Mai 152009
 

Allzu leicht fließt vielen Mahnern die Floskel „christlich-abendländische Werte“ über die Lippen. Dabei hätte der äußerst beachtliche Besuch des Papstes Benedikt in Israel und den palästinensischen Gebieten Anlass sein können, dem nachzusinnen, was der Papst selbst immer wieder hervorgehoben hat: dem gemeinsamen Ursprung der drei Weltreligionen aus der Wurzel des alten Israel. Das Judentum und die beiden aus ihm entsprungenen Nachfolgereligionen  Christentum und Islam sind morgenländische Religionen. Bereits am Ende des 4. Jahrhunderts dachten, glaubten und beteten die Christen im wesentlichen so, wie sie das heute noch tun. Das Christentum hat sich im Orient ausgebildet, in Palästina, in Kleinasien (also dem Gebiet der heutigen Türkei), recht bald auch in der westlichen Reichshälfte, in Rom. Von da aus trat es seinen beispiellosen Siegeszug durch Europa an, ja es hat eigentlich das Europa, wie wie wir es heute kennen, erst entstehen lassen. Den Reden des Papstes ist das Bewusstsein dieses Kulturtransfers von Ost nach West, vom Morgenland in das Abendland deutlich anzumerken. Wir sind alle Schuldner Asiens.

Das Spannendste, was ich derzeit über das Christentum lesen und hören kann, fließt aus der Feder von Muslimen. So etwa derjenigen Necla Keleks. In ihrem Buch „Die verlorenen Söhne“ (München 2007) beschreibt sie eindringlich, wie die Gestalt Jesu ihr in einer ausweglos scheinenden Situation half, die Trennung von ihrer Familie und ihrem Mann zu bewältigen. Sie schreibt auf S. 227: Jesus fordert die Menschen auf, an sich zu glauben, er ermutigt sie, keine Angst zu haben, er lehrt nicht nur den Nächsten, sondern auch den Feind anzunehmen.  „Glaubt an mich und an euch selbst, dann wird selbst das Unmögliche möglich.“ In den Betrachtungen Keleks wird für einen Augenblick das Befreiende, das Ungeheuerliche der christlichen Botschaft spürbar.

Aber auch Navid Kermanis in der Neuen Zürcher Zeitung erschienene Kreuzesmeditationen vor einem Bild Guido Renis bergen etwas von der Glutfülle der morgenländischen Religionen. Sie führen direkt ins Mysterium der Botschaft Jesu hinein. Sie stellen eine bewundernswerte Rede und Gegenrede dar, eine beispielhafte Versenkung in das Andersartige der anderen morgenländischen Religion. Kermani nimmt zunächst Anstoß an der Kreuzestheologie – einen Anstoß, ein Ärgernis, welches auch in den neutestamentlichen Schriften wieder und wieder behandelt wird. Die Briefe des Paulus sind eine einzige Auseinandersetzung mit dem Anstoßerregenden der Kreuzesbotschaft. Und Joseph Ratzinger fasst den Nachhall dieses Ärgernisses, wenn er schreibt: „Der Skandal des Kreuzes ist vielen unerträglicher als einst der Donner des Sinai den Israeliten“ (Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth, Freiburg 2007, S. 97). Doch Kermani geht einen Schritt weiter, er verharrt nicht in der Ablehnung dieses Ärgernisses. Wir zitieren aus der FAZ:

Guido Reni führt „das Leiden aus dem Körperlichen ins Metaphysische über. Sein Jesus hat keine Wunden. Er blickt in den Himmel, die Iris aus dem Weiß des Auges beinah verschwunden: Schau her, scheint er zu rufen. Nicht nur: Schau auf mich, sondern: Schau auf die Erde, schau auf uns. Jesus leidet nicht, wie es die christliche Ideologie will, um Gott zu entlasten, Jesus klagt an: Nicht, warum hast du mich, nein, warum hast du uns verlassen?“ Vor dem Altarbild, schrieb Kermani weiter, fand er den „Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man -, ich könnte an ein Kreuz glauben.“

Navid Kermanis Meditationen über das Kreuzigungsbild Guido Renis, Necla Keleks Betrachtungen zum Gleichnis vom verlorenen Sohn, aber auch das Jesus-Buch von Joseph Ratzinger halte ich für höchst beachtliche, unbedingt lesenswerte Anstrengungen, dem Kern des christlichen Mysteriums nachzuspüren. Von ihnen, von diesen drei zeitgemäßen Unzeitgemäßen, geht befreiende Kraft aus.

Doch die Welt hat es nicht erkannt! Der Hessische Kulturpreis konnte nicht an Navid Kermani überreicht werden, weil Peter Steinacker und Karl Kardinal Lehmann es ablehnten, zusammen mit Navid Kermani den Preis entgegenzunehmen. Der Jude Salomon Korn zeigte mehr Weisheit, mehr Toleranz, mehr Einsicht in die unentwirrbar vielstimmige Gestalt der morgenländischen Religionen.

Eklat um Kulturpreis: Ein deutsches Trauerspiel – Debatten – Feuilleton – FAZ.NET
Guido Reni führe „das Leiden aus dem Körperlichen ins Metaphysische über. Sein Jesus hat keine Wunden.

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Apr. 212009
 

Den obigen Ausruf mögen die älteren unter den Leserinnen noch kennen. Ich hörte ihn in höchster Erregung vorgetragen als Sechstklässler, als wir bildungsfernen Rabauken mal wieder Rabatz schlugen, ehe der erwartete Lehrer endlich erschien, um mit dem Lateinunterricht zu beginnen. Er schalt uns tüchtig: „IST hier jetzt gleich Ruhe, hier geht’s ja zu wie in der JUDENSCHUL!“

Was steckt hinter dieser Redewendung? „Schul“, das ist im Jiddischen der Ausdruck für Synagoge, also für das Versammlungshaus der jüdischen Gemeinde. Das jiddische Wort kommt aus dem deutschen Wort „Schule“, weil die Synagoge selbstverständlich nicht nur Versammlungshaus, sondern auch auch Lernort, eine Stätte der Wissensweitergabe war. Die Judenschul, das war die Synagoge. Unser deutsches Wort Schule wiederum stammt von lateinisch schola, die Schule, ab, welches seinerseits wiederum aus dem griechischen σχολή, die Muße, die freie Zeit stammt.

Die Juden lehren und lernen ihre grundlegenden Schriften bis zum heutigen Tage durch individuelles, halblautes Lesen, durch ständiges wechselseitiges Befragen, es wird häufig in einem vielstimmigen Stimmengewirr rezitiert, geredet,  gestritten. In Rede und Gegenrede wird um die rechte Auslegung gerungen. Der Lehrer schreitet durch die Lernenden hindurch, wird selbst zum beständig Lernenden. Für den draußen Vorbeigehenden ergab sich ein unerträgliches, chaotisches Durcheinander – die Judenschul ist ein vielstimmiges Klanggebilde, aus dem allerlei Unverständliches herausdringt.

Was ist das Ergebnis der Judenschul, dieser Art des vielstimmigen Lernens in einem gemeinsamen Lernort? Man werfe einen Blick auf die Statistik der Nobelpreisträger, der Schriftsteller, Musiker und Wissenschaftler, und man wird erkennen: In allen Bereichen, wo es besonders stark auf die Weitergabe, Vermittlung und produktive Anwendung von Wissen und Erkenntnis geht, sind Juden seit Jahrhunderten weit überdurchschnittlich vertreten.  Ich führe das vor allem darauf zurück, dass bei den Juden seit der Antike höchst effiziente, selbstgesteuerte Formen des gemeinschaftlichen Lernens und Lehrens gehegt werden. Ein besonders beeindruckendes Monument dieses Lernens-Lehrens ist übrigens der Talmud. Und Talmud heißt auf hebräisch nichts anderes als Lernend-Lehren oder auch Lehrend-Lernen.

Neben der Akademie Platons halte ich die Judenschul für eines der großen wegweisenden Modelle des selbstgesteuerten, in Rede und Gegenrede sich entfaltenden Lernens, wie es neuerdings seit einigen Jahrzehnten wieder vermehrt gefordert wird. Zwischenfrage: Wieso sagt das Blog hier „neuerdings, seit einigen Jahrzehnten“? Antwort: Wir denken hier selbstverständlich in Jahrtausenden, nicht in Legislaturperioden. Selbst 30 Jahre taz sind noch nicht so arg viel. Wodurch wir zum gestern erwähnten taz-Forum über das heilige deutsche Gymnasium zurückkommen. Immer wieder wurde dort verlangt, die Schülerinnen sollten einander lehren, die Stärkeren sollten die Schwächeren mitnehmen und ähnliches mehr.

Mehrere Lernvorgänge sollen gleichzeitig ablaufen: Binnendifferenzierter Unterricht, so lautet das Gebot der Stunde. Der binnendifferenzierte, auf den indivduellen Lernfortschritt abgestimmte Unterricht wird unabweisbar, wenn Kinder aus verschiedenen Milieus aufeinandertreffen: der Schüler, der stundenlang an der Video-Konsole Ego-Shooter spielt, der deutsche Jugendliche mit seinen statistisch nachgewiesenen 213 Minuten täglichem Fernsehkonsum trifft auf die Schülerin, die mit 7 Jahren selbständig ganze Bücher in den beiden Erstsprachen Polnisch und Deutsch flüssig vorlesen kann.

Genau das scheint auch der Autor und Journalist Christian Füller, der sich gestern zu meiner großen Freude in diesem Blog zu Wort meldete, mit seinem Buch Die Gute Schule im Sinn zu haben. Denn es gibt gute Schulen! Füller schreibt:

Leseprobe Die Gute Schule
Die guten Schulen haben ihr Kerngeschäft reformiert: das Lernen der Schüler. Ihr großes Ziel ist es, die Machtverhältnisse des Lernens zu verändern. Sie versuchen, ihre Schüler aus der Rolle von Objekten der Beschulung zu befreien – und zu Subjekten ihres Lernens werden zu lassen. Schüler werden dort als kleine Forscher gesehen, die ihren Wissenserwerb, ihre Kompetenzfortschritte und ihre Lernprojekte selbst mitsteuern sollen. Dieser neue Lernstil hat einen Namen, er heißt individuelles und selbständiges Lernen. …

Da haben wir’s! Unabhängig davon, ob wir diesen Lernstil neu oder uralt nennen, ob wir ihn binnendifferenzierten Unterricht nennen oder in die alte Spruchweisheit Docendo discimusDurch Lehren lernen wir – kleiden: Immer geht es darum, dass die Lernenden in die Freiheit des selbstständigen Fragens, Redens und Widerredens hinein entlassen werden.

Letzte Frage: Was kostet das? Antwort: Diese neue, uralte Art des Lernens ist viel billiger als der einseitige Frontalunterricht, weil sie weniger Räumlichkeiten erfordert, weil die Lernenden weniger Betreuung brauchen, weil insgesamt weniger „angeboten“ und mehr „verlangt“ wird. Ein üppiges Medienangebot ist ebenfalls nicht nötig.

Die entscheidenden Arbeitsmittel sind: geschriebene Texte, also Bücher und Hefte. Ferner: der eigene Kopf. Weitere Arbeitsmittel: Schreibwerkzeuge, also Papier und Stift. Wichtigste Techniken des Arbeitens: Vorlesen, Lesen, Einprägen, Erinnern, Schreiben, Zuhören, Sprechen, Fragen, Antworten. Wichtigste Grundhaltung: Aufmerken – Mitmachen – Selbermachen. Die neue Schule ist nicht teuer. Sie ist arm und sie soll arm sein. Mindestens in den Augen der heute allesamt sehr reichen Schüler mit ihrem vielfältigen Zerstreuungsangebot: Handys, Internet, I-Pod. Die heutigen deutschen Schulen sind unvorstellbar reich und teuer im Vergleich zu den Schulen anderer Länder und anderer Zeiten, die mit wesentlich weniger Geld bessere Lern-Erfolge erzielten (etwa in der multiethnischen Sowjetunion).

Also – ja zur Judenschul, ja zur Akademie, ja zum binnendifferenzierten Unterricht! Meinem Lateinlehrer aus der sechsten Klasse, einem Benediktinerpater, danke ich noch heute. Denn er hat meine Neugierde für Latein geweckt und gepflegt – und auch für die Judenschul. Er hätte nicht in Zorn geraten müssen ob unseres Rabaukentums. Denn es steht geschrieben in Psalm 112: Wenn Schlimmes gehört wird, so braucht er sich nicht davor zu fürchten. 

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Freiheit instandsetzen

 Antike, Deutschstunde, Freiheit, Griechisches, Seuchen, Vorbildlichkeit, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Freiheit instandsetzen
März 212009
 

„Frei, also höchst verletzbar . . . „ Ich empfehle das neue Buch Christian Meiers allen Gegenwartverdrossenen, allen Kleinmütigen und Verzagten. Man schlage es an beliebiger Stelle auf – und man wird sich festlesen, man wird vielleicht erst nach zwei oder drei Abschnitten auf den ersten griechischen Namen, auf die erste Jahreszahl stoßen und erstaunt den Kopf schütteln: „Ach so, eigentlich geht es um das alte Griechenland – ich dachte, es ginge um uns!“

Meier ist einer der ganz wenigen lebenden deutschen Prosaschriftsteller, die sich an antiken Vorbildern geschult haben: ich höre die harte Fügung eines Thukydides, eines Tacitus heraus – aber ebenso auch die Kunst der gegliederten Periode. Wie er, nach längerem Gedankenflug niedersetzend, das Gehörte und Gedachte in zwei oder drei Wörtern zusammenfasst – das nötigt mir höchste Bewundrung ab. Man höre doch bitte oder lese sich laut vor etwa die folgenden Sätze:

„Wie die mykenische Welt zum Einsturz kam, läßt sich nicht mehr ausmachen. Manches spricht dafür, daß auch sie – wie unter anderm das mächtige Reich der Hethiter – dem Sturm der sogenannten Seevölker erlag, der um 1200 v. Chr. über die Welt des östlichen Mittelmeers dahinfegte. Doch könnten Epidemien, Naturkatastrophen oder innere Konflikte zuvor schon die mykenischen Reiche erschüttert oder geschwächt haben. Vermutlich hing alles an der Herrenschicht, und die war schmal. Sie mag zuletzt ins Mark getroffen gewesen sein. Jedenfalls brach jene Welt so völlig zusammen, da ein Wiederaufbau schließlich nicht mehr in Frage kam. Große Teile des hochentwickelten Handwerks hörten auf, sogar die Schrift ging verloren, derer sich die Palastverwaltungen bedient hatten; man brauchte sie nicht mehr. Wo einst prächtige Burgen sich über das Land erhoben; wo Armeen von Streitwagen, Flotten und ein ausgeklügelter Küstenschutz Herrschaft und Sicherheit nach außen garantiert hatte; wo ein System von Straßen gebaut und unterhalten und Handel mit Hilfe von Niederlassungen in Kleinasien und Unteritalien gepflegt worden war, fraßen sich Zerstörung, Armut und Ungewißheit ein. Gefahren lähmten das Alltagsleben, die Wünsche wurden bescheiden. Der Ägäisraum lag brach.“

Kaum ein Buch scheint mir stärker in unsere Zeit hineingeschrieben zu sein als eben dieses, aus dem hier zitiert worden ist. Wie der Autor stets von neuem Anlauf nimmt, Bekanntes zusammentragend, neu ordnend, wie er den Scheinwerfer geschickt vom Anfang her rollend immer wieder über unsere Gegenwart huschen lässt, wie er uns dadurch weit besser einen Spiegel vorhält, als wenn er uns die Leviten mit starrem Blick aufs Jetzt läse: das alles ist meisterlich, das ist ergreifend, das stärkt! Trotz der Fragezeichen, trotz der deutlichen Skepsis, die Meier in Interviews zur heutigen politischen Lage äußert – ich für mein Teil fasse ihn als großen Ermuntrer und Bestärker auf. Deshalb setzen wir einen ganz anderen Ton an das Ende dieser Betrachtung: den Freiheits-Ton, der heute in Europens Blässe nur noch als dünnes Rinnsal zu vernehmen ist:

 „Von heute aus ist schwer einzuschätzen, was es bedeutet, ohne höhere Instanzen, ohne Scheuklappen, nicht nur jeder an seiner Stelle, sondern alle zusammen selbst für das Ganze verantwortlich zu sein, frei, also höchst verletzbar, also ringsum ihre Fühler ausstreckend, immer neue Fragen aufwerfend, um sich und die Welt gedanken- und kunstvoll stets neu auszuprobieren. Denn darin bestand doch das Problem für sie: Sie mußten ihre Freiheit instandsetzen, um unter komplexer werdenden Bedingungen allen Herausforderungen zu genügen.“

Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, München 2009, hier : S. 64 und S. 57-58

Das Foto zeigt einen Blick auf die Stadt Berlin, aufgenommen heute vom Gipfel des Teufelsberges aus

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Feb. 082009
 

 08022009.jpg … dass die Form, in der wir das Herz darstellen, nämlich die Form eines zweilappigen Blattes, kaum etwas mit der tatsächlichen Gestalt dieser leistungsstarken Pumpe zu tun hat? Die Begründung lieferte heute die Sendung mit der Maus. Dieses Symbol geht auf die vielen Blatt-Symbole der Antike zurück. Das Efeu-Blatt bedeutete den Alten Lebensfreude, ja sogar ewiges Leben. Denn der Efeu kann bis zu 400 Jahre alt werden. Nicht umsonst erscheint Dionysos häufig mit dem efeuumkränzten Stab. Von der griechischen Kunst wanderte das Blatt als Symbol der Liebe zum Leben in die gesamte abendländische Kunst ein.

Höchstes Lob an die Sendung mit der Maus! Es war eine der besten Sendungen seit längerem! Wie ich mir am 21.09.2008 gewünscht habe, wendet sich die Sendung mit der Maus mehr und mehr auch den „weichen Themen“ zu – also der bunten Welt der Mythen, der Kunst, der Geschichte. Die Maus zeichnet nunmehr eine Grundgemälde dessen nach, was uns in Europa kulturell zusammenhäl. Toll, toll, toll! Das kann und soll man ausbauen. Technik, Naturwissenschaften, Finanzen sind wichtig – aber sie sind nicht alles.

Mein herzliche Bitte: Bitte bringt auch mal Goethe und Schiller für Kinder, z.B. den Zauberlehrling mit der Musik von Paul Dukas. Mein Sohn hört den Zauberlehrling immer wieder sehr gerne.

Unser Bild zeigt den Stand der Berliner Stadtreinigung BSR mit dem offenbar unsterblichen Bären auf der Berlinale am heutigen Tage.

Sachgeschichten – Die Sendung mit der Maus – WDR Fernsehen

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Nov. 062008
 

Aufschlussreiche Kommentare zur Wahl des amerikanischen Präsidenten steuern heute Tanja Dückers und Frank Henkel bei. Dückers fragt: Wo ist unser Obama? Sie geißelt im heutigen Tagesspiegel die behaglich-negative Sicht auf die Welt, welche bei uns vorherrsche. Allzuviele Menschen hätten es sich bequem gemacht in einer gespaltenen Weltsicht: „Wir“ sind immer die Guten – die „anderen“, seien es die Amerikaner, die PDS, die Kommunisten, die Faschisten, die Russen, die Roma –   würden abgestempelt als die Bösen. Dückers erkennt sehr gut, dass nicht die jeweiligen Gegenstände des Feindbildes das Problem sind. Das Problem ist, dass überhaupt soviele Menschen in Berlin die Welt in Gut und Böse unterteilen. Wie leicht ist es dann, die Schuld an den Zuständen immer den anderen zu geben. Denken wir an die ständigen Überfälle auf den kleinen Subway-Laden in Kreuzberg: Auch hier haben einige eben offensichtlich ihren Feind erkannt: die bösen amerikanischen Kapitalisten.

Obama steht für etwa anderes: eine versöhnende, vermittelnde Haltung, die auf universalen Werten beruht. Auf Zuwendung, Gespräch, Hinhören. „Er hält immer die andere Wange hin.“ So schreibt Michael S. Cullen heute auf S. 7 in der BZ. Nicht zufällig ist dies ein Zitat aus dem Evangelium. Denn Obama ist Christ. In seiner Sanftmut, seinem ständigen Aufruf zum Glauben, seinem Bekenntnis zum Umdenken greift er in den Kernbestand der jüdisch-christlichen Botschaft hinein. Ich behaupte sogar: Es hat schon lange keinen Politiker gegeben, der mit derartigem Geschick und mit derartiger Leidenschaft die schlichten Gebote des Jesus von Nazaret beherzigt hätte. Eines seiner deutlich erkennbaren Vorbilder ist Johannes der Täufer, der ja ebenfalls umherlief und vor riesigen Menschenmengen verkündete: „Denkt um, wandelt euch! Habt Vertrauen, glaubt an euch!“ Die zentralen Botschaften des Evangeliums – das ständige Umdenken, der Wandel, das Vertrauen – diese hat Obama ins Weltlich-Politische übersetzt und lebt sie mitreißend vor. Barack Obama ist ein im tiefsten Sinne christlich-demokratischer Politiker, wie man ihn sich vorbildlicher gar nicht ausdenken könnte. Natürlich, er spricht öffentlich nicht darüber, das tut man als Politiker nicht. Man spricht als Politiker nicht über Religion. Aber ich halte diesen Glauben für eine ebenso starke Triebkraft wie seine Verwurzelung im amerikanischen Traum, in der großartigen Tradition der über mehr als 200 Jahre bestehenden Demokratie der Vereinigten Staaten. Und diese Demokratie fasste sich ja ebenfalls als die Wiederherstellung eines verlorenen Ideals auf – des Ideals der griechischen Demokratie und des römischen Imperiums. Die amerikanische „Re-volution“ war also eine „Rück-Wendung“ zu den Wurzeln der europäischen Überlieferung – gegen die bedrückende Gegenwart der Monarchie.

Der gefeierte Neuansatz durch Barack Obama ist also – eine Wiederbelebung uralten Erbes. Eines doppelten Erbes: das der amerikanischen Demokratie und das des jüdisch-christlichen Weltvertrauens. Obamas Reden sind gespickt mit wörtlichen Zitaten aus den uralten Gründungsdokumenten der amerikanischen Demokratie, aus den großen Reden seiner längst verstorbenen Vorgänger. Sein Internetauftritt überfällt einen geradezu mit Losungen, die so oder so ähnlich auch in hebräischer Bibel, Neuem Testament und Koran stehen könnten. Etwa: „Change you can believe in.“ Das heißt ein Doppeltes: Glaube an den Wandel – wandle dich zu einem glaubenden, vertrauenden Menschen! Diese beiden – das Erbe der amerikanischen Demokratie, das Erbe der drei mosaischen Weltreligionen – sind die Fundamente, auf denen die Gründer der USA ihren so erfolgreichen Staat aufgebaut haben. In ihren Fußstapfen folgt Obama.

Etwas davon scheint auch Frank Henkel, ein Berliner Politiker, erkannt zu haben. Er wird heute im Tagesspiegel zitiert, für ihn sei Obama bislang ein Mysterium. Henkel verwendet also die Sprache der Religion – er sieht also in Obama etwas, was seine Fassungskraft übersteigt, etwas, wovor er nur die Augen staunend verschließend kann. Denn das Geheimnis, das Mysterium ist im Wortsinne etwas, was zu hoch für uns ist, was wir nur glauben und hoffend annehmen können.

Das ehrt Henkel. Denn es gibt kaum größere Gegensätz als manche Berliner Politiker und Obama: Bei manchen Berliner Politikern  finden wir eine klare Freund-Feind-Linie, eine aggressive, feindselige, stets zum Zuschlagen bereite Sprache ohne jede vermittelnde Kraft, ein Vorherrschen von negativen, anklagenden Tönen. Die Welt ist grau oder schwarz. Es gibt keine Freude. Ein Alleinstellungsmerkmal mit Forderungen, die sonst niemand teilt. Kein Fachpolitiker, kein Fachmann, keine Fachfrau aus Justiz und Verwaltung. Wie etwa die Forderung nach Heraufsetzung der Höchststrafe im Jugendstrafrecht von 10 auf 15 Jahre. Niemand außerhalb vertritt derartige Forderungen, kein Richterbund, keine Bundespartei, keine Polizeigewerkschaft. Ein großer, bewundernswerter Mut zur Selbstisolation, zur „Wir-gegen-den-Rest-der Welt-Haltung“, die man nicht genug loben und ehren kann.

Und als Gegensatz dazu Obama: ein Mensch des Ausgleichs, der Versöhnung, ein Mann, der auch angesichts gigantischer Probleme stets Zuversicht ausströmt, ein Mann des Wortes und der Tat.

Zu recht fragt Tanja Dückers: Wo ist unser Obama?

Ich meine: Die Anti-Obamas haben wir schon. Dann werden irgendwann auch die Obamas kommen.

Ganz viel Hoffnung

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Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende?

 Altparteien, Antike, Friedrich Merz, Latein, Parteienwandel, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende?
Aug. 232008
 

Heute widmet 3sat der quicklebendigen Sprache Latein einen ganzen Sendetag. Bene, da wollen wir nicht hinterdreinhinken und unser Thema wieder aufgreifen: Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende? Mitglieder und Wähler laufen davon, wirtschaftspolitische Experten wie etwa Rainer Wend, Friedrich Merz, Matthias Wissmann, Hildegard Müller oder Rainer Göhner verlassen die politische Bühne, die Personaldecke ist dünn. Kann man sich auf Lateinisch einen Reim drauf machen?

Gab es denn im alten Rom schon Parteien? Ja, zwar war Rom keine parlamentarische Demokratie, aber sehr wohl gab es Parteien und Grüppchen zuhauf, Vetternwirtschaft und Ämterpatronage ebenso – alles Dinge, die in offenen Staatsformen jederzeit auftreten können. Es gab sogar im Ansatz eine Lehre von den Parteientypen – nämlich die Unterscheidung in die Volksparteien (populares), die Eliteparteien (optimates) und die Milieu- oder Klientelparteien (clientelae).

Was machte gute Politiker aus, die sich aus jenen Parteien rekrutierten? Cicero sagt: die Fähigkeit, über die eigenen Wähler- und Klientelgruppen hinauszureichen und das Gemeinwohl in den Blick zu nehmen. Er schreibt im ersten Buch von De officiis:

[85] Omnino qui rei publicae praefuturi sunt duo Platonis praecepta teneant: unum, ut utilitatem civium sic tueantur, ut quaecumque agunt, ad eam referant obliti commodorum suorum, alterum, ut totum corpus rei publicae curent, ne, dum partem aliquam tuentur, reliquas deserant. Ut enim tutela, sic procuratio rei publicae ad eorum utilitatem, qui commissi sunt, non ad eorum, quibus commissa est, gerenda est. Qui autem parti civium consulunt, partem neglegunt, rem perniciosissimam in civitatem inducunt, seditionem atque discordiam; ex quo evenit, ut alii populares, alii studiosi optimi cuiusque videantur, pauci universorum.

[86] Hinc apud Athenienses magnae discordiae, in nostra re publica non solum seditiones, sed etiam pestifera bella civilia; quae gravis et fortis civis et in re publica dignus principatu fugiet atque oderit tradetque se totum rei publicae neque opes aut potentiam consectabitur totamque eam sic tuebitur, ut omnibus consulat. Nec vero criminibus falsis in odium aut invidiam quemquam vocabit omninoque ita iustitiae honestatique adhaerescet, ut, dum ea conservet, quamvis graviter offendat mortemque oppetat potius, quam deserat illa, quae dixi.

Der Parteienzwist und Parteienhader wird also von Cicero nicht als friedliches Wetteifern empfunden, sondern als tödliches Gegeneinander in Bürgerkrieg und Meuchelmord. Nur jene können gute Staatenlenker genannt werden, die es verstehen, das politische Amt im Sinne aller ihrer Auftraggeber auszufüllen. Macht, die um ihrer selbst willen erstrebt wird, schlägt unheilvoll auf das Gemeinwohl durch. Mit dieser Verpflichtung auf das Gemeinwohl und der Geringschätzung einer bloß parteigebundenen Sichtweise hat diese vielgelesene Schrift Ciceros das Staatsdenken vieler Jahrhunderte beeinflusst und mit dazu beigetragen, dass Parteien vielfach nicht als Chance, sondern als Bedrohung empfunden werden. Diese tiefverwurzelten Vorurteile sollten die Parteien auch heute nicht ruhen lassen.

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Aug. 172008
 

Der Urlaub im türkischen Kadikalesi nahe Bodrum brachte wunderbare Begegnungen, Entspannung, Spaß, Freude mit meinen russischen Schwiegereltern, aber leider auch den furchtbaren Schatten des Kaukasuskrieges, der sich über die letzte Woche legte. Wir kennen viele Georgier, die Georgier gelten in Russland als lustiges, lebensfrohes Völkchen, über das endlose Anekdoten kursieren. Und dann das! Längere Sitzungen am Internet waren unvermeidlich. Meine Türkischkenntnisse besserten sich rapide – jede Woche ein neues Wort! Unsterbliche Dialoge entspannen sich – auf russisch und türkisch gemischt, da ich als Russe galt und am „Russentisch“ saß, wie das Gevatter Thomas Mann genannt hätte. Einen dieser Dialoge will und darf ich euch nicht vorenthalten:

Türkischer Kellner Achmed: „Mozhna?“ (Das ist russisch, zu deutsch: „Darf ich den Teller abräumen, den Sie da eben so unordentlich leergegessen haben?“) Ich: „Evet!“ (Das ist türkisch, zu deutsch: „Ja, sehr freundlich von Ihnen und nehmen Sie doch bitte auch die Gabel mit.“) So leicht ist Türkisch!

Aber insgesamt waren die Türken sehr belustigt und erfreut, dass sich jemand mit ihrer Sprache Mühe gab. Ich glaube, das hatten sie noch nicht erlebt. Mein Sohn Wanja schwamm lange Strecken, baute Muskelmasse auf, und forderte alle möglichen Jungs zum Kräftemessen heraus. Sein Spitzname: Klitschko, Liebling der Türken. Als Klitschkos Vater hatte ich ebenfalls einen Stein im Brett. Im Hotel weilten ansonsten 50% türkische Gäste, 20% Russen und 30% Litauer und Letten. Was für eine Mischung – das ist das neue Europa!

Wir gaben auch zwei Zimmerkonzerte, Wanja und ich mit meiner Frau, denn wir Männer hatten unsere Geigen mitgenommen, sie ihre Stimme sowieso. Ich wage zu behaupten, dass ich der erste Mensch war, der Bachs g-moll-Solosonate in Kadikalesi spielte, und zwar zum Rufe des Muezzin, mein Sohn spielte „Hänschen klein“, wohl auch als Erstaufführung.

Kleinasien – das ist ja auch die Geburtsstätte Europas. Wir sind alle Kultur-Schuldner Asiens. Die herrliche europäische Leitkultur ist samt und sonders in Kleinasien entsprungen: Homer stammt von hier, Herodot sowieso, ionische Naturphilosophen Kleinasiens stellten die ersten Fragen nach dem Woher und Wozu. Erst später trat Athen in diese durch Asien gebahnten Denk- und Dichtwege.

Ein Ausflug führte uns nach Ephesus, das heutige Efes. Paulus, der eigentliche Schöpfer des Christentums, hatte sich hier auf den Marktplatz gestellt und den staunenden Bewohnern verkündet: „Ich bringe euch den unbekannten Gott!“ Sie glaubten ihm nicht. Aber – ich stellte mich unter den Tausenden von Touristen ebenfalls in die Überreste des antiken Bouleuterions, des Gerichts- und Versammlungstheaters, in dem Volksversammlungen, Gerichtsverhandlungen und künstlerische Darbietungen erfolgten. Was für ein Gefühl! 1200 Menschen passten hier hinein. Ich erprobe den Ruf, ein Satz fliegt mir zu – etwa von Göttin Diana? – ich spreche ihn laut aus in die sengende Hitze, und er klingt zurück von den steinernen Rängen, klar, vernehmlich, verstärkt. Er lautet:

„Wenn wir alle zusammenstehen, dann wird es gelingen!“ Das Foto zeigt mich in Ephesus, während ich eben diesen Satz ausspreche.

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Changing Trains, Changing World, Changing Stages

 Antike, Augsburg  Kommentare deaktiviert für Changing Trains, Changing World, Changing Stages
Juni 062008
 

Gestern erlebte ich beim Umsteigen auf einem Berliner S-Bahnhof Ungewissheit als die Kraft, die zum Wandel des eigenen Selbst führt. Also galt: Changing trains – changing self. Heute fahre ich nach Augsburg zum Klassentreffen. Ich freue mich schon, die alten Schulkameraden wiederzusehen. Was ist aus ihnen geworden? Was ist aus dir geworden? Ich habe einen kleinen Festvortrag angemeldet und vom Veranstalterkomitee zuerkannt bekommen: – „Von Heulsusen und Jubelpersern – das Perserbild bei Aischylos und im biblischen Buch Ester“. Ich werde nachzuweisen suchen, dass negative Vorurteile über die Perser im besonderen und die Asiaten allgemein sich weitgehend unverändert über die Jahrtausende erhalten haben – zum Schaden beider Seiten, mit riesigen Folgekosten, deren letzte noch heute Tag um Tag gezahlt werden – mit Menschenleben, mit Billiarden Dollar an Kriegskosten, und vielen vielen zerstörten Chancen.

Edith Hall, die Klassische Philologin an der Universität London, schreibt hierzu in ihrem Kapitel „Changing world, changing stages“ unter dem Obergriff „Recasting the Barbarian“:

Aeschylus‘ Persians has played an indisputable role in the perpetuation of the ideological conflict between East and West that has recently re-erupted with such terrible violence. It has historically helped to reinforce the adoption by Christian mindset of a primary Other in the shape of Islam. The third-millenial vilification of the Arab world has a long history which cannot be dissociated from the rediscovery of ancient Greek xenophobia and prejudices against non-Greeks in the East.

Edith Hall: The Theatrical Cast of Athens. Interactions between Ancient Greek Drama and Society. Oxford University Press, 2006, hier: Seite 220

Das verspricht spannend zu werden! Wir haben uns damals redlich geplagt mit Latein und Griechisch – damals an St. Stephan noch verpflichtend vorgeschrieben für alle Schüler – neben der üblichen zweiten Fremdsprache Englisch! Ein bisschen Spaß muss auch sein – deshalb werde ich kleine Abschnitte aus Aeschylus und aus der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, austeilen – mal sehen, wie weit wir noch kommen …

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Macht Spaß. Ist gesund. Ist gut für die Stadt.

 Antike, Fahrrad, Positive Kommunikation  Kommentare deaktiviert für Macht Spaß. Ist gesund. Ist gut für die Stadt.
März 302008
 

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Wer dieses Blog liest, weiß, dass ich manchmal recht kritisch zur Außendarstellung von öffentlichen Einrichtungen Stellung nehme, insbesondere, wenn diese unser Steuergeld ausgeben. Aber es geht auch anders, etwa bei Verbänden und Vereinen, die aus Mitgliedsbeiträgen finanziert werden. Jüngstes Beispiel: Die Äußerungen der Berliner ADFC-Vorsitzenden Sarah Stark in der Berliner Zeitung:

„Wir treten für Alltags- und Freizeitradler ein, weil wir Rad fahren gut finden. Es macht Spaß, ist gesund und gut für die Stadt.“ So einfach ist das.

Warum ich das gut finde? Die Aussage ist knapp, kommt zum Punkt, schreitet in einem jener berühmten „Dreisätze“ vom eher hedonistischen Genuss des einzelnen zum Wohl der Allgemeinheit. Die Sätze sind in Wir-Form, auch gut. Dagegen kann man nichts sagen. Serve, Volley, Punkt! Kein Untergangsraunen von der Klimakatastrophe, keine Kampfrhetorik gegen die böse Autolobby. So funktioniert Werbung für die eigene Sache.

Der berühmteste solcher Dreisätze ist übrigens jenes bekannte Dictum, jene unschlagbare Eigenwerbung Veni vidi vici des Heerführers Caesar. Dass es in der politischen Rhetorik und in der Werbung auf knappe, rasch zum Ziele führende Aussagen ankommt, die vorzugsweise als Dreiergruppe erscheinen sollen, ist heute allgemein anerkannt. Selbst die äußerst umstrittene, auch in diesem Blog am 11.03.2008 kritisierte Kampagne des Berliner Senats „be berlin“ setzt ganz auf diese Dreigliedrigkeit, etwa in Mustern wie: „Sei risikobereit, sei aktiv, sei Berlin“. Insoweit ist gegen sie kaum etwas einzuwenden. Allerdings reitet Bibberlin dieses Prinzip der Dreigliedrigkeit doch etwa allzu ausgiebig. Da spürt man dann schon die Absicht, Zweifel an der Ehrlichkeit kommen auf. Der große Caesar hingegen gebot über eine ganze Fülle an anderen Tropen und Figuren. Aber er konnte eben auch schlicht.

Wie zur Bekräftigung des eben Gesagten trafen wir heute am Potsdamer Platz auf ein radelndes … nicht Weltwunder, aber doch Stadtwunder: ein Fahrrad, das eher einer wandelnden Plattform glich, angetrieben von 7 Personen, die fleißig in die Pedale traten. Einer der Pedaleure ragte hervor, er saß am Lenker und erklärte gerade: „… der Tunnel wurde gebaut, damit weniger Autos durch die Innenstadt fahren.“ Aha, dies war also offenbar eine Stadtführung auf einem eher ungewöhnlichen Gefährt. Ich glaube, es heißt Conference-Bike, also „Zusammentrage-Fahrrad“. Das ganze funktioniert offenbar mithilfe eines komplizierten Kardan-Gelenks. Ich möchte das nicht reparieren müssen, aber es ist nett anzusehen!

Macht Spaß. Ist gesund. Ist gut für die Stadt.

So einfach ist das.

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März 252008
 

Erneut stoße ich auf einige Aussagen zum Gegensatz zwischen dem alten Perserreich und dem „Rest der Welt“, aus europäischer Sicht also den griechischen Stadtstaaten. Gebräuchlich seit etwa 2.500 Jahren und bis in die neueste Zeit hinein weiterverwendet ist die Entgegensetzung: dort „orientalisches Großreich mit despotischer Willkürherrschaft“, hier „europäisch-westliches freies Gemeinwesen mit starker Bürgerbeteiligung“. Perikles, Aischylos, Herodot, das Buch Ester der Bibel – sie gehören zu den frühen Belegen für diese schroffe Behauptung eines unversöhnlichen West-Ost-Gegensatzes; die neueren Begründungen für Aktionen gegen die jeweiligen Machthaber im Mittleren Osten reihen sich nahtlos in diese Deutungskette ein. Dies gilt übrigens auch für die Protestaktionen gegen das „blutige Schah-Regime“, deren amtliche Niederprügelung ja am 2. Juni 1967 einer der Auslöser der Studentenbewegung wurden, aber es gilt auch für die jüngsten militärischen Unternehmungen gegen die Nachfolgerstaaten des antiken Persien, also insbesondere die heutigen Staaten Iran, Irak und Afghanistan. Aber auch gegenüber der heutigen Türkei werden immer wieder ähnliche Vorbehalte geäußert, die letztlich in einer Linie mit der Ablehnung der orientalischen Staatsformen überhaupt liegen. Der britische Historiker Anthony Pagden hat in seinem neuen Buch „Worlds at War: The 2,500-Year Struggle Between East and West“ ganz offenbar noch einmal dieses Deutungsmuster als Konstante der europäisch-asiatischen Geschichte aufgearbeitet und im wesentlichen als zutreffend verteidigt, jedenfalls laut Rezension im Economist, (March 22nd-28 2008, p.87-88):

„It is hardly a coincidence, he [i.e., Pagden] suggests, that ancient Athens found itself doing battle with the Persian tyranny of Xerxes, while the modern Western world faces a stand-off with the mullahs‘ Iran. In his view of history, these are simply related chapters in a single narrative: the contest between liberal and enlightened societies whose locus is Europe (or at least European culture) and different forms of Oriental theocracy and authoritarianism.

Even where the enlightened West did bad things, these were aberrations from a broadly virtuous trajectory; where the tyrannical east (from Darius to Osama bin Laden) committed sins, they were no better than anybody could expect—that is what Mr Pagden implies. He broadly accepts the argument of the al-Qaeda propagandists that today’s global jihad is a continuation of the civilisational stand-off which began in the early Middle Ages and which is doomed to rage on.“

Helfen solche Vereinfachungen, die immer noch das politische Handeln und das Selbstbild des Westens leiten, weiter? Eine Schwierigkeit liegt darin begründet, dass unser Geschichtsbild der orientalischen Großreiche fast ausnahmslos aus der Außensicht „vom Westen her“ gespeist ist. Wir besitzen schlechterdings keine ausgearbeitete Geschichtsschreibung aus dem Inneren des Perserreiches, ebensowenig wie aus dem alten Ägypten. Was nun das antike Persien angeht, das sich ja im 6. Jahrhundert v.d.Z. von der Donau bis an den Indus erstreckte, also das erste, von den Zeitgenossen viel bestaunte Weltreich überhaupt darstellte, so tut man ihm offensichtlich unrecht, wenn man es einzig und allein als despotische, ungeregelte Willkürherrschaft bezeichnet. Im Gegenteil: Unter Dareios (550-486 v.Chr.) wurde eine effiziente Verwaltung aufgebaut. Der Altertumswissenschaftler Philipp Meier schreibt:

„Galt Kyros als der Begründer, so war Dareios der Ordner des Reiches. Er hat das Riesenreich bis auf den letzten Weiler hin durchorganisiert. Das Ergebnis war eine Verwaltung, die selbst nach heutigen Maßstäben als vorbildlich gelten darf. Dareios war der fähigste Organisator der alten Welt. Von diesem Erbe zehrt der Iran noch heute.“

Weit schwerer als der Vorwurf mangelnder Organisation wiegt jedoch der ständige Vorwurf mangelnder Freiheit, den wir im Westen landauf landab hören und wiederholen. Die östlichen Großreiche – ob nun das antike Perserreich oder das spätere Osmanische Reich – werden aus dem Westen meist stereotyp als Bastionen der Unfreiheit, der gesetzlosen Willkür gesehen, in denen der Einzelne und die einzelne Volksgruppe nichts, der Wille des Mannes an der Spitze alles gelte. Doch auch hier sind erhebliche Korrekturen angebracht! Ich zitiere noch einmal Philipp Meier, der die bis heute allseits umjubelten Siege der Griechen über die Perser bei Salamis und Plataiai in den Jahren 480-479 v. Chr. wie folgt kommentiert:

„Ob das allerdings für die Griechen ein Glück war, mag bezweifelt werden. Denn während die Perser eine relativ liberale Herrschaft über ihre Provinzen ausübten, versuchte Athen, die übrigen hellenischen Territorien in beträchtlich radikalere Abhängigkeit zu zwingen, die binnen 100 Jahren zum totalen Bedeutungsverlust der Stadt führten. ‚Es steht fest, dass die Staatsgewalt der griechischen Stadtstaaten über ihre Bürger in gewisser Hinsicht die des [persischen] Großkönigs über seine Untertanen überstieg. So hatten beispielsweise die den persischen Monarchen unterworfenen ionischen Städte keine andere Verpflichtung, als einen mäßigen Tribut zu zahlen, der ihnen überdies häufig erlassen wurde, während sie sich im übrigen selbst regierten.‘ (Jouveuel, S. 172) Athen dagegen versuchte, die angestrebte, aber nie verwirklichte hellenische Einheit durch eine Tyrannis durchzusetzen, die die Wehrfähigkeit der Städte derart herabsetzte, dass sie Alexander von Makedonien mit nur wenig Gegenwehr in die Hände fielen.“

(zitiert aus: Philipp Meier: Das Perserreich. In: Aischylos. Die Perser. In neuer Übersetzung mit begleitenden Essays. Regensburg: Selbstverlag des Studententheaters 2005, S. 73-86, hier S. 78 und S. 86)

Was lernen wir daraus? Ich meine dreierlei: Zunächst, die festgeprägten Urteile des Westens über den angeblich so barbarischen, unfreien Osten haben sich seit 2500 Jahren als außerordentlich hartnäckig erwiesen. Sie entbehren zweitens jedoch oft einer sachlichen Begründung und lassen sich dann durch historische Forschung widerlegen oder zumindest einschränken. Als handlungsleitende Impulse für die Beziehungen zwischen den heute bestehenden Staaten sind sie schließlich nur mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen. Sie führen wie schon in der Vergangenheit so auch heute oft in die Irre. Das zeigt sich in dem weitgehend konzeptionslos anmutenden politischen Handeln der westlichen Staaten in den heutigen Staaten des Mittleren Ostens.

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Jan. 152008
 

Für den Vortrag bei Marie-Luise am Freitag habe ich nunmehr die Textauswahl getroffen. Alle Zuhörer können sich vorab, so sie denn wollen und Zeit haben, mit diesen vorgeschlagenen Texten vertraut machen. Dies ist aber keine Bedingung – ich freu mich auf euch!

Aischylos: Perser insgesamt, jedoch besonders Einzugslied des Chores V. 1-155 vom Anfang und Monolog der Atossa, V. 598-622

Aristoteles: Rhetorik, 1382a-1383b; Poetik, 1449b-1450; 1453b11

Evangelium des Johannes: insgesamt, jedoch besonders 16,33

Biblia hebraica („Altes Testament“) in der griechischen Übersetzung der Septuaginta: Psalm 56 (Zählung der Septuaginta: 55, Zählung der evangelischen und katholischen Bibelausgaben: 56), Buch Genesis/Bereschit: Kapitel 3

Für alle Texte wird der griechische Text herangezogen, jedoch werden keine griechischen Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Alles wird ins Deutsche übersetzt werden.

Gute deutschsprachige Literatur:

Sabine Bode: Die deutsche Krankheit – German Angst. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Auflage 2007

Borwin Bandelow: Das Angstbuch. Woher Ängste kommen und wie man sie bekämpfen kann. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2006

Wolfgang Schmidbauer: Lebensgefühl Angst. Jeder hat sie. Keiner will sie. Was wir gegen Angst tun können. Herder Verlag, Freiburg 2005

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Die Perser gehen baden im Deutschen Theater

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Jan. 142008
 

Wir besuchten die vielgerühmte Inszenierung der Perser im Deutschen Theater. Die Schaupieler gaben sich redliche Mühe und sagten den wohleinstudierten, äußerst sperrig übersetzten Text mit großem handwerklichem Geschick ohne Stocken auf. Der Regisseur Gotscheff hatte sich offenbar viele Gedanken gemacht und überraschte mit manchem zirzensisch-hübschem Einfall.

Ich dachte an jene glorreichen Zeiten, als die Griechen nach einer Tragödienaufführung der „Zerstörung Milets“ ihr Holztheater kurz und klein geschlagen hatten vor überschäumenden Emotionen. Daraufhin baute man steinerne Theater. Gestern abend blieb alles heil. Es war alles halb so schlimm. Wir gingen nachhause, ruhig, wie uns beschieden ward, nicht ohne vorher geklatscht zu haben.

Ich erstand dann noch eine sehr gute Publikation: Erika Fischer-Lichte / Matthias Dreyer (Hg.): Antike Tragödie heute. Vorträge und Materialien zum Antiken-Projekt des Deutschen Theaters, Deutsches Theater Berlin 2007. Am Abend las ich darin noch zwei erhellende Aufsätze von Susanne Gödde und Anton Bierl.

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Angst vor etwas – warum eigentlich VOR?

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Jan. 102008
 

Der aktuelle Spiegel (Nr. 2 vom 7.1.2008) bringt auf S. 143 unter dem Titel Willkommen, oh Schattenreich eine gute Besprechung der Tagebücher Peter Handkes. Handke schreibt demnach in seinem Tagebuch:

„A. hat Angst vor meiner Unbeherrschtheit, noch bevor ich die Beherrschung verliere (auch so ein kleiner Teufeskreis).“

Ein vortrefflicher Satz! Er spiegelt genau das wider, was die Angst oft so schrecklich macht: Die Erwartung eines Unheils, das man schon von irgendwoher zu kennen meint, das aber noch bevorsteht. Angst scheint stets in die Zukunft gerichtet zu sein. Vor etwa vollständig Vergangenem, einem Unheil, das endgültig abgeschlossen ist, empfindet man keine Angst, sondern Trauer, Wehmut oder ähnliches. Bereits in der Behandlung der Angst (phobos) bei Aristoteles, in der Rhetorik (1382b-1383a), wird das Wägend-Ungewisse, das in die Zukunft Vorgreifende der Angst sehr schön herausgearbeitet, und zwar so, dass auch wir modernen Menschen jeden Satz daraus verstehen und nachvollziehen können.

Tritt das Wovor der Angst dann endlich ein, dann erscheint die Angst sofort gemindert – oder sie verschwindet gänzlich. Dies haben viele Verbrechensopfer, aber auch Soldaten berichtet.

Wahrscheinlich heißt es deswegen: Angst vor etwas haben, nicht nach etwas.

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