den Schluss: Bis ins 18. Jahrhundert hinein herrschte offenbar Konsens, dass die Kulturgeschichte von Ost nach West geht. Ex oriente lux, der Weltgeist schreitet vom Aufgang zum Untergang der Sonne: die wichtigsten Errungenschaften der höheren Bildung – die Weinrebe, die Schrift, die Poesie und ebenso auch die drei morgenländischen Religionen Judentum, Christentum und Islam – sie sind alle Gewächse Asias. Offenbar wurde dieses Wissen erst im Zeitalter des Kolonialismus endgültig verdrängt. Heute wähnen etwa die meisten Europäer, die Werte des Christentums seien ursprünglich europäische Werte – was für ein Irrtum!

Eine fragende, lehrende, ergebnisoffene Demokratie brachten die USA ab 1945 nach Bayern! Can Capitalism Survive? Ein General lud 1948 ein und machte sich Gedanken darüber, ob der Kapitalismus noch eine Chance habe! Sehenswerte Ausstellung  über Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in der Würzburger Residenz. Anhand von Schautafeln, Dingen des Gebrauchs, anhand nachgestellter Szenen gelingt es, sich in die Nachkriegszeit hineinzuversetzen. Wir, die Jahrgänge ab etwa 1955,  haben ein schlüsselfertiges Land zum Geschenk erhalten, unsere Mütter und Väter rappelten sich nach gigantischen Verirrungen und Verbrechen aus Staub, Schutt und Asche auf. Ihnen gelang eine bewundernswerte Leistung. Unser Land steht heute dank ihres Zupackens besser da denn je, ganze Generationen von Kindern (darunter auch die meine) in der Bundesrepublik Deutschland haben seit 1949 bis heute keinerlei schlimme Sorgen und Nöte erlebt: keinen Hunger, keine Obdachlosigkeit, keine Zerstörungen, keine Massenmorde, keine rassische oder politische Verfolgung, keinen Krieg.

Es gab für mich und meinesgleichen keinen ernsthaften Grund, sich gegen diese neu entstandene Bundesrepublik aufzulehnen. Ich habe manchmal daran gelitten, dass der Generation der Mütter und Väter offenbar fast alles gelungen war: den Krieg hatten sie als Kinder oder Jugendliche erlebt, sie waren hineingerissen und verführt worden, und danach schafften sie den Neuanfang. Wir Kinder bekamen alles schlüsselfertig vorgesetzt. Damals trafen 12 Millionen Heimatlose und Vertriebene mittellos ein, und nach und nach fanden alle ein Unterkommen und sogar Wohlstand. „Die Integration von 12 Millionen Vertriebenen war eine große Leistung, die leider viel zu wenig gewürdigt wird“, hörte ich in den 80er Jahren als Kind meinen Vater, der selbst vertrieben worden war, oft sagen. Ich lauschte auch den gegnerischen Stimmen, die immer wieder die dunklen Machenschaften der deutschen Rüstungslobby mit den diktorischen Regimen in Südamerika und Südafrika oder die heuchlerische Sexualmoral der Kirchen geißelten. Wer hatte nun recht? War Deutschland ein durch und durch böses Land, wie es die Studenten der 68er-Bewegung zu behaupten schienen? Als halbwüchsiges Kind war ich hin- und hergerissen. Ein ganzes System – die BRD – saß wieder einmal auf der Anklagebank!

Erstaunlich bleibt, dass gerade unter diesen Umständen – als dies keinen Mut erforderte – eine so rabiat-radikale Opposition entstand, wie es sie eigentlich unterm Nationalsozialismus hätte geben müssen, aber eben damals nicht gab!

Heute muss ich sagen: Mein Vater hatte weitgehend recht in seinen Einschätzungen. Und Rudi Dutschke, an den in herrlich-augenzwinkernder Ironie sogar eine Straße in meinem Heimatbezirk erinnert, wozu nun ebenfalls keinerlei mehr Mut gehört, der hatte eben weitgehend unrecht in seinen Einschätzungen der Lage, ja, wenn man heute, im 40-jährigen Abstand die Schriften des SDS oder der K-Gruppen oder der RAF noch einmal liest, dann wird man sich fragen müssen: Woher diese Verblendung, dieser rabiate Dünkel, diese unglaubliche, hochgefährliche Verbarrikadierung in Welterklärungskäfigen? Glaubten die Menschen wirklich daran? Worum ging es da? Ich meine heute: Es ging eigentlich gar nicht um Politik, sondern um eine hochsymbolische Ablösung der Söhne von den Vätern. Die Politik war nur ein Spielfeld, ein Tummelplatz für nicht bewältigte intergenerationelle Schuldverstrickungen. Die Söhne setzten ein System, und das heißt ihre Väter, auf die Anklagebank.

Und wir? Unsere Gesellschaft, wir heute Erwachsenen haben es bisher nicht einmal geschafft, etwa 3 Millionen Türken so zu integrieren, dass wir wissen, dass sie wissen, woran wir sind. Dabei herrschen heute unvergleichlich bessere, materiell unvergleichlich reichere Ausgangsbedingungen als damals in der Nachkriegszeit. Es gäbe eigentlich genug Geld, um die Bildungsmisere in Berlin etwa rasch zu beenden.  Ich glaube, die Integration der zugewanderten Gruppen, die Schaffung eines neuen, gemeinsamen Selbstbildes, das ist die große Aufgabe, die vor uns liegt. Ich halte sie für nicht einmal halb so groß und halb so schwierig wie die Integration der 12 Millionen Vertriebenen nach dem Krieg, für nicht einmal halb so schwierig und nicht einmal halb  so groß wie den Wiederaufbau eines verwüsteten Landes.

Selbst hier stehen wir „Söhne und Töchter“ gegenüber den „Vätern und Müttern“ nicht so gut da: damals, in den 60-er Jahren, suchten die Studentenführer händeringend und steinewerfend nach irgendwelchen, an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen, und heute können die Väter, die jetzt schon längst Großväter sind oder gestorben sind, auf uns sehen und sagen: „Na, nun macht mal! Zeigt es uns! Messt eure Leistungen an dem, was wir damals geleistet haben!“

 Posted by at 20:19
Apr. 072009
 

Erneut hat Präsident Obama eine bewegende, seine Zuhörer begeisternde Rede gehalten, diesmal im türkischen Parlament. Ähnlich wie Angela Merkel in Deutschland, so ist Barack Obama weltweit all seinen Kommentatoren, Gegnern, aber auch seinen Unterstützern stets um ein bis zwei Gedankenzüge voraus. Obama versteht es meisterhaft, in seinen Reden das Richtige richtig zu sagen und das zu diesem Zeitpunkt Unstatthafte nicht zu sagen. Er hat zu recht ins Gedächtnis gerufen, dass die Türken seit mehreren Jahrhunderten Teil Europas sind, die europäische Geschichte mit beeinflusst haben, vor allem in all den Jahrhunderten, in denen weite Teile Südost-Europas unter ihrer Herrschaft standen, darunter Griechenland und der Balkan.

Völlig zu Recht hat er die Größe und Ehre der Türkei hervorgehoben, denn das wollen die Türken hören. Größe und Ehre kann man ohne Gefahr jedem Volk zusprechen. Es ist ein Akt der Höflichkeit und der politischen Klugheit, dies in dem Land zu tun, in dem man sich gerade aufhält. Obama hat ferner mehrfach unterstrichen, dass die Türkei eine Demokratie ist und auch bleiben soll. Man muss loben und preisen, was gut ist und gut sein soll – dann wird es auch so.

Völlig zu recht hat er es vermieden, die Massaker an den Armeniern 1915 erneut Völkermord zu nennen, wie er es oftmals in den USA getan hatte. In der Pressekonferenz danach hat er gesagt: „Meine Ansichten sind aktenkundig, meine Ansichten haben sich nicht geändert.“

Was hätte es gebracht, im türkischen Parlament diese Bezeichnung „genocide“ zu wiederholen? Es hätte all seine türkischen Zuhörer gegen ihn aufgebracht, sie hätten stumm Zeter und Mordio geschrien, ihre Mienen wären eisig geworden.  Allerdings hat er den armenisch-türkischen Konflikt in eine Reihe mit dem Völkermord der Kolonialisten an den Indianern in den USA gebracht, mit der Schande der Sklaverei und der Rassentrennung. Seine Botschaft war klar: „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Auch wir Amerikaner haben schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.“

Zum Thema EU-Beitritt ist ebenfalls zu sagen: Es liegt im strategischen Interesse der USA und der NATO, wenn der amerikanische Präsident den türkischen Beitritt zur EU unterstützt.  Auch hier hat der Präsident das Richtige gesagt, um die Herzen seiner Zuhörer für sich zu gewinnen.

Was meine ich selbst zu dem Thema? Nun, da ich ja hier in Kreuzberg unter Türken und Arabern lebe: Ich wünsche mir vor allem sehnlich, dass die Türken, die hier in Deutschland leben, unserem Staat, unserer Gesellschaft beitreten. Ihnen stehen alle Chancen offen. Aber sie nutzen sie nicht, sie haben es sich in ihrer großen Mehrheit in einer abgesonderten, staatlich alimentierten Privatexistenz behaglich eingerichtet. Sobald wir das geschafft haben, sobald die Türken in Deutschland und anderen europäischen Ländern sich am öffentlichen und politischen Leben beteiligen, wird sich auch eine realistische EU-Beitrittsperpektive der Türkei ergeben. Ich werde der erste sein, der sich später dann für einen EU-Beitritt einsetzen will. Ein EU-Beitritt müsste jedoch im Interesse sowohl der EU als auch der Türkei liegen. Zur Zeit kann ich mich nicht für einen EU-Beitritt der Türkei aussprechen.

Erst einmal müssen dafür die Deutsch-Türken, vor allem jene mit deutschem Pass, der Bundesrepublik Deutschland innerlich und äußerlich beitreten, müssen ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten wollen. Dazu müssen auch wir Deutsche etwas beisteuern, indem wir sagen: „Tretet uns bei! Wo seid ihr? Wir hören euch nicht.“

Wir brauchen hier einen echten Mentalitätswandel – mehr als Programme, mehr als Geld, mehr als Kongresse.

Ich verweise noch einmal auf den allerersten Beitrag in diesem Blog, wo ich erschüttert feststellen musste, dass bei einer öffentlichen Diskussion über den moslemischen Fundamentalismus kein einziger Moslem sich beteiligte – und das in einer Stadt, in der über 200.000 Moslems leben!

Link zur Rede und Ausschnitte:

 Barack Obama and Joe Biden: The Change We Need | Obama for America: President Obama in Turkey: „You cannot put out fire with flames“
Another issue that confronts all democracies as they move to the future is how we deal with the past. The United States is still working through some of our own darker periods in our history. Facing the Washington Monument that I spoke of is a memorial of Abraham Lincoln, the man who freed those who were enslaved even after Washington led our Revolution. Our country still struggles with the legacies of slavery and segregation, the past treatment of Native Americans.

Human endeavor is by its nature imperfect. History is often tragic, but unresolved, it can be a heavy weight. Each country must work through its past. And reckoning with the past can help us seize a better future. I know there’s strong views in this chamber about the terrible events of 1915. And while there’s been a good deal of commentary about my views, it’s really about how the Turkish and Armenian people deal with the past. And the best way forward for the Turkish and Armenian people is a process that works through the past in a way that is honest, open and constructive.

 Posted by at 18:02

Freiheit instandsetzen

 Antike, Deutschstunde, Freiheit, Griechisches, Seuchen, Vorbildlichkeit, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Freiheit instandsetzen
März 212009
 

„Frei, also höchst verletzbar . . . „ Ich empfehle das neue Buch Christian Meiers allen Gegenwartverdrossenen, allen Kleinmütigen und Verzagten. Man schlage es an beliebiger Stelle auf – und man wird sich festlesen, man wird vielleicht erst nach zwei oder drei Abschnitten auf den ersten griechischen Namen, auf die erste Jahreszahl stoßen und erstaunt den Kopf schütteln: „Ach so, eigentlich geht es um das alte Griechenland – ich dachte, es ginge um uns!“

Meier ist einer der ganz wenigen lebenden deutschen Prosaschriftsteller, die sich an antiken Vorbildern geschult haben: ich höre die harte Fügung eines Thukydides, eines Tacitus heraus – aber ebenso auch die Kunst der gegliederten Periode. Wie er, nach längerem Gedankenflug niedersetzend, das Gehörte und Gedachte in zwei oder drei Wörtern zusammenfasst – das nötigt mir höchste Bewundrung ab. Man höre doch bitte oder lese sich laut vor etwa die folgenden Sätze:

„Wie die mykenische Welt zum Einsturz kam, läßt sich nicht mehr ausmachen. Manches spricht dafür, daß auch sie – wie unter anderm das mächtige Reich der Hethiter – dem Sturm der sogenannten Seevölker erlag, der um 1200 v. Chr. über die Welt des östlichen Mittelmeers dahinfegte. Doch könnten Epidemien, Naturkatastrophen oder innere Konflikte zuvor schon die mykenischen Reiche erschüttert oder geschwächt haben. Vermutlich hing alles an der Herrenschicht, und die war schmal. Sie mag zuletzt ins Mark getroffen gewesen sein. Jedenfalls brach jene Welt so völlig zusammen, da ein Wiederaufbau schließlich nicht mehr in Frage kam. Große Teile des hochentwickelten Handwerks hörten auf, sogar die Schrift ging verloren, derer sich die Palastverwaltungen bedient hatten; man brauchte sie nicht mehr. Wo einst prächtige Burgen sich über das Land erhoben; wo Armeen von Streitwagen, Flotten und ein ausgeklügelter Küstenschutz Herrschaft und Sicherheit nach außen garantiert hatte; wo ein System von Straßen gebaut und unterhalten und Handel mit Hilfe von Niederlassungen in Kleinasien und Unteritalien gepflegt worden war, fraßen sich Zerstörung, Armut und Ungewißheit ein. Gefahren lähmten das Alltagsleben, die Wünsche wurden bescheiden. Der Ägäisraum lag brach.“

Kaum ein Buch scheint mir stärker in unsere Zeit hineingeschrieben zu sein als eben dieses, aus dem hier zitiert worden ist. Wie der Autor stets von neuem Anlauf nimmt, Bekanntes zusammentragend, neu ordnend, wie er den Scheinwerfer geschickt vom Anfang her rollend immer wieder über unsere Gegenwart huschen lässt, wie er uns dadurch weit besser einen Spiegel vorhält, als wenn er uns die Leviten mit starrem Blick aufs Jetzt läse: das alles ist meisterlich, das ist ergreifend, das stärkt! Trotz der Fragezeichen, trotz der deutlichen Skepsis, die Meier in Interviews zur heutigen politischen Lage äußert – ich für mein Teil fasse ihn als großen Ermuntrer und Bestärker auf. Deshalb setzen wir einen ganz anderen Ton an das Ende dieser Betrachtung: den Freiheits-Ton, der heute in Europens Blässe nur noch als dünnes Rinnsal zu vernehmen ist:

 „Von heute aus ist schwer einzuschätzen, was es bedeutet, ohne höhere Instanzen, ohne Scheuklappen, nicht nur jeder an seiner Stelle, sondern alle zusammen selbst für das Ganze verantwortlich zu sein, frei, also höchst verletzbar, also ringsum ihre Fühler ausstreckend, immer neue Fragen aufwerfend, um sich und die Welt gedanken- und kunstvoll stets neu auszuprobieren. Denn darin bestand doch das Problem für sie: Sie mußten ihre Freiheit instandsetzen, um unter komplexer werdenden Bedingungen allen Herausforderungen zu genügen.“

Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, München 2009, hier : S. 64 und S. 57-58

Das Foto zeigt einen Blick auf die Stadt Berlin, aufgenommen heute vom Gipfel des Teufelsberges aus

 Posted by at 21:48
Dez. 142008
 

Am vergangenen Mittwoch brachte ich nicht nur den Stier Ferdinand in die Staatliche Europaschule am Brandenburger Tor, sondern am Abend stand auch noch die Jahresmitgliederversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa in meinem Terminkalender.

Ich beteiligte mich daran mit einer längeren Wortmeldung. Und zwei Stunden vorher warf ich einige Gedanken zu Papier, die mich bei den mündlich vorgetragenen Überlegungen leiteten. Einen Teil der nachstehenden Gedanken trug ich am Mittwoch vor. Ich überlese das ganze heute noch einmal und beschließe, weiter „am Ball zu bleiben“. Hier sind ungefiltert und gewissermaßen ungekämmt die Gedanken, die mich am Mittwoch antrieben:

Vertrautheit unter den neuen und alten EU-Mitgliedern kann sich nicht vorrangig über die Schrecken der Totalitarismen herstellen. Wir Menschen sind so gemacht, dass wir nach einiger Zeit uns von den Schreckensbildern abwenden.

 

Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir viel weiter ausgreifen müssen, um auch nur im Ansatz den Blick in eine gemeinsame Zukunft innerhalb der EU wenden zu können. Insbesondere ist es das Zeitalter der europäischen Revolutionen und Reformen, also die Zeit von etwa 1770 bis 1848, welche in fast allen europäischen Ländern den Wurzelgrund für unseren heutigen Verfassungsstaat gelegt hat.

 

Für uns Deutsche wird eine stärkere Rückbesinnung auf Geist und Buchstaben des Grundgesetzes unerlässlich sein. Die USA pflegen mit Hingabe die Erinnerung an die Entstehung ihrer Verfassung. Deshalb „hält der Laden auch so gut zusammen“. Ein bewundernswertes Beispiel für diese ständige Rückbesinnung auf die Ursprünge der demokratischen Verfassung liefert der bekannte Verfassungsrechtler Barack Obama in seinem Werk „The Audacity of Hope – Hoffnung wagen“. So etwas täte auch uns in Deutschland, uns in Europa bitter not!

 

Aber nein! Weil wir so geschichtsvergessen sind, ist das große Vorhaben einer neuen europäischen Verfassung bisher so kläglich gescheitert.

Wir müssen einander mehr kleine Geschichten erzählen. Erst in einem zweiten Schritt wird man dann über die große Geschichte ein gemeinsames Verständnis herstellen können.

Es ist derzeit keine überzeugende Idee dessen im Umlauf, was Kultur in Europa sein könnte. Das beginnt schon bei der Abgrenzung dessen, was zu Europa im Sinn der Europäischen Union gehört.

Die kühne Gesamtschau verstellt allzu oft den Blick auf die kleinen störenden Details.

 

Nachdem das heutige Griechenland und Bulgarien als Vollmitglieder der EU anerkannt sind, wird man Russland aus kulturellen Gründen keinesfalls aus Europa im engeren Sinne ausschließen dürfen. In unserer Union können und müssen wir fragen: Was hält uns in Europa kulturell zusammen?

 

Allzu oft ist die Antwort auf diese Frage durch den starren Blick auf die Totalitarismen verstellt, als wären die Totalitarismen etwas von außen Aufgenötigtes, das die ursprüngliche Einheit Europas zerschnitten habe. Nach dem vorläufigen Ende der Spaltung Europas fällt es leicht, dieses Fremde nach außen zu projizieren: Russland ist derzeit der böse Bube, der so viel Unheil über das Europa der Opfer gebracht haben soll.

 

Dabei sind lange, erbitterte, blutige Spaltungen geradezu eins der Merkmale der europäischen Geschichte, beginnend vom Peloponnesischen Krieg über den Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg. Die Spaltung Europas im 20. Jahrhundert war mitnichten eine Ausnahme. Oft wird gesagt: „1990 kam endlich die unselige Spaltung Europas zu einem Ende, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann.“ Als habe sich damals, in den Jahren 1945-1949 ein bleierner Mantel des Totalitarismus über den Osten Europas gesenkt, der die Länder des Ostens aus der gesamteuropäischen Freiheitsgeschichte herausgeschnitten habe.  

 

Vergessen wird allerdings dabei, dass es in fast allen Ländern des ehemaligen Ostblocks Mitglieder der heimischen Eliten waren, die bereits vor 1945 Gewaltherrschaften und Unrechtsregime  errichteten. Es gab während der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts in fast allen Staaten Europas – außer in der Tschechoslowakei und Großbritannien – einen breiten antidemokratischen Konsens. Nirgendwo außer in der Tschechoslowakei und Großbritannien hatte sich vor 1939 eine echte parlamentarische Demokratie dauerhaft behaupten können.

 

Allein deshalb verbietet es sich für uns, die europäischen Totalitarismen als etwas Uneuropäisches von uns zu weisen.

 

Der angestrebte breite antitotalitäre Konsens wird nicht zustande kommen, wenn er nicht überwölbt und getragen wird von einem noch breiteren, tieferen pro-demokratischen Konsens.

 

Wir müssen das Gemeinsame stärken, die große europäische Kultur der drei vergangenen Jahrtausende. Dabei gilt es, über den Zaun der eigenen Nationalkultur zu schauen. Die Deutschen müssen Adam Mickiewicz genauso lesen wie sie Friedrich Schiller wieder entdecken sollten. Wir müssen anerkennen, dass Länder wie Ungarn oder Polen im 19. Jahrhundert für den Westen wesentliche Treiber der demokratischen Entwicklung waren. Der Blick auf das misslingende Europa der Vergangenheit alleine wird uns nicht zusammenhalten. Wir sollten das Gute betonen, das nunmehr erreicht ist – Freiheit, Rechtsstaat, demokratisches Gemeinwesen – und beständig die Zustimmung zu dem neuen Europa erhöhen, das zu glücken beginnt. Europa gelingt gemeinsam.

Unser Foto zeigt den Verfasser als undeutlichen Schatten, gewissermaßen in den Stiefeln der Unfreiheit, gebeugt über den Pfad der Visionäre, der sich über den Kreuzberger Mehringplatz erstreckt. Aufgenommen am heutigen Tage.

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„To kratos dolophonei“ – dies ist eine Reisewarnung für Europa!

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Dez. 102008
 

Piräus, Patras, Larissa, Trikala, Korinth, Rhodos – dies alles sind Städtenamen, bei denen mein Herz höher schlägt. Es sind Namen, die für die Geburt Europas stehen. In einem einzigartigen Zusammenklang von Mythos, Geschichte, Philosophie und Religion entstand im antiken Kleinasien und Griechenland das meiste von dem, was wir heute als Kern der Idee Europa betrachten.

Und heute – zerreißt es mir das Herz! Im Tagesspiegel steht:

Rebellion der Ratlosen
Das deutsche Auswärtige Amt hat bereits eine Reisewarnung für Griechenland herausgegeben. Denn nicht nur in Athen gibt es Unruhen. Piräus, Patras, Larissa, Trikala, Korinth, Chania, Rhodos – die Liste der Städte, in denen jugendliche Randalierer alles zerstören, was ihnen in den Weg kommt, wird täglich länger.

Ich kenne das moderne Griechenland nicht gut genug, um einen Kommentar zur Lage dort abzugeben. Aber eines kann man folgern: Wenn tausende Jugendliche plündernd durch die Straßen ziehen, handelt es sich nicht um gewöhnliche Kriminelle. Es muss sich darin eine ungeheure Wut ausdrücken, ein völliges Auseinanderfallen von Staat und junger Generation. Diese jungen Menschen schreien es mit Leibeskäften heraus:  „Dies ist nicht unser Staat, dies ist nicht unsere Ordnung!“ To kratos dolophonei – lese ich auf einem Banner, das aus der griechischen Botschaft in Berlin hängt. „Die Macht tötet heimtückisch.“

Wohl aber kenne ich ein wenig die Bewusstseinslage in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Eine im ZDF bekanntgegebene Umfrage vor einer Woche brachte ans Licht, was ich leider schon dumpf ahnte: Die Mehrheit der Deutschen sowohl im „Osten“ wie im „Westen“ findet, es sei ihnen vor der Wiedervereinigung besser gegangen. Wie würden die deutschen Jugendlichen handeln, wenn sie eines fernen Tages ebenfalls der Meinung sein sollten: „Dies ist nicht unser Staat, dies ist nicht unsere Ordnung!“? Wenn eine echte Krise hereinbräche, nicht bloß so ein kleinmütiges Hickhack um Pendlerpauschalen? Wenn Perspektivlosigkeit und Verdruss über Missstände sich zu einer hochexplosiven Mischung verbänden?

Die Vorgänge in Griechenland dürfen uns nicht kalt lassen. Sie sind ein erschütterndes Beispiel dafür, wie ein europäisches Kernland die Zustimmung der jungen Bürger zur Demokratie verspielen kann. Dies ist eine Warnung an alle anderen EU-Länder, wohin die Reise gehen kann, wenn die Grundwerte des modernen Verfassungsstaates, die Grundwerte der Europäischen Union nicht jederzeit, an jedem Ort weiter gepflegt, eingeübt und verteidigt werden.

Wir müssen sehr viel tun, damit nicht eines fernen Tages andere Länder der Europäischen Union Reiseewarnungen herausgeben müssen: „Fahren Sie nicht nach Deutschland, fahren Sie nicht nach Polen, fahren Sie nicht nach Ungarn.“ To kratos dolophonei!

Eine Demokratie, die nicht auf im Herzen gefühlter Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung beruht, hat keinen Bestand. A house divided cannot stand.

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Okt. 272008
 

Immer wieder wird gesagt: Die Teilung Europas kam 1989 zu einem Ende. Was wir jetzt versuchten, sei das Zusammenkitten von etwas, was durch die kommunistischen Revolutionen ab 1917 gespalten worden sei. Dem mag so sein. Und doch ist die europäische Geschichte durch zwei viel tiefer gehende Spaltungen geprägt: die doppelte Spaltung in Ost und West um die Jahrtausendwende, als sich der lateinisch geprägte Westen vom griechischen Osten löste – und die erbitterten Spaltungen und Risse, die etwa 500 Jahre später im Zeitalter der Reformationen aufbrachen. Immer ging es dabei auch um Worte, um Überzeugungen, um Ideen, die die Menschen antrieben und auseinandertrieben. Hierzu schreibt Diarmaid MacCulloch in seinem vielgerühmten Buch The Reformation. Europe’s House Divided:

Reformation disputes were passionate about words because words were myriad refractions of a God whose names included Word: a God encountered in a library of books, itself simply called the Book – the Bible. It is impossible to understand modern Europe without understanding these sixteenth-century upheavals in Latin Christianity. They represented the greatest fault line to appear in Christian culture since the Latin and Greek halves of the Roman Empire went their separate ways a thousand years before; they produced a house divided. The fault line is the business of this book. It is not a study of the whole of Europe as a whole: It largely neglects Orthodox Europe, the half or more of the continent that stretches from Greece, Serbia, Romania, and Ukraine through the lands of Russia as far east as the Urals. I will not deal with these except when the Orthodox story touches on or is intertwined with that of the Latin West. There is a simple reason for this: So far, the Orthodox churches have not experienced a Reformation. Back in the eighth and ninth centuries many of them were convulsed by an „iconoclastic controversy,“ which hinged on one of the great issues to reappear in the sixteenth-century Reformation. But in the case of the Orthodox, the status quo was restored and not partially overthrown as it was in the West. We will return to this issue of images frequently in the course of this book.

Who or what is a Catholic? : The Reformation

Unabsehbar sind die Folgen dieses Umbruchs auch in der heutigen Zeit. So entnehme ich der deutschen Übersetzung des Buches eine Vorformulierung unseres heutigen Verständnisses von Gemeinwesen: Erasmus von Rotterdam schreibt im Vorwort zu seiner Enchiridion-Ausgabe von 1518, dass in der idealen Gesellschaft jedermann aktiver Bürger der civitas sein solle – dass also die Zuerkennung von Bürgerlichkeit keineswegs an bestimmte weltliche Voraussetzungen wie etwa Besitz oder festen Wohnsitz gebunden sei. Jeder ist Bürger in einem guten Gemeinwesen, auch der Punk, auch der Penner, auch der Assi! Das meinte Erasmus. Das ist doch genau der Gedanke, den ich in diesem Blog oft und oft verfochten habe: Ein gutes Gemeinwesen zeichnet sich dadurch aus, dass jede und jeder sich in der Verantwortung weiß. O ihr Bürgerlichen mit euren gepflegten Vorgärten in Zehlendorf und Pankow, habt ihr die Botschaft des Erasmus vernommen?

Wenn nicht, dann lest in folgendem Buche nach:

Diarmaid MacCULLOCH: Die Reformation. 1490 – 1700. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 2008, hier: S. 152

Unser Foto zeigt die Veranstaltung: Doppelgedächtnis. Debatten für Europa. Mit Stéphane Courtois und Vaira Vike-Freiberga. Vom vergangenen Mittwoch. Veranstaltet von der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa. Ihr seht: Das Thema der Spaltung des europäischen Hauses wird uns hier noch weiter beschäftigen! Ein Bericht über die Veranstaltung folgt!

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„Wir sind alle Schuldner Asiens!“

 Kinder, Leitkulturen, Naturwissenschaften, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für „Wir sind alle Schuldner Asiens!“
Sep. 212008
 

„Unsere europäische Leitkultur stammt aus Asien – wir sind Schuldner Asiens.“ So rief ich im September 2007 in die Ullsteinhalle hinein. Es war die große Regionalkonferenz der 5 ostdeutschen CDU-Landesverbände. Alle legten die Stirn in Falten und berieten mal wieder über den Begriff „deutsche Leitkultur“. Nachher kam eine Zuhörerin auf mich zugestürzt und fragte: „Wen haben wir denn da? Wer sind Sie? War dies ein Kabarett? Bitte mehr davon!“

Den schönsten Beweis für meine kühne Behauptung erbrachte heute – die Sendung mit der Maus. Eine der besten Maus-Sendungen seit langem! Woher stammen unsere Wochentage? Antwort: Aus dem heutigen Irak, dem antiken Babylonien. Man verehrte an jedem Tag einen anderen Gestirnsgott, am Sonntag die Sonne, am darauffolgenden Tag den Mond, und anschließend die 5 wichtigen Götter, also die 5 in der Antike bekannten Wandelsterne – unsere heutigen Planeten Mars, Merkur, Venus, Jupiter, Saturn. Man wollte schließlich niemanden verprellen im multikulturellen Götterhimmel. Das alte Israel übernahm einen Teil der babylonischen Götternamen, kickte aber irgendwann – etwa im 7. Jahrhundert v. Chr. – die meisten Götter raus und huldigte fortan nur noch einem Gott. Die Siebener-Einteilung der Wochentage blieb jedoch, selbst die Schöpfung unterlag dem von den Babyloniern ausgeheckten Grundplan. Das Christentum folgte wie in fast allen anderen Dingen seinem Ursprung aus dem Judentum auch in der Kalendereinteilung.

Unsere germanischen Vorfahren übernahmen von den Römern die Kalendereinteilung, übersetzten freilich die römischen Götternamen ins Germanische – denn die heimischen Götter wollte man nicht verbittern. Merkur = Diu, deshalb Dienstag, Jupiter = Tonar, deshalb Donnerstag, Venus = Freia, deshalb Freitag. Pech für Merkur, der fiel raus und wurde recht prosaisch zum Tag in der Mitte – dem Mittwoch.

Dass die Sendung mit der Maus uns derart vergnüglich Grundlagenwissen über unsere aus Asien stammende europäische Leitkultur bietet, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht zu wünschen gewagt! Ich wollte schon fast einmal einen Zuschauerbrief schicken: Bitte, liebe Maus-Leute, bringt uns mehr kulturelles Grundlagenwissen über Geschichte, über Religion, über Sagen, über unsere Sprache, über Märchen und Dichtung! Nicht nur Physik und Naturwissenschaft. Und jetzt scheinen sie es zu machen! Eine innige Freude für mich!

Die Trockenmassebestimmung bei den Wassermelonen litt vielleicht etwas an den zufällig herausgeschnittenen Teilen. Ein winziges Stückchen Schale, ein winziges Stückchen Fruchtfleisch sollten repräsentativ für die gesamte Frucht stehen! Aber wieviel Prozent Fruchtfleich, wieviel Prozent Schale enthält die ganze Frucht? Ich hätte es begrüßt, wenn die Trockenmasse anhand der gesamten Frucht bestimmt worden wäre. Vorerst genüge es festzuhalten, dass die Wassermelone ganz überwiegend aus Wasser besteht.

Trotz meiner etwas beckmesserischen Krittelei bin ich hochbegeistert über die Sendung mit der Maus. Wir werden sie weiterhin in unseren Wochenplan einbauen. Und zwar jeden siebenten Tag, an jedem Tag des Sonnengottes, jeweils einen Tag vor dem Tag des Mondgottes, eine halbe Stunde ehe der Sonnengott (babylonisch: Schamesch) den höchsten Stand des Tages erklimmt, mit seinen geflügelten Rossen auf gekrümmter Bahn.

Unser Bild bringt heute einen Eindruck vom großen Fest zum Weltkindertag am Postdamer Platz. Die Deutsche Bahn hatte sich etwas Tolles einfallen lassen: Jedes Kind bekam die Verantwortung für einen Regionalexpress (RE) für zehn Minuten zugewiesen. Als hätten sie geahnt, dass eine unserer größten gemeinsamen Leidenschaften dem Bahnverkehr gilt! Erneut: Eine innige Freude für meinen Sohn und mich!

ARD Digital – Digitales Fernsehen der ARD – Digitalfernsehen – Digital TV

 Posted by at 21:45
Aug. 172008
 

Der Urlaub im türkischen Kadikalesi nahe Bodrum brachte wunderbare Begegnungen, Entspannung, Spaß, Freude mit meinen russischen Schwiegereltern, aber leider auch den furchtbaren Schatten des Kaukasuskrieges, der sich über die letzte Woche legte. Wir kennen viele Georgier, die Georgier gelten in Russland als lustiges, lebensfrohes Völkchen, über das endlose Anekdoten kursieren. Und dann das! Längere Sitzungen am Internet waren unvermeidlich. Meine Türkischkenntnisse besserten sich rapide – jede Woche ein neues Wort! Unsterbliche Dialoge entspannen sich – auf russisch und türkisch gemischt, da ich als Russe galt und am „Russentisch“ saß, wie das Gevatter Thomas Mann genannt hätte. Einen dieser Dialoge will und darf ich euch nicht vorenthalten:

Türkischer Kellner Achmed: „Mozhna?“ (Das ist russisch, zu deutsch: „Darf ich den Teller abräumen, den Sie da eben so unordentlich leergegessen haben?“) Ich: „Evet!“ (Das ist türkisch, zu deutsch: „Ja, sehr freundlich von Ihnen und nehmen Sie doch bitte auch die Gabel mit.“) So leicht ist Türkisch!

Aber insgesamt waren die Türken sehr belustigt und erfreut, dass sich jemand mit ihrer Sprache Mühe gab. Ich glaube, das hatten sie noch nicht erlebt. Mein Sohn Wanja schwamm lange Strecken, baute Muskelmasse auf, und forderte alle möglichen Jungs zum Kräftemessen heraus. Sein Spitzname: Klitschko, Liebling der Türken. Als Klitschkos Vater hatte ich ebenfalls einen Stein im Brett. Im Hotel weilten ansonsten 50% türkische Gäste, 20% Russen und 30% Litauer und Letten. Was für eine Mischung – das ist das neue Europa!

Wir gaben auch zwei Zimmerkonzerte, Wanja und ich mit meiner Frau, denn wir Männer hatten unsere Geigen mitgenommen, sie ihre Stimme sowieso. Ich wage zu behaupten, dass ich der erste Mensch war, der Bachs g-moll-Solosonate in Kadikalesi spielte, und zwar zum Rufe des Muezzin, mein Sohn spielte „Hänschen klein“, wohl auch als Erstaufführung.

Kleinasien – das ist ja auch die Geburtsstätte Europas. Wir sind alle Kultur-Schuldner Asiens. Die herrliche europäische Leitkultur ist samt und sonders in Kleinasien entsprungen: Homer stammt von hier, Herodot sowieso, ionische Naturphilosophen Kleinasiens stellten die ersten Fragen nach dem Woher und Wozu. Erst später trat Athen in diese durch Asien gebahnten Denk- und Dichtwege.

Ein Ausflug führte uns nach Ephesus, das heutige Efes. Paulus, der eigentliche Schöpfer des Christentums, hatte sich hier auf den Marktplatz gestellt und den staunenden Bewohnern verkündet: „Ich bringe euch den unbekannten Gott!“ Sie glaubten ihm nicht. Aber – ich stellte mich unter den Tausenden von Touristen ebenfalls in die Überreste des antiken Bouleuterions, des Gerichts- und Versammlungstheaters, in dem Volksversammlungen, Gerichtsverhandlungen und künstlerische Darbietungen erfolgten. Was für ein Gefühl! 1200 Menschen passten hier hinein. Ich erprobe den Ruf, ein Satz fliegt mir zu – etwa von Göttin Diana? – ich spreche ihn laut aus in die sengende Hitze, und er klingt zurück von den steinernen Rängen, klar, vernehmlich, verstärkt. Er lautet:

„Wenn wir alle zusammenstehen, dann wird es gelingen!“ Das Foto zeigt mich in Ephesus, während ich eben diesen Satz ausspreche.

 Posted by at 21:08