Griaß enk Naga! Griaß enk Meroe!

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Feb 232017
 

 

 

 

Hinab ins Alte, ins Uralte führte uns kurz vor dem  „UNESCO-Tag der Muttersprachen“ (21. Februar) der Weg. Einige Händler und Köche aus der sudanesischen Sahara haben Zelte mit bunten Luftballons aufgeschlagen und laden zur Eröffnung des neuen Imbisses ein. Palmen aus Pappmachée, Nachbildungen von Tempelsäulen, Farnwedel und der unverwechselbare Geruch von Falafel, Datteln, Bulgur, Erdnuss-Soßen, Magali und Halloumi umfangen uns. Die Köche begrüßen mich – „Wir kennen uns doch aus der Eisenbahnstraße…?“; „Ja!, wir kennen uns!“, stimme ich zu. Ja, wir Wüstenwanderer – „O Traum der Wüste, Durst und Datteln, endlos Sehnen…“ wir erkennen uns.

Schmeckhaft, lecker breiten sich die Gerichte aus. Wir nehmen Platz und tun uns gütlich! Am besten gefällt  mir, dass die Gäste in ihren Muttersprachen das „Willkommen“ an die Wand schreiben dürfen. Ich erkenne eine uralte, mir unbekannte, entfernt an ägyptische Hieroglyphen des 2. Jahrtausends v. Chr. erinnernde Bilderschrift, ferner das Hebräische, das Türkische, das Isländische und ein gutes Dutzend regionaler Sprachen. Ich beschließe ebenfalls in der Sprache meiner Mutter einen besonders herzlichen Willkommensgruß daneben zu setzen, den mich meine Mutter noch gelehrt hat: „Griaß enk!“ Enk, ein alter Dual des Bairischen, im heutigen Bayern nicht mehr geläufig, aber im südlichen Tirol bei Brixen (das ja zur bairischen Sprachenvielfalt gehört) habe ich ihn noch gehört, von jungen Bergwanderern. Und ich lehre die Sudanesen aus Naga, aus Meroe die zwei herrlich klingenden Wörter des Bayrischen und sie lehren mich den Klang und Sang ihrer Muttersprachen.

O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen!

Bild: Die Wand des Willkommens. In:  Sahara. Sudanesische Spezialitäten. Aufnahme vom 18.02.2017

 

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Was oder wer ist Sómogyi?

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Jan 272017
 

26 gennaio. […] Parte del nostro essere ha sede nelle anime di chi ci accosta: ecco perché è non-umana l’esperienza di chi ha vissuto giorni in cui l’uomo è stato una cosa agli occhi dell’uomo. Noi tre ne fummo in gran parte immuni, e ce ne dobbiamo mutua gratitudine; perciò la mia amicizia con Charles resterà a lungo.

[…]

27 gennaio. L’alba. Sul pavimento, l’infame tumulto di membra stecchite, la cosa Sómogyi.
Ci sono lavori più urgenti: non ci si può lavare, non possiamo toccarlo che dopo di aver cucinato e mangiato. E inoltre, <<…rien de si dégoûtant que les débordements>>, dice giustamente Charles; bisogna vuotare la latrina.  I vivi sono più esigenti; i morti possono attendere. Ci mettemmo al lavoro come ogni giorno.

I russi arrivarono mentre Charles ed io portavamo Sómogyi poco lontano. Era molto leggero. Rovesciammo la barella sulla neve grigia.

Charles si tolse il berretto. A me dispiacque di non avere berretto.

Primo Levi: Se questo è un uomo. La tregua. Einaudi tascabili, Turin 1989, Seite 153

Kurzes einsames Innehalten am heutigen Tag vor dem Denkmal der Erinnerung am Kaiser-Wilhelm-Platz: Flossenbürg, Trostenez, Monowitz und all die anderen Orte. Ich gehe nie daran vorbei, ohne nicht mindestens einen der genannten Orte auf der inneren Landkarte zu verankern und kurz an Menschen wie etwa Primo, Charles und Sómogyi zu denken. Und manchmal stelle ich mein Fahrrad hier am Kaiser-Wilhelm-Platz ab und nehme den Helm ab.  So auch am heutigen Tag. Ich glaube: Sómogyi war auch ein Mensch wie wir anderen es heute sind und morgen sein werden. Die Tagebuchaufzeichnungen Primo Levis vom 26. und 27. Januar 1945 aus dem Buch „Ob das ein Mensch ist“  sind der Beweis.

 

 

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Entspricht das griechische „πρὸς τὸν θεόν“ dem kroatischen „u Boga“ und dem deutschen „bei Gott“?

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Jan 042017
 

1.U početku bijaše Riječ i Riječ bijaše u Boga i Riječ bijaše Bog.
2. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
3. Im Anfang war das Wort  und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.
4. Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.
5. Am Anfang war das Gespräch und das Gespräch war zu Gott und das Gespräch war Gott.

Fünf Mal dasselbe, nur mit etwas anderen Worten ausgesagt? Die erste Fassung ist kroatisch; sie hörte ich so beim Weihnachtsgottesdienst am 25. Dezember 2016 in einer Berliner katholischen Kirche. Die zweite Fassung ist der lutherischen Jubiläumsausgabe der Bibel aus dem Jahr 2017 entnommen. Die dritte Fassung wird in der neuen katholischen Einheitsübersetzung von 2016 angeboten. Die vierte Fassung ist der heute allgemein zugrundegelegte griechische Ausgangstext (Nestle-Aland, 28. Aufl.). Die fünfte Fassung ist der Vorschlag des hier Schreibenden.

Die kleinen Partikeln, die Präpositionen und die Konjunktionen, der bestimmte Artikel und der unbestimmte Artikel sind es häufig, an denen sich der Gesamtsinn eines Satzes entscheidet, in diesem Fall auch der Gesamtsinn eines Textes, also des vierten Evangeliums. Die griechische Präposition πρὸς mit Akkusativ bedeutet in der natürlichen griechischen Sprache der damaligen Zeit und auch bei Johannes eine Gerichtetheit oder eine Bewegung zu etwas hin, auf etwas zu; sie bedeutet keine gleichbleibende räumliche oder zeitliche Nähe. Dynamik, nicht Statik ist stets angesagt!

So heißt es über Nikodemus (Joh 3,2):

οὗτος ἦλθεν πρὸς αὐτὸν νυκτὸς – „er kam des Nachts zu ihm“, „der kam zu ihm bei Nacht“, „dieser suchte ihn nachts auf“ o.ä.

Joh 8,1:

Ἰησοῦς δὲ ἐπορεύθη εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν – „Jesus ging zum Ölberg“ o.ä.

Dementsprechend sagt Jesus in seinem Schlussgebet laut dem Johannesevangelium (Joh 17,13):

νῦν δὲ πρὸς σὲ ἔρχομαι – „nun komme ich zu dir“ o.ä.

Der sprachliche Befund ist eindeutig; er lässt es meines Erachtens nicht zu, die Präposition πρὸς cum accusativo als bei oder kroatisch u zu übersetzen.

Der Logos, die gesprochene, zwanglose Rede, der sprachlich verfasste Sinn-Austausch, der „sermo“, wie Erasmus Logos ins Lateinische übersetzt, das „Gespräch“ suchte gleichsam Gott auf, es suchte Gott, es war in Bewegung auf Gott hin, es war zu Gott gerichtet – ohne doch schon je und je bei ihm zu sein. Es hatte Gott nicht, es war nicht bei Gott, es war vielmehr zu Gott hin.

Johannes scheint den Anfang als eine Art sprachliches Geschehen in der Trennung zu denken. Die Trennungserfahrung, nicht die Einheit scheint im vierten Evangelium am Beginn der Schöpfung zu stehen. Am Anfang stand keine Einheit, sondern eine Mehrheit. Gehen-zu, Suchen, Aufsuchen, das ist der Anfang.

Die Folgerungen aus dieser Auffassung, die sich in den bewussten Gegensatz zum jahrtausendealten Hauptstrom der theologischen, besser: der christologischen Übersetzungstradition des vierten Evangeliums stellt, sind vorerst nicht absehbar, sie sind jedenfalls beträchtlich.

Bild:
Dem Adler gleich,
Der auf schweren Morgenwolken
Mit sanftem Fittich ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe das Gespräch
Übers Gebirge hin.

Blick vom Nordturm der Schnarcherklippen auf die beiden Brockengipfel im Harz; 671 m ü. NN, bei Schierke, aufgesucht und bestiegen am 29.12.2016

 

Quellen:
1) Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe. 1. Auflage. Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 2016, S. 1226 (Joh 1,1)
2) Die Bibel. Lutherübersetzung. Nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel. Revidiert 2017. Jubiläumsausgabe. 500 Jahre Reformation. Mit Sonderseiten zu Martin Luthers Wirken als Reformator und Bibelübersetzer. Deutsche Bibelgesellschaft,  Stuttgart 2016, S. 108 (Joh 1,1)
3) Nestle-Aland. Novum Testamentum graece. 28., revidierte Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2012, S. 292 (Joh 1,1)

 

 

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„Vous n’aurez pas ma haine. […] Il rit.“

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Jul 252016
 

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„Meinen Haß bekommt ihr nicht. […] Er lacht.“

Großes, bewegendes Buch, schmal, es umfasst nur 139 Seiten! Und doch presst der Verfasser Antoine Leiris eine ganze Welt zwischen die Pappendeckel. Herzdeckel!  Schwaches, bebendes Herz eines Kindes, sterbendes Herz einer Mutter, klagendes Herz eines Vaters!

Hier noch ein weiteres Zitat:

„Maison, déjeuner, change, pyjama, sieste, ordinateur. Les mots continuent d’arriver. Ils viennent d’eux-mêmes, pensés, pesés mais sans que j’aie à les convoquer. Ils s’imposent à moi, je n’ai plus qu’à les prendre.“

Alltagsgliederung, das Erledigen der Tuns und Treibens, das feste Gefüge der Lebenswelt, Krippe, Stundenpläne — das alles hilft nach Einschlägen, nach Anschlägen, nach Verwüstungen. Und das Reden, die ordnende, bannende Macht des Erzählens. Heilkraft des Erzählens!

Wozu soll ich Französisch lernen, der Zug ist abgefahren, fragte mich einmal ein 14-Jähriger, der so gern Ego-Shooter spielt – wie all die anderen Jungs auch.Warum ein französisches Buch lesen statt Counterstrike zu spielen?

Spaß am Töten, wenn auch virtuell eingeübt … diese Egoshooter-Spiele senken die Hemmschwelle, sie führen zu einer Gewöhnung an das Töten, sie belohnen  das Töten, wenn auch nur virtuell.

Darum, o Junge – lerne Französisch! Damit du dieses Buch vom Töten und Sterben, Leben und Weiterleben lesen kannst! Es ist ein großer Lobgesang auf das Leben.

Das Buch von Antoine Leiris ist in klarem, redlichem, einfach zu verstehendem Französisch geschrieben. Ich empfehle es zum Französisch-Unterricht an deutschen Gymnasien. Ich griff zu, fand es bei meinem letzten Aufenthalt in Paris und las es atemberaubt beim Rückflug von Paris nach Berlin durch.

Antoine Leiris: Vous n’aurez pas ma haine. Récit. Librairie Arthème Fayard. Paris 2016. Zitate hier von Seite 59 und Seite 139

PS:

Il rit. Er lacht.

Bild: Straßenszene in Paris. Juli 2016, Sonntag Tag des Endspiels der Fußball-Europameisterschaft

 

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Halkyonische Tage: una semana de oro (2)

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Jul 072016
 

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Halkyonische Tage! Sanfte Wollust des Daseins!
Betrachte die weitgeöffneten Blüten,
Höre hinein in den Hörnerschall,
vertraue dich an dem Bach der Bilder!

Glutkern des Sommers, grüne Symphonie,
Genieße das Reiben der Zikadenflügel,
Koste aus die Reibungen der Dissonanzen
In Mozarts köchelndem Andante.

Schmatze die Lasagne in dich hinein,
Sauge am Sellerie, koste die Karotte,
Schenk nach den roten Wein,
Pack Backblech in Klappkorb,

Tritt in die Pedale, fahr hin und her,
Zwischen Kreuzberg und Schöneberg,
Nimm das Kreuz an vor jeder Note,
So schön es ist! Und so gut, so wahr uns…

 

 

 

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„Ich spreche viele Sprachen, aber Deutsch ist meine Lieblingssprache“. Auf die Frage: Was ist deutsch?

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Jul 052016
 

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welche neue Welt bewegest du in mir?
Was ist’s, daß ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

Diese deutschen Verse des aus dem schwäbischen Urach stammenden Eduard Mörike sind schön, sie klingen heiter sangbar, sie haben die Leichtigkeit des Andante cantabile in F-Dur aus Mozarts Streichquartett in C-dur, KV 465, datiert Wien, 14. Januar 1785. Sie sind im besten Sinne typisch und unverwechselbar deutsch. Ich murmele und summe sie manchmal vor mich hin, wie ich auch gerne die eine oder andere Stelle aus Mozarts C-Dur-Streichquartett KV 465 für mich hinsumme und mit anderen zusammen hinfiedele (so etwa gestern abend).

„Aber was ist denn typisch deutsch?“ Antwort: „Deutsch“, das sollte – so meine ich – in heutigen Zusammenhängen im Wesentlichen das sein, was es der Grundbedeutung nach von Anfang an war: eine Sprachbezeichnung. Theodisk, tiudisk, todisk und wie auch immer … das ist seit den Zeiten des Althochdeutschen bis heute jemand, der als Haus- und Heimatsprache jene Sprache verwendet, die in eben dieser Sprache als „theodisk, tiudisk, tütsch, dytsch, daitsch“  usw. bezeichnet wird, also das, woraus sich das heutige Deutsche in all seinen Spielarten entwickelt hat. „Deutsch“ ist seit etwa dem Symboljahr 842, also der Zeit der Straßburger Eide, im Kern kein politischer Begriff, sondern zunächst einmal ein rein sprachlicher.

Dass Sprachzugehörigkeit unverbrüchlich auch politische Zugehörigkeit bedeuten solle, kam später.  Es ist eine Idee von „1789“ bzw. „1813“. Erst durch die Französische Revolution von 1789 und die europäischen Nationalbewegungen (vgl. etwa die preussisch-russische Koalition von 1813, den Startschuss der Befreiungskriege im Norden Europas) wurde die Deckungsgleichheit von Volk, Staat, Sprache und Boden verkündet. „Ein Volk, eine Sprache, ein Land“ – das ist die typische Gleichung dafür, wie sie übrigens bis zum heutigen Tage nicht nur in vielen europäischen Staaten, sondern auch im Nationalstaat Türkei von allen Bergeshängen, auf Plätzen und in Hymnen, in Gedichten und Zeitungsartikeln und Verlautbarungen des Landesvaters verkündet wird.

Wir vertrauen heute dieser damals revolutionären, neuartigen, ab den Symboljahren 1789 und 1813 gut belegten, historisch gewachsenen Gleichsetzung von Boden, Volk, Staat, „Blut und Gut“, Politik und Gesellschaft mit gutem Grund nicht mehr.

Und deshalb treffen Adornos und Bassam Tibis Liebeserklärungen an die deutsche Sprache gerade heute im besten Sinne den Kern der Sache!

Linkspopulisten, Rechtspopulisten, Mittepopulisten oder überhaupt irgendwelche Isten oder Ister – wie etwa die  trotzistischen Brexiteristen – sind Tibi und Adorno dabei sicher nicht! Die heute bei den Deutschen, insbesondere bei den deutschen akademischen Jungspunden in Deutschland so weit verbreitete Missachtung und Geringschätzung der deutschen Sprache ist Tibis und Adornos Sache nicht! Bei vielen Akademikern und auch Kulturschaffenden gehört es – wie wir alle wissen – zum guten Ton, in Deutschland lieber Grotten-Englisch (Globalesisch, wie dies Jürgen Trabant nannte) zu schreiben und zu sprechen als einigermaßen verständliches Deutsch.

Der aus Frankfurt am Main in Hessen stammende Theodor W. Adorno hatte bekanntlich nach dem 2. Weltkrieg erklärt, die deutsche Sprache sei ein Hauptgrund für seine Rückkehr nach Deutschland gewesen. Der aus Damaskus in Syrien stammende Bassam Tibi wiederum erklärt soeben in einem sehr lesenswerten Interview Deutsch nach reiflicher Überlegung zu seiner Lieblingssprache. Und der hier Schreibende nutzt verschiedene Spielarten des Deutschen ebenfalls als einige seiner Lieblingssprachen. Das Bairische und das Alemannische (etwa jenes des aus dem schwäbischen Urach stammenden Cem Özdemir oder jenes eines Eduard Mörike) mit all ihren Spielarten sind unter allen Spielarten des Deutschen wiederum die eigentlichen Heimat-, Herkunfts- und Haussprachen des hier Schreibenden. Ich darf dankbar sagen: Das Bairische und das Alemannische und zunehmend auch das Fränkische gehören unter den mannigfachen Spielarten des Deutschen zu meinen Lieblingssprachen.

Genug des tiefschürfenden Nachdenkens! Beschließen wir diese morgendliche Besinnung mit ein paar wunderschönen, typisch deutschen, nur im laut schallenden,  klingenden Vortrag sich erschließenden  Versen von Eduard Mörike, dem Sohne des Horaz und einer feinen Schwäbin:

Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

 

Quellenangaben:
Eduard Mörike: An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang. In: Deutsche Gedichte. Herausgegeben von Hans-Joachim Simm. Insel Verlag, Frankfurt am Main, 3. Auflage 2013, S. 699-700

Andrea Seibel: „Heute sieht Göttingen aus wie ein Flüchtlingslager“. Interview mit Bassam Tibi. Die Welt, 04.07.2016 (online-Ausgabe)
http://www.welt.de/debatte/article156781355/Heute-sieht-Goettingen-aus-wie-ein-Fluechtlingslager.html

Jürgen Trabant: Globalesisch oder was? Ein Plädoyer für Europas Sprachen. C.H. Beck Verlag, München 2014

W.A. Mozart: Quartett in C. KV 465. In: Die zehn berühmten Streichquartette. Herausgegeben von Ludwig Finscher. Urtext der Neuen Mozart-Ausgabe. Violino I. Bärenreiter Verlag Kassel, 15. Auflage 2013, S. 48-55, hier bsd. S. 48 und S. 51

 

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Col fuoco dell’amare: una semana de oro (1)

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Jul 032016
 

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Reiche, goldene Ernte brachte die vergangene Woche. In leichter Abwandlung des Namens „Fuocammare“ geben wir ihr heute, am ersten Tag der neuen Woche den Titel: Col fuoco dell’amare. Eingeläutet am Montag durch das Totenglöcklein für Carlo. Mein Sohn Ivan überbrachte mir die Nachricht am Vorabend des eigenen Geburtstages. Ich war nicht überrascht. Es war angekündigt von ihm selbst. Nun, … so hatte Carlo es geschafft, er hatte ein Kapitel abgeschlossen, und er betrat das nächste Kapitel, bei dem wir ihm nicht mehr zuschauen können. Was er darüber schreiben oder denken mag, werden wir nicht mehr in eine der ca. 6000 Menschensprachen übersetzen können. Nein, dort schreiben sie nicht, dort sprechen  sie von Angesicht zu Angesicht. Ora vediamo come in uno specchio, in maniera confusa, ma allora… Addio, stammi bene, Carlo! (Occhio alla lingua!) Seien wir dankbar dafür, dass wir ihn erleben durften!

Das Kunstwerk Fuocammare, das ja zu recht den Goldenen Bären, den Orso d’oro bekommen hat, sahen wir den Abend drauf. Einen kurzen tosenden Gewehrschuss entfernt vom Weltkriegsbunker, wo heute die DAV-Kletterer die unzerstörbaren Außenmauern hochklimmen, huschten tausende und abertausende Menschen vor unseren Pupillen. Im flackernden Licht der Scheinwerfer, mit klagender Stimme die letzte Position eines sinkenden Schiffes durchgebend: Hilferufe, hörende Herzen, abgehörte Zwillingsherzen, Ultraschallaufnahmen des vergehenden und des werdenden Lebens. „What is your position? Give us your position!“

„Aver aiutato queste persone ci rende felici“, die am Menschen geleistete Hilfe macht uns glücklich, so fasst es der Dr. Bartolo zusammen.  Werden alle Schiffbrüchigen von Lampedusa überleben? Nein, aber einige werden dank der Hilfe des Dottor Bartolo überleben, leben, besser leben. Und das ist mehr wert alles Geld und alles Gold. (Und doch: die Jungs werden weiter mit Gewehren spielen, der uralt-alte Wunsch zu herrschen über das Leben, zu töten und zu verletzen, wird nicht verschwinden.)

Mhhh…, by the way: What is your position?

Bild: Goldener Widerschein der Abendsonne. Bankgebäude in Friedrichshain-Kreuzberg, am Abend des 30. Juni 2016

 

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Feb 132016
 

Morgen ist der 14. Februar, der Gedenktag der beiden Slawenapostel Kyrill und Method, die zweifellos ebenso bedeutend sind wie der Bischof Valentin, der Bischof von Interamna, dem heutigen Terni in Umbrien, der neben Ambrosius von Mailand einer der Schutzpatrone der Imker (und neuerdings der Chocolatiers und Pralinenhersteller) ist, wovon gerade heute wieder zahlreiche Poster und Plakate kündeten.

Nun Kyrill und Method, beide aus dem griechischen Thessaloniki stammend! Sie sind gewissermaßen die Patrone der orthodoxen, der slawischen Spielart des Christentums. Kyrill schuf die glagolitische Schrift, aus der sich die heutige kyrillische Schrift ableitet.

Unter der „Griechischen“ Religion verstand man zu den Zeiten eines Grimmelshausen die orthodoxe Spielart des Christentums; hinwiederum die „Lateinische Religion“ wäre demnach die westliche Religion, das „Abendland“, das das Neue Testament in einer Ableitung, also in der lateinischen Übersetzung des griechischen Urtextes empfing.

Ein schöner Beleg für die beiden gleichberechtigten Lungenflügel Europas, von denen Papst Johannes Paul II. oft sprach! Die östliche Hälfte Europas empfing das Neue Testament aus dem Griechischen; die Slawenapostel Kyrill und Method formten das kyrillische Alphabet nach dem griechischen Alphabet und übersetzten aus der Weltsprache Griechisch ins damalige Slawische, das „Alt-Bulgarische“, oder auch „Altkirchenslawische“, wie es heute meist genannt wird.

Unter unseren europäischen und nahöstlichen Mitvölkern sind es beispielsweise die Bulgaren, die Russen, die Griechen, aber auch viele syrische Christen, die bis heute das orthodoxe Christentum mit seinen „autokephalen“, also von einer zentralen Amtskirche unabhängigen Patriarchen weitertragen. In gewisser Weise sind also die ostkirchlichen Patriarchate die Vorbilder der viel späteren lutherischen oder reformierten „Landeskirchen“.

Im Jahr 1054 kam es zu einem tiefen Bruch zwischen den beiden Lungenflügeln, der erfreulicherweise in diesen Tagen allmählich zusammenzuwachsen scheint. Es wurde aber auch Zeit. Ich habe selbst dem heutigen Patriarchen Kyrill im Jahre 2014 bei einer Messe in der Moskauer Erlöserkathedrale gelauscht und fand, dass jedes seiner Worte auch für einen abendländisch-lateinischen Christen völlig nachvollziehbar und glaubwürdig war. Die beiden gleichberechtigten Spielarten – die morgenländische und die abendländische – sind geeint in der Person Jesu Christi und im Geist und im Buchstaben der Bibel. Das ist das Wesentliche. Auch die Taufe erkennen sie gegenseitig an.

Grimmelshausen beschreibt im 5. Buch seines Simplicissimus sehr lebendig und amüsant, wie der Held auf seiner kriegerisch-abenteuerlichen Tour in Moskau aufgefordert wird, vom lateinischen Glauben zur griechischen Spielart der christlichen Religion überzutreten. Er widersteht, so sehr ihm aus Opportunitätsgründen der Konfessionswechsel auch zupaß gekommen wäre.

Hier der ganze Passus in der Fassung des Erstdruckes:

Nach dem wir nun sicher in der Statt Moscau ankommen / sahe ich gleich daß es gefehlt hatte / mein Obrister conferirte zwar täglich mit den Magnaten, aber viel mehr mit den Metropoliten als den Knesen / welches mir gar nicht Spanisch / aber viel zu pfäffisch vorkam; so mir auch allerhand Grillen und Nachdenckens erweckte / wiewol ich nicht ersinnen könte / nach was vor einem Zweck er zielte; endlich notificirt er mir / daß es nichts mehr mit dem Krieg wäre / und daß ihn sein Gewissen treibe die Griechische Religion anzunehmen; Sein treuhertziger Rath wäre / weil er mir ohne das nunmehr nicht helffen konte wie er versprochen / ich solte ihm nachfolgen; Deß Zaarn Mayestät hätte bereits gute Nachricht von meiner Person und guten Qualitäten / die würden gnädigst belieben / wofern ich mich accommodiren wolte / mich als einen Cavallier mit einem stattlichen Adelichen Gut und vielen Unterthanen zu begnädigen; Welches allergnädigste Anerbieten nicht außzuschlagen wäre / in deme einem jedwedern rathsamer wäre / an einem solchen grossen Monarchen mehr einen allergnädigsten Herrn / als einen ungeneigten Groß-Fürsten zu haben; Jch wurd hierüber gantz bestürtzt / und wuste nichts zu antworten / weil ich dem Obristen / wann ich ihn an einem andern Ort gehabt / die Antwort lieber im Gefühl als im Gehör zu verstehen geben hätte; muste aber meine Leyer anders stimmen / und mich nach dem jenigen Ort richten / darinn ich mich gleichsam wie ein Gefangner befande / weßwegen ich dann / ehe ich mich auff eine Antwort resolviren konte / so lang stillschwi>
|| [594]
ge: Endlich sagte ich zu ihm / ich wäre zwar der Meinung kommen / ihrer Zaarischen Mäyestät / als ein Soldat zu dienen / warzu er der Herr Obriste mich daselbst veranlaßt hätte / seyen nun Dieselbe meiner Kriegsdienste nicht bedörfftig / so könte ichs nicht ändern / viel weniger Derselben Schuld zumessen / daß ich Jhrentwegen einen so weiten Weg vergeblich gezogen / weil sie mich nicht zu Jhro zu kommen beschrieben / daß aber Dieselbe mir ein so hohe Zaarische Gnad allergnädigst widerfahren zu lassen geruheten / wäre mir mehr rühmlich aller Welt zu rühmen / als solche allerunterthänigst zu acceptiren und zu verdienen / weil ich mich meine Religion zu mutiren noch zur Zeit nicht entschliessen könne / wünschend / daß ich widerumb am Schwartzwald auff meinem Bauren-hof sässe / umb niemanden einiges Anligen noch Ungelegenheiten zu machen;

 Posted by at 21:12
Feb 132016
 

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Wieder und wieder stoße ich auf ungläubiges Staunen, wenn ich vorschlage, man sollte die alten maßgeblichen Schriften der europäischen Geschichte in den Originalsprachen studieren, ggf. auch singen und nicht bloß stumm in Übersetzungen lesen. „Das Neue Testament auf Griechisch singen? Wie schräg ist dieser Vorschlag denn!“

Nun, ich vertrete den Standpunkt, daß man Albert Einsteins Weg zur Relativitätstheorie, ja die Relativitätstheorie selbst umfassend nur erklären und verstehen kann, wenn man Albert Einsteins Schriften im Original, also in deutscher Sprache, d.h. in der Kindheits-, Mutter- und Arbeitssprache Albert Einsteins liest. Ein gleiches gilt für die Quantenmechanik Werner Heisenbergs, bei der ebenfalls sehr gute Deutschkenntnisse zum Verständnis unerlässlich sind.

Goethes West-östlichen Divan wird man nur umfassend verstehen und erklären können, wenn man ihn im Original, also in deutscher Sprache liest, und auch den Faust und auch seine Italienische Reise sollte man ruhig in deutscher Sprache lesen.

Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft, Hegels Phänomenologie des Geistes, das Kapital Karl Marx‘, die Psychoanalyse Sigmund Freuds, Grimmelshausens Simplicissimus teutsch, die deutschen Predigten des Meisters Eckhart, Martin Luthers Sendbrief vom Dolmetschen und all die anderen überragend wirkungsreichen Schriften der europäischen Geistesgeschichte, ja der Weltgeschichte wird man nur umfassend verstehen und erklären können, wenn man sie im Original, also in deutscher Sprache liest. Um überhaupt europäische Geschichte verstehen und lehren zu können, muss man die sieben oder acht großen, wirkungsmächtigen Europasprachen lernen und kennen, zu denen nun einmal neben und hinter dem Griechischen und dem Lateinisch-Romanischen auch das Deutsche gehört.

Ohne gute bis sehr gute Deutschkenntnisse wird man Albert Einstein nicht verstehen. Und dasselbe gilt eben auch für die fortzeugenden Urschriften des Christentums, die samt und sonders in griechischer Sprache verfasst worden sind, so wie die Bibel der Juden in hebräischer – und zu kleinen Teilen auch in der eng verwandten aramäischen Sprache – verfasst worden ist.

Alle Autoren unseres vielzitierten Neuen Testaments, aber auch noch die maßgeblichen östlichen UND westlichen Kirchenväter des 2. Jahrhunderts wie etwa Clemens von Rom (sic!) und Hippolytos von Rom (!) dachten und schrieben nachweislich in griechischer (nicht in lateinischer!) Sprache. Das Griechische und nur das Griechische ist die entscheidende Sprache, in der sich im 1. bis 3. Jahrhundert alle noch heute geglaubten Grundlagen der verschiedenen christlichen Konfessionen ausbildeten.

Das Christentum lässt sich also in diesem angedeuteten historischen Sinne cum grano salis als „West-östliche griechische Religion“ bezeichnen. Ohne Griechisch kein Christentum! Alle bis heute grundlegenden Bekenntnisschriften des Christentums sind griechisch verfasst.

Wer also beispielsweise den ersten Korintherbrief des Apostels Paulus mit dem Hohenlied der Liebe, das Johannesevangelium oder auch das noch heute im Gottesdienst verwendete Nikänische Glaubensbekenntnis umfassend verstehen, auslegen und in moderne Muttersprachen übersetzen will, muss sich mit der griechischen Urfassung kritisch und auch textkritisch auseinandersetzen.

Wer dies verweigert und sagt, dies – also die Befassung mit den griechischen Quellen oder mit der griechischen Sprache – sei nicht mehr nötig, da dies die „Kirchen es im Laufe der Jahrhunderte schon alles richtig gemacht“ hätten, der leistet Verzicht auf einen großen Teil der Bedeutungsfülle, die jenen uralten Glaubenszeugen innewohnt. Er beschneidet sich und seine Freiheit unnötig!

„Aber auf die heutigen Übersetzungen der Bibel ist doch wenigstens Verlaß, oder?“, so fragte den Gräzisten ein Sangesbruder einmal.

Antwort des Gräzisten: „Die Übersetzer haben das Neue Testament verschieden übersetzt. Es kömmt aber heute drauf an, die verschiedenen, teilweise einander glatt widersprechenden Übersetzungen richtig zu interpretieren!“

Sangesbruder: „Du redest und singst in Rätseln. Nenne mir ein Beispiel!“

Der Gräzist: Gern, hier kommt es: καὶ καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν (sprich: kai ho logos ähn pros ton theón). Johannesevangelium Kapitel 1, Vers 1.

Die übliche deutsche Übersetzung lautet: „und das Wort war bei Gott“. Eine mögliche, nicht völlig falsche Übersetzung!

Richtiger wäre aus dem gut bezeugten griechischen, eindeutig belegten und textkritisch gesicherten Wortlaut jedoch: „zu Gott hin“, oder auch „gegen Gott hin“, „angesichts Gottes“ und nicht „bei Gott“.

Denn die griechische Präposition πρὸς mit Akkusativ bezeichnet in all den Jahrhunderten des alten griechischen Sprachgebrauchs – und ohne Zweifel auch im Neuen Testament – keine räumliche statische Nähe („bei“), sondern vielmehr eine gerichtete Bewegtheit zu etwas hin, keine Identität, sondern dynamische Spannung, kein Zusammen, sondern ein Auseinander und ein Zueinander. Eine pulsierende kosmische Bewegung! Gravitationswellen! Saiten, „Strings“, wie die Astrophysiker heute sagen würden, die das gesamte Universum durchziehen! Johannes verfasste lange vor den Astrophysikern der heutigen Zeit eine bildliche String-Theorie des Kosmos.

„Das Wort war zu Gott“, darin steckt eine geradezu Heisenbergsche Unschärferelation, ein energetisches Kraftfeld, eine komplexe Gleichung mit Unbekannten, eine geradezu einsteinisch anmutende Formel, bei der nicht klar ist, ob es sich um Materie, Energie, Gravitation, um dunkle Masse oder um Licht handelt, oder ob alles sich in alles hinein verwandelt.

Beleg:
„Die Präpositionen“, in: Eduard Bornemann, Oberstudienrat i.R. und Honorarprofessor in Frankfurt Main: Griechische Grammatik. Unter Mitwirkung von Ernst Risch, Ordinarius für indogermanische Sprachwissenschaft in Zürich. Verlag Moritz Diesterweg, 2. Aufl., Frankfurt am Main u.a. 1978, S. 197-208, hier insbesondere zu πρὸς cum accusativo S. 204-205

Bild:
Morgenröte, das Heraufdämmern eines neuen Tages über dem Gasometer! Das Heute, das Itzt, das Nu, das Hier!

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„Les préjugés aident à connaître tout ce qui est étranger et à le comprendre“

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Feb 042016
 

Y avait-il des préjugés polonais sur les Allemands ?
Bien sûr, les préjugés aident à connaître tout ce qui est étranger et à le comprendre. Nous communiquons par les clichés. Vous avez aussi des clichés sur nous, sur l’Amérique, sur la Chine et la Russie. Ce n’est pas méchant. Ce qui est dangereux, c’est de rester collé aux clichés.

Ha? Vorurteile sind hilfreich?! So äußert sich der polnische Journalist Adam Krzeminski auf den sympathischen Seiten des „Bösen Wolfes“, einer charmanten polnisch-französisch-deutschen Schülerseite, die in drei Sprachen von jugendlichen Reportern betrieben wird. Das ist doch endlich mal etwas, dem man mit Herzenslust frönen kann. Die Polen sind doch genau so Europäer wie die Franzosen oder Deutschen auch. Sie sind doch nicht schlechte oder uneigentliche oder böse Europäer, weil sie den Euro nicht haben, liebe Kinder, oder etwa doch? Sie leben in Europa, also sind sie Europäer. So einfach ist das!

Polnisch hat sich Krzeminski so ausgedrückt:

Można było spotkać się z uprzedzeniami w stosunku do Niemców?
Ależ oczywiscie, uprzedzenia są pomocą przy poznawaniu obcych rzeczy, porozumiewamy się poprzez stereotypy. Wy tez macie stereotypy dotyczące Polaków, macie stereotypy o Ameryce, Chinach, Rosji. To nie jest niebezpieczne. Niebezpieczne staje się dopiero, gdy trzymamy się tych uprzedzeń.

Ich glaube, Europa findet vor allem in den Kindern und Jugendlichen zusammen, Europa lebt in der Vielfalt der Sprachen und der Meinungen, im Gewebe der Geschichten und Gefühle … und selbst Vorurteile können ein Weg zum besseren Verständnis sein.

Danke, danke, danke, ihr bösen Wölfe!

Die Bösen Wölfe, die sich nur wenige Hundert Meter entfernt von dem Nest zusammenrotten, in dem dieses Blog hier gesponnen wird, sind ein echter Mutmacher für den Zusammenhalt Europas!

http://www.boeser-wolf.schule.de/europa-1914-2014/fr/interviews/journaliste-historien-polonais-adam-krzeminski.html
http://www.boeser-wolf.schule.de/europa-1914-2014/pl/interviews/krzeminski.html
http://www.boeser-wolf.schule.de/index.html

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Jan 152016
 

Wir warn all verdorben
per nostra crimina.

So lautet es lateinisch-deutsch in der dritten, erstmals 1545 bezeugten Strophe des älteren geistlichen Liedes In dulci jubilo, dessen Urfassung und Melodie wohl auf das 15. Jahrhundert zurückgehen. Das neue Gotteslob-Gesangbuch der deutschsprachigen Katholiken bringt das hybrid aus lateinischen und deutschen Teilen geformte Lied als Nummer 253.

Wir waren „verdorben“, corrupti eravamus, wir, das Volk, die Gesellschaft, die „Population“ waren wegen unserer Verbrechen, per nostra crimina, ein heilloses, schuldbeladenes, unrettbar böses Volk. So etwa dürfen wir in heutiger Sprache den Sinn des Weihnachtsliedes wiedergeben.

Gibt es eine Kollektivschuld eines ganzen Volkes? Die heutige deutsche Gesellschaft vertritt in der politischen Elite und den führenden Leitmedien diese Meinung; „dafür, für das und das und das, was das Deutsche Reich in den Jahren 1933-1945 angestellt hat, trägt das deutsche Volk auf ewige Zeiten Schuld und Verantwortung.“ Der Bundestag hat es letztes Jahr in einer Resolution so geschrieben, die junge Generation der Deutschen wird seit etwa 1980 in einem intensiven Schuldgefühl wegen der Verbrechen der Großväter erzogen; die Jahre 1933-1945 werden heute als definierende Momente der deutschen Geschichte gesehen, neben denen nichts anderes Bestand hat. Von Hermann dem Cherusker bis zu den heutigen Tagen gilt die Geschichte der Deutschen als heillos verdorben, Deutschland beeilt sich, seine Eigenständigkeit als Verfassungsstaat endlich aufzugeben, um sich in einen größeren europäischen einheitlichen Volkskörper einzugliedern. Dem dient die schrankenlose Öffnung der Landesgrenzen, die bereitwillige, bedingungslose, unterschiedslose Aufnahme von Hunderttausenden junger kräftiger Männer aus fernen Ländern, die nichts weniger im Sinn haben als Deutsche zu werden.

Von daher erklären sich auch die hartnäckigen Versuche, den deutschen Nationalstaat endlich abzuschaffen, ihn als postklassischen, postnationalen Staat einzuschmelzen in die verherrlichte Währungsgemeinschaft; die Aufgabe der D-Mark wird als sinnfälliger Beweis für die Aufgabe der deutschen Nation gesehen.

„…die Eigenheiten einer Nation sind wie ihre Sprache und ihre Münzsorten, sie erleichtern den Verkehr, ja sie machen ihn erst vollkommen möglich.“ Ein erstaunliches Wort, das Goethe da am 20.07.1827 an Carlyle schreibt! In der Tat, die Sprache ist es, die eine Art geistiges Band der Nation stiftet, so wie die Währung – die „Münzsorte“ – eine wirtschaftliche Einheit der Nation verbürgt und symbolisiert.

„Der Euro darf nicht scheitern! Denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“ Dieser tiefe, irrationale Glaube an den seligmachenden Euro, an die Währung, die die Deutschen endlich von ihrem Deutschsein erlösen soll, findet sich nur in Deutschland – in keinem anderen europäischen Land – als offizielle Politik, – scheint er doch zu verbürgen, dass die Deutschen endlich nicht mehr Deutsche, sondern glühende Europäer sein wollen, da sie doch die eigene Währung sowie zunehmend auch einen Teil der eigenen Sprache auf dem Altar Europas geopfert haben.

Kein Zweifel: Der Begriff der deutschen Kollektivschuld ist heute in Deutschland mehr denn je gelebte und geglaubte Realität; jeder Verweis darauf, dass auch andere Völker etwas Böses getan haben, wird abgebügelt und abgeschmettert mit dem Hinweis, das gehöre sich nicht, man dürfe die unvergleichliche deutsche Kollektivschuld auf keinen Fall in einen Kausalzusammenhang einbetten oder gar relativieren.

Die Theologie des alten Israel kannte übrigens durchaus den Begriff der Kollektivschuld. „Ein verdorbenes Geschlecht“, ein „abtrünniges Volk“, eine „wilde Rotte“, mit dessen „Messer man nichts zu tun haben will“. Es gibt Hunderte derartiger Anklagen der Propheten Israels gegen das eigene Volk oder auch gegen einen der 12 Stämme Jakobs. Jakob selbst sagt sich ausdrücklich in seiner Abschiedsrede, dem berühmten „Jakobssegen“ – von zwei seiner Söhne los – von Simon und Levi. Bekanntlich hatten Simon und Levi den ersten Genozid der Bibel an einer anderen Kultgemeinschaft verübt – ein strafwürdiges Verbrechen. In der Tat verschwindet nach und nach der Stamm Simon aus dem alten Israel, während der Stamm Levi von allem Streben nach irdischer Herrlichkeit abgesondert wird, da seine Mitglieder fortan zu Trägern des Gotteswortes werden – zu den „Leviten“, die eben dem weniger sündhaft gewesenen Teil des Volkes Israel „die Leviten lesen“ sollen.

Das Weihnachtslied „In dulci jubilo“ räumt nun gewissermaßen mit dem antiken Begriff der Kollektivschuld, der Erbschuld auf. Ja, es war so, ja wir WAREN alle böse. Es war so – aber es ist nicht mehr so. Es gibt keine ewige Schuld, jeder Mensch fängt wieder von vorne an, Schuld wird nicht weitergegeben von Vätern auf Söhne.

Das Weihnachtslied verkündet sehr modern die Endlichkeit der Schuld. Es gibt keine absolute Schuld. Es gibt kein absolutes Böses, das in einem Volk nistet.

Für das vorherrschende deutsche Nationalgefühl meine ich hingegen folgende Sätze formulieren zu dürfen: Der Bundestag und das deutsche Feuilleton verkünden die unermessliche Unendlichkeit der kollektiven Schuld. Es gibt absolute Schuld. Es gibt das absolute Böse, das in einem Volk nistet. Und dieses Volk sind wir, die Deutschen.

Das ist der Subtext, den wir immer wieder und wieder hören und aufs Butterbrot geschmiert bekommen.

Die deutsche Nationalhymne müsste folgenden Satz enthalten:

Wir sind all verdorben
per nostra crimina.

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„Ich kann ja kaum salber de Fingerla biegn“

 Advent, Deutschstunde, Donna moderna, Familie, Sprachenvielfalt, Weihnacht  Kommentare deaktiviert für „Ich kann ja kaum salber de Fingerla biegn“
Dez 242015
 

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Der gute alte San Nicola di Bari, der seine letzte Ruh in Apulien fand, also der gute alte Nikolaus aus dem asiatischen Myra, hat mir – in schlichtes, ökologisch verantwortbares Packpapier verpackt – über die vergangenen 24 Tage 24 Gschenkla aus dankbar Hand einer fränkischen Botin zukommen lassen. Heute – als hätt‘ er’s geahnt – lässt er mir nun das letzte Gschenkla, sein Bändchen „Inmitten der Nacht“, zukommen. In aller Frühe schon lese, summe und singe ich mich darin fest, während mein eigener Sohn noch im Nebenzimmer wie ein Murmeltier schläft. Besonders gefällt mir folgende Zwiesprache zwischen einer Frau und einem Mann:

Ufm Berga, da giht dar Wind,
da wiegt de Maria ihr Kind
mit ihrer schlohengelweißen Hand,
se hatt och derzu keen Wiegenband.

Maria: Ach Joseph, liebster Joseph mein,
ach hilf mer wiegen mei Knabelein!

Joseph: Wie kann ich dr denn dei Knabla wiegn!
ich kann ja kaum salber de Fingerla biegn.

Maria: Schum schei, schum schei.

Rätselhaft! Was mag das Ganze bedeuten? Warum sagt und singt Joseph das? Ist es ihm zu kalt? Hat er rauhe rissige Hände von all der männlichen Hobelei und groben Zimmermannsarbeit? Oder sind ihm die Finger durchgefroren und klamm? Oder hält er die Erstversorgung des neugeborenen Kindes für reine Frauensache? Erklärt sich Joseph hier außerstande, den erbetenen Dienst zu leisten? Und was ist das überhaupt für eine Sprache? Etwa Hochdeutsch?

Wir können es nicht wissen! Denn das Lied ist uns schriftlich aus dem fernen Jahr 1841 bezeugt, die Verfasser, die ersten Sänger sind schon längst nicht mehr unter uns. Sie haben uns dieses geheimnisvolle Lied hinterlassen. Um die Wahrheit des Liedes zu erfahren, müsste man es singen, gleich heute abend!

Anyway, be it as it may be, wie soll ich’s dir sagen, come te hi a ddisce? Ti ringrazio tanto, Marie, tu si benedette mmenze a le femmene, e benedette ié u frutte de u vendre tu!

Quellen:
„Auf dem Berge, da wehet der Wind“ – Schlesien. In: Erk-Irmer, Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen, Heft 6, Krefeld und Wesel 1841. Zitiert nach: Inmitten der Nacht. Die Weihnachtsgeschichte im Volkslied. Herausgegeben von Gottfried Wolters mit Holzschnitten von Alfred Zacharias. Möseler Verlag, Wolfenbüttel 1957, Seite 55, sowie Originaltext ibidem auf Seite 78

https://it.wikipedia.org/wiki/Dialetto_apulo-barese

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„Kom signade jul“. Die uralte neue, ewig erneuerte Sehnsucht: frid und glans

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Nov 292015
 

„In des Herzens heilig stille Räume
Mußt du fliehen aus des Lebens Drang
Und das Schöne blüht nur im Gesang“

– so schrieb es Friedrich Schiller 1802 zu „Antritt des neuen Jahrhunderts“. Gesagt getan! Ich floh gestern. Durch Schnee und Sturm kämpfte ich mich in den Süden der Stadt. Dort schloss ich mich dem Chor der Eltern der Beethovenschule an, die für ihre Kinder und alle Menschen den Frieden durch Singen herbeisingen wollten. Angesagt war gestern auch das eine oder andere fremdsprachige Lied. Ich brummte und grummelte die verschiedenen Lieder mit, so gut ich eben konnte. Das „kom“ wird übrigens in der fremden Sprache, die mich irgendwie ans Althochdeutsche erinnerte, wie das altdeutsche „kum“ ausgesprochen.

„Chume chume geselle min
ich enbite harte din“

Diese alten Verse aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts kamen mir in den Sinn, als wir das Lied „Jul, jul, strålande jul“ sangen, das seinerseits dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entsprang.

Cum chum geselle min…
Kom, kom, signade jul! Sänk dina vita vingar
över stridernas blod och larm,
över all suckan ur människobarm,
över de släkten som gå till ro,
över de ungas dagande bo!
Kom, kom, signade jul, sänk dina vita vingar!

Für welches Jahrhundert passten nun diese Verse? Für das erste Drittel des 13. Jahrhunderts, das erste Drittel des 20. Jahrhunderts, oder das erste Drittel des 21. Jahrhunderts? Oder drückt sich in diesem Lied ein überzeitlicher Wunsch aus? Was bedeuteten überhaupt diese Worte: Frid? Glans? Jul? In welcher Sprache waren sie eigentlich verfasst?

Es war mir nicht klar. Aber es gefiel mir, es sprach mich an! Und so sang ich dies Lied spät abends gleich noch einmal in beiden Strophen beim Geburtstag eines Freundes, sang es für ihn und für sein neugeborenes Kind Elisabeth.

Hier ist die erste Strophe des Liedes:

Jul, jul, strålande jul, glans över vita skogar,
himmelens kronor med gnistrande ljus,
glimmande bågar i alla Guds hus,
psalm som är sjungen från tid till tid,
eviga längtan till ljus och frid!
Jul, jul, strålande jul, glans över vita skogar!

 Posted by at 11:43