Deutsche! Schaut auf diesen Wahlkreis 084 und erkennt …

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Jan 252009
 

…  dass hier die Musik spielt, dass es keinen anderen Wahlkreis gibt als bei uns daheim in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost, in dem so offen Brüche und Umbrüche zutage treten! Die Rose der 5 Direktkandidaten vervollständigt nämlich seit gestern für Die Linke – wie in diesem Blog vermutet – Halina Wawzyniak:

Halina Wawzyniak Direktkandidatin in Friedrichshain-Kreuzberg
DIE LINKE in Friedrichshain-Kreuzberg nominierte heute auf einer Vertreter/innenversammlung die stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei DIE LINKE, Halina Wawzyniak als Kandidatin für die Wahl zum Deutschen Bundestag im Wahlkreis 084 Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer-Berg-Ost. Sie erhielt 66 von 77 abgegebenen Stimmen. Das sind 85,7%. 5 Vertreter/innen stimmten gegen sie, 6 enthielten sich.

Halina Wawzyniak ist seit 2007 auch die Vorsitzende des Bezirksverbands Friedrichshain-Kreuzberg der Partei DIE LINKE. Sie tritt zum ersten mal direkt im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg an.

Zunächst wie immer bei neuen Gästen, die auf dieser Blog-Bühne vorgestellt werden: Ein herzliches Willkommen!  Und vorweg gleich ein paar gute Dinge über die Kandidatin: Sie führt ein persönliches, recht buntes Blog, in dem sie nicht irgendwelche halboffizielle Verlautbarungen von sich gibt, sondern wirklich munter plaudert und auch einmal ein paar schräge Sachen loslässt. So soll es sein – ein angenehmer, erfrischender Sonderfall unter bundesdeutschen Politikern, die sich mehrheitlich noch mit den Besonderheiten des Netzes der Netze schwer tun! – Wawzyniak hat die Möglichkeiten des Mediums Internet erkannt. Mir gefällt auch, dass sie ausgerechnet Malta als Lieblingsziel ihrer Reisen erkoren hat, dass sie begeistert Fahrrad fährt und dass sie Englisch lernt. Russisch kann sie ja wohl schon, denn sie verbrachte Kindheit und Jugend in der DDR und ich vermute nach ihren Aussagen in ihrem Blog, dass sie überwiegend angenehme Erinnerungen daran hegt.

Gut auch, dass Halina Wawzyniak ihre gestrige Bewerbungsrede in ihr Blog gestellt hat – ein Zeichen dafür, dass sie die offene, die öffentliche  Auseinandersetzung sucht. Auch mit dem Kandidaten, der weithin bei uns daheim als „gesetzt“ gilt.  Über ihn sagte sie gestern:

Ich möchte durch Angriff und nicht durch Verteidigung am Mythos Hans-Christian Ströbele kratzen. Mit einem „Ströbele-Sündenregister“ will ich im Wahlkampf deutlich machen, dass Ströbele nicht das aufrechte linke Gewissen der Grünen ist, sondern eben ein ganz normaler Grüner.  Es war Hans-Christian Ströbele, um nur ein Beispiel zu nennen, der im Jahr 2004 für die Grünen das sog. Luftsicherheitsgesetz begründet hat. Dieses Gesetz, mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft, erlaubte unter bestimmten Umständen den Abschuss von Passagierflugzeugen.  Im Jahr 2004 erklärt Hans-Christian Ströbele noch, dass das Gesetz keine Regelung enthalte zum Abschuss von Flugzeugen, die mit Passagieren besetzt sind. Die Regelung im Gesetz war aber eindeutig. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für Verfassungswidrig erklärte, begrüßte Hans-Christian Ströbele das Urteil. Ich finde, unser Bezirk hat es nicht verdient durch einen Abgeordneten im Bundestag vertreten zu sein, der seine Meinungen wechselt wie andere die Unterhosen und der sich dafür hergibt solche Gesetze wie das Luftsicherheitsgesetz zu begründen. Und da Hans-Christian Ströbele in einem Interview schon über das Rentnerdasein nachgedacht hat, sollten wir ihn in seinen Plänen für „ein einfaches Leben auf dem Lande mit Hund und Esel, dafür ohne Strom und fließendes Wasser“ unterstützen.


Was sagt Halina Wawzyniak zum Sozialismus in der DDR? Wie wird  sie die Auseinandersetzung mit Vera Lengsfeld führen? Lesen wir doch einfach in dem von ihr veröffentlichten Redemanuskript:

Ich will im Wahlkampf den Splitterpositionen von Vera Lengsfeld, die für die Splitterpartei CDU antritt, ein selbstbewusstes LINKES Geschichtsbild entgegensetzen. Das liebe Genossinnen und Genossen bedeutet aber auch, deutlich zu machen, dass unsere Idee eines Sozialismus nicht identisch ist mit dem, was in der DDR Sozialismus genannt wurde. Das bedeutet zu akzeptieren, dass Vera Lengsfeld in der DDR bitterböse mitgespielt wurde, dass aber ihre Art der einseitigen Verteufelung der DDR gerade nicht dazu beiträgt, diese Geschichte verantwortungsvoll aufzuarbeiten. Wir setzen auf ein differenziertes Bild ohne die Fehler, Verbrechen und Irrtümer zu leugnen.

In diesen Ausführungen meine ich ein Grundmuster wiederzuerkennen, dem ich seit zwanzig Jahren auf Schritt und Tritt begegne. Man kann dieses Grundmuster sogar schon bei Rosa Luxemburg finden. Ich habe es in diesem Blog bereits am 10.01.2009 unter dem Motto „Lenin gut – Stalin böse“ aufgegriffen. Vereinfacht ausgedrückt lautet es: „Der Sozialismus als Idee ist etwas Gutes, nur leider führten die Versuche, ihn zu verwirklichen, gelegentlich zu Fehlern, Abirrungen und Verbrechen. Zum Beispiel der Stalinismus. Das bedeutet also, dass wir Linken jetzt aus diesen Fehlern lernen müssen und dass wir den Sozialismus jetzt erst recht noch einmal probieren.“

Eine herrliche Karl-Marx-Karikatur – ich glaube: von Roland Beier –  legte dem Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus denn auch die Worte in den Mund: „Tut mir leid, Jungs, war ja nur eine IDEE von mir.“

Was ist dran an diesen Argumenten?  Nun, zunächst einmal meine ich: Englischkenntnisse sind gut, aber Russisch-Kenntnisse sind ebenso unerlässlich! Man sollte wirklich die Geschichte des Marxismus-Leninismus, vor allem natürlich die Geschichte der Sowjetunion und der DDR studieren, und zwar in der ganzen Breite, ohne die übliche Zensur, und man wird erkennen: In all diesen Fällen, in denen der Sozialismus in die Praxis umgesetzt wurde, gehörten Verbrechen, also der Terror gegen Abweichler, gegen Andersdenkende, gegen „Volksfeinde“ von Anfang an und bis zum bitteren Ende dazu. Diese Einschüchterung der eigenen Bevölkerung, diese Verfolgungsmaßnahmen schlossen neben der allgegenwärtigen Bespitzelung und Einschüchterung durch Tscheka, KGB und Stasi mindestens für einige Jahre und Jahrzehnte auch systematischen, massenhaften Mord ein. Das gilt für Lenin von allem Anfang an, es gilt aber auch für nur scheinbar weit entfernte Ableger der sozialistischen Bewegung wie etwa die westdeutsche RAF, deren Flugblätter ich selbst damals an den westdeutschen Universitäten las. In keinem Fall war der reale Sozialismus vereinbar mit der Achtung der Menschen- und Bürgerrechte, mit der Achtung der in freien Wahlen erzielten Mehrheiten.

Brauchen wir noch einen weiteren Feldversuch? Wieso sollte ein erneuter Versuch anders ausgehen als in all den Jahrzehnten zuvor?

Karl Marx war überzeugt: Ideen sind wirklich. Ich bin überzeugt: Wer die Idee des Sozialismus von der Realität des Sozialismus trennt, denkt idealistisch und hat weder Hegel noch Marx ernst genommen.

Für Russland und Deutschland sage ich hier nach Hunderten von Gesprächen mit jenen, die diese beiden jahrzehntelangen Experimente am eigenen Leibe erfahren haben: Bitte, bitte nicht noch einmal!

Doch hat Halina Wawzyniak vollkommen recht, wenn sie eine differenzierte Betrachtung fordert: Niemand sollte leugnen, dass viele Menschen im Sozialismus der Sowjetunion und der DDR glücklich waren, dass viele davon profitiert haben, dass sie vor allem schöne Kindheits- und Jugenderinnerungen an diese untergegangenen sozialistischen Systeme haben. Es hat zwar alles nicht funktioniert, das System Sozialismus ist gescheitert. In der Sowjetunion erkannte man dies innerhalb der KPdSU 10 Jahre früher als in der DDR und führte den Systemwechsel konsequent herbei. Aber auch in der Marktwirtschaft funktioniert nicht alles immer perfekt, wie wir gerade in diesen Monaten wieder einmal erkennen.

Und im Nachhinein war es für viele, für manche der gut integrierten Bürger in der DDR und in der Sowjetunion eigentlich gar nicht so schlimm. Diese Erinnerungen sollte ihnen auch niemand nehmen:  Das gemeinsame Wirken und Schaffen, die körperliche Ertüchtigung, der Sport in der freien Natur, die zahlreichen kulturellen Ereignisse mit den Klassikern aus Dichtkunst und Musik, die vorbildhafte Pflege des Erbes, die vorbildliche Disziplin in Schule, Ausbildung und Betrieb – all dies und vieles mehr schweißte viele zusammen, sicherte vielen ein friedliches Auskommen und Einkommen. Der Staat, die Partei kümmerten sich um alles. Es gab kein Gezänk und Hader verschiedener Parteien, keine bürgerlichen Schwatzbuden. Die Straßenkriminalität war gering. Alles war so schön geregelt. Aber eben nur für einen Teil der Bevölkerung. Und immer nur auf Widerruf.

Ich werde mir weiterhin sehr genau anschauen, was die fünf  Direktkandidaten meines Wahlkreises zu diesem und zu anderen Themen sagen und welche praktischen Vorschläge sie zur Behebung der unleugbaren aktuellen Schwierigkeiten machen. Oder, wie es Karl Marx so getreulich von seinem Lehrmeister Georg Wilhelm Friedrich Hegel und dessen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte abgeschrieben hat:

Hic Rhodus, hic salta!

Eines ist sicher: Es wird spannend!

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„Achten Sie auf die richtige Betonung!“

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Jan 232009
 

23012009.jpg „So, jetzt weißt du endlich, wie eine türkische Mutti sich beim Elternabend in einer Berliner Grundschule fühlt!“ flüsterte ich mir zu, als ich gestern den Elternabend unserer russisch-deutschen Grundschule besuchte. Man kommt zwar mit, aber man traut sich nicht, selber was in der Fremdsprache zu sagen. So ging es mir gestern. Es war aber eher ein „Eltern-Nachmittag“. Egal, jedenfalls fand die erste Hälfte auf Deutsch, die andere auf Russisch statt. Ich war der einzige, der nicht fließend wie ein Muttersprachler Russisch spricht. Und ich fragte meinen Nachbarn: „Was heißt eigentlich  udarenie?“ – „Betonung! Haben Sie einen Stock, um die richtige Betonung zu vermitteln?“ Die Lehrerin sagt: „Die Kinder haben oft Schwierigkeiten mit der Betonung. Achten Sie auf die richtige Betonung!“ Wir Eltern sind aufgefordert, auf die sprachliche Entwicklung unserer zweisprachigen Kinder noch mehr zu achten, mit ihnen noch mehr zu üben. Fließendes Lesen in beiden Sprachen müssen die Kinder demnächst beherrschen.  Dabei sollen wir Eltern auch mitarbeiten. Elterliche Unterstützung wird erwartet und eingefordert.

Da die anderen Eltern alle aus dem russischen Schulwesen kommen, konnte ich wunderbar meine Vergleiche anstellen! Was ist anders in Berlins Grundschulen im Vergleich zu Russland, zur Sowjetunion? Durch Gespräche mit verschiedenen russischen Eltern finde ich immer wieder folgendes heraus:

Erstens: Das Leistungsniveau in den russischen bzw. sowjetischen Grundschulen ist oder war wesentlich höher als in den heutigen Berliner Grundschulen. „In Berlin lernen die Kinder fast nichts!“, so höre ich immer wieder. Das haben ja auch die internationalen Tests bestätigt. Hallo, Berliner CDU: Ehe man wieder leichtfertig auf die „sozialistische Einheitsschule“ schimpft, sollte man dies zur Kenntnis nehmen.

Zweitens: Die Eltern wurden oder werden in der russischen bzw. sowjetischen Einheitsschule weit stärker in die Pflicht genommen. Wenn die Kinder nicht mindestens den Durchschnitt der Klassenleistung erreichen, werden die Eltern aufgefordert, selber mit dem Kind zu üben. Bezahlte Nachhilfe ist unüblich. Die Eltern müssen mit dem Schüler arbeiten, wenn das Kind aus welchen Gründen auch immer den Anschluss nicht halten kann.

Drittens: Das Experiment der jahrgangsübergreifenden Eingangsstufe „SAPH“, wie es jetzt in Berlins Grundschulen ausgerollt wird, stößt bei uns Eltern auf einhellige Ablehnung. „Das haben sich irgendwelche praxisfernen Theoretiker ausgedacht, die Personal einsparen wollen! Und uns fragt keiner!“ So der Tenor der Meinungen. Wir haben bereits im vergangenen Jahr bei der Senatsverwaltung dagegen protestiert, dass SAPH ohne Rücksprache mit uns Eltern und gegen unseren einstimmig erklärten Willen in unserer Schule eingeführt wird. Übrigens: Bei diesem Brief kamen mir endlich meine leicht überdurchschnittlichen Deutsch-Kenntnisse zugute, denn ich habe ihn formuliert – und alle Eltern in der Klasse haben ihn unterschrieben.

Fazit allgemein: Wir Eltern und alle Lehrer sind bereit, alles zu tun, damit unsere Kinder was Gescheites lernen. Berlins Grundschulen haben ein niedriges Leistungsniveau. Fazit persönlich: Mit meinen jetzigen Deutsch-Kenntnissen komme ich fast überall in Berlin zurecht, an meinem Russisch werde ich weiter arbeiten. Es macht Spaß. Versprochen!

Unser heutiges Foto zeigt den Schuhschrank und die selbstgemalte Visitenkarte unserer Klasse. Wir Eltern sind stolz darauf, was unsere Kinder können!

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Jan 222009
 

Mir leider nicht hinreichend bekannt war bisher der Direktkandidat der FDP für den Bundestagswahlkreis, in dem ich wohne. Es ist Markus Löning, Landesvorsitzender der FDP. Eine kleine Nachforschung im Internet führt mich rasch auf seine persönliche Homepage. Dort kann ich etwas über seine Aktivitäten nachlesen, ja ich kann ihn sogar – You tube sei Dank! – auf einer knappen Tour durch Berlin begleiten. Das macht Herr Löning gut: Anhand einzelner Beispiele erklärt er, was Europa uns Bürgern an Verbesserungen gebracht hat, z.B. dass mehr Menschen mit dem Flieger in den Urlaub fliegen können, weil die EU den Wettbewerb im Flugverkehr durchgesetzt hat.  Was ich vermisse, ist allerdings eine Vita des Kandidaten – ich kann seiner Homepage nicht entnehmen, was man eigentlich immer gerne weiß, ehe man jemandem seine Stimme schenkt: Woher er kommt, ob er außer Politik noch einen anderen Beruf erlernt und ausgeübt hat, wie alt er ist und ähnliche Kleinigkeiten. Schade. Auch seine Nominierung als Direktkandidat entnehme ich der Presse, auf seiner Homepage steht sie noch nicht.  – Die Journalisten waren also schneller, obwohl doch das Internet ein hervorragendes Werkzeug wäre, den Kollegen von der schreibenden Zunft zuvorzukommen und dadurch die Meinungsführerschaft über eine solche Meldung zu behaupten.

Für mich bleibt höchst erfreulich: Die Direktkandidaturen für Friedrichshain-Kreuzberg finden bundesweit Beachtung. Alle mal herhören! Hier spielt die Musik! Nicht zuletzt deswegen verspricht der Wahlkampf mit Vera Lengsfeld, Christian Ströbele, Björn Böhning und nun auch Markus Löning besonders spannend zu werden. Am 24.01. wird auch die Linke ihre Direktkandidatin nominieren. Im Gespräch ist Halina Wawzyniak. Ich würde mich freuen, wenn ich alle 5 Kandidaten mindestens einmal gemeinsam im direkten Vergleich von Angesicht zu Angesicht erleben könnte. Es wäre doch toll, wenn die Kandidaten einander direkt ihre politischen Fragen und Antworten zuwürfen! Wenn nicht, muss ich halt die einzelnen Veranstaltungen ablaufen, um dieses Blog zu füttern. Aber die Wege sind ja nicht so lang in meinem Heimatbezirk. Das lässt sich alles mit dem Fahrrad erledigen.

Und dies berichtet die Morgenpost heute:

Wahlkampf – FDP-Chef Löning tritt in Kreuzberg an – Berlin – Berliner Morgenpost
Löning hat für alle drei Gegenkandidaten schon eine politische Antwort bereit. Ströbele? „Der ist fast 70 Jahre alt“, so Löning. Böhning? „Der redet von besserer Bildungspolitik. Dabei ist die SPD seit 20 Jahren in Berlin an der Macht und hätte etwas für die Schulen tun können.“ Und Lengsfeld? „Sie hatte sich gegen die Moschee in Pankow gewandt. Mit einer solchen Position wird sie Schwierigkeiten in Kreuzberg bekommen.“ Er selbst wolle sich an die Eltern mit Kindern wenden und mit Steuerentlastung werben.

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Quakendes Graswurzel-Geunke

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Jan 212009
 

Ja hat sich denn alles mit diesem Blog verbündet? Der Graswurzelblogger reibt sich die Augen – als wollten sie sein Geraune und Geunke bestätigen, verhalten sich die Parteien nach den hessischen Landtagswahlen genau so, wie er es gestern vorausgeahnt hatte.

Mutmaßung 1 von gestern: „Die Parteiapparate der SPD und der CDU werden angesichts schwindender Zustimmung durch die Wähler noch stärker mit internen Revierstreitigkeiten beschäftigt sein, die Binnenzwistigkeiten werden sich verschärfen“, – und einen Tag nach dieser Vorhersage wird gemeldet: Der CDU-Fraktionschef im brandenburgischen Landtag tritt Knall auf Fall zurück. Dabei hatte man doch das Kriegsbeil schon hoch und heilig begraben! Als Begründung führt er mangelnden Rückhalt in der Partei an. Wir lesen im Tagesspiegel:

Acht Monate vor der Landtagswahl muss Brandenburgs CDU einen neuen Fraktionschef suchen: Amtsinhaber Thomas Lunacek ist am Dienstag zurückgetreten, nachdem er unter der neuen Landesvorsitzenden Johanna Wanka bei der Aufstellung der Landesliste ausgebootet worden war. Der 44-Jährige begründete seinen Schritt mit dem fehlenden Rückhalt in der Partei, der im Wahlkampf jedoch nötig wäre. „Es war mir nicht möglich, das Amt mit Kraft und Autorität weiterzuführen“, sagte Lunacek, der bei der Bekanntgabe seines Entschlusses befreit wirkte.

Mutmaßung 2 von gestern: Die beiden großen Parteien werden sich weiterhin selbst beschädigen, z.B. durch tiefschürfende, überwältigend frische Analysen wie etwa „Eine bürgerliche Mehrheit ist möglich“, „Wer Merkel will, muss CDU wählen“, „Kanzlerin Merkel ist unser Angebot an den Wähler“, oder: „Wir sind die bürgerliche Partei der Mitte“, und was dergleichen wohlfeile Sprüche mehr sind. Hier ist jedoch eine Ergänzung angebracht: CDU und SPD beschädigen nicht nur sich selbst, sondern stärker noch – soweit sie in der Koalition gebunden sind – einander. Nach dem alten Muster: Wir haben alles richtig gemacht, die anderen sind an allem schuld. Generalsekretär Hubertus Heil attackiert im Hamburger Abendblatt schon mal vorsorglich die Bundeskanzlerin Merkel:

Abendblatt:

Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner schreibt: „SPD wählen heißt Beliebigkeit, schlimmer: völlige Ungewissheit wählen“ …

Heil:

Fehlendes Profil kann Herr Schöppner eher bei der Union feststellen. Da gibt es zwischen den Verstaatlichungsfantasien des Herrn Rüttgers und den wirtschaftsradikalen Vorstellungen, die Herr Merz bei vielen in der Union hinterlassen hat, sehr viel Unklarheit. Bei Frau Merkel ist es ja so: Jeder glaubt sie zu kennen, aber keiner weiß wirklich, wofür sie steht. Die SPD ist klar aufgestellt.

Und auch mit unserem gestrigen Lob für den Wahlkämpfer Al-Wazir stehen wir nicht allein – denn heute reißen sich die Bundesgrünen um ihn. Der Spiegel berichtet:

Für Al-Wazir spricht: Er kann eigentlich alles. Öffentlich sprechen, scharf analysieren, führen und zusammenführen. Ein Realo, der auch mit den Parteilinken kann. Ein geborener Fraktionschef eben.

Was lernen wir daraus? Ich werde ab der nächsten Wahl im Jahre 2009 jeweils am Vorabend eine gefühlte Graswurzel-Prognose zum Wahlausgang geben. Den allgemeinen Trend glaubte ich gestern bereits zu erwittern:

a) Die beiden großen Parteien werden durch eigenes Zutun – nicht wegen der Großen Koalition – verlieren. b) Die drei kleinen Parteien werden gewinnen, und zwar um so stärker, je mehr sie sich nicht nur auf die Schwächen der großen verlassen, sondern auch ihr eigenes Profil durch die geeignete Kandidatenauswahl in Richtung auf eine Bürgerpartei des neuen Typs verbreitern. Musterfall hierfür: Tarek Al-Wazir.

Sind solche Vorahnungen unabwendbar? Nein. In der Politik ist kaum etwas mit großer Sicherheit vorhersagbar. Allerdings meine ich behaupten zu dürfen: Wahlen werden immer stärker durch die Persönlichkeit der Spitzenkandidaten und durch das richtige kommunikative Verhalten entschieden.

 Posted by at 17:54
Jan 212009
 

Die Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten war für mich ein Anlass großer Freude. Umso mehr, als ich mich gerade in den letzten Wochen geradezu Tag und Nacht mit der Geschichte Russlands befasst hatte, eines Landes, das mühsam seinen Weg zu den Idealen der Freiheit, des Rechtsstaates und der Demokratie geht. Zu Idealen also, die in den USA seit 1776 anerkannt werden, für die in allen Generationen Männer und Frauen gekämpft haben. Es sind Ideale, auf die man sich immer wieder zurückbesinnen muss.

Ich las über die vergangenen Wochen Lenin, Rosa Luxemburg, Stalin, Marx im russischen und deutschen Original. Eine bedrückende Lektüre – nicht zuletzt auch deswegen, weil diese Autoren – neben aller berechtigten Kritik an unhaltbaren Zuständen – für den Terror, für Mord an politischen Gegnern eintreten. Noch bedrückender war es für mich zu erfahren, dass gerade in diesen Tagen wieder zwei politische Morde in Moskau geschehen sind. Die Opfer heißen Stanislaw Markelow und Anastasija Baburowa – beide politisch engagiert, beide auf offener Straße erschossen. Das ist verheerend für die politische Kultur des Landes – so wie es auch verheerend in der Weimarer Republik war, wo ebenfalls tausende politische Morde verübt wurden.

Als um so erhebender und begeisternder empfinde ich das, was in diesen Tagen in den USA geschieht.

Übrigens: In den USA ist Religionsunterricht an staatlichen Schulen gesetzlich verboten. Der Staat soll sich nicht in die freie Religionsausübung einmischen und darf deshalb den Unterricht in Religion nicht überwachen. Dennoch – oder gerade deswegen – spielt Religion im öffentlichen Leben der USA ein weitaus größere Rolle als bei uns in Deutschland. Dies wurde gestern bei der Amtseinführung wieder überdeutlich. Der neue Präsident hat sich wiederholt und ausdrücklich als Christ bekannt. Ob die eifrigen Verfechter von „Pro Reli“ dies wissen? Sollten sie noch einmal über ihren Spruch „Es geht um die Freiheit“ nachdenken?

Heute las ich die ersten Seiten von Obamas Buch „Dreams from my father“. Wie schon bei seinen Reden zeigt sich: Er ist ein Meister des Wortes – sowohl geschrieben wie gesprochen. Einer seiner Berater hat im Fernsehen gesagt: „Er ist ein Worteschmied – bosselt tagelang an seinen Reden herum, etwa wenn er sagt: Da ist noch eine Silbe zuviel, das klingt noch nicht …“

Um so neugieriger wurde ich, als ich das Motto seines ersten Buches las: „For we are strangers before them, and sojourners, as were all our fathers.“ Es ist ein Zitat aus der Jüdischen Bibel (dem „Alten Testament“ der Christen), Erstes Buch Chronik, Kapitel 29, Vers 15: „Denn wir sind Fremde vor dir, Menschen ohne Bürgerrechte wie alle unsere Väter.“ So lässt sich der Vers aus der Septuaginta, der griechischen Fassung der Jüdischen Bibel, übersetzen. In Obamas Buch steht „Fremde vor ihnen„, nicht „Fremde vor dir“ … Ich schlage in meiner englischen Bibel nach: „For we are strangers before thee, and sojourners, as all our fathers were.“

Ob nun „vor dir“ oder „vor ihnen“ – Obama hat den ungeheuren Reichtum der Bibel erkannt, beruft sich mehr oder minder deutlich immer wieder auf Grundsätze seiner Religion. Vor allem scheint ihn zu faszinieren, dass die christliche Bibel die lange Geschichte der Schwachen, der Fremden, der Verlierer aufbewahrt. So waren denn seine Bezugnahmen auf Gott in seiner Antrittsrede vollkommen glaubwürdig, glaubwürdig wie die Bezugnahme auf die vielen amerikanischen „Gründerväter“, die ebenfalls aus der Erfahrung von Unterdrückung und Bevormundung kamen. Die Bibel ermöglicht es auf unvergleichliche Weise, sich in die lange Reihe der Ausgestoßenen, der Verlierer, der Bürger zweiter Klasse hineinzuversetzen.

Obama hat es in seinen Worten gestern noch einmal ausgedrückt: Die USA sind die Heimstätte für all jene geworden, die glauben, dass jede und jeder ein Recht hat dazuzugehören – unter der Voraussetzung, dass die Ideale der Freiheit und der Gleichberechtigung allen zugute kommen. Für diese Voraussetzung gilt es Tag um Tag zu kämpfen.

 Posted by at 13:03
Jan 202009
 

Freude, Freude, Freude allenthalben nach der Wahl in Hessen! Wir bescheinigten am 16.11.2008 in diesem Blog der jüngsten Generation von Grünen-Polikern, dass sie ihre Partei zielstrebig von einer Akademiker- und Elitepartei, die sie derzeit ist, zu einer kleinen, aber feinen Bürger- und Volkspartei umwandeln wollen. Das Bild der Bürgerschreck-Partei wird abgestreift, die Grünen werden erwachsen. Die gestrige Wahl in Hessen hat gezeigt: Ja, sie können es! Unter dem betont seriös, zugleich jungenhaft auftretenden Tarek Al-Wazir konnten sie ihren Stimmenanteil bei den Bürgern binnen eines Jahres nahezu verdoppeln. Al-Wazir finde ich ausgesprochen sympathisch, und er hat im Wahlkampf keine Fehler gemacht, sondern erfolgreich die grünen bürgerlichen Stammwähler mit den neubürgerlichen Wählern vereint. Deshalb: Freude bei den Grünen!

CDU und FDP freuen sich ausweislich der Stellungnahmen ihrer Spitzenleute wie die Schneekönige, dass die ersehnte „bürgerliche Mehrheit“ zustande kommt und träumen schon von ihrer bevorstehenden Hochzeit im Bund. Dass die CDU sogar binnen eines Jahres noch einmal 45.949 Bürgerstimmen verloren hat, trübt die Vorfreude nicht, denn es kann als sehr wahrscheinlich gelten, dass die CDU weiterhin stärker als die FDP bleibt und deshalb auch die Bundeskanzlerin stellen wird. Und „Merkel ist unser Angebot an die Wähler“, so hat es Herr Öttinger ja vor einigen Monaten gesagt. Da die FDP ja doch wohl in jedem Fall Frau Merkel mittragen wird, denkt sich der Wähler: „Wir müssen Frau Merkel ein wirksames Korrektiv und eine echte Unterstützung an die Seite stellen, zumal einige CDU-Landesfürsten schon öffentlich mit den Hufen scharren. Deshalb wählen wir FDP.“

Um 13 % weniger bürgerliche Stimmen vereinte die SPD auf sich. Dies zeigt die starken Beharrungskräfte der bürgerlichen Wähler, denn die SPD-Wähler in Hessen stehen als gute Bürger zu ihrer Partei, nur die Wechselwähler lassen sich durch erwiesene Unfähigkeit verprellen. Deshalb müsste auch in der SPD große Freude ob der Treue dieser 23% herrschen! Also, Bürgerinnen und Bürger: Freut euch doch ein bisschen!

Die Linkspartei darf sich ebenfalls freuen, denn sie konnte ihren Stimmenanteil ausbauen, obwohl es im Laden wegen interner Querelen und einiger Austritte kräftig gerummst hatte. Die anderen bürgerlichen Parteien werden – so steht zu erwarten –  sich weiterhin von der Linkspartei zum nächsten Schwächeanfall treiben lassen.

Was lernen wir daraus? Die Schwäche der CDU und der SPD  ermuntert die kleineren, also die notgedrungen lernfähigen Parteien, sich zu mausern und zu wandeln. Statt immer nur auf die eigene Klientel zu starren, haben es FDP, Grüne und Linkspartei geschafft, auch für neue Wählerschichten attraktiv zu werden. Das Parteiensystem steuert erkennbar auf ein 5-Volksparteien-System zu. Statt von einer Krise, von einem Herbst der Volksparteien zu sprechen – wie es etwa Franz Walter tut – spreche ich lieber von einem Wandel der Klientelparteien. Ich glaube, das Modell „Klientelparteien“ wird schwächer – Hessen lehrt dies. Was kommen wird, ist das Modell „Bürgerpartei“, das derzeit einen echten Frühling erlebt. Die Bürgerpartei ist offen für alle Bürger, die Bürgerpartei hört zu, in ihr mischen die Bürger kräftig mit, die mächtigen Parteiapparate werden gestutzt.

Der langfristige Trend wird – so meine ich – weitergehen: SPD und CDU schwächen sich selbst weiterhin, da bei abnehmenden Wählerstimmen die internen Ressourcenverteilungskämpfe an Härte noch zunehmen. Seitdem SPD und CDU immer weniger Posten und Mandate zu vergeben haben, werden sie immer stärker durch interne Machtkämpfe absorbiert. Es kracht sozusagen immer häufiger im Gebälk. Die Parteiapparate gewinnen dadurch paradoxerweise an innerparteilicher Macht, je schwächer sie beim Wähler dastehen. So deute ich jedenfalls die unerhört heftigen Binnenzwiste, die allein in den letzten 12 Monaten diese beiden Parteien immer wieder erschüttert haben und wohl auch weiter erschüttern werden – ich nenne nur die Namen Junghanns, Clement, Pflüger, Schmitt, Beck.

Die drei kleineren Volksparteien können von dieser fortgesetzten Selbstbeschädigung der SPD und der CDU profitieren, indem sie das tun, was die beiden größeren Volksparteien verlernt haben: Sie erzählen ihre Geschichte, ihren Parteikern so um, dass sie auch für frische Wählerstimmen anziehend werden.

Die CDU-Spitze hat sich offenbar auf den tollen Slogan verständigt: „Eine bürgerliche Mehrheit ist möglich!“

Was für eine starke, was für eine treffende Analyse! Auch ich meine: Da unsere Bürger unter 5 Bürger- und Volksparteien auswählen können, werden sich immer 2 oder 3 bürgerliche Parteien finden, die dann die Mehrheit bilden. Das ist die berühmte bürgerliche Mehrheit.Voilà!

Personen werden in diesem Wettbewerb der Bürgerparteien wichtiger als die Lagerzugehörigkeit des vergangenen Jahrtausends. Proletarier, Protestler, Lumpenproletariat, Adlige, Sozialhilfeempfänger, Spießbürgerliche, Kleriker – sie alle werden ihre Kreuze bei derjenigen der 5 bürgerlichen Parteien machen, die sie am Wahltage am meisten überzeugt. Der Hausbesitzer, der von Hartz IV lebt in Pankow, wird eher die Linkspartei wählen, der Hausbesitzer in Kronberg/Taunus, der von satten Prämien lebt,  eher die FDP. Aber das sind historisch zu erklärende Zufälle.

Meine Prognose für das Superwahljahr 2009 lautet also: SPD und CDU werden weiter verlieren, wenn sie nicht erkennbar und deutlichst umsteuern. Die drei anderen Volksparteien werden jede für sich und auch insgesamt zulegen.

Heute wird Obama vereidigt. Was hat er gemacht? Wie konnte er einen so überwältigenden Wahlsieg holen, und zwar mit und in der ältesten amerikanischen Volkspartei? Eines ist klar: Er macht es völlig anders als unsere deutschen Parteien – von Anfang an sprach er alle an! Er ließ sich nicht auf eine Revierbeschränkung ein wie unsere mutlosen deutschen Parteistrategen. Er erzählte von seinen Werten, die die amerikanischen Werte sind. Er sprach zu allen und mit allen. Er hörte zu. Und dann – erzählte er dasselbe noch einmal, aber mit anderen Worten. Dann hörte er wieder zu. Dann erzählte er. Er erzählte seine Geschichte. Es ist eine Geschichte, die jede und jeder so erleben kann. Er erzählte seine Werte. Es sind Werte, denen jede und jeder zustimmen kann. Und irgendwann – hörten die Leute ihm zu. Und ganz zum Schluss – wählten sie ihn. Auch darüber – herrscht Freude.

 Posted by at 14:15
Jan 192009
 

arbeitsmethoden13012009001.jpg Ganz oft erlebt man als unverdrossener Graswurzelblogger das Gefühl einer gewissen Genugtuung – nämlich immer dann, wenn Eindrücke oder Analysen eines solchen Blogs wenige Tage später durch Aussagen der Betroffenen selber bestätigt werden. Mir entfährt dann öfters der Ausruf: „Ich hab es doch gesagt!“ Triumph? Nein, das glaube ich nicht … eher ist es so, dass man in den Quellen fischt, die am ehesten die eigenen Urteile bestätigen.

So bezeichnete ich Barack Obama im Sommer in diesem Blog als einen Konservativen. Damals, so meine ich, hatte kaum jemand in der deutschen Presse Barack Obama als einen Konservativen erkannt. Zum Teil lag das daran, dass zu wenige seine Bücher gelesen hatten und dass zu viele der fälschlichen Meinung anhingen, „die Konservativen“ stünden den amerikanischen Republikanern, „die Linken“ den Demokraten näher.

Heute höre ich ein Interview, das der damalige Kandidat Obama im Jahr 2007 bei einem Auftritt zusammen mit Eric Schmidt, dem CEO von Google gab – und er sagte: „Viele halten mir vor, ich sei progressiv. Aber ich bin konservativ – in dem Sinn, dass ich die Werte pflege, die Amerika groß gemacht haben.“

Und sonst? Die Junge Garde, die Jugendorganisation der Putin-Partei „Einiges Russland“, verlangt – neben einem Leben ohne Alkohol – eine Umbettung Lenins, weg vom Kreml-Mausoleum, hin an die Seite seiner Mutter in Petersburg, wie es der Diktator selbst in seinem Testament verlangt habe. Man solle endlich den Wunsch des Führers erfüllen. Damit kratzen die Jungen jedoch an einer Weihestätte des Kommunismus, mehr noch: sie fordern durch die Blume die Auflösung dieser Kultstätte. Sie können dies aber nicht offen tun. Denn viele hängen an Mythen. Ich erinnere mich noch, wie es war damals war im Jahre 2001, als ich am einbalsamierten Leichnam Lenins vorbeischritt und mich nicht entblödete, im Flüstertone eine Frage an meine russische Begleiterin zu richten. Denn ich war es aus den heiligen Weihestätten meiner Kindheit gewohnt, dass man zumindest halblaut flüstern durfte. Ein frevelhaftes Tun! Ein scharfer Verweis der Wachen belehrte mich eines Besseren! Ich verstummte augenblicklich, wie mir geheißen.

Mein Eindruck: Wenn jetzt nach Stalin auch noch die Gestalt Lenins demontiert wird, dann bedeutet dies einen weiteren Rückbau des Kommunismus – schon jetzt lässt sich in Russland selbst erkennen, dass „Stalinismus“ als Erklärungsmuster für ein Terrorsystem nicht mehr akzeptiert wird. Man kann nicht alles Böse Stalin in die Schuhe schieben, man kann ein so umfassendes System nicht umstandslos personalisieren. Das wäre ja auch ganz und gar wider die Lehre des historisch-dialektischen Materialismus. Aus Vera Lengsfelds Buch „Mein Weg zur Freiheit“ weiß ich, wie nach 1956 alle Bücher Stalins aus den Privatbibliotheken entfernt und verbrannt werden mussten.

Ich halte allerdings Bücherverbrennungen für den falschen Weg der Auseinandersetzung. Ich habe selbst noch in Russland eine prachtvolle Stalin-Gesamtausgabe in eigenen Händen gehalten und darin geblättert. Man sollte freizügig darin lesen. Denn ich meine: An ihrer Sprache kann man sie erkennen. Deshalb meine herzliche Aufforderung an alle Befreier des Proletariats: Lernt gescheit Russisch! Lest Lenins Befehle aus dem Jahr 1917 und 1918 im Original! Studiert umfassend die ruhmreiche Geschichte der kommunistischen Bewegung und der Räterepubliken aus den besten in russischer und deutscher Sprache verfügbaren Quellen und den Forschungsergebnissen der heutigen russischen und deutschen Historiker! Leistet euren Beitrag zur Aufklärung der Massen!

Die historischen Quellen aus jenen Jahren, die nunmehr in Russland frei im Umlauf sind, sprechen eine deutliche Sprache. Sicherlich wird man auch in Deutschland den einen oder anderen Gedenkstein mit anderen Augen sehen – man wird nicht mehr so einfach kommentarlos an einem Gedenkstein mit der Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“ vorbeigehen können. Man wird sich sein Teil dazudenken.

Unser Bild zeigt ein Plakat aus guter alter Zeit, aufgenommen in einem Berliner Café in der Karl-Marx-Allee.

YouTube – Candidates@Google: Barack Obama

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Neustart

 Radfahren in Russland  Kommentare deaktiviert für Neustart
Jan 182009
 

Am Vormittag folgte ich der Einladung zum Neujahrsempfang der CDU Friedrichshain-Kreuzberg. Mit dem Rad strampelte ich die Methfesselstraße hoch. Im gotischen Saal der ehemaligen Schultheiß-Brauerei sprach ich unter einem neogotischen Kreuzrippengewölbe mit einer alten Kreuzbergerin über die Art „wie Kreuzberg früher gerochen hat“. Wie Gerüche mit einem ganzen Land, einem System untrennbar verknüpft sind.  „Ja, damals, als hier noch eine Brauerei war …“ „Ja, damals, als wir hier Fahrrad fahren lernten …“

Kreisvorsitzender Wolfgang Wehrl hält ein knappe Ansprache zum neuen Jahr, hebt Leitwerte wie Selbstverantwortung und Freiheit hervor. „Die Politik sollte es nicht einfach hinnehmen, dass viele Menschen nie erfahren, was es heißt, von eigener Hände Arbeit zu leben.“ Michael Braun, Mitglied des Abgeordnetenhauses, spricht sich in seinem Grußwort für den Dialog aller demokratischen Parteien aus: „Alle demokratischen Parteien müssen miteinander Gespräche führen können. Ob sie dann gemeinsam handeln werden, steht auf einem anderen Blatt. Aber miteinander reden – das ist unsere Pflicht!“ Applaus, Applaus – ich stimme allen Rednern zu!

Wie immer bei solchen Gelegenheiten nutze ich jede Chance, mit unbekannten und bekannten Menschen ins Gespräch zu kommen.  Und siehe da – etliche meiner sympathischen Gesprächspartner kommen von anderen Parteien und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Das ist gut so, das dürfte den Herrn Braun aber freuen,  – und die größte Überraschung, ich spreche mit einer Russin, die gewohnheitsmäßig in Moskau Fahrrad fährt. Das hätte ich nicht für möglich gehalten, ausgerechnet bei der CDU! Da kann man nur sagen: Das fängt ja gut an.

Anschließend ab zu Weib und Kind ins Bergmann 103 zum genüsslichen Brunchen.

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„Die Täter sind unter uns“

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Jan 182009
 

„Die Täter sind unter uns.“ Immer wieder höre ich diesen Satz von denen, die den verschiedenen Diktaturen Europas entronnen sind. Und noch unverblümter legt Helmut Schmidt den Finger in diese Wunde. Er schreibt auf S. 80 seines Buches „Außer Dienst“:

Sieht man von wenigen rühmlichen Ausnahmen ab – ich nenne an erster Stelle Kurt Schumacher, Konrad Adenauer und Theodor Heuss -, bestand die erste Generation der deutschen Nachkriegspolitiker zu einem großen Teil aus ehemaligen Nazis und ehemaligen Mitläufern.

(Helmut Schmidt: Außer Dienst. München 2008)

Das darf doch nicht wahr sein – fast alle die Mörder und Henker kommen ungeschoren davon! So dachte ich als Jugendlicher und stritt herum mit denen, die anderer Meinung waren. Ältere erwiderten mir: „Es war nicht möglich, die gesamte Funktionselite auszutauschen. Verwaltung, Polizei, Justiz und Politik wären völlig zusammengebrochen, wenn man alle aktiv an schwersten Verbrechen Beteiligten aus dem Dienst entfernt hätte.“ Und so galt in beiden deutschen Staaten und in Österreich: Die Mörder sind unter uns.

Heute muss ich ernüchtert zur Kenntnis nehmen: Wenn ganze Staaten durch verbrecherische Regierungen gekapert werden, dann kann die juristische Aufarbeitung all der mit staatlicher Deckung begangenen Verbrechen nie zur Gänze gelingen. Sie erfasst sogar immer nur einen verschwindendenTeil der Verbrechen – die meisten Täter kommen ungeschoren davon, ja, da sie ein meist gut integrierter Teil des herrschenden Systems waren, werden sie üblicherweise sogar materiell besser dastehen als die meisten ihrer überlebenden Opfer. Das finde ich empörend, in mir sträubt sich alles gegen diesen Befund … aber ich muss ihn zur Kenntnis nehmen. Soll denn alles unter einem großen Stein begraben werden – ähnlich dem Felsblock vor der Lubianka in Moskau „Den Opfern des Stalinismus“? Nein – wir haben die Erinnerung, wir haben die politische und historische Aufarbeitung. An dieser gilt es weiterzuarbeiten. Und man kann mit denen sprechen, die noch einmal davongekommen sind, die Zeugnis ablegen können.

Aber die juristische Aufarbeitung wird kaum mehr als ein Tropfen in den Ozean des Leidens sein.

Auch der tschechische Außenminister Schwarzenberg äußert sich im Tagesspiegel ähnlich. Er entwirft – endlich!  – eine Vision von der EU, die alle im engeren Sinne europäischen Nationen umfassen soll – vor allem die Länder des Balkans. Darüber hinaus mahnt er, den vernachlässigten Dialog mit Russland noch bewusster zu pflegen. Ich stimme ihm in beiden Forderungen unbedingt zu und zitiere:

„Mein Traum: Russland als Partner Europas“
Sind Sie sicher, dass die anderen Europäer, genauer die Westeuropäer dafür Verständnis aufbringen? Einerseits gibt es die Furcht vor der Überdehnung der EU durch weitere Mitglieder. Und andererseits gibt es Empfindlichkeiten. Die Niederlande machen zum Beispiel Fortschritte gegenüber Serbien von der Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic abhängig.

Ich glaube, die jetzige serbische Regierung bemüht sich ehrlich um Lösungen. Und wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, wie Netzwerke alter Kollegen jahrelang ihre Kumpane geschützt haben. Keine Nation kann behaupten, dass sie sich nicht mit Verbrechen befleckt hat. Und jetzt, bitte sehr, wie viele von unseren eigenen Tätern, mein eigenes Land nicht ausgeschlossen, ist es gelungen, zu bestrafen? Eine relativ minimale Zahl. Der Umgang mit diesem Problem scheint mir bis zu einem gewissen Grad eine Ausrede, weil man den Balkan nicht reinnehmen will. Man muss die Sache auch mal beim Namen nennen.

Dieses Europa, dessen Präsidentschaft Sie jetzt wahrnehmen, ist zum guten Teil das Ergebnis des großen Umbruches von 89/90, der ja auch Sie selber in die Politik gespült hat. Gehen wir mit dieser Zeit richtig um? Wir werden ja in diesem Jahr die zwanzigste Wiederkehr dieser Epochen- Zäsur mächtig feiern.

Wir haben sehr viel Gutes geleistet. Die Erweiterung Europas oder die langsame Aufnahme ganz Europas in die Gemeinschaft war eine Großtat. Aber wir haben auch große Fehler gemacht. Einer davon war, dass wir vor allem in den 90er Jahren nicht mehr mit Russland gesprochen und es vernachlässigt haben.

Und in Bezug auf das neue Europa selbst? Wir haben heute in Polen und in Ungarn wie auch in Ihrem Land eine sehr angespannte Lage, zum Teil mit populistischen Tendenzen, die besorgniserregend sind.

Das bestreite ich gar nicht. Aber vergleichen Sie die Situation nach 1989 in diesen Ländern mit der nach 1945 in Westeuropa. Wer weiß noch, wie instabil die Verhältnisse in Italien waren? Und in Frankreich – bis de Gaulle kam? In Spanien und Portugal gab es Diktaturen Also, tun wir nicht so, als ob die Westeuropäer damals so viel besser waren. Nein, bis zu einem gewissen Grad ist das eine sehr ähnliche Entwicklung. Und was die Fortdauer kommunistischer Netzwerke betrifft, so kann ich mich gut daran erinnern, wie in Österreich – wir haben damals dort gelebt – noch lange Zeit nach dem Krieg das Netzwerk der ehemaligen NSDAP tadellos funktioniert hat.

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Freiheit, die er meint

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Jan 172009
 

In meiner Schulzeit, als 17-Jähriger, besuchte ich erstmals die USA. 2 Monate verbrachte ich dort, teils mit einem Schulorchester, teils mit einem Freund, teils bei meinen amerikanischen Verwandten, teils auch ganz alleine. In den Staaten Ohio, Michigan, New York und Pennsylvania kamen wir herum, lebten bei verschiedenen amerikanischen Familien.

In Philadelphia besuchte ich Independence Hall, das Gebäude, in dem sowohl die Unabhängigkeitserklärung als auch die Verfassung unterzeichnet worden sind. Die Amerikaner pflegen – ganz im Gegensatz zu uns Deutschen – die Erinnerung an jene Geburtsstunden ihrer Demokratie, beziehen sich darauf, zeigen sie stolz her. Ich selber komme immer mehr darauf, dass nicht die Französische Revolution von 1789, sondern die Amerikanische Revolution von 1776 den eigentlichen Anstoß für den Siegeszug der demokratischen Verfassungen gegeben hat, bis hin zur Frankfurter Paulskirche und zur deutschen Revolution von 1989.

Soeben hörte ich die Rede, die Barack Obama in eben jenem Philadelphia hielt, ehe er den Zug nach Washinton bestieg, um dort vereidigt zu werden. Und wieder schafft er es, die tausendmal gehörten Worte und Werte mit neuem Leben zu erfüllen! Heute also: Unabhängigkeit. Sinngemäß hat wohl gesagt: Lasst und unabhängig werden – unabhängig von Ideologien, von Selbstgerechtigkeit und Anspruchshaltungen, von aller Verzagtheit. Lasst uns – in unserem privaten Leben – eine Art Unabhängigkeitserklärung leben.

Aber lest selbst:

„What is required is a new declaration of independence, not just in our nation, but in our own lives — from ideology and small thinking, prejudice and bigotry — an appeal not to our easy instincts but to our ‚better angels,‘ “ he said, using a phrase from President Abraham Lincoln’s inaugural address in 1861.

Wow! Kein Wort davon, dass der Staat uns schon helfen wird, dass die Regierung sich um uns kümmern wird – auch keinerlei Versprechungen, dass der Präsident nach dem Rechten sehen werde … nein, es war ein Aufruf, das Leben selbständig und im Bewusstsein eigener Gefährdung  zu meistern.

Das ist und bleibt ein Redner, dem weiterhin meine Bewunderung gilt. In allem, was er sagt und tut, verströmt er dieses Vertrauen in die Werte, die die USA so groß gemacht haben: Freiheit, Verantwortung, Vertrauen in die eigene Kraft und in die Gemeinschaft derer, die etwas für das Glück tun wollen.

Man mag das bei einem Politiker für selbstverständlich halten. Aber Obama erzählt die Werte, – er hat eine Geschichte hinter sich. Und diese Fähigkeit, Werte zu erzählen, hebt ihn heraus aus all jenen, für die Freiheit bloß ein Wort ist.

Mein Bild zeigt einen Blick auf die Straße unter den bekannten Yorckbrücken in Berlin, aufgenommen gestern beim Zurückradeln aus dem Fitness-Studio.

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Jan 162009
 

16012009.jpg „Freiheit der Wahl“ –  unter diesem Motto erklärte ich gestern meinen Einsatz für das Fahrrad. Ich meine: Solange auf unseren Straßen ein Gewaltvorsprung des motorisierten Verkehrs herrscht, kann von echter Freiheit bei der Wahl des Verkehrsmittels nicht die Rede sein. Immer wieder höre ich in Moskau und Berlin: „Ich würde ja gerne Rad fahren, aber es ist mir zu gefährlich.“

Mir selbst ist es nicht zu gefährlich – denn durch jahrzehntelange Erfahrung meine ich mittlerweile Verhaltensweisen entwickelt zu haben, die mir unfallfreies Fahren garantieren. Dazu gehört in jedem Fall das Einhalten der Straßenverkehrsordnung unter allen Umständen. Nur einen einzigen Fahrradunfall habe ich übrigens in 45 Jahren gehabt, und zwar an der Wilhelmstraße, genau vor der SPD-Zentrale. Eine Autofahrerin öffnete dort die Tür beim Aussteigen, übersah mich, und ich stürzte – ohne mich zu verletzen. Aber meine besten schwarzen Schuhe von Hugo Boss zeugen heute noch davon, genauer gesagt: der rechte.  Wir schimpften erst aufeinander, sprachen uns dann aus – versöhnten uns, umarmten uns sogar nach dem Versöhnungsgespräch.

Zurück zu „Freiheit der Wahl“ – unter dieses Motto stellen auch die Beweger von „Pro Reli“ ihre Plakatkampagne. Heute tadelt der Juraprofessor Bernhard Schlink in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Seite 9 die Parteinahme der Kirchen für dieses Volksbegehren. Sein Hauptvorwurf lautet:

F.A.Z.-Gastbeitrag: Die Kirchen haben schon verloren – Kirche & Religion – Politik – FAZ.NET

So, wie die Kirchen den Kampf für Volksbegehren und -entscheid führen, gewinnen sie selbst dann nicht, wenn am Ende das Wahlpflichtmodell verwirklicht wird.Mit der Trägerschaft der laufenden Kampagne „Pro Reli“ haben sie auch deren Propaganda mit allen Verzerrungen, Entstellungen und Lügen übernommen. „Pro Reli“ erklärt, dass Berlin seine Bürger auf in Deutschland einzigartige Weise bevormunde, dass Ethikunterricht Zwangsunterricht sei, dass er ohne spezifische religiöse oder weltanschauliche Ausrichtung Werte überhaupt nicht vermitteln könne, dass er mit der Vermittlung von Werten das staatliche Neutralitätsgebot verletze, dass er den Fundamentalismus fördere – es sind Verzerrungen und Entstellungen, die sich jetzt auch die Kirchen zurechnen lassen müssen. Die Kampagne spielt mit der Angst vor fundamentalistischer Indoktrination im islamischen Religionsunterricht und behauptet, Religionsunterricht sei nur als ordentliches Lehrfach in einem Wahlpflichtbereich durch den Staat auf Lehrinhalte und -methoden zu überprüfen – es ist falsch, aber die Kirchen stellen es nicht richtig und distanzieren sich nicht davon.

Der Verfassungsrechtler Bernhard Schlink lehnt ferner das zentrale Argument des Volksbegehrens ab, die geltende Lage an Berlins Schulen widerspreche dem Grundgesetz:

Die Behauptung, das Berliner Modell sei verfassungswidrig, soll es in den Augen der Empfänger der Briefe erledigen. Wer für das Volksbegehren unterschreibt, tritt nicht nur für ein pädagogisches, schul- und integrationspolitisches Modell ein und auch nicht nur für die Kirche, sondern für die Verfassung. Wer wollte sich dem verweigern! Auch dieses zentrale Argument ist schlicht falsch – und die Kirchen wissen es. Das Grundgesetz sieht ausdrücklich vor, dass Religionsunterricht in Berlin nicht ordentliches Lehrfach sein muss. Berlin hat bei der Gestaltung des Religionsunterrichts eine besondere verfassungsrechtliche Freiheit.

Was soll man nun davon halten? Wenn der Gesetzentwurf mit juristisch falschen Argumenten begründet wird, dann steht das Begehren auf wackligen Füßen.

Mein Eindruck: Das Volksbegehren erzählt keine Geschichte. Ich spüre kein Anliegen, keine Botschaft. Keins der Argumente für oder gegen die bestehende Regelung vermag mich endgültig zu überzeugen. Das galt schon für das Tempelhof-Volksbegehren, und es gilt auch hier. Für schädlich halte ich auch hier, dass die politischen Parteien der Stadt sich eindeutig für und gegen das Volksbegehren gestellt haben. Sie haben das Unternehmen für sich eingespannt.

Ich selber habe übrigens 13 Jahre lange Religionsunterricht an der Schule genossen. Er spielte jedoch in meiner religiösen Entwicklung keine Rolle. Entscheidend und prägend waren für mich Gespräche, das gelebte Vorbild meiner beiden Eltern von frühester Kindheit an, das Hinweinwachsen in die Gemeinde, die Erfahrungen mit Dutzenden und Dutzenden von Menschen, die ich so verstand: diese christliche Botschaft hat etwas zu bedeuten.

Bis zum heutigen Tage pflege ich und lese ich gerne in den religiösen Überlieferungen der Juden, der Christen, der Araber, der alten Griechen und der alten Römer. Vieles spricht dafür, dass unser Europa nur eine einzige Klammer hat. Nämlich die Herkunft und Prägung durch die drei asiatischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. In allen Ländern, die wir heute als zu Europa gehörig betrachten, war mindestens eine dieser drei Religionen für einige Jahrhunderte lang die amtlich und öffentlich einzig zugelassene Wahrheit.

Ich halte den deutschen Rabbinerenkel Karl Marx ebenfalls für den Stifter einer erstaunlich geschlossenen und einheitlichen Glaubensgemeinschaft, einer echten Ersatzreligion  – der Religion des Kommunismus.

Leider tun manche so, als wäre das Christentum etwas ursprünglich Europäisches. Das ist schlicht falsch. Es entstand in Vorderasien als Abkömmling des Judentums.

Aber soll man alle diese so prägenden Religionen und Ersatzreligionen zum Gegenstande eines ordentlich gelehrten Schulfaches machen? Ich weiß es nicht. Ich hege Zweifel.  Die Zweifel nehmen zu. Weder die Initiatoren des Volksbegehrens noch die Befürworter der jetzigen Lösung haben wirklich unwiderlegbare Argumente. Und sie haben eigentlich alle nichts zu erzählen. Ganz im Gegensatz zu Moses, Jesus, Mohammed und Karl Marx.

Also – lesen wir doch mehr Moses, Paulus, Mohammed und meinethalben auch Karl Marx. Und dann sprechen wir noch mal über „Pro Religionibus“.

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Was habt ihr gegen Autos in den besten Jahren?

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Jan 152009
 

„Was hast du denn gegen Autos?“, werde ich manchmal gefragt, da ich mich vor allem für die Stärkung des Radverkehrs einsetze. Darauf antworte ich: Ich habe nichts gegen Autos. Ich mag Autos, solange ich drin sitze und es draußen stürmt und regnet. Wofür ich mich einsetze, ist die Freiheit der Wahl. Solange dem Kfz-Verkehr so ein gewaltiger Vorrang gegenüber dem Fußgänger- und dem Radverkehr eingeräumt wird, solange ich an der Skalitzer Straße, der Leipziger Straße und anderen wichtigen Hauptstraßen nicht unbehindert und ungefährdet mit dem Rad fahren kann, werde ich mich für den Ausbau des Radverkehrs und für bessere Fußgänger-Ampelschaltungen einsetzen.

Heute frage ich die Bundesregierung: „Was habt ihr gegen alte Autos?“ Die Abwrackprämie, mit der die Verschrottung von mindestens neun Jahre alten Autos mit 2500 Euro belohnt wird, ist ein unsäglicher Schlag ins Gesicht der mittleren deutschen PKW-Generation! Denn deutsche Autos sind mit neun Jahren nicht alt, sie werden nur in andere Länder verbracht. In ärmeren Ländern rollen sie dann gerne noch einmal so lange. Hans-Werner Sinn bezeichnet denn auch die Maßnahme – wir sind ja ein freies Land! – als pervers:

Hohes Haushaltsminus: Steinbrück will Politik zu Schuldentilgung zwingen – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Wirtschaft
Gleichzeitig häuft sich die Kritik an dem zweiten Konjunkturpaket der Bundesregierung. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, attackierte die Abwrackprämie für ältere Autos. „Ich halte die Abwrackprämie für pervers, weil sie Anreize setzt, ökonomische Werte zu vernichten“, sagte Sinn der „Passauer Neuen Presse“.

Es gehe um Autos, die neun Jahre alt seien. Deutsche Autos seien aber nach neun Jahren „noch keine Schrottkisten, die man vernichten muss“, sagte Sinn. „Für die Umwelt ist es vermutlich besser, wenn man die alten Autos weiter fährt, auch wenn sie etwas mehr Sprit als neue verbrauchen“, sagte Sinn.

Ansonsten – ich übernahm gestern vom SZ-Kommentator Heribert Prantl den Ausdruck „Freßkorb“ für das Konjunkturpaket II. Ich erwarte: Das ganze Paket wird abgefuttert wie nach dem Geburtstag eines hochverdienten Landrats. Die Enkel des Landrats werden dann über ihre Steuern den Freßkorb mit Zins und Zinseszins zurückzahlen. Doch halt: Finanzminister Steinbrück möchte ja das verbieten lassen, was die Bundesregierung beschlossen hat. Zweimal ist keinmal, möchte man sagen. Als wollte Steinbrück sagen: „Es kommt nicht wieder vor, dass wir so ungehemmt neue Schulden aufnehmen, und weil wir uns selbst nicht über den Weg trauen, verbieten wir den Nachfolgeregierungen das, was wir heute machen.“

Wären die Deutschen bereit gewesen, den eigenen Gürtel enger zu schnallen, Senkungen des Lebensstandards hinzunehmen, etwa durch Kürzungen der Transferleistungen? Ich glaube: ja! So wurden gestern in Plasbergs „Hart aber fair“ Zuschauerreaktionen wiedergegeben, die ganz überwiegend das Konjunkturpaket II ablehnten. Und zwar genau deswegen, weil es auf Pump finanziert werde. Mein Eindruck: Nie war der Zeitpunkt günstiger als jetzt, um von den Bürgern die Zustimmung für unbequeme Maßnahmen zu holen, die das staatliche Füllhorn zumindest vorübergehend weniger üppig sprudeln lassen. Lesen denn die Regierenden keine Klassiker, keinen Karl Marx mehr – wissen die denn nicht, dass Krisen zum Kapitalismus gehören wie das Salz in der Suppe? Was Marx noch nicht wusste: diese Krankheiten sind nicht zum Tode,  sie führen zu Marktbereinigungen, aus denen die Marktwirtschaft stärker hervorgeht. Der sowjetische Wissenschaftler Kondratieff fand dies in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts heraus – die Marktwirtschaft verläuft zyklisch, sie ist aber insgesamt stark genug, um die Krisen zu überstehen.

Ich meine: Etwas mehr Schwäbische-Hausfrauen-Gesinnung täte in unserem Staate not und deren Folgen wären auch gut verkraftbar.

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Rosa und Vera. Oder: Freiheit, die sie meinen

 1917, Freiheit, Karl Marx, Rechtsordnung, Rosa Luxemburg  Kommentare deaktiviert für Rosa und Vera. Oder: Freiheit, die sie meinen
Jan 142009
 

„Papa, was ist Freiheit?“

Geben Sie mal Ihrem sechsjährigen Kind eine Antwort auf diese Frage!

Durch Diktatur später irgendwann einmal zur Freiheit, durch Terror irgendwann einmal zum Glück, so ungefähr fassten wir vor zwei Tagen die Überlegungen Rosa Luxemburgs zum Terror der russischen Bolschewisten zusammen. Sie bejahte in ihren Schriften Morde und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der von ihr und einigen wenigen Erwählten erkannten welthistorischen Ziele. Ihr Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie, zu Meinungspluralismus – das alles, wofür sie von einigen bis zum heutigen Tage verehrt wird – das alles stößt sich aufs heftigste mit ihrer Parteinahme für den gewaltsam durchgesetzten Kurs der Bolschewiki, die sofort nach der Machtübernahme alle durch die Mehrheiten gewählten Organe schachmatt setzten.

Denn das deutsche Proletariat hatte versagt, das deutsche Proletariat hatte einfach nicht genug Karl Marx und Rosa Luxemburg gelesen, um sich zu seinem welthistorischen Auftrag durchzuringen, der Weltrevolution zum Durchbruch zu verhelfen. Auch das russische Proletariat – soweit vorhanden – hatte sich in seiner Mehrheit verstockt und uneinsichtig gezeigt. Vor allem das Lumpenproletariat (also Kleinkriminelle, Huren, Schieber, Tagelöhner) bereitete den großen Führern der Arbeiterschaft, allen voran Lenin, große Sorgen, so große Sorgen, dass Lenin schon mal vorsorglich den Befehl zur unverzüglichen leibhaftigen Eliminierung dieses – wie auch anderen – volksfeindlichen Gesindels gab …

Doch zurück zur Frage – was ist Freiheit? Wir bewunderten vor zwei Tagen den Mut Rosa Luxemburgs. Sie sagte über Kaiser Wilhelm II: „Der Mann hat keine Ahnung von den Tatsachen.“ Dafür wurde sie ins Gefängnis gesteckt. Das war Majestätsbeleidigung. Da ist keine Freiheit. Das war – das Kaiserreich, der Obrigkeitstaat. In so einem Land herrscht keine Freiheit. So würde ich meinem Sohn antworten.

Und heute? Wenn jemand sagen würde: „In ihren Interviews des Sommers 2006 offenbart die Bundeskanzlerin eine Sicht der Dinge, die man getrost als Realitätsverlust bezeichnen kann“, wäre das auch Majestätsbeleidigung? Wenn jemand behauptete: „Der Bundespräsident, der glaubte, dass die Beugung der Verfassung kein zu hoher Preis für die Ermöglichung notwendiger Veränderungen sei, steht vor einem Scherbenhaufen“, würde so einer heute auch ins Gefängnis gesteckt? Bei uns – nicht. Schau her, lieber Sohn, in unserer Bundesrepublik darfst du auch den Bundespräsidenten und die Bundeskanzlerin heftig angreifen – es wird dir nichts geschehen. Das ist eine freiheitliche Ordnung. Du kannst eigentlich alles sagen, ohne dass du ins Gefängnis gesteckt wirst. In so einem Staat dürfen wir leben. Nicht alle haben dieses Glück gehabt.

Wir haben uns diese Beispiele nicht aus den Fingern gesogen. Die zitierten Sätze entstammen dem Buch Neustart! von Vera Lengsfeld. Ein bemerkenswertes Buch, dessen Überlegungen vielleicht unpopulär, aber eben deswegen um so beherzigenswerter sind! Die Autorin unternimmt den Versuch, eine Gesamtschau auf Deutschland zu werfen. Ein Land in der Selbstblockade. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Vor allem kritisiert sie, neben den höchsten Vertretern des Staates, den Souverän der Bundesrepublik Deutschland, nämlich uns alle – das Volk. Nicht zufällig setzt sie Freiheit an die Spitze ihrer Werteskala. Nicht Gerechtigkeit. Lengsfelds Hauptthese: Gegenwärtig streben wir zu sehr nach einer nebelhaften „Verteilungsgerechtigkeit“ – jeder möchte etwas vom Freßkorb der öffentlichen Hand erhalten. Man könnte an die Milliardenpakete denken, die gerade jetzt wieder gepackt werden, damit jeder etwas abbekommt. Doch damit wird Kreativität und Selbstverantwortung erstickt – so Lengsfeld in aller Unerbittlichkeit. Wir müssen die Fesseln des gütigen Wohlfahrtsstaates lockern, damit Initiative und Eigenständigkeit freie Bahn bekommen.

Ich meine: Diese Behauptung hat etwas Bestechendes. In ihren Diagnosen zeigt Vera Lengsfeld eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem von uns schon mehrfach gelobten Hans Herbert von Arnim. Beide kritisieren die eingespielte Klüngelwirtschaft der Parteien, die Selbstbedienungsmentalität der mächtigen Lobbyisten, die mangelnde Beteiligung der Bürger an staatlichen Prozessen. Und sie machen beide sehr konkrete Vorschläge, was sich ändern sollte. Spannend! Aber werden so unbequeme Mahner auch gehört? Schaffen sie es in die Parlamente? Das ist die große Frage!

Hier noch die Quellenangabe für unsere beiden Zitate mit der doppelten Majestätsbeleidigung:

Vera Lengsfeld: Neustart! Was sich in Politik und Gesellschaft ändern muss. Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit. F. A. Herbig Verlag, München 2006, hier S.  9-10

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