Freiheit instandsetzen

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Mrz 212009
 

„Frei, also höchst verletzbar . . . „ Ich empfehle das neue Buch Christian Meiers allen Gegenwartverdrossenen, allen Kleinmütigen und Verzagten. Man schlage es an beliebiger Stelle auf – und man wird sich festlesen, man wird vielleicht erst nach zwei oder drei Abschnitten auf den ersten griechischen Namen, auf die erste Jahreszahl stoßen und erstaunt den Kopf schütteln: „Ach so, eigentlich geht es um das alte Griechenland – ich dachte, es ginge um uns!“

Meier ist einer der ganz wenigen lebenden deutschen Prosaschriftsteller, die sich an antiken Vorbildern geschult haben: ich höre die harte Fügung eines Thukydides, eines Tacitus heraus – aber ebenso auch die Kunst der gegliederten Periode. Wie er, nach längerem Gedankenflug niedersetzend, das Gehörte und Gedachte in zwei oder drei Wörtern zusammenfasst – das nötigt mir höchste Bewundrung ab. Man höre doch bitte oder lese sich laut vor etwa die folgenden Sätze:

„Wie die mykenische Welt zum Einsturz kam, läßt sich nicht mehr ausmachen. Manches spricht dafür, daß auch sie – wie unter anderm das mächtige Reich der Hethiter – dem Sturm der sogenannten Seevölker erlag, der um 1200 v. Chr. über die Welt des östlichen Mittelmeers dahinfegte. Doch könnten Epidemien, Naturkatastrophen oder innere Konflikte zuvor schon die mykenischen Reiche erschüttert oder geschwächt haben. Vermutlich hing alles an der Herrenschicht, und die war schmal. Sie mag zuletzt ins Mark getroffen gewesen sein. Jedenfalls brach jene Welt so völlig zusammen, da ein Wiederaufbau schließlich nicht mehr in Frage kam. Große Teile des hochentwickelten Handwerks hörten auf, sogar die Schrift ging verloren, derer sich die Palastverwaltungen bedient hatten; man brauchte sie nicht mehr. Wo einst prächtige Burgen sich über das Land erhoben; wo Armeen von Streitwagen, Flotten und ein ausgeklügelter Küstenschutz Herrschaft und Sicherheit nach außen garantiert hatte; wo ein System von Straßen gebaut und unterhalten und Handel mit Hilfe von Niederlassungen in Kleinasien und Unteritalien gepflegt worden war, fraßen sich Zerstörung, Armut und Ungewißheit ein. Gefahren lähmten das Alltagsleben, die Wünsche wurden bescheiden. Der Ägäisraum lag brach.“

Kaum ein Buch scheint mir stärker in unsere Zeit hineingeschrieben zu sein als eben dieses, aus dem hier zitiert worden ist. Wie der Autor stets von neuem Anlauf nimmt, Bekanntes zusammentragend, neu ordnend, wie er den Scheinwerfer geschickt vom Anfang her rollend immer wieder über unsere Gegenwart huschen lässt, wie er uns dadurch weit besser einen Spiegel vorhält, als wenn er uns die Leviten mit starrem Blick aufs Jetzt läse: das alles ist meisterlich, das ist ergreifend, das stärkt! Trotz der Fragezeichen, trotz der deutlichen Skepsis, die Meier in Interviews zur heutigen politischen Lage äußert – ich für mein Teil fasse ihn als großen Ermuntrer und Bestärker auf. Deshalb setzen wir einen ganz anderen Ton an das Ende dieser Betrachtung: den Freiheits-Ton, der heute in Europens Blässe nur noch als dünnes Rinnsal zu vernehmen ist:

 „Von heute aus ist schwer einzuschätzen, was es bedeutet, ohne höhere Instanzen, ohne Scheuklappen, nicht nur jeder an seiner Stelle, sondern alle zusammen selbst für das Ganze verantwortlich zu sein, frei, also höchst verletzbar, also ringsum ihre Fühler ausstreckend, immer neue Fragen aufwerfend, um sich und die Welt gedanken- und kunstvoll stets neu auszuprobieren. Denn darin bestand doch das Problem für sie: Sie mußten ihre Freiheit instandsetzen, um unter komplexer werdenden Bedingungen allen Herausforderungen zu genügen.“

Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, München 2009, hier : S. 64 und S. 57-58

Das Foto zeigt einen Blick auf die Stadt Berlin, aufgenommen heute vom Gipfel des Teufelsberges aus

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Dez 142008
 

Am vergangenen Mittwoch brachte ich nicht nur den Stier Ferdinand in die Staatliche Europaschule am Brandenburger Tor, sondern am Abend stand auch noch die Jahresmitgliederversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa in meinem Terminkalender.

Ich beteiligte mich daran mit einer längeren Wortmeldung. Und zwei Stunden vorher warf ich einige Gedanken zu Papier, die mich bei den mündlich vorgetragenen Überlegungen leiteten. Einen Teil der nachstehenden Gedanken trug ich am Mittwoch vor. Ich überlese das ganze heute noch einmal und beschließe, weiter „am Ball zu bleiben“. Hier sind ungefiltert und gewissermaßen ungekämmt die Gedanken, die mich am Mittwoch antrieben:

Vertrautheit unter den neuen und alten EU-Mitgliedern kann sich nicht vorrangig über die Schrecken der Totalitarismen herstellen. Wir Menschen sind so gemacht, dass wir nach einiger Zeit uns von den Schreckensbildern abwenden.

 

Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir viel weiter ausgreifen müssen, um auch nur im Ansatz den Blick in eine gemeinsame Zukunft innerhalb der EU wenden zu können. Insbesondere ist es das Zeitalter der europäischen Revolutionen und Reformen, also die Zeit von etwa 1770 bis 1848, welche in fast allen europäischen Ländern den Wurzelgrund für unseren heutigen Verfassungsstaat gelegt hat.

 

Für uns Deutsche wird eine stärkere Rückbesinnung auf Geist und Buchstaben des Grundgesetzes unerlässlich sein. Die USA pflegen mit Hingabe die Erinnerung an die Entstehung ihrer Verfassung. Deshalb „hält der Laden auch so gut zusammen“. Ein bewundernswertes Beispiel für diese ständige Rückbesinnung auf die Ursprünge der demokratischen Verfassung liefert der bekannte Verfassungsrechtler Barack Obama in seinem Werk „The Audacity of Hope – Hoffnung wagen“. So etwas täte auch uns in Deutschland, uns in Europa bitter not!

 

Aber nein! Weil wir so geschichtsvergessen sind, ist das große Vorhaben einer neuen europäischen Verfassung bisher so kläglich gescheitert.

Wir müssen einander mehr kleine Geschichten erzählen. Erst in einem zweiten Schritt wird man dann über die große Geschichte ein gemeinsames Verständnis herstellen können.

Es ist derzeit keine überzeugende Idee dessen im Umlauf, was Kultur in Europa sein könnte. Das beginnt schon bei der Abgrenzung dessen, was zu Europa im Sinn der Europäischen Union gehört.

Die kühne Gesamtschau verstellt allzu oft den Blick auf die kleinen störenden Details.

 

Nachdem das heutige Griechenland und Bulgarien als Vollmitglieder der EU anerkannt sind, wird man Russland aus kulturellen Gründen keinesfalls aus Europa im engeren Sinne ausschließen dürfen. In unserer Union können und müssen wir fragen: Was hält uns in Europa kulturell zusammen?

 

Allzu oft ist die Antwort auf diese Frage durch den starren Blick auf die Totalitarismen verstellt, als wären die Totalitarismen etwas von außen Aufgenötigtes, das die ursprüngliche Einheit Europas zerschnitten habe. Nach dem vorläufigen Ende der Spaltung Europas fällt es leicht, dieses Fremde nach außen zu projizieren: Russland ist derzeit der böse Bube, der so viel Unheil über das Europa der Opfer gebracht haben soll.

 

Dabei sind lange, erbitterte, blutige Spaltungen geradezu eins der Merkmale der europäischen Geschichte, beginnend vom Peloponnesischen Krieg über den Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg. Die Spaltung Europas im 20. Jahrhundert war mitnichten eine Ausnahme. Oft wird gesagt: „1990 kam endlich die unselige Spaltung Europas zu einem Ende, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann.“ Als habe sich damals, in den Jahren 1945-1949 ein bleierner Mantel des Totalitarismus über den Osten Europas gesenkt, der die Länder des Ostens aus der gesamteuropäischen Freiheitsgeschichte herausgeschnitten habe.  

 

Vergessen wird allerdings dabei, dass es in fast allen Ländern des ehemaligen Ostblocks Mitglieder der heimischen Eliten waren, die bereits vor 1945 Gewaltherrschaften und Unrechtsregime  errichteten. Es gab während der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts in fast allen Staaten Europas – außer in der Tschechoslowakei und Großbritannien – einen breiten antidemokratischen Konsens. Nirgendwo außer in der Tschechoslowakei und Großbritannien hatte sich vor 1939 eine echte parlamentarische Demokratie dauerhaft behaupten können.

 

Allein deshalb verbietet es sich für uns, die europäischen Totalitarismen als etwas Uneuropäisches von uns zu weisen.

 

Der angestrebte breite antitotalitäre Konsens wird nicht zustande kommen, wenn er nicht überwölbt und getragen wird von einem noch breiteren, tieferen pro-demokratischen Konsens.

 

Wir müssen das Gemeinsame stärken, die große europäische Kultur der drei vergangenen Jahrtausende. Dabei gilt es, über den Zaun der eigenen Nationalkultur zu schauen. Die Deutschen müssen Adam Mickiewicz genauso lesen wie sie Friedrich Schiller wieder entdecken sollten. Wir müssen anerkennen, dass Länder wie Ungarn oder Polen im 19. Jahrhundert für den Westen wesentliche Treiber der demokratischen Entwicklung waren. Der Blick auf das misslingende Europa der Vergangenheit alleine wird uns nicht zusammenhalten. Wir sollten das Gute betonen, das nunmehr erreicht ist – Freiheit, Rechtsstaat, demokratisches Gemeinwesen – und beständig die Zustimmung zu dem neuen Europa erhöhen, das zu glücken beginnt. Europa gelingt gemeinsam.

Unser Foto zeigt den Verfasser als undeutlichen Schatten, gewissermaßen in den Stiefeln der Unfreiheit, gebeugt über den Pfad der Visionäre, der sich über den Kreuzberger Mehringplatz erstreckt. Aufgenommen am heutigen Tage.

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„To kratos dolophonei“ – dies ist eine Reisewarnung für Europa!

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Dez 102008
 

Piräus, Patras, Larissa, Trikala, Korinth, Rhodos – dies alles sind Städtenamen, bei denen mein Herz höher schlägt. Es sind Namen, die für die Geburt Europas stehen. In einem einzigartigen Zusammenklang von Mythos, Geschichte, Philosophie und Religion entstand im antiken Kleinasien und Griechenland das meiste von dem, was wir heute als Kern der Idee Europa betrachten.

Und heute – zerreißt es mir das Herz! Im Tagesspiegel steht:

Rebellion der Ratlosen
Das deutsche Auswärtige Amt hat bereits eine Reisewarnung für Griechenland herausgegeben. Denn nicht nur in Athen gibt es Unruhen. Piräus, Patras, Larissa, Trikala, Korinth, Chania, Rhodos – die Liste der Städte, in denen jugendliche Randalierer alles zerstören, was ihnen in den Weg kommt, wird täglich länger.

Ich kenne das moderne Griechenland nicht gut genug, um einen Kommentar zur Lage dort abzugeben. Aber eines kann man folgern: Wenn tausende Jugendliche plündernd durch die Straßen ziehen, handelt es sich nicht um gewöhnliche Kriminelle. Es muss sich darin eine ungeheure Wut ausdrücken, ein völliges Auseinanderfallen von Staat und junger Generation. Diese jungen Menschen schreien es mit Leibeskäften heraus:  „Dies ist nicht unser Staat, dies ist nicht unsere Ordnung!“ To kratos dolophonei – lese ich auf einem Banner, das aus der griechischen Botschaft in Berlin hängt. „Die Macht tötet heimtückisch.“

Wohl aber kenne ich ein wenig die Bewusstseinslage in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Eine im ZDF bekanntgegebene Umfrage vor einer Woche brachte ans Licht, was ich leider schon dumpf ahnte: Die Mehrheit der Deutschen sowohl im „Osten“ wie im „Westen“ findet, es sei ihnen vor der Wiedervereinigung besser gegangen. Wie würden die deutschen Jugendlichen handeln, wenn sie eines fernen Tages ebenfalls der Meinung sein sollten: „Dies ist nicht unser Staat, dies ist nicht unsere Ordnung!“? Wenn eine echte Krise hereinbräche, nicht bloß so ein kleinmütiges Hickhack um Pendlerpauschalen? Wenn Perspektivlosigkeit und Verdruss über Missstände sich zu einer hochexplosiven Mischung verbänden?

Die Vorgänge in Griechenland dürfen uns nicht kalt lassen. Sie sind ein erschütterndes Beispiel dafür, wie ein europäisches Kernland die Zustimmung der jungen Bürger zur Demokratie verspielen kann. Dies ist eine Warnung an alle anderen EU-Länder, wohin die Reise gehen kann, wenn die Grundwerte des modernen Verfassungsstaates, die Grundwerte der Europäischen Union nicht jederzeit, an jedem Ort weiter gepflegt, eingeübt und verteidigt werden.

Wir müssen sehr viel tun, damit nicht eines fernen Tages andere Länder der Europäischen Union Reiseewarnungen herausgeben müssen: „Fahren Sie nicht nach Deutschland, fahren Sie nicht nach Polen, fahren Sie nicht nach Ungarn.“ To kratos dolophonei!

Eine Demokratie, die nicht auf im Herzen gefühlter Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung beruht, hat keinen Bestand. A house divided cannot stand.

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Okt 272008
 

Immer wieder wird gesagt: Die Teilung Europas kam 1989 zu einem Ende. Was wir jetzt versuchten, sei das Zusammenkitten von etwas, was durch die kommunistischen Revolutionen ab 1917 gespalten worden sei. Dem mag so sein. Und doch ist die europäische Geschichte durch zwei viel tiefer gehende Spaltungen geprägt: die doppelte Spaltung in Ost und West um die Jahrtausendwende, als sich der lateinisch geprägte Westen vom griechischen Osten löste – und die erbitterten Spaltungen und Risse, die etwa 500 Jahre später im Zeitalter der Reformationen aufbrachen. Immer ging es dabei auch um Worte, um Überzeugungen, um Ideen, die die Menschen antrieben und auseinandertrieben. Hierzu schreibt Diarmaid MacCulloch in seinem vielgerühmten Buch The Reformation. Europe’s House Divided:

Reformation disputes were passionate about words because words were myriad refractions of a God whose names included Word: a God encountered in a library of books, itself simply called the Book – the Bible. It is impossible to understand modern Europe without understanding these sixteenth-century upheavals in Latin Christianity. They represented the greatest fault line to appear in Christian culture since the Latin and Greek halves of the Roman Empire went their separate ways a thousand years before; they produced a house divided. The fault line is the business of this book. It is not a study of the whole of Europe as a whole: It largely neglects Orthodox Europe, the half or more of the continent that stretches from Greece, Serbia, Romania, and Ukraine through the lands of Russia as far east as the Urals. I will not deal with these except when the Orthodox story touches on or is intertwined with that of the Latin West. There is a simple reason for this: So far, the Orthodox churches have not experienced a Reformation. Back in the eighth and ninth centuries many of them were convulsed by an „iconoclastic controversy,“ which hinged on one of the great issues to reappear in the sixteenth-century Reformation. But in the case of the Orthodox, the status quo was restored and not partially overthrown as it was in the West. We will return to this issue of images frequently in the course of this book.

Who or what is a Catholic? : The Reformation

Unabsehbar sind die Folgen dieses Umbruchs auch in der heutigen Zeit. So entnehme ich der deutschen Übersetzung des Buches eine Vorformulierung unseres heutigen Verständnisses von Gemeinwesen: Erasmus von Rotterdam schreibt im Vorwort zu seiner Enchiridion-Ausgabe von 1518, dass in der idealen Gesellschaft jedermann aktiver Bürger der civitas sein solle – dass also die Zuerkennung von Bürgerlichkeit keineswegs an bestimmte weltliche Voraussetzungen wie etwa Besitz oder festen Wohnsitz gebunden sei. Jeder ist Bürger in einem guten Gemeinwesen, auch der Punk, auch der Penner, auch der Assi! Das meinte Erasmus. Das ist doch genau der Gedanke, den ich in diesem Blog oft und oft verfochten habe: Ein gutes Gemeinwesen zeichnet sich dadurch aus, dass jede und jeder sich in der Verantwortung weiß. O ihr Bürgerlichen mit euren gepflegten Vorgärten in Zehlendorf und Pankow, habt ihr die Botschaft des Erasmus vernommen?

Wenn nicht, dann lest in folgendem Buche nach:

Diarmaid MacCULLOCH: Die Reformation. 1490 – 1700. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 2008, hier: S. 152

Unser Foto zeigt die Veranstaltung: Doppelgedächtnis. Debatten für Europa. Mit Stéphane Courtois und Vaira Vike-Freiberga. Vom vergangenen Mittwoch. Veranstaltet von der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa. Ihr seht: Das Thema der Spaltung des europäischen Hauses wird uns hier noch weiter beschäftigen! Ein Bericht über die Veranstaltung folgt!

 Posted by at 22:58

„Wir sind alle Schuldner Asiens!“

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Sep 212008
 

„Unsere europäische Leitkultur stammt aus Asien – wir sind Schuldner Asiens.“ So rief ich im September 2007 in die Ullsteinhalle hinein. Es war die große Regionalkonferenz der 5 ostdeutschen CDU-Landesverbände. Alle legten die Stirn in Falten und berieten mal wieder über den Begriff „deutsche Leitkultur“. Nachher kam eine Zuhörerin auf mich zugestürzt und fragte: „Wen haben wir denn da? Wer sind Sie? War dies ein Kabarett? Bitte mehr davon!“

Den schönsten Beweis für meine kühne Behauptung erbrachte heute – die Sendung mit der Maus. Eine der besten Maus-Sendungen seit langem! Woher stammen unsere Wochentage? Antwort: Aus dem heutigen Irak, dem antiken Babylonien. Man verehrte an jedem Tag einen anderen Gestirnsgott, am Sonntag die Sonne, am darauffolgenden Tag den Mond, und anschließend die 5 wichtigen Götter, also die 5 in der Antike bekannten Wandelsterne – unsere heutigen Planeten Mars, Merkur, Venus, Jupiter, Saturn. Man wollte schließlich niemanden verprellen im multikulturellen Götterhimmel. Das alte Israel übernahm einen Teil der babylonischen Götternamen, kickte aber irgendwann – etwa im 7. Jahrhundert v. Chr. – die meisten Götter raus und huldigte fortan nur noch einem Gott. Die Siebener-Einteilung der Wochentage blieb jedoch, selbst die Schöpfung unterlag dem von den Babyloniern ausgeheckten Grundplan. Das Christentum folgte wie in fast allen anderen Dingen seinem Ursprung aus dem Judentum auch in der Kalendereinteilung.

Unsere germanischen Vorfahren übernahmen von den Römern die Kalendereinteilung, übersetzten freilich die römischen Götternamen ins Germanische – denn die heimischen Götter wollte man nicht verbittern. Merkur = Diu, deshalb Dienstag, Jupiter = Tonar, deshalb Donnerstag, Venus = Freia, deshalb Freitag. Pech für Merkur, der fiel raus und wurde recht prosaisch zum Tag in der Mitte – dem Mittwoch.

Dass die Sendung mit der Maus uns derart vergnüglich Grundlagenwissen über unsere aus Asien stammende europäische Leitkultur bietet, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht zu wünschen gewagt! Ich wollte schon fast einmal einen Zuschauerbrief schicken: Bitte, liebe Maus-Leute, bringt uns mehr kulturelles Grundlagenwissen über Geschichte, über Religion, über Sagen, über unsere Sprache, über Märchen und Dichtung! Nicht nur Physik und Naturwissenschaft. Und jetzt scheinen sie es zu machen! Eine innige Freude für mich!

Die Trockenmassebestimmung bei den Wassermelonen litt vielleicht etwas an den zufällig herausgeschnittenen Teilen. Ein winziges Stückchen Schale, ein winziges Stückchen Fruchtfleisch sollten repräsentativ für die gesamte Frucht stehen! Aber wieviel Prozent Fruchtfleich, wieviel Prozent Schale enthält die ganze Frucht? Ich hätte es begrüßt, wenn die Trockenmasse anhand der gesamten Frucht bestimmt worden wäre. Vorerst genüge es festzuhalten, dass die Wassermelone ganz überwiegend aus Wasser besteht.

Trotz meiner etwas beckmesserischen Krittelei bin ich hochbegeistert über die Sendung mit der Maus. Wir werden sie weiterhin in unseren Wochenplan einbauen. Und zwar jeden siebenten Tag, an jedem Tag des Sonnengottes, jeweils einen Tag vor dem Tag des Mondgottes, eine halbe Stunde ehe der Sonnengott (babylonisch: Schamesch) den höchsten Stand des Tages erklimmt, mit seinen geflügelten Rossen auf gekrümmter Bahn.

Unser Bild bringt heute einen Eindruck vom großen Fest zum Weltkindertag am Postdamer Platz. Die Deutsche Bahn hatte sich etwas Tolles einfallen lassen: Jedes Kind bekam die Verantwortung für einen Regionalexpress (RE) für zehn Minuten zugewiesen. Als hätten sie geahnt, dass eine unserer größten gemeinsamen Leidenschaften dem Bahnverkehr gilt! Erneut: Eine innige Freude für meinen Sohn und mich!

ARD Digital – Digitales Fernsehen der ARD – Digitalfernsehen – Digital TV

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Aug 172008
 

Der Urlaub im türkischen Kadikalesi nahe Bodrum brachte wunderbare Begegnungen, Entspannung, Spaß, Freude mit meinen russischen Schwiegereltern, aber leider auch den furchtbaren Schatten des Kaukasuskrieges, der sich über die letzte Woche legte. Wir kennen viele Georgier, die Georgier gelten in Russland als lustiges, lebensfrohes Völkchen, über das endlose Anekdoten kursieren. Und dann das! Längere Sitzungen am Internet waren unvermeidlich. Meine Türkischkenntnisse besserten sich rapide – jede Woche ein neues Wort! Unsterbliche Dialoge entspannen sich – auf russisch und türkisch gemischt, da ich als Russe galt und am „Russentisch“ saß, wie das Gevatter Thomas Mann genannt hätte. Einen dieser Dialoge will und darf ich euch nicht vorenthalten:

Türkischer Kellner Achmed: „Mozhna?“ (Das ist russisch, zu deutsch: „Darf ich den Teller abräumen, den Sie da eben so unordentlich leergegessen haben?“) Ich: „Evet!“ (Das ist türkisch, zu deutsch: „Ja, sehr freundlich von Ihnen und nehmen Sie doch bitte auch die Gabel mit.“) So leicht ist Türkisch!

Aber insgesamt waren die Türken sehr belustigt und erfreut, dass sich jemand mit ihrer Sprache Mühe gab. Ich glaube, das hatten sie noch nicht erlebt. Mein Sohn Wanja schwamm lange Strecken, baute Muskelmasse auf, und forderte alle möglichen Jungs zum Kräftemessen heraus. Sein Spitzname: Klitschko, Liebling der Türken. Als Klitschkos Vater hatte ich ebenfalls einen Stein im Brett. Im Hotel weilten ansonsten 50% türkische Gäste, 20% Russen und 30% Litauer und Letten. Was für eine Mischung – das ist das neue Europa!

Wir gaben auch zwei Zimmerkonzerte, Wanja und ich mit meiner Frau, denn wir Männer hatten unsere Geigen mitgenommen, sie ihre Stimme sowieso. Ich wage zu behaupten, dass ich der erste Mensch war, der Bachs g-moll-Solosonate in Kadikalesi spielte, und zwar zum Rufe des Muezzin, mein Sohn spielte „Hänschen klein“, wohl auch als Erstaufführung.

Kleinasien – das ist ja auch die Geburtsstätte Europas. Wir sind alle Kultur-Schuldner Asiens. Die herrliche europäische Leitkultur ist samt und sonders in Kleinasien entsprungen: Homer stammt von hier, Herodot sowieso, ionische Naturphilosophen Kleinasiens stellten die ersten Fragen nach dem Woher und Wozu. Erst später trat Athen in diese durch Asien gebahnten Denk- und Dichtwege.

Ein Ausflug führte uns nach Ephesus, das heutige Efes. Paulus, der eigentliche Schöpfer des Christentums, hatte sich hier auf den Marktplatz gestellt und den staunenden Bewohnern verkündet: „Ich bringe euch den unbekannten Gott!“ Sie glaubten ihm nicht. Aber – ich stellte mich unter den Tausenden von Touristen ebenfalls in die Überreste des antiken Bouleuterions, des Gerichts- und Versammlungstheaters, in dem Volksversammlungen, Gerichtsverhandlungen und künstlerische Darbietungen erfolgten. Was für ein Gefühl! 1200 Menschen passten hier hinein. Ich erprobe den Ruf, ein Satz fliegt mir zu – etwa von Göttin Diana? – ich spreche ihn laut aus in die sengende Hitze, und er klingt zurück von den steinernen Rängen, klar, vernehmlich, verstärkt. Er lautet:

„Wenn wir alle zusammenstehen, dann wird es gelingen!“ Das Foto zeigt mich in Ephesus, während ich eben diesen Satz ausspreche.

 Posted by at 21:08

An der Wiege Europas

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Aug 022008
 

09082008006.jpg Ich melde mich aus Bodrum in der Tuerkei. Das Meer, die Sonne, die Menschen lassen echte Urlaubslaune aufkommen. Als geistige Wegzehrung mitgenommen: der obligatorische tuerkische Sprachkurs, und Herodots Historie. Der stammt naemlich auch von hier. Das antike Halikarnassos liegt hier in Sichtweite. Wenn die Winde auffrischen. Soeben ertoent die Stimme des Muezzin. Erste Gespraeche fuehrte ich ueber Hamid Altintop, Bastuerk und … Mustafa Kemal.

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