Die Stationen der S-Bahn, die in den Berichten über den Mord an Dominik Brunner getötet wurde, kenne ich alle aus meinen Münchner Jahren. Dieser Tod geht mir sehr nahe.
Erstaunlich ist erneut, dass die Politiker aller Parteien kaum Erhellendes oder Sinnvolles dazu sagen. Die Täter standen in Betreuung, sie wohnten unter ständiger Hilfe. Sie waren langjährige Klienten der Sozialarbeit, der Polizei und der Justiz. Was fordert Brigitte Zypries, die Bundesjustizministerin: Mehr Sozialarbeit, mehr Schulstationen. Aber nicht der Mangel an Sozialarbeit scheint hier das verursachende Problem gewesen zu sein. Sondern offenbar zerbrochene Lebensmuster, zerbrochene und zerbrechende Familien. Der eine oder andere Unionspolitiker verlangt härtere Strafen. Ohne darlegen zu können, wie härtere Strafen das Abgleiten in kriminelle Karrieren verhindern können.
Die absolute Mehrzahl der jugendlichen Kriminellen stammen aus zerbrochenen oder zerbrechenden Familien – aus zerrütteten Familien, wie es heißt. Aus Familien, die ihrer Erziehungspflicht nicht nachkommen. Das ist so. Das wissen eigentlich alle Fachkräfte.
Was sollte der Staat tun? Meine Forderung ist eindeutig: Der Staat, also wir, muss über die Schulen, über alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel den Sinn für die Verantwortung der Familien stärken. Er muss ins Bewusstsein heben, dass die Eltern Pflichten gegenüber den Kindern haben, dass die Eheleute sowohl den Kindern wie auch einander Treue und Fürsorge schulden. Jedes Märchen, jede Geschichte – alles ist recht zu diesem Ziel. Wir – der Staat – müssen wieder und wieder die Botschaft aussenden: Die wichtigste und die nicht aufgebbare Verantwortung für das Gedeihen der Kinder liegt bei den Eltern – oder denen, die für die Kinder Sorge tragen. Das können Großeltern sein, Verwandte, Freunde. Aber der Staat, die Sozialarbeit soll nur dann einspringen, wenn es anders nicht geht.
Diese Botschaft wird aber derzeit nicht vermittelt. Ich blättere immer wieder Lehrpläne und Lesebücher unserer Schulen durch. Dort lernt man weder, wie man ein Butterbrot schmiert, noch dass Vater und Mutter (oder die beiden Mütter, die beiden Väter) die Kinder ordentlich anziehen sollen, dass sie ihnen täglich warmes Essen kochen sollen. Nichts. Das Leitbild der heilen Familie ist aus den Lesebüchern, aus den Schullehrplänen verschwunden. Es wimmelt von lauter Einzelkindern, die irgendwelche Abenteuer bestehen. Aber das Leitbild Familie ist verblasst. Die Folgekosten sind riesig.
Na, ärgert ihr euch, dass ich „heile Familie“ sage, statt „intakte primäre Sozialisationsagentur“? Ärgert euch nur!
Ich ärgere mich auch: Wir Eltern haben soeben die neue Broschüre zur Berliner Schulreform erhalten. Motto: „Eltern – zurückbleiben!“ Die Kinder fahren allein ab, die Rolle der Eltern bei der Erziehung der Kinder wird in der Broschüre nicht erwähnt. Der Staat kümmert sich um alles. Die Kinder steigen in den Zug, die Eltern winken.
Ich finde, das Leitbild Familie gehört wieder zurückverpflanzt in Herz und Kopf. Der Staat wird auf diese primäre Sozialisationsagentur nicht verzichten können. So viel Geld hat er nicht, Finanzkrise hin, Finanzkrise her.
Gibt es denn keine einzige Partei in Deutschland, die noch mutig genug ist, die starke, die leistungsfähige Familie zu fordern und zu fördern? NICHT mit GELD, sondern mit guten WORTEN. Klingt paradox. Ich meine das aber so. Alle, alle verlangen bei derartigen schlimmen Gewaltvorfällen mehr Staat, mehr Geld, mehr Polizei, mehr Videokameras, mehr Strafen, mehr Sozialarbeit – alles, was den Steuerzahler Geld kostet.
Ich nicht. Ich verlange mehr und bessere Familie. Bitte mehr Propaganda-Arbeit für die Familie!
Die Familie ist kein steuerliches Problem, sondern eine Frage der Werte, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Der Werte, die eine Gesellschaft steuern.
In der Beschreibung des Ist-Zustandes hat die Ministerin Zypries ansonsten recht.
Zypries über Jugendgewalt – “Die Verrohung nimmt zu“ – Politik – sueddeutsche.de
SZ: Die bayerische Justizministerin fordert die Erhöhung der Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre.
Zypries: Das ist für mich hilfloser Aktionismus. Jugendliche begehen Straftaten in der Regel spontan und unüberlegt und denken doch nicht darüber nach, welche Höchststrafe ihnen drohen könnte. Wichtig ist, die Ursache solcher Gewaltexzesse an der Wurzel zu packen, indem wir uns verstärkt um die Jugendlichen durch Sozialarbeit in der Schule und durch Jugendarbeit kümmern.
Viele Jugendliche erleben heute keinen geregelten Tagesablauf mehr. Wir müssen verhindern, dass sie erst später im Jugendknast lernen, wie man sich selbst ein Brot schmiert und die Wäsche wäscht. Hier sind vor allem die Länder gefordert, für eine bessere Personalausstattung zu sorgen, statt ausgerechnet bei der Schulsozialarbeit zu sparen