Der vergessene Triumph des Nationalstaates in Europa

 Staatlichkeit, Türkisches, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Der vergessene Triumph des Nationalstaates in Europa
Nov. 112010
 

Die Türkei verbot 1928 die arabische Schrift und schaffte den Pflichtunterricht für Arabisch und Persisch 1929 ab. Das war die Abschaffung der multikulturellen Gesellschaft zugunsten des Nationalstaates!

„Wir 40 Millionen Kurden sind das einzige große Volk, das keinen eigenen Staat besitzt!“, seufzte einmal ein kurdischer Bekannter.

Bei all den mehr oder minder bedeutsamen Reden und Artikeln über Europa wird meist komplett übersehen, dass 1990 neben der Sprengung der kommunistischen Diktaturen vor allem auch den fast uneingeschränkten Triumph des Nationalstaates bedeutete!

Zum ersten Mal in der europäischen Geschichte überhaupt haben wir seit 1990 fast ausschließlich als Nationalstaaten konziperte Republiken. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen europäischer Länder, die im Kern keine Nationalstaaten sind: a) Belgien, das stark gefährdet ist, b) Schweiz, die durch starke Subsidiarität der Kantone zusammenhält, c) Bosnien-Herzegowina, ein multinationaler Staat, der vor dem Zerfall stehen könnte, d) Zypern, ein binationales Gebilde unklaren Status‘, das erhebliche Risiken in sich birgt.

Alle anderen europäischen Staaten sind Nationalstaaten! Erst in den Nationalstaaten ist Europa zur Freiheit gelangt. Lettland ist der Staat der Letten, Polen ist der Staat der Polen, die Tschechische Republik ist das Land der Tschechen, Litauen ist der Staat der Litauer, Russland ist der Staat der Russen, Ukraine ist der Staat der Ukrainer, Portugal ist der Staat der Portugiesen, Italien ist der Staat der Italiener.

Und Deutschland? Die Lage ist offen! Hier in Kreuzberg wird sicher kaum jemand diesen Satz unterschreiben, wonach Deutschland der Staat der Deutschen sei. Die wachsende türkische Gemeinde, die wachsende russische Gemeinde, die sehen sich sicherlich nicht als Deutsche, sondern als Russen in Deutschland, als Türken in Deutschland. Das türkische Sonderbewusstsein ist stark, wird stärker, Deutsche wollen die meisten nicht werden. Wieso sollten sie?

Ich persönlich sehe Deutschland ebenfalls als den Staat der Deutschen. Alle Bürger, die dauerhaft hier leben wollen oder dauerhaft hier leben, sollten sich als deutsche Staatsbürger sehen können.

Wer sich als Türke und nicht als Deutscher sieht, der wird sich früher oder später zurück in den Staat der Türken sehnen.  Und in der Tat: Sobald sich eine wirtschaftliche Perspektive jenseits der Sozialhilfe eröffnet, verlassen viel gut ausgebildete, erfolgreiche Türken Deutschland, um im Nationalstaat der Türken etwas aufzubauen. Ich halte dies für bedauerlich, dass gerade die gut Ausgebildeten uns verlassen. Aber nicht notwendigerweise sind wir Deutschen selbst daran schuld.

Die Türkei ist doch ein herrliches, großartiges Land, das jetzt einen Boom erlebt! Es gibt keine Blockadehaltung der Bürger bei allen Großprojekten, die Türken sind ehrgeizig, stolz, sie haben Gemeinschaftsgefühl und Arbeitsethos. Das Problem war eben über Jahrzehnte der vernachlässigte Osten, aber nach und nach wird er auf die Beine kommen – ohne Sozialhilfe, die es in der Türkei ohnehin nicht gibt.

Wie bilden sich Nationalstaaten? Verbote und Zwang, Gewalt und Vertreibung, wie dies die europäischen Staaten ab 1919 und die Türkei ab 1921 praktiziert haben, sind der falsche Weg, um Nationalstaaten zu gründen.

Der richtige Weg ist es, sich anzustrengen, die Fesseln der nationalen Herkunft zu lösen und einen eigenen Beitrag zur Gesellschaft der Freien und Gleichen zu leisten.

Und die Kurden? Die Kurdenfrage ist offen. Wenn sie begrenzte Autonomie oder gar einen eigenen Nationalstaat fordern, wird man ihnen das nicht auf Dauer verweigern können.

 Posted by at 13:34
Nov. 032010
 

Hier ein Hinweis auf ein Theaterstück über Atatürk – ich glaube, es ist außerordentlich reizvoll, sich mit türkischem Staatsdenken vertraut zu machen, die kultische Verehrung für den Staatsgründer zu begreifen und den herausragenden Ewigkeitsrang der türkischen Volkstumsidee nachzuvollziehen. Das Volk ist alles, der einzelne muss sich in seinen Ansprüchen ein- und unterordnen! Das steht ja auch in wünschenswerter Deutlichkeit am Beginn der geltenden türkischen Verfassung. Das weiß doch jedes Schulkind.

Das türkische Volkstum ist stark – wo immer es sich befindet!

Es ist spannend, diese starke, diese überragende Vorstellung des Volkstums, wie sie die Türkei prägt, mit der überragenden Stellung der Würde der Person zu vergleichen, wie sie andere Verfassungen, z.B. das deutsche Grundgesetz, zugrunde legen.

Geht da hin:

05.11. Cuma
ve
06.11. Cumartesi 

Saat19:30′ da

Friedrich Str.101’de ki

Admiralpalast da sahne alacak
Atatürk oyununa herkesi bekler,

Saygılar sunarım

 Posted by at 11:10

Beziehungen sind das A und O

 Integration, Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Türkisches  Kommentare deaktiviert für Beziehungen sind das A und O
Okt. 102010
 

Trotz allem – die Debatte geht weiter, Bülent Arslan hat einige sehr gute Dinge gesagt, die sicherlich auch für Berlin gelten, nicht nur für NRW. Seh ich fast alles genauso. Lest selber:

Wie ticken die Türken in Deutschland, Herr Arslan? – Politik – Berliner Morgenpost – Berlin
Einen Integrationsvertrag abzuschließen, nützt wenig. Die türkische Kultur ist beziehungsorientiert, die deutsche dagegen sachorientiert. Das heißt, eine mündlich getroffene Vereinbarung hat eine größere Wirkung. Das ist auch so ein kultureller Unterschied.

 Posted by at 23:15
Okt. 102010
 

Etwas, was bei Sami Khedira undenkbar wäre: die Türken pfiffen im Berliner Olympistadion ihren abtrünnigen Landsmann aus. „Einmal Türke – immer Türke!“, „Die türkische Nation ist ewig und heilig“, „Wir müssen zueinander halten – wo immer wir sind“, „Wir müssen den Ruhm des türkischen Vaterlandes überallhin tragen“. Solche Stimmen hörte ich aus dem gellenden Pfeifkonzert heraus.  Es stimmt schon: Die Türken haben mit unendlicher Mühe aus einem Vielvölkerstaat unter Zuhilfenahme heiliger Beschwörungsformeln eine mit Blut geweihte Staatsnation geschmiedet. Wem das nicht passte, der konnte ja gehen oder wurde gegangen. Man besuche einmal das Atatürk-Mausoleum in Ankara! Man besuche auch das Lenin-Mausoleum (früher: Lenin/Stalin-Mausoleum) in Moskau! Die Ähnlichkeiten sind überraschend!

Dann wird man die heilige Verehrung der türkischen Nation besser begreifen.

Einer wie Özil, der sich aus freien Stücken für das Land entscheidet, in dem er geboren und aufgewachsen ist, gilt offenbar vielen als Verräter.

Ich habe über dieses Thema oft mit „gut integrierten“, akademisch gebildeten Deutschtürken gesprochen. Sie gaben mir privat weitgehend recht. Aber öffentlich wird kaum ein deutscher Türke dieses ersatzreligiöse Festklammern an der überragenden ewigen türkischen Nation, diese Verehrung des türkischen Staates, des Türkentums  in Frage stellen.

Er sähe sich sofort einem gellenden Pfeifkonzert ausgesetzt. Siehe Mesut Özil! Das gellende Konzert für Özil macht alle weiteren Integrationskongresse erst mal überflüssig, oder?

Dieser tief in den Seelen verwurzelte türkische Nationalismus ist – so meine ich – eines der größten Integrationshemmnisse. Falsch wäre es auch, von Türken zu verlangen, sie sollten umdenken. Das Sich-Lossagen vom türkischen Staat wird fast wie ein Frevel am Vaterland empfunden und kann zu schwerem seelischem Leid führen.

Über die türkischen Religionsbehörden steuert und stärkt der türkische Staat seine Auslandstürken in ihrem Sonder- und Abhängigkeitsbewusstsein. Er bestärkt sie als Schutzmacht im Bewusstsein, hier in einer türkischen Exklave zu leben. Er will nach Kräften verhindern, dass die seit vielen Jahrzehnten hier lebenden, hier geborenen Türken gute deutsche Staatsbürger werden und dadurch dem ewigen Türkentum verlorengehen.

Er bindet sie an sich – etwa durch die Beschneidung des Erbrechts bei Abgabe der türkischen Staatsbürgerschaft. Und wie man in Zypern sieht, nimmt der türkische Staat dieses wechselseitige Treueverhältnis blutig ernst.

Solange die Türken in Deutschland da nicht ran gehen und die Integration allein uns schafsfrommen Biodeutschen überlassen, wird das nichts mit der Integration der Türken.

Das ist doch alles Essig.  Ich bin es leid. Ich bin dessen überdrüssig, mir dieses ewige Lied vom Leid und Elend der Auslandstürken anzuhören.

 Posted by at 10:50

„Bloß nicht auffallen – bloß nicht Vorbild sein!“

 Türkisches, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für „Bloß nicht auffallen – bloß nicht Vorbild sein!“
Sep. 162010
 

Wir haben Erfolg. 30 muslimische Frauen in Deutschland“, „Das Wunder von Kreuzberg“, „Zwischen Moschee und Minirock„, „Weiblich – muslimisch – deutsch„: Überall glänzen unter derartigen Lobpreisungen die Vorbilder der Integration.

Es sind leuchtende Einzelfälle. Es verlangt Mut, sich als leuchtendes Vorbild abstempeln zu lassen. Dennoch müssen wir all diesen Vorbildern, die natürlich nur einen winzigen Bruchteil ihrer Landsmenschenschaften widerspiegeln, in höchstem Maße dankbar sein: Sie haben es geschafft. Sie sind der wandelnde Beweis, dass Integration jederzeit möglich ist – sofern man sie will.

Umgekehrt verstehe ich auch diejenigen, die es satt haben, innerhalb ihrer Community als „braver Türke“ oder „Streber“ verspottet zu werden. Ich bedaure, dass sie aus Deutschland weggehen. Der negative Druck aus der Community ist offenbar zu groß.

In der Türkei selbst hat man nichts dagegen, wenn Türken sich ins Zeug legen, hart arbeiten und den wirtschaftlichen Erfolg suchen.

Rückkehrende Migranten: Nie mehr braver Türke – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Panorama
Ibrahim Karaman kommt gerade aus Berlin zurück und hat dort die Sarrazin-Debatte miterlebt, „noch ein Grund mehr, warum es gut war, dass ich gegangen bin“. Er wolle nicht der „brave Türke“ sein, wie man es in Berlin von ihm erwarte – „bloß nicht auffallen“, ein Vorbild sein für die anderen. „Doch zum Glück muss ich das nicht mehr persönlich nehmen.“

 Posted by at 11:01

„Bekennen Sie sich zu uns!“

 Türkisches, Vertreibungen  Kommentare deaktiviert für „Bekennen Sie sich zu uns!“
Sep. 142010
 

Von den etwa 3 Millionen Türken, die dauerhaft in Deutschland wohnen, hat etwa ein Viertel bis ein Drittel die deutsche Staatsbürgerschaft. Die anderen sind türkische Staatsbürger. Der türkische Staat kann zu Recht beanspruchen, für sie und in ihrem Namen als „Auslandstürken“ zu sprechen.

Wer unter diesen Auslandstürken bezeichnet sich als Deutscher? Eine offene Frage!

Eines ist sicher: Wir haben in der Bundesrepublik mittlerweile eine klar erkennbare türkische Volksgruppe, eine wachsende türkische Volksgruppe, die in jeder Hinsicht mit der deutschen Volksgruppe in der damaligen Tschechoslowakei (ab 1919-1946) verglichen werden kann.

Es gibt auch Unterschiede: Die Deutschen besaßen wider Willen die tschechoslowakische, nicht die österreichische oder deutsche Staatsbürgerschaft. Sie waren seit Jahrhunderten autochthon, also nicht zugewandert. Und sie lebten in nahezu geschlossenen Siedlungsgebieten. Sie fühlten sich als Fremde in diesem tschechisch dominierten Staat.

Als Volksgruppe oder nationale Minderheit bezeichnet man eine Gruppe von Menschen innerhalb eines Staates, die durch gemeinsame Nationalität, gemeinsame Sprache, oft auch durch gemeinsame Religion und weitgehend abgeschlossene verwandtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sind.

Dies galt für die Deutschen in der Tschechoslowakei, es gilt heute für die Mehrheit der Türken in Deutschland. Für die Mehrheit der Türken in Deutschland gilt: Sie haben nicht die deutsche, sondern die türkische Staatsbürgerschaft, sie sprechen fast nur Türkisch als Alltags- und Umgangssprache, sie haben eine gemeinsame Religion, sie sind verwandtschaftlich und familiär fast ausschließlich innerhalb ihrer Volksgruppe integriert.

Diese Trends nehmen zu, nicht ab.

Was folgt daraus? Eine offene Frage!  Aber diese Fakten gilt es erst einmal zur Kenntnis zu nehmen, ehe man die nächste Runde der Integrationsdebatte einläutet.

All die Statistiken geben einiges her, aber viel wichtiger ist natürlich das alltägliche Empfinden. Mit wem rede ich? Neben wem sitzen meine Kinder auf der Schulbank? Wen lade ich nachhause ein? Woher suche und hole ich die Ehepartner für meine Kinder?

Wichtiger als Statistiken sind die Fragen: Was will ich? Will ich auch als Türke richtig gutes Deutsch lernen? Sehe ich dieses Land, in dem ich lebe, als Heimat an? Will ich den beruflichen Erfolg in meinem neuen oder meinem alten Heimatland – oder will ich ausschließlich innerhalb meiner Volksgruppe verbleiben?

Nun, ich meine, alle diejenigen, die sich selbst als zu ihrer deutschen Heimat zugehörig bezeichnen, die sich klar zu diesem Land bekennen, die hier leben wollen, die sind zweifellos in vollem Umfang Deutsche.

Deswegen begrüße ich die klaren Worte von Fatih Akin, Feridun Zaimoglu, Aylin Selcuk, Lamya Kaddor und anderen aus ganzen Herzen. Zu lesen heute auf S. 5 der Süddeutschen Zeitung.

Ich meine: Diese klaren Worte, dieses klare Bekenntnis zu Deutschland ist repräsentativ auch für ein Viertel bis ein Drittel der in Deutschland lebenden Türken. Dieser Anteil soll steigen!

Ich würde gerne darauf hinwirken, dass alle, die dauerhaft hier wohnen und leben, sich als in vollem Sinne zu diesem Land zugehörig bezeichen. Sie „sollten es wollen“. Wir sind aber sehr weit entfernt davon.

Man könnte hier die Bitte der 15 mutigen Deutschen, die einen Brief an den Bundespräsidenten geschrieben haben, aufgreifen und all diesen Unentschiedenen zurufen:

„Bekennen Sie sich zu uns!“

Sie gehören zu uns.

Ausländer: Wie die Türken das Deutsche wieder verlernten – Nachrichten Politik – Deutschland – WELT ONLINE

 Posted by at 11:04
Sep. 132010
 

„EIN Griechenland“, „Groß-Türkei“, „Drittes Europa“ unter polnischer Führung – was ist noch im Angebot? Nach dem ersten Weltkrieg sprossen überall in Europa Großmachtsphantasien auf. Völker wie die Griechen, die Türken oder die Polen sahen sich berufen, unter Führung des eigenen Staatsvolkes einen „Großraum der Macht und des Friedens“ zu errichten – und zwar auch mit blutigen Mitteln, mit Waffengewalt. So wurden nach dem ersten Weltkrieg eine ganze Reihe von regionalen Kriegen entfesselt: der griechisch-türkische, der polnisch-russische Krieg etwa. Diese Kriege sind heute in Deutschland vergessen oder verdrängt. Dabei waren es äußerst blutig geführte Angriffskriege, die heute unter der Ächtung der UN-Charta stünden.

Am schlimmsten und am verheerendsten unter diesen Großmachtsplänen sollten sich  – aus heutiger Sicht – die Ideen vom Großdeutschen Reich und von der Großen Schutzmacht Sowjetunion herausstellen. Millionen und Abermillionen Menschen fielen ihr zum Opfer: in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, auf den Schlachtfeldern, durch Plünderungen und Vertreibungen, durch Ausmerzungsaktionen gegen unerwünschte Bürger.

Kaum mehr als eine Fußnote im Konzert der Großmachtspolitiken füllt heute die Idee eines unter polnischer Führung stehenden „Dritten Europa“, welche das autoritär regierte Polen in den dreißiger Jahren verfolgte, wofür insbesondere der Name Josef Beck steht.

Lorenz Jäger bringt heute in der FAZ auf S. 3 unter dem Titel „Countdown für den Untergang“ die Details. Man kann also auch ohne Polnischkenntnisse Einblick in die spannende innen- und außenpolitische Dynamik jener Jahre nehmen, die in den Jahren 1919-1938 unter anderem zu bewaffneten Konflikten und echten Angriffskriegen zwischen Polen und der Sowjetunion, zwischen Polen und der Tschechoslowkei führte und mitunter aberwitzige Konstellationen erzeugte:

Polen paktiert mit dem Deutschen Reich und mit Frankreich gegen die Tschechoslowakei!

Deutsches Reich paktiert mit der Sowjetunion gegen Polen!

England paktiert mit Deutschem Reich gegen Tschechoslowakei!

Verwirrend – aber alles letztlich erklärbar als System einander bedrohender, angriffsbereiter Großmachtreiche, die am eigenen Bedeutungsverlust leiden.

Entscheidend bleibt: Deutschland, Polen und die Sowjetunion verfolgten damals Großraumpläne und überzogen einander mit einem wechselseitigen Geflecht an Drohungen, Bündnissen und Geheimverhandlungen.

Im Rückblick entsteht fast der irreführende Eindruck: „Die steckten doch alle unter einer Decke!“

Ab 1939, spätestens aber ab 1941 vereinfachte sich diese verwirrende Gemengelage: Deutschland und Sowjetunion fielen im September 1939 in verbrecherischen Angriffskriegen über Polen her, teilten es verabredungsgemäß unter sich auf. Sofort begannen hinter den Linien die unsäglichen Massenverbrechen an der polnischen Bevölkerung, ausgeführt von deutschen und sowjetischen Truppen und „Ordnungskräften“, die obendrein noch eine gemeinsame Siegesparade in Brest-Litowsk inszenierten.

Dann, spätestens ab 1941 standen Deutsches Reich und seine Verbündeten Italien, Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Kroatien usw. den anderen Mächten, den Alliierten, gegenüber.

Wiederum später, nach 1945, vereinfachte sich die verwirrende Gemengelage noch stärker.

Ab 1945 galt für Europa: Deutschland hatte den Weltkrieg ganz allein gegen den Rest der Welt entfesselt, allein geführt und allein verloren. Das ist heute allgemeiner Konsens. „Die Deutschen sind an allen Kollektivverbrechen, die in ganz Europa in den Jahren 1933-1945 begangen wurden, ganz allein schuld.“ So denkt Europa heute mehrheitlich.

Jeder, der diesen Konsens auch nur minimal in Frage zu stellen beginnt, wird sofort mit einer ganzen Latte an Vorwürfen überzogen, von denen der des Revisionismus nur der geringste ist.

Politik – FAZ.NET

 Posted by at 12:56
Sep. 022010
 

Ich habe Sarrazins Buch ganz gelesen und empfehle allen Antirassistinnen und Antirassisten, zum Einstieg die Seiten 320-330 zu lesen.

Sarrazins Forderung nach Kindergartenpflicht, Workfare, höheren Sprachanforderungen und restriktiverer Zuweisung staatlicher Stütze finde ich gut.

„Vererbungslehre“, genetische Spekulationen usw. hingegen sollte man nicht ernst nehmen. Sie sind irreführend. Sie sind aber auch nicht wesentlich für Sarrazins Gedankengänge.  In seinen konkreten Vorschlägen zur Umgestaltung des Sozial- und Aufenhaltsrechts, zur besseren Bildung aller Kinder hat Sarrazin meist recht, wie ich finde.

Man nehme doch einmal die Abschnitte im Buch, die mit „Was tun“ betitelt sind. Zum Beispiel S. 326-330. Darüber, über diese konkreten Maßnahmen sollte man diskutieren, zum Beispiel mit Neuköllner Lehrern, Kreuzberger Sozialarbeitern, türkischen Vätern wie Kazim Erdogan und jungen Müttern wie Güner Balci. Sarrazin sollte mal mit Erdogan oder Balci diskutieren – da wär ich gern dabei!

 Posted by at 11:30

„Der Deutsche liebt alte Bäume“, oder: Darf man verallgemeinern?

 Türkisches, Was ist deutsch?  Kommentare deaktiviert für „Der Deutsche liebt alte Bäume“, oder: Darf man verallgemeinern?
Sep. 022010
 

Oft wird gesagt: „Sie dürfen doch nicht so verallgemeinern!“

Ich frage euch:

Stimmen folgende allgemeine Aussagen:

„Der DEUTSCHE hat was gegen Baumfällungen in Städten. Der DEUTSCHE hat was gegen Atomkraft und freut sich über viel GRÜN in der Großstadt. Der DEUTSCHE hat eigentlich nichts gegen Sex unter unverheirateten Jugendlichen, vorausgesetzt, er ist freiwillig.“

„Der TÜRKE hat was gegen Alkohol. Der TÜRKE ist warmherzig und freut sich über jeden Gruß und jedes gute Wort, das er hört. Der TÜRKE ist eigentlich gegen Sex unter unverheirateten Jugendlichen.“

Sind das alles unzulässige Verallgemeinerungen? Ich meine nicht. Man muss solche Dinge im Hinterkopf haben, um Erwartungen an seine Gesprächspartner heranzutragen. Ohne eine gewisse Vorbildung kann man DIE DEUTSCHEN und DIE TÜRKEN nicht verstehen.

Und wenn ein Türke wahnsinnig gerne viel Alkohol trinkt und es auch tut? Das kann er machen. Es steht ihm frei. Aber dann ist er eben kein typischer Türke, er widersetzt sich einer allgemeinen Erwartung, die vor allem seine eigene Volksgruppe an ihn heranträgt.

Ich behaupte also: Die Aussage „DER TÜRKE hat was gegen Alkohol“ bleibt in dieser Allgemeinheit richtig.

Und wenn ein Deutscher achselzuckend und kalten Herzens  vorbeigeht, wenn herrliche alte Bäume ohne Not in seinem Kiez gefällt werden? Auch ihm steht es frei, sich den Erwartungen zu widersetzen. Dann ist er eben kein typischer Deutscher. Denn: Der Deutsche liebt die herrlichen alten Bäume. Zu dieser Aussage stehe ich. Sie trifft sogar auf mich zu.

Ich liebe ebenfalls die herrlichen alten Bäume!

Und ich finde die Türken warmherzig.

 Posted by at 11:04

Vorbild Türkei?

 Türkisches  Kommentare deaktiviert für Vorbild Türkei?
Juli 202010
 

Zucht und Ordnung, Respekt vor den Älteren, ein klares, täglich wiederholtes Bekenntnis zur überragenden, alleinigen Autorität des Staates und zum mythisch überhöhten Staatsgründer: mit diesen Rezepten hat die Türkei ihre Alltagskriminalität erstaunlich gut im Griff. Es wird fast nicht gestohlen, fast nicht geflucht, fast nicht gedealt – jedenfalls außerhalb Istanbuls. So erlebte ich das bei meinen Reisen durch die Türkei, und so berichten es mir türkische Lehrer, mit denen ich über die hoffnungslose Verwahrlosung mancher unserer türkischen Kinder spreche.

Die herausragende Stellung der Polizei und des Militärs in der Türkei führt zu einer sehr niedrigen Kriminalitätsrate. Andererseits genießen die Türken nicht dasselbe Maß an Meinungsfreiheit wie wir. Und viele ethnische Gruppen sind weiterhin der Zwangstürkisierung unterworfen. In den Kurdengebieten begehen Ordnungskräfte Verbrechen.

Ein echter Offenbarungseid ist es, wenn die deutsche Polizei nunmehr um Hilfe von den Türken ersucht:

Nordrhein-Westfalen – Türkische Polizei soll in Problemvierteln aushelfen – Politik – Berliner Morgenpost
Die Deutsche Polizeigewerkschaft will türkische Polizisten in sogenannte Problemviertel in Nordrhein-Westfalen schicken. Sie sollten sich um türkischstämmige Jugendliche kümmern.

„So geht es nicht weiter“, sagte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft, Erich Rettinghaus, in Duisburg. „Vielleicht ist das ein probates Mittel. Man sollte es ausprobieren.“ Die Türken sollten in ihren eigenen Uniformen gemeinsam mit NRW-Kollegen auf Streife gehen.

 Posted by at 13:42
Juli 082010
 

Wo immer es geht, suche und säe ich Keime der Hoffnung. Noch lange nicht verzweifelt sind wir migrantischen Familien in unserem so einladenden, zur Verzweiflung einladenden Kreuzberg. Wichtig: Etwa 3-5% unserer Deutschtürken sind hochgebildet, hoch erfolgreich. Sie haben es geschafft. Ich spreche sie an: „Erzählen Sie mir Ihre Geschichte!“

Was kommt heraus? Diese erfolgreichen Deutschtürken – oder deukischen Türken – stammen aus Akademikerhaushalten. Die Väter und Mütter sind selbst Akademiker, arbeiteten als Journalisten oder Lehrer in der Türkei, verließen meist das Land nach dem Militärputsch 1980. Die meisten sind der Herkunft nach Linkskemalisten und finden nahezu gesetzmäßig den Weg zur deutschen Sozialdemokratie oder zu den Grünen, zur taz und zur Linkspartei.

Keine dieser eloquenten, attraktiven deukischen Menschen, die ich kenne, stammt aus Hartz-IV-Familien. Sie sind alles andere als repräsentativ für die übergroße Mehrheit der Zuwanderer aus dem Osten der Türkei. Die deukischen Kinder sind in beiden Sprachen wohlbewandert. Sie sind nicht im Rollbergviertel oder Kreuzberg-SO 36 aufgewachsen, sondern in Britz, Dahlem, Grunewald.

Die übergroße Mehrheit der türkischen und kurdischen Zuwanderer aus dem Rollbergviertel oder Kreuzberg beherrschen hingegen weder das Türkische noch das Deutsche in ausreichendem Maße, um damit einen akademischen Beruf zu erlernen.

Die deukischen Menschen haben vieles früh gelernt. Auch dies haben sie gelernt: Die Schuld am Scheitern der anderen Deutschtürken weisen sie dem Staat und der Gesellschaft zu. „Mehr Förderung, bitte!“ Stets sind die anderen schuld: der Staat, die Deutschen, die Gesellschaft, der Rassismus, oder im Notfall auch der arme geprügelte Thilo Sarrazin. Berlin gibt jährlich 4,1 Milliarden für Bildung aus, pro Kind mehr als jedes andere Bundesland. Noch mehr Förderung bedeutet noch mehr Verschuldung.

Geradezu reflexartig ist der Impuls, sich als Opfer der Verhältnisse auszugeben: „Wir fühlen uns angegriffen.“ „Wir werden diskriminiert.“ „Wir sind benachteiligt.“ Man wiederhole dies oft genug – und irgendwann werden es alle glauben.

Wichtig wäre: Diese deukischen Menschen, die brauchen wir eigentlich als Erzieher in den Kitas, als Sozialarbeiter und als Lehrer in den Grundschulen. Aber das wollen sie nicht. Die erfolgreichen Menschen der deukischen Generation werden Juristen, Ingenieure, Zahnärzte. Und sie haben Erfolg – zunächst in den Medien, und später dann – dessen bin ich gewiss – im Berufsleben.

Deutsch-türkische Studentin: „Wir fühlen uns angegriffen“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – UniSPIEGEL
Selçuk findet sich nicht ab mit ihrem Groll, schluckt ihn nicht einfach runter. Sie ist überzeugt: Auch Kids wie Ali können etwas beitragen, wenn man sie fördert. Nur vergesse das die Gesellschaft viel zu oft. Deshalb gründete sie 2007 den Verein „Die Deukische Generation“. Sie gab Interviews, saß bei Podiumsdiskussionen, legte sich mit Politikern an. Zeitungen und Sender berichteten gern über sie. Denn sie war das Positivbeispiel – türkischstämmig, Abitur am Elite-Internat, engagiert, eloquent. Ihre Botschaft: Deutsch-türkische („deukische“) Jugendliche sind eine Bereicherung. „Wir wollten einfach sagen, dass wir dazugehören; dass junge Migranten ein Potential sind.“

 Posted by at 12:20

Vom uralten Obrigkeitsdenken gestürzt in die Bundesrepublik

 Freiheit, Herodot, Tugend, Türkisches  Kommentare deaktiviert für Vom uralten Obrigkeitsdenken gestürzt in die Bundesrepublik
Apr. 222010
 

„Du bist als einzelner ziemlich unwichtig – der Herrscher, der Staat, die Macht sind ehrwürdig und verleihen auch dir die Würde. Denn der Staat, nicht die Bürger, trägt die letzte Verantwortung.“ Mit solchen schlichten Sätzen könnte man das despotische Denken zusammenfassen, das Herodot, Aischylos, aber auch das biblische Buch Ester bei den östlichen Herrschaften bemerken, welches sie auf dem Gebiet der heutigen Türkei vorfanden. Ferner vertrete ich die These, dass dieses uralte despotische Denken sich durch die Jahrtausende in allen östlichen Großreichen von den persischen Achämeniden über die Khanate bis zu den Osmanen fortgesetzt hat. Despotisches Denken verlangt Ergebung, Unterwerfung, ja Unterwürfigkeit beim Einzelnen, Gerechtigkeit, Freigebigkeit und Strenge beim Herrscher.  Das despotische Staatsverständnis  war lange vor dem Islam da, und es hat auch das von den Jungtürken um Mustafa Kemal eingeläutete Ende des Sultanats überdauert.

Der kluge, scharfsinnige und sehr einfühlsame Stuttgarter Blogger Hakan Turan gelangt zu ähnlichen Erkenntnissen. Und er zieht Schlussfolgerungen für die heutige Zeit, für den Umgang mit den türkischen Jugendlichen. Lest, was er am 17.04.2010 schrieb:

Hakan-Turan-Blog
Dieses Obrigkeitsdenken beginnt natürlich nicht erst 1923 mit der Gründung der Türkischen Republik, sondern lässt sich weit in die Zeit des Osmanischen Reiches zurückverfolgen. Es überrascht nicht, dass das Obrigkeitsdenken und der Autoritätsgehorsam heutzutage in den meisten politisch relevanten Kreisen der Türkei, von den religiösen, über die kurdischen bis zu den kemalistischen, verblüffende Ähnlichkeiten aufweist. Und: Dieses Denken ist implizit noch bei dem Großteil der türkischen Jugend in Deutschland verbreitet.

 Posted by at 20:13

„Und das ist Atatürk …“

 Leitkulturen, Staatlichkeit, Türkisches  Kommentare deaktiviert für „Und das ist Atatürk …“
Apr. 202010
 

… so fing ich meinen ersten zaghaften türkischen Konversationsversuch mit einem türkischen Taxifahrer an … Wir fuhren eben an einem bronzenen Standbild des Urvaters aller Türken vorbei. Die Antwort des Taxifahrers erfolgte in Gesten … und in einem Lächeln, einem angedeuteten Achselzucken. Einem beschwichtigenden Klopfen auf das Lenkrad.

Ich glaube, dass die meisten erwachsenen Türken nicht mehr jener blinden Atatürk-Verehrung anhängen, die eherner Bestandteil der an den Schulen verkündeten staatstragenden Ideologie ist. Einer personenzentrierten, im Grunde auf Unsterblichkeit des Gründer-Vaters angelegten Nationalstaatsideologie, die durch keinen  Zweifel in Frage gestellt werden darf.

Man stelle sich einmal vor, die Bundesrepublik würde derart massiv zur Verehrung Konrad Adenauers erziehen. Es wäre ein Widerspruch zum Grundgedanken der Republik. Die Bundesrepublik hat zwar eine Reihe bedeutender Staatsmänner und -Frauen aufzuweisen. Aber jeder und jede von ihnen ist oder war prinzipiell ersetzbar. Der Staat wird durch das Volk getragen. Nicht durch die religiöse Einheit mit einem Mann.

Die Staatsauffassung der Türkei und diejenige der Bundesrepublik Deutschland halte ich für unvereinbar.

Diese türkischen Erinnerungen fallen mir wieder ein, als ich soeben den folgenden Bericht lese:

Türkische Schulen: „Wir erklären sogar den Dreisatz mit Atatürk“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – SchulSPIEGEL
„Du denkst, an den Schulen sollte die Wissenschaft im Vordergrund stehen, aber nein: Alles dreht sich nur um Atatürk.“ Im Geschichtsunterricht sei für die Antike kein Platz, für die Französische Revolution nicht, allenfalls für Hitler. Selbst in Fächern wie Mathematik und Biologie stehe Atatürk im Mittelpunkt: „Wir erklären sogar den Dreisatz am Beispiel Atatürks“, sagt Türkmen sarkastisch. In Mathe komme Atatürk in jeder zweiten Sachaufgabe vor, etwa mit Anekdoten aus seinem Leben.

 Posted by at 18:05