„als ob man in parteien wirklich was verändern könnte…“

 Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für „als ob man in parteien wirklich was verändern könnte…“
Feb. 022010
 

… so schrieb mir eine teure Freundin heute mitten ins Facebook. Das habe ich mir überlegt – und ich würde so darauf antworten:

Ich kann deine Skepsis nachvollziehen. Die Mitarbeit in den Parteien dauert länger und ist mühseliger als das frisch-fröhliche Drauflos-Demonstrieren.  Dafür verbürgt diese Mühsal, durch noch Ungetanes hinzugehn, eine größere Nachhaltigkeit. Man mag gegen Parteiendemokratie einwenden, was man will – ich selbst kritisiere wie Hans Herbert von Arnim immer wieder die Parteien in aller Schärfe – , aber die Parteien sind wohl doch unverzichtbar. Die Alternative zur Parteiendemokratie wäre – die Vorherrschaft der großen Frauen und Männer, also der Demagoginnen und Demagogen. Würde es unserer Demokratie damit besser gehen? Ich glaube dies nicht!

Niemand hat diese Einsichten besser zu Bildschirm gebracht als ein Parteifreund vorgestern in diesem Blog. Er setzte einen persönlichen Kommentar unter den Eintrag vom 16.01.2010 „Alles paletti?“  Ich nehme mir die Freiheit, diese goldenen Worte als Ermunterung zur demokratischen Partizipation an alle Studierenden hinauszuposaunen. Mein Parteifreund schreibt (und ich nehme mir das sehr zu Herzen!):

Wenn jemand tatsächlich etwas leistet und es ernst meint, hat er /sie alle Chancen. Man muss sich etwas erarbeiten, nichts fällt vom Himmel, […]
Arbeiten Sie mehr mit, sondieren Sie die Lage, wenn Sie eine tolle Idee haben, was man besser machen kann, wird sich keiner verschließen. […]
Nehmen Sie sich in Zukunft vielleicht nicht selbst zu wichtig […]  Immer nur draufhauen bringt gar nichts. Und akzeptieren Sie andere Meinungen, helfen Sie, auch wenn Sie es gerne anders machen würden. Nicht alle eigenen Ideen sind das ultimativ richtige.

 Posted by at 22:22

Es lebe die Republik!

 Antike, Helmut Kohl, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Es lebe die Republik!
Jan. 182010
 

Eine knappe Meldung aus der Berliner Morgenpost:

Schreiber-Prozess – Ab heute steht die „Bimbesrepublik“ vor Gericht – Politik – Berliner Morgenpost
Heute beginnt vor der 9. Strafkammer des Landgerichts Augsburg der Prozess gegen den 75-jährigen Karlheinz Schreiber. Den Vorsitz hat Richter Rudolf Weigell, Chefankläger ist der Leitende Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz. Über 160 Seiten umfasst die Anklageschrift.

Ein Sieg des Rechtsstaates! Wir leben in einem Rechtsstaat!

Unvergesslich sind die Worte der damaligen Generalsekretärin Merkel, mit denen sie ihrer Partei empfahl, sich wie in der Pubertät von ihrem alten Schlachtross, wie Helmut Kohl sich selbst immer wieder bezeichnete, zu lösen. Die Partei müsse lernen, auf eigenen Füßen zu gehen. Das „System“ brach in sich zusammen.

Dieser Vorgang wiederholt sich  in lebendigen Demokratien wieder und wieder. Wieder und wieder erleben wir, wie die berühmten „alten Schlachtrösser“ im Laufe der Jahre und Jahrzehnte sich ein personengebundenes System aufbauen. Man spricht dann vom „System Müller“, vom „System Schmidt“, vom „System Meier“. Die Namen sind austauschbar, das Prinzip ist immer dasselbe: Durch ein weitverzweigtes Netz an persönlichen Gefolgschaftsverhältnissen, durch ein System an Belohnungen und Bestrafungen errichten diese Männer ihre Erbhöfe, ihre kleinen Hofstaaten. Wichtig ist dabei das Prinzip der „Anciennität“: Der Mann im Zentrum des Systems, der Platzhirsch, muss über lange Jahre hin mehr oder minder unveränderlich auf demselben Posten bleiben, sich in denselben Kreisen bewegen. Nur so kann er sein kleines Königreich errichten, ausbauen und gegen von außen oder von innen auftauchende Widersacher verteidigen. Jede Versetzung in einen anderen Wahlkreis, in ein anderes Bundesland würde sofort das personengebundene System gefährden.

Aus diesem Grunde müssen Diplomaten etwa regelmäßig versetzt werden. Jeder Staat muss größten Wert darauf legen, dass seine Vertreter auch den leisesten Anschein von Schattenkönigreichen vermeiden.

Immer dann, wenn ein Politiker über viele Jahre oder gar Jahrzehnte im selben Wahlkreis, auf denselben Ämtern wirkt, besteht die Gefahr, dass er sein persönliches System, sein kleines Königreich errichtet, sein Netz an Erbhöfen und Futterkrippen – zum Schaden der Demokratie, zum Schaden seiner demokratischen Mitbewerber, zum Schaden der Stadt.

Um politische Inhalte geht es bei diesen Systemen der Gefolgschaft meist nicht. Es geht um Macht, um Geld, um Ansehen – Macht, Geld, Ansehen, das sind für viele Männer die stärksten Verlockungen.So sind wir. Bereits die Römer erkannten die enorme Gefahr, die in solchen personengebundenen Gefolgschaftssystemen ruht. Sie schufen für ihre wichtigsten Ämter den Grundsatz der „Kollegialität“ und der „Annuität“. Was heißt das? Es gab zwei derselben Art, etwa zwei Konsuln, zwei Aedilen, zwei Liktoren. Sie schauten sich gegenseitig auf die Finger. Und nach einem Jahr mussten die gewählten hohen Beamten Platz machen.  Sie mussten Rechenschaft ablegen. Folge: Korruption und Amtsmissbrauch waren in der römischen Republik auf ein Minimum beschränkt. Zwar wissen wir von zahllosen Fällen der Korruption, der Durchstechereien, der Klientelwirtschaft. Aber eben dies belegt, dass die Grundeinsicht richtig war: Niemand sollte öffentliche Ämter zur schamlosen persönlichen Bereicherung nutzen können. Dass dies immer wieder geschah, war zwar bekannt. Aber gerade durch das Aufdecken von Skandalen, durch die Entfernung korrupter Beamter von ihren Posten blieb die Republik erhalten.

Die Folge war: Die römische Republik konnte sich etwa 5 Jahrhunderte lang halten, eine auch nach heutigen Maßstäben unvorstellbar erfolgreiche Karriere! Sie überdauerte und besiegte zahllose Königreiche und Stammesgesellschaften, stieg zur bis heute unerreicht kraftvollen Vormacht des Westens, des sogenannten Abendlandes auf – ja sie schuf die Grundlagen dessen, was wir heute noch als Grundpfeiler der funktionierenden Staatlichkeit ansehen: Trennung von Person und Mandat, Rotation der Ämter, Herrschaft des Rechts über persönliche Willkür, zeitliche Beschränkung der Ämter.

Worauf die Grünen zu recht stolz sein konnten, nämlich die „Trennung von Amt und Mandat“, das „Rotationsprinzip“, die „Quotenregelung“, ja selbst die „Doppelspitze“, das war im Grunde nur eine Wiederbelebung dieser kostbaren Einsicht der Römer: Die Republik braucht den regelmäßigen Wechsel. Niemand darf auf seinem Posten kleben. Wenn dann doch die großen Männer aufgebaut werden, die Schlachtrösser, dann drohen selbstverständlich dieselben Gefahren wie in jedem anderen Gefolgschaftssystem auch: Inhaltliche Beliebigkeit, Verquickung von Amt und wirtschaftlichen Interessen. Dies tritt etwa dann ein, wenn ein Grüner plötzlich für die Autolobby arbeitet.

Es bleibt abzuwarten, ob oder besser wie der Sieg des Rechtsstaates vor dem Landgericht Augsburg ab heute zu neuen Bestätigungen dieser uralten Grundsätze führen wird.

Es lebe die Republik! Es lebe der Rechtsstaat!

 Posted by at 08:25

Was soll der Staat?

 Bitte zählen!, Geld, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Was soll der Staat?
Jan. 112010
 

Interessanter Hinweis unseres aufmerksamen Lesers BS auf den folgenden Kommentar von Roland Tichy in der aktuellen Wirtschaftswoche:

 Chefsache » Blog Archive » Der Netto-Schock – wiwo.de
Dieser Staat ist nicht arm – immerhin greift er satte 47 Prozent des Volkseinkommens für sich ab. Zwar wird der Staat 2009 etwa 37 Milliarden Euro weniger eingenommen haben als noch 2008. Aber das Steueraufkommen 2008 war fast 110 Milliarden Euro höher als noch 2005; und selbst im Finanzkrisenjahr 2009 flossen noch 72 Milliarden Euro mehr.

Schlussfolgerung Tichys: Der Staat sollte zuerst an den Ausgaben sparen und dann an Steuersenkungen denken. Er unterstellt der CDU, sie habe der SPD den Ruf der Hüterin des Sozialstaates abkaufen wollen. Die FDP sollte nun als Hallodri dargestellt werden.

Ob man dem nun zustimmt oder nicht: Ich selber vertrete ebenfalls die Ansicht, dass der Weg zu konsolidierten Staatsfinanzen zunächst über Ausgabenkürzungen führen muss. Da hatte doch Andreas Troge, der kurz vor den Wahlen aus der CDU ausgetretene ehemalige Chef des Umweltbundesamtes, den Vorschlag gemacht, man solle die direkt umweltbelastenden Subventionen streichen. Einsparpotenzial 30 Mrd. Euro (dieses Blog berichtete am 19.09.2009). Und du atmest auf.

 Posted by at 21:32
Jan. 072010
 

Hier kommt Futter. Ich habe mich ja schon als eifriger Wolfgang-Schäuble-Leser zu erkennen gegeben … auch dadurch mache ich mir im trutzigen Friedrichshain-Kreuzberg Feinde, oder? Aber prüft selbst – ihr werdet zugeben müssen: Der Mann hat mindestens mit folgenden Aussagen recht:

Dr. Wolfgang Schäuble MdB: Interviews
ZEIT: Zum Wettbewerb gehören unterschiedliche Positionen. Es sieht manchmal so aus, als würden die Vblksparteien Unterschiede nur noch vorspielen.

SCHÄUBLE: Natürlich findet der Wettbewerb um Mehrheiten in der Mitte statt. Das verhindert, dass wir durch eine Polarisierung zu den Rändern hin zerbrechen. Aber die Unterschiede bleiben. Sozialdemokraten haben in der Frage, was der Staat regeln soll und was man lieber den Menschen selber überlässt, grundlegend andere Vorstellungen als Christdemokraten. Dennoch können demokratische Parteien trotz ihrer unterschiedlichen Koordinatensysteme zusammenarbeiten. Wir finden Lösungen, auch wenn es manchmal mühsam ist. Ich bin überhaupt nicht für Hauruckverfahren, oder für ein Mehrheitswahlrecht, um das Regieren vermeintlich zu erleichtern. Das würde in Deutschland keine Akzeptanz finden.

zeit: Also sind Sie für Konfliktdemokratie?

SCHÄUBLE: Ich nenne es Wettbewerbsdemokratie. Nur dadurch entstehen Vielfalt, Spannung, Motivation, Mobilisierung. Eine Große Koalition produziert immer auch Müdigkeit. Ich will nicht den Wettbewerb: Wer schwätzt am dümmsten, oder wer ist der größte Demagoge? Sondern: Wer kann unter den schwierigen Bedingungen moderner Kommunikation die Menschen von dem, was er für richtig hält, überzeugen, also davon, dass europäische Einigung wichtig ist, dass der Staat nicht alles regeln kann und soll, dass der Staat Freiheitsrechte bewahrt und nicht bedroht? Ich bin dafür, dass wir darüber streitig diskutieren.

 Posted by at 14:35
Dez. 062009
 

Bereits im 5. Jahrhundert vor Christus zeichnet sich ein Gegensatz zwischen orientalischer Herrschaftskultur und europäischer Freiheitskultur ab. In den Persern des Aischylos, aber auch im Buch Ester der Hebräischen Bibel wird dies exemplarisch fassbar.

Die orientalische, die östliche Herrschaftskultur beruht auf der Unterwerfung des Einzelnen unter die göttlich überhöhte Vorrangstellung der Macht. Die Macht des Selbstherrschers setzt das Recht, schützt den Einzelnen vor Anmaßungen anderer, verlangt aber bedingungslose Anerkennung und Verherrlichung. Bis zum heutigen Tage herrschen in den meisten Nachfolgestaaten der antiken Großreiche des Ostens autokratische, auf Unterwerfung beruhende Regierungen. Die einzige Ausnahme stellen Israel und – mit allerdings erheblichen Einschränkungen – die Türkei und teilweise Libanon dar. Alle anderen Staaten vom Maghreb bis nach Pakistan sind autokratische oder diktatorische Regimes, in denen sich niemals über die Jahrtausende hin eine echte Freiheitskultur entfaltet hat.  Die Bürger dieses Staaten sind an ihre Versorgungsdiktaturen gewöhnt. Die Macht setzt sich durch, gestützt auf einen willfährigen Polizei- und Beamtenapparat.

Aus diesen Ländern der Versorgungsdiktaturen kommen die „problematischen“ Migrantengruppen zu uns. Da sie in ihren Herkunftsländern niemals aktive Teilhabe am öffentlichen Leben erlangt haben, setzen sie ihre Karriere als Versorgungsempfänger in Deutschland nahtlos fort. Folge: es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, etwa Elternabende zu besuchen. Alles, was der Staat macht, wird von den Bürgern hingenommen. Weder wird der Staat kritisiert, noch wird er aktiv verändert. Der Staat – hier also vertreten durch die Schule – soll seine Versorgungsleistungen erbringen. Zu diesen Leistungen gehört auch die Erziehung der Kinder. Man liefert Kinder ab, und die Schule soll sie erziehen. Der Islam mit seinem starken Akzent auf Endgültigkeit, mit seinem geschlossenen Weltbild, mit seiner nicht-diskursiven Ethik eignet sich ideal als Kitt solcher autokratischer Herrschaftsverbände.

Ganz anders das europäische Modell der abendländischen Leitkulturen! Europäische Leitkulturen sind dynamisch. Sie entstehen aus dem häufig streitigen Gegeneinander unterschiedlicher Machtpole und Machtinteressen. Machtverherrlichung ist nicht ihr Hauptzweck, sondern Befragung, Bekämpfung oder auch Sicherung der stets gefährdeten Macht. Europäische Leitkulturen sind nach vorne offen, sie zeichnen sich durch stetes Umdeuten der Herkünfte aus. Zu den europäischen Leitkulturen gehören deshalb untrennbar offene Kanonbildungen – ja der Kanon kultureller Werte und Werke ist selbst Gegenstand fortlaufender Neudeutung und Neuschaffung.

In der Berliner Schulpolitik herscht riesige Verwirrung über die Herkunftsländer unserer Migranten – sofern man sie überhaupt zur Kenntnis nimmt.  Unser Sozialsystem wird von den Zuwanderern aus Türkei, Libanon oder Jordanien als bruchlose Fortsetzung der orientalischen Versorgungsdiktaturen erlebt und dankbar entgegengenommen. Die orientalisch-islamische Herrschaftskultur wird meist unbefragt weitergegeben. Dies erfahre ich auf Schritt und Tritt bei der Begegnung mit jungen migrantischen Männern in Kreuzberg.

Diese jungen migrantischen Männer wachsen in ein kulturelles Vakuum hinein, da die deutsche Gesellschaft – also wir – es nicht mehr vermag, ihre eigenen Werte überzeugend zu formulieren. Vielmehr wird in der deutschen Politik der Staat zunehmend zum „Anspruchsgegner“ gemacht, der uferlos auswuchernde Versorgungs- und Glückseligkeitswünsche zu befriedigen hat. Diese Grundhaltung „Versorge uns oh Staat!“ reicht bis weit in die CDU und die FDP hinein.

Man kann dies auch an den neuesten Schulreformversuchen ablesen. So wird etwa in der Broschüre des Berliner Senats zur neuen Sekundarschule nirgendwo die Rolle der Familie oder der fundamentale Beitrag des Einzelnen erwähnt – vielmehr wird das gesamte Schulwesen als eine Art BVG-Verschiebebahnhof dargestellt. Es kommt nur darauf an, den richtigen Waggon zu erwischen, alles andere regelt der Staat für die Schüler.

Ich halte dies für gefährlich. Wir brauchen nicht den Untertan, den unmündigen Leistungsempfänger. Wir brauchen den mündigen, seiner Rechte und Freiheiten bewussten Menschen und Bürger, der seine Glückseligkeit nicht vom Staat erwartet, sondern selbst dafür arbeitet.

 Posted by at 21:28
Sep. 132009
 

Eine der besten Reden, die ich in den letzten Wochen lesen konnte, ist die Rede des Kaisers Claudius. Ihm wurde eines Tages im Senat vorgeworfen, er spreche zu vielen Menschen das Bürgerrecht zu.  Aber er weist das zurück: seit jeher habe Roms Größe darin bestanden, ehemalige Nachbarn, ja ehemalige Feinde zu Staatsbürgern zu machen. Dazu gehörten nicht zuletzt seine eigenen Vorfahren und die der meisten Anwesenden! Absolut richtig! Das Imperium romanum hat immerhin mehr als 1000 Jahre gehalten. Stabilität eines staatlichen Gebildes hängt nicht zuletzt davon ab, ob es einen einbeziehenden, für Außenstehende zugänglichen Begriff der Staatsbürgerschaft hat. Die Römer haben das geschafft. Anders die Griechen, deren staatliche Gebilde aus heutiger Sicht sehr empfindlich waren – zu stark eine Bürgerschaft aus verschiedenen Klassen hatten. Die einheitliche Staatsbürgerschaft durch Geburt auf römischem Boden – das war die zukunftsweisende Großtat des 1. Jahrhunderts. Einer der ersten, die davon profitierten, war Saulus aus Tarsos, der spätere Apostel Paulus.

Aber lest selbst. Tacitus berichtet in Annales, 11.24:

Tacitus: Annales XI
His atque talibus haud permotus princeps et statim contra disseruit et vocato senatu ita exorsus est: ‚maiores mei, quorum antiquissimus Clausus origine Sabina simul in civitatem Romanam et in familias patriciorum adscitus est, hortantur uti paribus consiliis in re publica capessenda, transferendo huc quod usquam egregium fuerit. neque enim ignoro Iulios Alba, Coruncanios Camerio, Porcios Tusculo, et ne vetera scrutemur, Etruria Lucaniaque et omni Italia in senatum accitos, postremo ipsam ad Alpis promotam ut non modo singuli viritim, sed terrae, gentes in nomen nostrum coalescerent. tunc solida domi quies et adversos externa floruimus, cum Transpadani in civitatem recepti, cum specie deductarum per orbem terrae legionum additis provincialium validissimis fesso imperio subventum est. num paenitet Balbos ex Hispania nec rninus insignis viros e Gallia Narbonensi transivisse? manent posteri eorum nec amore in hanc patriam nobis concedunt. quid aliud exitio Lacedaemoniis et Atheniensibus fuit, quamquam armis pollerent, nisi quod victos pro alienigenis arcebant? at conditor nostri Romulus tantum sapientia valuit ut plerosque populos eodem die hostis, dein civis habuerit. advenae in nos regnaverunt: libertinorum filiis magistratus mandare non, ut plerique falluntur, repens, sed priori populo factitatum est. at cum Senonibus pugnavimus: scilicet Vulcsi et Aequi numquam adversam nobis aciem instruxere. capti a Gallis sumus: sed et Tuscis obsides dedimus et Samnitium iugum subiimus. ac tamen, si cuncta bella recenseas nullum breviore spatio quam adversus Gallos confectum: continua inde ac fida pax. iam moribus artibus adfinitatibus nostris mixti aurum et opes suas inferant potius quam separati habeant. omnia, patres conscripti, quae nunc vetustissima creduntur, nova fuere: plebeii magistratus post patricios, Latini post plebeios, ceterarum Italiae gentium post Latinos. inveterascet hoc quoque, et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit.‘

 Posted by at 23:54
Juli 232009
 

Viel zu wenig beleuchtet im Tagesgespräch wurde leider eine große, vielsagende Studie über: Die Unzufriedenheit der Ostdeutschen mit der Bundesrepublik. Also – eine Unzufriedenheitsstudie! Na, das soll uns Deutschen erst einmal einer nachmachen! Auftraggeber: die Volkssolidarität, der führende Wohlfahrtsverband in den östlichen Bundesländern, der seit 60 Jahren dort besteht. Was soll die wichtigste Aufgabe des Staates sein? Darauf antworten die meisten unter allen Befragten, nämlich 47%: Die soziale Sicherheit ist der wichtigste Wert staatlichen Handelns!

Nicht Freiheit, nicht Gerechtigkeit, nicht Wohlstand, nicht “soziokulturelle Teilhabe”, sondern schlicht dies: soziale Sicherheit. Ach Vera, ach Halina, hättet ihr euch das gedacht bei eurer denkwürdigen Diskussion im Café Sybille im Februar 2009, an die ich noch gerne zurückdenke? Continue reading »

 Posted by at 23:36
Juni 172009
 

Ich gerate auf dem Weg zur Arbeit in die Demonstration der Berliner Schüler und Studenten für bessere Bildung. Ich zückte mein Handy und nahm ein Video auf, das ihr sehen könnt, indem ihr hier drauf klickt. Zahlreiche Organisationen haben zum Schulstreik aufgerufen. Na, das kenne ich. Ich war als Schülersprecher damals ebenfalls an der einen oder anderen Aktion beteiligt. Wir forderten die Drittelparität in der Schulkonferenz. Wir wollten die volle Demokratie in der Schule. Ich selber war meistens bei solchen Umtrieben mit dabei. Mein Vater stand leider auf der Gegenseite: Er unterrichtete Grundschulpädagogik, galt als Marionette des Kultusministers, der die böse ASchO, die Allgemeine Schulordnung, erlassen hatte – frecherweise, ohne uns Schüler vorher um Erlaubnis zu bitten. Dass ich meinen Vater als Hampelmann des bayerischen Kultusministers Hans Maier in einer Karikatur entdecken musste, gab mir aber doch einen einen Stich mitten ins Herz.

Heute empfand ich das ganze eher als Getöse, als nicht ganz ernstzunehmen. Es war ein Happening.  Zwar halte ich es immer für gut, wenn man gute Bildung fördert und fordert. Aber dann sollte man bei sich selbst anfangen. Niemand hindert die Schüler am Lernen. Ich sehe keine Schüler und Schülerinnen, die wirklich hart, fleißig und zielgerichtet mit dem selbstbestimmten Lernen beschäftigt sind. Ich sehe die Jugendlichen trommeln, in Bars herumhängen, mit Handys telefonieren, kiffen, rauchen und trinken. Ich weiß: Nicht alle sind so. Aber sie haben viel Geld, viel Zeit und Eltern, die kaum etwas von ihnen zu erwarten scheinen. Die Schüler sind in der Schule weitgehend unterfordert.

17062009001.jpg

Ich lasse mir ein Flugblatt geben. Die Sozialistische Jugend Die Falken SJD schreibt:

Der Kapitalismus frisst den ganzen Bildungskuchen und alle Studienplätzchen alleine.

WIR FORDERN: GEBÄCK FÜR ALLE.

Wir brauchen den Kapitalismus nicht.

Nur gemeinsam können wir das System überwinden.

Aha. Also doch. Die Demo wird instrumentalisiert, um gezielt den Überdruss am Kapitalismus zu schüren. Intelligenz ist also eine Art Keks, den der Staat an uns alle verteilen soll. Kostenlos.

An meiner heutigen Arbeitsstätte angekommen, lese ich das Handelsblatt von gestern. Kanzlerin Merkel rechtfertigt erneut die umfassenden staatlichen Hilfen für einzelne Wirtschaftszweige. Ich lese:

Merkel wie Steinmeier bekannten sich zum Modell des Exportlandes Deutschland. Zwar sei die exportabhängige deutsche Wirtschaft momentan von der Krise besonders stark betroffen. „Es gibt aber keine Alternative dazu, dass wir eine exportstarke Nation sind“, hob Merkel hervor, „ansonsten ist unser Wohlstand in Gefahr.“ Damit setzt die Bundesregierung ihren Kurs der staatlichen Rettungspolitik fort und schlägt Warnungen der Wirtschaftsforscher in den Wind, dem Export zu sehr zu vertrauen.

Auch BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sieht keine Alternative zu einem „starken Industrieland Deutschland“. Der frühere Hoch-Tief-Chef warnte die Wirtschaft jedoch davor, sich in der Krise zu stark auf Staatshilfen zu verlassen. Außerdem mahnte er eine wirkliche Reform der Steuer- und Sozialsysteme an. Sonst erreiche man das Ziel nicht, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Ist unser Wohlstand in Gefahr, wenn die Exporte dauerhaft und massiv einbrechen? Ja! Ist die Sicherung des Wohlstands ein vorrangiges Ziel der Politik? Offensichtlich ja.

Kann der Staat für seine Bürger den Wohlstand sichern? Hierauf lautet meine Antwort: Nein. Es kann nicht Ziel des Staates sein, den Wohlstand der Bürger durch exorbitante Verschuldung für eine Legislaturperiode zu sichern. Die Bürger müssen sich den Wohlstand erarbeiten. Durch Fleiß, durch kluges Handeln, durch Beharrlichkeit und Redlichkeit. Der Staat kann allenfalls Rahmenbedingungen setzen. Er ist nicht dafür zuständig, den Wohlstand der jetzt Lebenden durch Verschuldung der künftigen Generationen zu sichern.

Es gibt Werte, die weit wichtiger sind als der Wohlstand: Das ist das Recht, das ist die Freiheit. Durch die jetzige Politik der Hochverschuldung wird die Freiheit der nach uns Kommenden beschnitten. Und auch das Recht wird beeinträchtigt, etwa durch die törichterweise im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“. Es ist nicht schlimm, wenn unser Lebensstandard erheblich zurückgeht. Es ist schlimm, wenn Freiheitsrechte der Menschen durch immer neue Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und durch immer einseitigere Ansprüche der Bürger an den Staat beschnitten werden.

Es wird der trügerische Wahn erzeugt, staatliches Handeln könne maßgeblich Wohlstand sichern. Ich sage: Das Handeln des Staates kann den Wohlstand ebensowenig sichern wie zusätzliche Bildungsmilliarden das gute Lernen der Schüler garantieren. Man fragt immer erneut beim Staat an. „Mach uns glücklich durch Glückskekse, Vater Staat! Mach uns klug durch Klugheitsgebäck, Mutti Bundesrepublik! Mach uns reich, oh Konjunkturprogramm II!“

Dieser selbstherrliche Anspruch des Staates, wie ihn Kanzlerin Merkel wieder und wieder formuliert, nämlich das Glück und den Wohlstand der Bürger zu sichern, führt in die Irre. Das ist die neueste Fassung eines polemischen alten Wortes, das der gute Bismarck prägte, als er seine Sozialversicherungen einführte: Staatssozialismus.

 Posted by at 21:55
Juni 082009
 

Es wäre interessant, eine europäische Methodenlehre des organisierten Verbrechens (Organisierte Kriminalität, OK) zu schreiben. Tierkadaver vor der Haustüre eines Bedrohten – das ist eine vielfach bezeugte Methode der Einschüchterung der neapolitanischen Camorra. Die Botschaft ist klar: „Pass auf – damit dir das nicht auch passiert!“ Oft wird durch die Wahl des Tieres noch eine versteckte Botschaft mit übermittelt. Ziel derartiger Einschüchterungen ist es meist, das Verschwiegenheitskartell, die sogenannte omertà, aufrechtzuerhalten. Wer den Mund hält und seine Mitwisserschaft nicht preisgibt, hat in der Regel nichts zu befürchten. Wer auspackt, spielt mit seinem Leben.

Umgekehrt war Manipulation an Fahrzeugen, z.B. durch zerschnittene Bremsschläuche, durch gelockerte Radmuttern, eine gut bezeugte Methode des deutschen Staatssicherheitsdienstes, um Aussteiger und Oppositionelle zu beseitigen. Denn derart getarnte Morde lassen sich nachträglich kaum nachweisen.

Für den Ethnologen hochinteressant: Beide Methoden kommen mittlerweile im Sonderoperationsgebiet Ex-DDR zusammen. Im Havelländischen etwa. Wann? Vor zwanzig Jahren? Nein, heute, im Jahr 2009! Aber lest selbst die Morgenpost von gestern:

Stasi – Die drückende Last der Vergangenheit – Brandenburg – Printarchiv – Berliner Morgenpost
Der Schock für den havelländischen CDU-Schatzmeister Holger Schiebold war groß. Im März fand er eine tote Katze vor der Tür, an der Klinke hing eine Plastiktüte mit Urin. Lebensbedrohliches widerfuhr CDU-Kreischef Dieter Dombrowski. Dieser erhielt mehrere Droh- und Schmähbriefe.
– Anfang April stellte Dombrowskis Autowerkstatt fest, dass die Bremsen des VW Touran der Familie ganz offensichtlich manipuliert worden waren. Der Spuk hatte auf dem Höhepunkt der Abwahldiskussion um den Stasi-belasteten Milower Bürgermeister Peter Wittstock begonnen. Schiebold und Dombrowski gehörten zu jenen, die für die Abwahl von Wittstock gekämpft hatten. Die Abwahl scheiterte, der Mann blieb im Amt.

Wie kann man gegen die OK vorgehen? Sicherlich ist die polizeiliche Ermittlungstätigkeit wichtig, wobei selbstverständlich stets die Möglichkeit von Maulwürfen in den Reihen der Polizei zu berücksichtigen ist. Ebenso wichtig scheint mir das Herstellen einer kritischen Öffentlichkeit, so etwa in Blogs wie diesem hier, in Zeitungen, Fernsehen und Parlamenten. Deshalb ist die parteiübergreifende Initiative von Bundestagspräsident Norbert Lammert zur neuerlichen Stasi-Überprüfung in jedem Sinne zu begrüßen! Die Stasi-Verstrickung der öffentlichen so genannten „Eliten“ muss aufgeklärt werden. Dieser Prozess ist naturgemäß unabschließbar. Wenn wir in Deutschland die Zügel weiterhin so schleifen lassen wie bisher, dann drohen in Deutschland, vor allem in der früheren DDR, (süd-)italienische Verhältnisse, sofern wir sie nicht schon haben: massives Einsickern der internationalen OK in den legalen Wirtschaftskreislauf, Unterwanderung der Führungszirkel in Parteien, Regierungen und Parlamenten. Vorbeugen ist besser als Einknicken!

 Posted by at 14:32
Apr. 202009
 

Leider mal wieder völlig abwesend: Hauptschüler, türkische und arabische Schüler – die sollten mal auspacken!

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin; Cordula Heckmann, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Realschule und Leiterin des Jahrgangs 7 an der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“ in Berlin; Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch; Günter Offermann, der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach: das waren die Teilnehmer des Forums auf dem taz-Kongress, zielstrebig und klug geleitet von Tazzlerin Anna Lehmann. Ich setzte mich ins Publikum, lauschte. Christa Goetsch stellte das neue Hamburger Modell vor: Das Gymnasium bleibt erhalten, wird nach 12 Jahren zum Abitur führen. Daneben tritt die Stadtteilschule, auf der es 13 Jahre bis zum Abitur dauert. Neue Schulstruktur – neue Lernkultur: das waren auch die Zauberwörter, um die die insgesamt hochanregenden Beiträge kreisten. Lehrer, Schüler und Fachleute diskutierten, tauschten Erfahrungen aus – sehr gut!

Das Gymnasium – ein Auslaufmodell at 30 Jahre taz – tazkongress vom 17. bis 19. April 2009

Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: „Welche Schulformen werden benötigt?“ und Unterrichtsqualität: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“

In der Debatte meldete ich mich zu Wort. Ich beklagte die ethnisch-religiöse Segregation der Schülerschaft in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Die deutschen Eltern wollen nichts mit den mehrheitlich muslimischen Klassen zu tun haben. Diese Abschottung ist eingetreten, unabhängig von allen Diskussionen um Schulstrukturen und Unterrichtsformen.

Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter vorgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in das System und in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Sie müssen hier Pflichten und Verantwortung übernehmen.

Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett „Kind mit Migrationshintergrund“ verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen-Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

Nachher sprechen mich verschiedene Teilnehmer an: „Sie haben natürlich recht“, wird mir bedeutet. Nur sagen darf man es nicht so laut. Das stört die einträchtige Harmonie.  Es muss ja noch Stoff zum Diskutieren geben.

 Posted by at 22:59

Wahlrecht hin zu mehr Bürgerbeteiligung ändern? Man sollte darüber reden!

 Horst Köhler, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Wahlrecht hin zu mehr Bürgerbeteiligung ändern? Man sollte darüber reden!
März 272009
 

Oft wird vom Parteienstaat gesprochen. Die Parteien, denen von der Verfassung eine „mitwirkende“ Rolle zugewiesen wird,  hätten sich tatsächlich die staatlichen Organe untereinander aufgeteilt, so ein häufiger Vorwurf.

Statt mündiger Bürger, statt selbstbewusster „Freigänger“ sitzen in dieser Sicht „Parteikarrierevollzugsbeamte“ in den Parlamenten.

Ich meine: Diese Kritik ist in vielfacher Hinsicht berechtigt. Denn nur etwa 0,2 Prozent der Wahlbürger bestimmen über die Zusammensetzung der Listen für die Parlamentswahlen.

Zwei Wege aus der mangelnden Repräsentativität sehe ich: Einerseits sollten die Bürger in die Parteien hineinströmen, sie am hellen Tageslicht unterwandern, oder auch neue Parteien gründen, wenn sie an den bestehenden Parteien verzweifeln. Die Grünen haben dies erfolgreich vorgeführt.

Andererseits sollte man ernsthaft über eine Wahlrechtsreform nachdenken. Bundespäsident Köhler hat dies heute in seiner Paulskirchenrede angeregt. Muss die Hälfte der Parlamentssitze wirklich über Listen vergeben werden? Könnten die Listen nicht unter Einbeziehung von Nicht-Parteimitgliedern ermittelt werden? Warum haben es parteilose Bewerber so schwer? Sollte man nicht die Bürger ermuntern, ohne Parteienbindung auf eigene Faust sich in ihrem Wahlkreis zu bewerben? Ich bin für eine stärkere Gewichtung der Direktkandidaturen!

Brauchen wir überhaupt die Parteien in der jetzigen Form? Oder läuft es mehr auf „Bürgerplattformen“ hinaus? Auf den Grundgedanken einer „Union“ und Bündelung verschiedener Kräfte? Bedenken wir: Die athenische Demokratie kam ganz ohne Parteien aus, ja es wurde sogar alles getan, um die Aufspaltung der Gesellschaft in Parteien (staseis) zu verhindern! Wer sich um ein Amt bewarb, der musste eines unter Beweis stellen: seine ausschließliche Orientierung am gemeinsamen Guten, am Gemeinwohl. Umgekehrt gab es Parteien im römischen Kaiserreich – die „Blauen“ oder die „Grünen“ – sie verkörperten in der Regel die Soldatenhorden, die sich um einen General geschart hatten, um für sich die Macht zu erringen, und zwar mit allen Mitteln, auch mit Mord.

Spricht man dagegen heute mit Parteimitgliedern, so scheint ihr vordringliches Interesse vielfach darin zu bestehen, möglichst viel Macht für das eigene Lager zu gewinnen. Wie oft habe ich gehört: „Es ist zwar richtig, was Sie sagen, aber damit können wir nicht punkten!“ Es geht offenbar nicht darum, die besten Lösungen für die Gemeinschaft zu erarbeiten, sondern die eigenen vorgefertigten Rezepte ins Volk zu tragen und dafür möglichst viel Zustimmung einzuwerben. Deswegen wirken Parteien auf Außenstehende oft so undurchdringlich, so unbegreiflich, so lächerlich, so abgeschlossen, ja mitunter so abstoßend.

Und die Vorläufer der heutigen Parteien, die „Clubs“, die 1848 in der Paulskirche zusammentraten, waren lose Personenverbände, keineswegs straffe Organisationen des heutigen Typs. Ihre Namen sprechen Bände: „Café Milani“, „Casino“, „Pariser Hof“, „Westendhall“ usw.

Ich selber hege – offen gestanden – Sympathien für jene Politiker, die nicht durch ihre Parteizugehörigkeit erklärbar sind, ja sogar als echte „Freigänger“ quer zu den Parteigrenzen agieren, wie etwa der jetzige Bundespräsident, Altkanzler Helmut Schmidt, die jetzige Bundeskanzlerin und vor allem auch der jetzige Präsident der USA. Ich glaube: Nach dem Ende des Kalten Krieges wird der politische Wettbewerb um die besten Lösungen geführt, nicht mehr darum: „Welche Partei hat immer und überall recht?“

Ich muss mir unbedingt den Wortlaut der letzten Rede von Horst Köhler beschaffen. Ich glaube, er bringt erneut etwas Förderungswürdiges ins Rollen.

Verfassungsrede: Köhler fordert mehr Rechte für Wähler – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Horst Köhler hat zusätzliche Rechte für die Wähler in der deutschen Demokratie vorgeschlagen. Zum 160. Jahrestag der ersten demokratischen Verfassung für Deutschland schlug der Bundespräsident am Freitag in der Frankfurter Paulskirche Änderungen des Wahlrechts an. Wähler sollten mehr Einfluss darauf erhalten, welche Kandidaten von den Wahllisten der Parteien ein Mandat bekämen: „Es müssen ja nicht immer nur die sein, die oben stehen.“

 Posted by at 16:33
März 222009
 

conze_sicherheit.jpg Am Ruhetag des Herrn beschränken wir uns darauf, das zu lesen, was offen auf dem Tisch liegt. Heute: einer der besten Buchprospekte, die ich je las: vorne werden Bücher  wie das gestern gepriesene „Kultur, um der Freiheit willen“ oder Helmut Schmidts „Außer Dienst“ angezeigt, hinten Bücher mit äußerst beredten Titeln wie etwa „Der Aufstieg der Anderen“, „Kalte Heimat“ oder „Klang ist Leben“. Aber mein Auge bleibt haften an einem ganz besonders klangvollen, in ausgepicht-raffinierter Art bebilderten Buchtitel: „Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von der Gegenwart bis zu den Anfängen.“ In wenigen Worten fasst der Flugzettel den Inhalt des Buches in folgenden Worten zusammen:

„Historisch erklärbare, kollektive Erwartungen an ein friedliches,  sozial gesichertes Gemeinwesen haben seit 1949 sowohl innen- als auch außenpolitisch die Entwicklung Westdeutschlands entscheidend geprägt. Eckart Conze spürt in seiner umfassenden Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dem prägenden Konzept von Sicherheit nach und erhellt in einer spannenden Erzählung den Hintergrund gegenwärtiger Reformdiskussionen und Reformblockaden.“

Den Buchtitel ziert der glänzend-weiß verhüllte Reichstag. Straff überzogen ruht das Geschichts-Paket, abgeschirmt gegen die Fährnisse der Außenwelt.  Es ist, als wollte man mit diesem gigantischen Überzieher den Kern des politischen Entscheidens für einen Augenblick dem Tagesbetrieb entziehen: Absicherung vor dem Draußen, Verhütung des Wandels, Stillstellung der Gegenwart – der Anschein der Sicherheit. Eine Illusion gewiß, aber eben doch ein schöner Schein, dem Tausende damals zujubelten.

Die Suche nach Sicherheit – ist dies das Grundthema der Geschichte der Bundesrepublik? Suche nach „sozialer Absicherung“, nach Einbettung in eine „Sicherheitsarchitektur“, nach dem abgezirkelten Ausbalancieren der Gegensätze?

Wir werden für das Verständnis der neuesten politischen Geschichte viel gewonnen haben, wenn wir die gegenwärtige Ratlosigkeit als Zeugnis eines nicht hinreichend bedachten Gegensatzes zwischen den beiden Polen Sicherheit und Freiheit begreifen.  Die gesamte akademische Elite, und ebenso die politische Klasse unseres Landes scheuen mit saumseliger Zögerlichkeit davor zurück, sich zu diesen beiden einander bedingenden Polen ins Verhältnis zu setzen.

Nur die Partei Die Linke setzt ganz klar auf den Pol Sicherheit: Erhöhung der Grundsicherung auf 500.- Euro, möglichst weitgehende Absicherung der einzelnen Bürger gegen alle Widrigkeiten des Daseins. Man geht nicht fehl, wenn man die Linke als die im engeren Sinne konservative Kraft in Deutschland bezeichnet: Das vorherrschende Sicherheitsdenken, ererbt aus dem Kaiserreich, weitergetragen in den realen Sozialismus, wird nunmehr noch um eine Drehung verfestigt: Während es in der DDR-Verfassung und auch in der gelebten Wirklichkeit noch eine echte  Arbeitspflicht gab,  fällt dieses letzte Merkmal einer Beziehung auf Gegenseitigkeit ganz weg: die Grundsicherung nach den Vorstellungen der Linken wird ohne Bedingungen gewährt, der Staat übernimmt eine Letztgarantie für das Wohlergehen der Bürger und erkauft sich so wie in der Vergangenheit die absolute Unterwerfung. Denn man täusche sich nicht: Je stärker der Staat die Verantwortung für Wohl und Wehe der Bürger insgesamt übernimmt, desto mächtiger wird er, desto unhintergehbarer wird er. Es gibt dann irgendwann kein Außerhalb des Staates mehr – der Schritt zum totalitären Staat ist getan.

Der andere Pol – die Freiheit – ist nahezu verwaist. Ich sehe niemanden in der Landschaft, der klar, entschieden und mutig sich für die Freiheit ins Feld würfe. In einem Land, das Denker der Freiheit wie Friedrich Schiller, Hegel, Schelling, Fichte, Hölderlin, Hannah Arendt und Ludwig Erhard hervorgebracht hat, gibt es keinen einzigen maßgeblichen Politiker, der in der gegenwärtigen Krise noch einen emphatischen Begriff von Freiheit verträte. Nur einzelne, ganz vereinzelte Stimmen wie etwa der Historiker Christian Meier oder die Politikerin Vera Lengsfeld begehren gegen die Vorherrschaft des Sicherheitsdenkens auf. Sie sind noch eine kleine Minderheit.

Aber insgesamt reihen die Politiker sich verzagt und verstummend in die Reihen derer ein, die den Staat vor allem und zunächst als Bürgen der Sicherheit sehen – nicht als Ausdruck der Freiheit.

Den Journalisten, Soziologen und Politologen hat es – bei allem beredten Getöse und Geraune – die Sprache verschlagen: Man lese, als ein Beispiel von Hunderten, doch nur etwa das Interview des Soziologen Ulrich Beck im heutigen Spiegel online – es ist ein Offenbarungseid: Jahrzehntelange Forschungen zum Thema Risikogesellschaft entpuppen sich als Makulatur, weil versäumt wurde, Freiheit und Sicherheit als einander bedingende Pole zusammenzudenken. Ziel der Risikosoziologie, der Risikopolitik, der Risikoanalyse, der Risikowirtschaft war es ja, das Risiko einzugrenzen, zu managen, beherrschbar zu machen.  Das ist der Grundgedanke der Futures und Hedgefonds – der Terminobligationen und Warenterminkontrakte. Und darauf beruhte zuletzt im wesentlichen der gigantische Finanzkreislauf der Erde – was für eine planetarische Verirrung!

Die Freiheit – war das große andere zur Sicherheit, das geradezu panisch ausgespart wurde.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet im Banken- und Versicherungswesen die gegenwärtige Krise ausgebrochen ist: verkörpern Banken und Versicherungen doch wie keine andere Institution das Streben nach Sicherheiten, Bürgschaften, Garantien. Die „Besicherung“ der Hypothekenkredite war in den USA nicht mehr gegeben – so geriet das ganze Kartenhaus ins Wanken. Sicherheiten, Sicherheiten, Sicherheiten – das verlangte der Chor der Makler und Banker – „Wir geben euch Sicherheiten!“ so erschallte es aus dem Munde der Politiker zurück. Und gerettet ward die Hypo Real Estate und viele andere dazu.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet im Automobilbereich derzeit die meiste Energie, die eigentlich zum Lösen der Probleme benötigt würde, sinnlos verheizt wird: Denn kein anderes Gerät verkörpert so sehr wie die großen massigen Geländewagen, die GM an den Bettelstab gebracht haben, den übermächtigen Wunsch nach Sicherheit: Sicherheit für die Insassen vor den Unebenheiten der Fahrbahn, vor all dem Widrigen des Daseins. Übertriebenes Streben nach Sicherheit und Komfort, das die allzu großen Wagen der GM bedienen und verstärken sollten, riss die GM-Tocher Opel in den Abgrund.  Die Politik steht staunend und verzagt vor diesem Abgrund und ruft hinterher: „Welche Sicherheiten verlangt ihr? Und im Gegenzug: Was ist die Sicherheit, die ihr uns gewährt?“

Ihr seht: Sicherheit gegen Sicherheit, do certitudinem ut des certitudinem,  Bürgschaft als Gegenleistung für politisches Wohlverhalten, Sicherheitsversprechen im Tausch für Wählerstimmen, das ist das betrübliche Spiel, das in einer Endlosschleife derzeit aufgeführt wird.

Aber Sicherheiten, die nur auf Sicherheiten begründet sind, werden zuletzt zur Lähmung: denn Sicherheit ohne Vertrauen in die Freiheit führt zur Blockade, führt zum Stillstand. Und genau das geschieht – Stillstand im Fall Opel seit über 5 Monaten, wie auch in vielen anderen Fällen – im Sozialbereich, in der Außen- und Verteidigungspolitik.

Vieles gäbe es hierzu zu sagen.

Für heute abend bleibe ich jedoch bei meiner mittlerweile gefestigten Überzeugung: Die deutsche und die europäische Politik leidet insgesamt an einem zu starken Sicherheitsbedürfnis. Der Gegenpol Freiheit wird vernachlässigt, es gibt keine namhafte politische Kraft in Europa, die diesen Pol besetzt hat. Das ist ein Schaden für das Ganze.

Was wir brauchen, ist eine Öffnung der Herzen und Geister zum frischen Wind der Freiheit, zum Ausgesetzten, zum Offenen – zur Einsicht in den grundsätzlich ungesicherten Zustand der Gesellschaft und des Einzelnen. Aus diesem Ungesicherten heraus erwächst Freiheit. Vertrauen in das eigene Vermögen, das Strebensglück zu erlangen. Freiheit bedeutet: Anerkennung, dass es im Politischen keine letzte Sicherheit gibt – keine letzte Sicherheit geben soll. Nur so kann aus der Freiheit-von, etwa der Freiheit von generationenübergreifenden Staatsschulden, eine Freiheit-zu, eine Freiheit etwa zur Gestaltung einer neuen Finanzordnung entstehen.

Wie kann dies geschehen? Dieser Frage werden wir uns in den nächsten Wochen widmen. Unsere nächste „Bürgin“ wird Hannah Arendt sein, deren Büchlein „Was ist Politik?“ wir nach dem hier angedachten Freiheitsbegriff durchforschen werden.

Wird die Kanzlerin Angela Merkel heute abend ihrer Gesprächspartnerin Anne Will etwas zu ihrem Verständnis der Freiheit sagen? Wir werden sehen und sind gespannt!

Mittlerweile empfehle ich den hier beigezogenen Faltprospekt des Siedler Verlags zum eifrigen Nachsinnen und Nachdenken.  Der Prospekt ist kostenlos in die Bücher des Verlages eingelegt.

 Posted by at 22:16
Feb. 212009
 

Mehr zufällig war ich gestern im Zusammenhang mit der Bismarckschen Sozialversicherung auf sein Wort „Staatssozialismus“ gestoßen. Das gestern angeführte Zitat fand ich in der vortrefflichen Gesamtdarstellung „Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806-1933“, S. 250. Verfasser Heinrich August Winkler gelingt es in diesem meisterhaft komponierten Werk, alle gängigen Vorurteile und fromme Wahnvorstellungen, von denen unser gemeinhistorisches Bewusstsein lebt, sachte zu entstauben und eben auch die eine oder andere Tretmine sorgsam verpackt einzubauen.

Bismarck eignet sich hervorragend dazu, unsere Vorurteilsverhaftung anschaulich zu machen. Mein grob geschnitztes Bild von Bismarck war eigentlich: Eiserner Kanzler, genialer Diplomat, Machtpolitiker, schuf durch Kriege den deutschen Nationalstaat, Vertreter des Obrigkeitsstaates, alles andere als ein Demokrat, schuf sein bleibendes Verdienst mit dem System der Sozialversicherung, Unterdrücker der Sozialisten und der katholischen Zentrumspartei, wurde leider von dem törichten Kaiser Wilhelm II. ausgebootet.

Heute las ich in der Bismarck-Biographie von Lothar Gall und in Bismarcks eigenen „Gedanken und Erinnerungen“. Ergebnis: Die oben angeführten Urteile sind nicht völlig falsch, aber sie greifen zu kurz.

Gall vertritt die Ansicht, dass Bismarck aus machtpolitischem Kalkül heraus in Beratungen mit Vertretern der Industrie die Idee einer allgemeinen Versicherung unter staatlicher Obhut und staatlicher Beteiligung ersann. Ziel war, in Bismarcks Worten: „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung zu erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt.“ Denn: „Wer eine Pension hat für sein Alter, der ist viel zufriedener und viel leichter zu behandeln, als wer darauf keine Aussicht hat“ (Gall, a.a.O. S. 605).

Bismarcks Konzept stieß auf heftigsten Widerstand bei den Linskliberalen, dem Zentrum und der Sozialdemokratie. Sie fürchteten „einen auf staatssozialistische und pseudeoplebiszitäre Elemente gestützten Neoabsolutismus“ (Gall, a.a.O. S. 606).

Und was erwiderte Bismarck auf solche Anfeindungen? Er zeigte sich erneut als der geniale Politiker, der er war – er verbat sich solche Unterstellungen nicht, sondern unterlief sie durch Zustimmung. Bismarck führte aus: „Die sozial-politische Bedeutung einer allgemeinen Versicherung der Besitzlosen wäre unermeßlich.“ Erneut verwendet er den Begriff Staatssozialismus, der ihn in der Tat zu einem Ideengeber der heutigen Linken (etwa in den Personen eines Björn Böhning oder einer Halina Wawzyniak) werden lässt.

Bismarck sagt über seine Sozialversicherung:

„Ein staatssozialistischer Gedanke! Die Gesamtheit muß die Unterstützung der Besitzlosen unternehmen und sich Deckung durch Besteuerung des Auslandes und des Luxus zu verschaffen suchen.“

Das ist die Reichensteuer, das ist der Protektionismus durch Handelshemmnisse, wie sie gerade jetzt wieder als Gedanken im Schwange sind!

Wie bewertet Gall Bismarcks Leistung beim Aufbau des Sozialstaates? Niederschmetternd! Er deutet sie nicht als bleibendes Verdienst oder systematisches Aufbauwerk, sondern als einen politischen Verzweiflungskampf, der das Wesen der Politik dauerhaft entstellt habe. Letztlich habe Bismarcks Kampf um die eigene Machtposition dazu geführt, dass man sich nur noch am Machbaren orientiere und Perspektivlosigkeit zum Prinzip erhoben habe (Gall, a.a.O. S. 607). Das herrliche Wort Perspektivlosigkeit – ich glaube, etwa ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts hat es eine steile Karriere hingelegt, die bis zum heutigen Tage anhält! Es gibt heute kaum ein schlimmeres Urteil als eben dies: Perspektivlosigkeit.

In solchen Kommentaren schlägt das Politikverständnis des Historikers Gall deutlich durch. Politik hätte demnach sich nicht am Machbaren zu orientieren, sondern den großen Wurf durchzuführen. Es ginge laut Gall dann bei guter Politik darum, Verhältnisse, Strukturen und Verhaltensweisen bewusst zu gestalten.

Und hier gewinnen seine Ausführung beklemmende Aktualität. Denn das sind heute noch die Pole, zwischen denen sich Politik bewegt: Politik entweder als Kunst des Machbaren – oder als kühner Ausgriff, als bewusst angelegte Reform.

Wenn man Bismarck studiert, wird man erkennen: Die bewusst angelegten, raumgreifenden  Reformen sind sehr, sehr selten, die meisten gut gemeinten Reformen versanden oder bleiben auf halbem Wege stecken. Oder sie werden irgendwann zu einer Erblast.

Vergleicht man aber Bismarck mit dem durchaus geistesverwandten russischen Ministerpräsidenten Stolypin, so wird man sagen müssen: Der erste deutsche Kanzler hat – im Gegensatz zu vielen anderen Reformern – einen Teil seiner Neuerungen durchaus zu einem bleibenden Reformwerk gestaltet. Dass seine Motive eigennützig waren, letzlich auch der eigenen Machtsicherung dienten, verschlägt nichts daran, dass die Sozialversicheurng Elend und Leiden minderte, Bindekräfte zwischen Staat und Bürgern entfaltete und gewaltsame Revolutionen wie etwa in Russland verhinderte.

Dass wir heute noch quer durch alle Parteien am Erbe des Bismarckschen Obrigkeitsstaates leiden, ist nicht Bismarck anzulasten – sondern uns! Man muss dies durchschauen. Wenn es etwa heißt: „Wir dürfen keine systemische Bank in den Konkurs treiben“, „Wir dürfen Opel nicht pleite gehen lassen“, dann zeigt sich genau jenes paternalistisch-obrigkeitliche Denken eines Bismarck wieder, das ich für schwer vereinbar mit einer freiheitlichen Demokratie im Sinne unseres Grundgesetzes halte.

In den Reformdebatten unserer Zeit – etwa seit den Leipziger Reformbeschlüssen der CDU von 2005 – wird dieser Zusammenhang zwischen Machterhaltung und Reform meist gegeneinander ausgespielt. Es heißt grob vereinfacht: „Wir müssen unsere Reformvorstellungen dem Machterhalt opfern. Das große Ding können wir nicht drehen. Der Zeitpunkt ist vorüber.“

Ich halte dies für einen Irrtum. Machterhalt und Reform sollten einander gegenseitig bekräftigen. Dass dies möglich ist, hat Bismarck meines Erachtens glänzend vorgeführt. Ich teile deshalb die ernüchternd-entzaubernde Ansicht Lothar Galls, wonach Bismarck lauter verzweifelte Rückzugsgefechte gekämpft habe, nicht. Solche Tretminen, die das Denkmal Bismarck beschädigen, sind keine.

Schade, dass die großen Politiker wie etwa Bismarck oder Stolypin so vernachlässigt werden und statt dessen sehr viel mehr Fleiß auf politische Propheten wie Rosa Luxemburg, Dichter wie Karl Marx, Diktatoren oder politische Verbrecher wie Stalin und Hitler verwendet wird! Schade, dass unsere Politiker quer durch die Parteien offenkundig meinen, sie stünden vor komplett neuen Herausforderungen und Problemen! Rückbesinnung tut not!

Folgende Bücher empfehle ich heute nachdrücklich als Gegengift gegen diese Extremismus-Besessenheit und diese Geschichts-Vergessenheit:

Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär. Ullstein Verlag,  Frankfurt am Main, 1980

Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Ungekürzte Ausgabe. Herbig Verlag, München, o.J.

Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806-1933.  Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2002

 Posted by at 23:14